... Kaspar Maase über Hefte, Schund, Perry und Forschung
: Wir sind Alltagskulturforscher. Romanhefte und alles, was damit zusammenhängt - Abonnieren, Lesen, Sammeln, Tauschen, darüber reden und schreiben, Fan sein usw. -, sind ein erstrangiger Forschungsgegenstand, weil sie im Leben vieler Menschen eine große Rolle spielen. Und: Heftromangeschichten gehören zu den populären Künsten - Künsten, die anderen Regeln und Wertmaßstäben gehorchen als denjenigen, die Literaturwissenschaftler auf anspruchsvolle Romane anwenden. Letztlich ist es die ästhetische Erfahrung, die Heftromane für ihre Leser und Liebhaber so wichtig macht.
: Gemischt, wie mit anderer Literatur auch. Ich habe in meiner Jugend vor allem Jerry Cotton gelesen; aber die eindrücklichsten Erinnerungen habe ich an Geschichten aus den Kontra-Heften, einer guten, gegen Schund gerichteten Reihe aus den frühen 1960ern. Die meisten Erzählungen hatten mit Autos zu tun, das hat mich damals sehr beeindruckt.
: In meinem Beruf kann ich immer mal wieder das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. So weiß ich inzwischen die Qualitäten von Nick Carter, dem Weltdetektiv oder Sun Koh zu schätzen, während ich beispielsweise Nat Pinkerton und Jörn Farrow recht fad fand und auch Rolf Torring nicht viel abgewinnen konnte. Momentan lese ich Perry Rhodan; das ist richtig gut gemachte Unterhaltungsliteratur, und ich spüre, dass das Perryversum einen wirklich gefangen nehmen kann.
: Die ganze Geschichte der populären Lesestoffe - und ihrer Leserinnen und Leser! - ist bis heute ein weithin unvermessener und unerforschter Kontinent. Das geht von der Bestandsaufnahme, die aus mehr Lücken als gesichertem Wissen besteht, bis zur Frage nach der besonderen literarischen Machart unterschiedlicher Genres und den Mischungen aus Nutzen und Vergnügen, die sie den Lesern ermöglichten und ermöglichen. Um diese Defizite abzubauen, bedarf es noch eines erheblichen Wandels in der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Anerkennung der Leistungen, die populäre Kultur und insbesondere die Massenkünste für die Selbstverständigung und ästhetische Bildung unserer Gesellschaft erbracht haben und weiter erbringen.
: Wir sind Teil einer Forschergruppe (http://serialitaet.uni-goettingen.de), die insgesamt nach Eigenschaften und Funktionen populärer Serialität fragt - sowohl mit dem Blick auf Serientexte unterschiedlicher Art wie mit Blick auf die Rolle, die das Handeln von Lesern, Zuschauern, Kritikern, Fans, Autoren, Unternehmen dabei spielt, dass Serien im Zentrum der populären Kultur überhaupt stehen. PR wird von uns exemplarisch als Vertreter eines klassischen Formats, der Romanheftserie untersucht - eines Formats, das heute seinen Platz in der sich wandelnden Medienwelt behaupten muss.
: Für PR sprachen die einzigartige Fanszene und die Ausfaltung in verschiedene Medien, die wir bei den genannten Serien nicht so markant und vielfältig sehen.
: Ja. Mit der Redaktion ist bereits abgesprochen, dass wir einen kleinen Stand haben werden.
: Wir untersuchen, wie die Nationalbibliothek im 20. Jahrhundert mit Heftreihen umgegangen ist und umgeht. Als 1912 die Deutsche Bücherei gegründet wurde, galten Groschenromane als Schundliteratur. Hat das Auswirkungen darauf gehabt, wie Serienhefte gesammelt, bibliographisch eingeordnet, zugänglich gemacht und erschlossen wurden? Hat man sie anders behandelt als andere literarische Gattungen? Und was haben im Vergleich dazu Sammler in den letzten Jahrzehnten geleistet, um Heftserien materiell zu sichern, historisch zu erschließen und so zur gesellschaftlichen Anerkennung des literarischen Erbes beizutragen, das die Heftromane darstellen? Für die letztgenannte Frage suchen wir Gesprächspartner aus der Sammlerszene, die uns ihr Selbstverständnis, ihre Erfahrungen mit den etablierten Institutionen des Sammelns und Bewahrens und ihre Leistungen bei der Pflege dieses Teils des deutschen kulturellen Erbes darstellen mögen.
: Im Mittelpunkt stehen Leser und Fans von Perry Rhodan. Wie nutzen sie die Serie ganz konkret? Welche mediale Form (Heft, Buch, Hörbuch, e-book, Comic etc.) wird warum gewählt? Wo und wie bewahren sie ihre Schätze auf? Wie wird die Lektüre in den Alltag und in andere kulturelle Interessen eingebunden? Wie gehen sie damit um, dass Hefte immer noch schlecht angesehen sind? Was macht den ästhetischen Reiz des Perryversums aus? Die Befunde wollen wir dann mit den entsprechenden Nutzungsgewohnheiten von Zuschauern und Fans einer TV-Serie, Tatort, vergleichen.
: Was Sie beschreiben, nennen wir hypothesenüberprüfende Forschung. Was wir hingegen machen, ist ethnographische Forschung. Deren Witz besteht unter anderem darin, dass wir davon ausgehen, dass wir nicht wissen, wie die Antworten auf die genannten Fragen aussehen. Natürlich haben wir die einschlägige Forschungsliteratur gelesen und kennen die gängigen Vermutungen. Aber die eigentlichen Experten sind unsere Interviewpartner. Wir führen offene Interviews, damit die Gesprächspartner uns erzählen, wann, wo, wie sie Hefte lesen, wie sie dazu kamen und warum sie dabei bleiben, was für sie das Vergnügen und den Gewinn der Lektüre ausmacht. Unser Interesse ist, die Sicht der Leser, Fans, Autoren auf ihr Tun herauszuarbeiten, ihre Erwartungen und Wertmaßstäbe. Dabei haben wir schon vieles erfahren, was wir am Anfang des Projekts nicht vermuteten oder erwarteten - und so geht es hoffentlich weiter.
: Darüber werden sich 15 Leute in der Forschergruppe noch mehr als zwei Jahre lang den Kopf zerbrechen; und die Spannweite der Erzählformen zwischen (beispielsweise) den Sherlock Holmes-Geschichten, Superman, Tatort und GZSZ ist so groß, dass allgemeine Aussagen immer nur für Segmente der Serien gelten. Unter den vielen Gesichtspunkten scheinen mir folgende besonders spannend. Bei der Serie passt das ökonomische Interesse an rationeller Produktion und Käuferbindung offenbar hervorragend zusammen mit Nutzungsmöglichkeiten und ästhetischen Erwartungen des breiten Publikums. Erfolgreiche serielle Erzählungen verbinden das Vergnügen am Wiedererkennen und Sichauskennen (in der Welt der Serie) mit dem Vergnügen am Neuen, Unbekannten, Überraschenden (in jeder einzelnen Folge). So wird es möglich, dass die Balance zwischen der Anstrengung, die die Erschließung der Werke uns abverlangt, und der emotionalen Belohnung, die wir dafür erhalten, als optimale ästhetische Befriedigung erlebt wird. Zugleich lassen sich Serien gut in die Rhythmisierung unseres Alltags einbauen und sich sozusagen vor konkurrierenden Pflichten und alternativen Freizeittätigkeiten schützen. Sonntagabend, Viertel nach acht, setzen wir einen schönen Schlusspunkt unter das Wochenende - der ideale Platz für eine unendliche Serie.
Kaspar Maase
Kommentare
Der Begriff der Ästhetik fällt hier öfter. Die Definition im Zusammenhang ist mir nicht immer klar geworden.
Was meint Herr Maase z.B. mit folgendem Satz:
Zitat: ?
Du machst eine Erfahrung durch Dein Medium, aus dem Du einen individuellen, persönlichen Wert schöpfen kannst.