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... Rebecca Gablé über Heinrich VIII., einen frühen SF-Autor und die englische Reformation

Rebecca Gablé

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... über Heinrich VIII., einen frühen SF-Autor und die englische Reformation

»Der dunkle Thron«, der neue Bestseller aus der Feder Rebecca Gablés, ist das Thema des ersten von drei Interviews, das wir mit der Autorin führten.

Am kommenden Mittwoch unterhalten wir uns über die Waringham-Saga und nächsten Sonntag über ihren Ausflug ins deutsche Mittelalter ...

 

Zauberspiegel: Vieles in »Der dunkle Thron« dreht sich um den Widerstreit von Katholiken und Reformern, also um Religion. In Deinem Nachwort weist Du ausdrücklich darauf hin, dass der Protagonist Nick of Waringham aus dramaturgischen Gründen und nicht aus Überzeugung Katholik geblieben ist. Du weist darauf hin, dass es sich da nicht um Deine Haltung handelt.
Ist ein solcher Hinweis wirklich nötig? Oder greift da der Effekt, dass Roman und reale Haltung der Autorin vermengt werden?

Rebecca Gablé: Die Formulierung deiner Frage macht schon deutlich, wie leicht diese Dinge durcheinandergeraten: Natürlich ist Nick aus tiefster innerer Überzeugung Katholik geblieben. Aber es ist eben seine, nicht unbedingt meine. Für mich hatte die Entscheidung in der Tat vor allem dramaturgische Gründe, denn nur als religiös Konservativer war es möglich, die Freundschaft zwischen Nick und der späteren Königin Mary zu entwickeln, die ja ein zentrales Motiv des Romans ist.
Es kann nicht schaden, in der Nachbemerkung zu einem Roman gelegentlich solch einen Disclaimer einzubauen und daran zu erinnern, dass die Ansichten der Romanfiguren nicht zwangsläufig die der Autorin sind, denn das wird oft unterstellt.

Zauberspiegel: Heinrich VIII. wurde uns durch Hollywood lange Zeit als fröhlich zechender Frauenheld gezeigt, der gemütlich ist. Charles Laughton war ein Prachtkerl, der so sympathisch war, dass der Zuschauer geneigt war, ihm alles zu verzeihen. In der TV-Serie "Die Tudors" erschien mir Heinrich VIII. als eine Art ›Renaissance-J. R.‹. Nun kommt Dein Roman »Der dunkle Thron« und entwirft ein anderes Bild.
Was ist dieser König für Dich und worauf stützt Du Deine Schilderung? Inwieweit erlauben die Quellen, Heinrich VIII. zu ergründen? Wie viel von der Charakterschilderung ist die Phantasie von Rebecca Gablé?

Rebecca Gablé: Wenig. Es gibt eine große Fülle an Quellen über Henry VIII., aus denen sich das Bild dieses Königs ergibt, das ich in meinem Roman gezeichnet habe. Diese Darstellung Henrys ist ja auch keineswegs neu. Es stimmt, dass Kino und Fernsehen seinen Charakter manchmal beschönigt haben, aber das ist doch eher die Ausnahme. Niemand, der sich ernsthaft mit dem Thema befasst hat, kann bestreiten, dass Henry als Mensch, Ehemann, Vater und vor allem als Herrscher auf ganzer Linie versagt hat. Er erbte von seinem Vater ein innerlich befriedetes, international gut vernetztes Land mit voller Staatskasse und hinterließ seinem Sohn ein innerlich zutiefst zerrissenes, international isoliertes und finanziell vollkommen abgewirtschaftetes Staats-Wrack. Er war einer der schlechtesten Könige, die England je hatte. Das sieht die historische Forschung so, und das sehen mehrheitlich auch meine Kolleginnen und Kollegen so, z. B. auch der unlängst so erfolgreiche C. J. Sansom.

Zauberspiegel: Heinrich VIII. hat die Reformbewegung für seine Zwecke instrumentalisiert (bzw. durch seine Handlanger instrumentalisieren lassen). Inwieweit hat dies die Reformation in England vorangebracht und letztlich zum Sieg verholfen? Und: War Heinrich VIII. selbst nicht eher Katholik?
Rebecca Gablé: Die Reformation in England während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist ein sehr komplexes und auch kompliziertes Thema. Henry VIII. hatte keinerlei Interesse an einer Reform der Kirche und wollte sich auch nie von ihr entfremden. Anfang der 1520er-Jahre veröffentlichte er seine Schrift Assertio Septem Sacramentorum, die die Theorien Luthers verdammte und – pikanterweise – die Unantastbarkeit der Ehe und den Herrschaftsanspruch des Papstes unterstrich. Ein gutes Jahrzehnt später schlitterte Henry in die Loslösung von Rom hinein, weil sie der einzige Weg zu sein schien, um die Scheidung von seiner ersten Frau zu erwirken. Aber er hat den Rest seines Lebens darunter gelitten, und jede seiner folgenden Gesetzgebungen in Glaubensfragen war konservativ und versuchte ein Festhalten an katholischer Doktrin. Ganz anders verhielt es sich mit seinen beiden wichtigsten Ratgebern dieser Periode, Thomas Cromwell und Thomas Cranmer. Beide waren überzeugte Lutheraner und nutzten ihren Einfluss auf Henry und dessen Politik, um die Reformation in England voranzubringen. Die Loslösung von der katholischen Kirche war ihr gemeinsamer Coup.

Zauberspiegel: Nimmt man England zu dieser Zeit her, hatte es viel seiner einstigen Macht eingebüßt. Das ›Angevinische Reich‹ Heinrich II. war längst zerfallen. Die französischen Besitzungen verloren. Der Adel von den Rosenkriegen ausgeblutet. Welche Bedeutung hatte England noch im Vergleich zu Spanien und dem Kaiserreich? Wäre es nicht ein Leichtes gewesen, England zu erobern? Gab es Pläne?
Rebecca Gablé: Ein Leichtes wäre es sicherlich nicht gewesen, denn eine große Insel zu besetzen und zu halten ist schwierig, wenn man keine Luftwaffe hat und der Nachschub an Truppen und Material von einer Seefahrtstechnologie abhängt, die den Verhältnissen von Wind und Wetter ausgeliefert ist und in einer stürmischen Herbstsaison wochenlang ausfallen kann. Trotzdem gab es auf französischer Seite Invasionspläne, nachdem England 1544 Boulogne belagert und eingenommen hatte, aus denen aber nichts wurde. Frankreich war zu dieser Zeit innerlich ähnlich zerrissen wie England. Kaiser Karl V. hingegen herrschte über ein gigantisches Reich (in dem bekanntlich die Sonne niemals unterging) und verfügte dank der Ausplünderung der Neuen Welt über enorme finanzielle Ressourcen. Aber ein großes Reich bedeutet auch viele Brandherde. Obwohl der Neffe von Henrys erster Frau Katharina von Aragon, hatte Karl kein Interesse an der Eröffnung einer weiteren Front durch eine versuchte Invasion Englands.

Zauberspiegel: Thomas Morus (ein früher Science Fiction-Autor) war ein Mann der Prinzipien, der daran bis in den Tod festgehalten hat. Warum hat er das getan? Wo liegen seine Wurzeln?
Rebecca Gablé: More kam aus Cheapside und entstammte dem gehobenen Londoner Bürgertum. Sein Vater war Anwalt und später Richter, der zum Ritter geschlagen wurde, sein Großvater mütterlicherseits war Sheriff von London. „Anständige Verhältnisse“ also, aber nichts, was erklären könnte, warum er einer der größten Humanisten seiner Zeit wurde. Er erhielt eine hervorragende Schulbildung und Erziehung an der angesehenen St. Anthony’s School und später im Haushalt John Mortons, Erzbischof von Canterbury. Ganz bestimmt höchste wissenschaftliche Klasse, aber wer John Morton kennt oder sich aus Das Spiel der Könige an ihn erinnert, wird mir recht geben, wenn ich sage: Er war nicht die Sorte Vorbild, von dem man lernt, für seine Prinzipien aufs Schafott zu steigen. Mores kompromisslose Prinzipientreue und seine Entscheidungen, die zu seiner Hinrichtung führten, waren das Ergebnis seiner ganz persönlichen philosophischen und religiösen Entwicklung.
 
Zauberspiegel: Hast Du Utopia auch für die Recherchen benutzt? Wenn ja, was kann man über Thomas Morus daraus lernen?
Rebecca Gablé: Ich habe Utopia als Studentin gelesen und ein paar Zitate im Roman verwendet, aber ich bin alles andere als eine Expertin. Deshalb kann ich diese Frage nicht beantworten.

Zauberspiegel: Andere Männer – hervorzuheben ist Cromwell – hingen ihr Fähnchen für den persönlichen Vorteil in den Wind und scheiterten dann letztlich doch. Gerade Cromwell ist ein Opportunist, wie er im Buche steht. Ist er in Deinem Buch zu einem Modell für solche Menschen geworden oder deckt sich der historische Cromwell mit dem aus dem Roman?
Rebecca Gablé: Thomas More hat über Thomas Cromwell einmal Folgendes gesagt: „Wenn man Cromwell am Morgen in ein tiefes Kellerverlies sperrte und abends zurückkäme, würde man ihn auf weichen Kissen sitzend und Lerchenzungen essend antreffen, und alle Kerkermeister würden ihm Geld schulden.“ Ich glaube, das beantwortet deine Frage. ;-)

Zauberspiegel: Für die Autorin muss es doch schön sein, dass die Geschichte voller Dramatik steckt. Dass mächtige Figuren wie Wolsey aus großer Höhe gefallen sind und manchmal auch mit dem Verlust ihres Kopfes zahlen mussten. Aber wie entwickelst Du solche Schicksale für Deine Romane? Was spielt da eine Rolle, wie sehr Du ins Detail gehst? Du ergreifst ja für manche aus dramaturgischen Gründen Partei. Oder um den Bogen zur ersten Frage zu bekommen, entwickelst Du auch aus persönlichen Motiven die Dramaturgie des Falls. Als Beispiel für eine persönliche Vorliebe möchte ich die Schilderungen Edwards III. nennen.
Rebecca Gablé: Es ist nicht zutreffend, dass ich aus dramaturgischen Gründen für bestimmte Figuren Partei ergreife. Ich schildere historische Persönlichkeiten immer nach bestem Wissen und Gewissen so, wie sie tatsächlich waren. Natürlich entwickle ich dabei persönliche Vorlieben und Abneigungen und bringe diese in meinen Romanen zum Ausdruck. Das muss auch so sein; nichts ist langweiliger als eine neutrale Erzählperspektive. Der Trick dabei ist, die Menschen der Vergangenheit und ihre Taten nicht nach unseren heutigen ethischen Grundsätzen zu beurteilen, sondern nach denen ihrer Zeit. Edward III., zum Beispiel, für den ich in der Tat eine Schwäche habe, galt seinen Zeitgenossen als großartiger König. Aus heutiger Sicht würde man ihm vielleicht vorwerfen, dass er es versäumt hat, den Ausbruch des 100-jährigen Krieges zu vermeiden. Aus damaliger Sicht war sein Handeln richtig.

Zauberspiegel: Gibt es schon konkrete Ideen und Pläne, was den nächsten Roman der Waringham-Saga angeht? Und könntest Du uns einen klitzekleinen Blick hinter die Kulissen geben?
Rebecca Gablé: Es gibt noch keine konkreten Pläne, weil ich mich derzeit ja mit einem ganz anderen Thema beschäftige. Alles zu seiner Zeit …

Zauberspiegel: Besten Dank fürs Interview.
Rebecca Gablé: Gern gescheh’n.

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2012-01-15 17:10
Gratulation. Tolles Interview mit einer Bestsellerautorin.

Das ist schon eine faszinierende Epoche. Allerdings kann man das alles auch was anders sehen. Heinrich mag ein schlechter Politiker gewesen sein und ein unberechenbarer Despot, aber ausgerechnet Morus zum Helden zu stillisieren und Cromwell zum Schurken, das ist mir zu einseitig.

Immerhin hatte der ach so prinzipientreue "Humanist" Morus keine Probleme damit, angebliche "Ketzer" auf den Scheiterhaufen zu bringen, als er die Macht dazu hatte. Und auch wenn er es später vielleicht bedauert hat ? was eher unwahrscheinlich ist, fest im Glauben wie es sich nun einmal für einen guten Fundamentalisten gehört -, macht das keinen Unterschied. Die Mentalität "wir müssen die Stadt zerstören um sie zu retten" hatten sie doch alle, Katholiken wie Protestanten. Dieser Unsinn hat uns den Dreißigjährigen Krieg beschert, den Engländern mit Unterbrechungen ein paar hundert Jahre Terror und Südamerika einen Genozid.

Heinrich und seine Befehlsempfänger haben sicherlich nicht vorausgesehen, was sie da verursachen sollten, aber ehrlich gesagt ist er mir immer noch sympathischer als seine Tochter Mary und ihre blutige Bekehrungswut. Sein oft widerwärtiges Verhalten kann ich nachvollziehen, dass seiner Tochter nicht.

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