Ariana Franklin - Die Totenleserin (Broschiert)
Die Totenleserin
von Ariana Franklin
Aus dem Englischen von: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
erschienen: England, 2007 bei Macmillan Children's Book, London.
Deutsche Ausgabe: April 2008 (Hardcover Februar 2007)
496 Seiten Seiten, 8,95 Euro
ISBN: 978-3426634905
Knaur Taschenbuch
Historische Krimis verkaufen sich einfach gut. Das Buch von Ariana Franklin mit ihrer Hauptperson Adelia Aguilar aus Salerno macht da sicherlich keine Ausnahme.
Bei der Autorin Ariana Franklin handelt es sich um niemand anderen als Diana Norman, die bereits seit 1980 in Deutsch erscheint. Sie ist dafür bekannt historisch gut recherchierte, spannende Bücher zu schreiben und hat nicht erst einen Literaturpreis eingeheimst.
In dem von Knaur heftig umworbenen Roman "Mistress of the Art of Death" zeigt sie erneut ihr Können. Dieses Mal mischen sich die Themen Mord (klar, Krimi) mit den Versatzstücken Missbrauch, Judenverfolgung und Klerus.
1170: Als in Cambridge ein Kind um das andere tot aufgefunden wird, grauenvoll zugerichtet, findet die Bevölkerung hierfür nur eine Antwort: Die Juden müssen es gewesen sein. Sind nicht sie es, die Jesus gekreuzigt haben? Ihnen traut man jede noch so teuflische Tat zu.
Henry II, König von England, macht es sich da nicht so einfach. Ob es die Aufgeklärtheit eines gebildeteten Königs ist oder doch (nur) die Tatsache, dass er seine "Geldjuden" nicht verlieren will? Zu jener Zeit war es Christen nicht erlaubt gewesen Geld gegen Zinsleistung zu verleihen. So musste jemand her, der dieses unangenehme Geschäft verrichtete. Die Juden war dafür gerade die Richtigen. Auf der anderen Seite war es Henry II., der es sich nicht nur einmal mit der katholischen Kirche verdarb. War es doch er, der die Hinrichtung von Thomas Becket, Erzbischof of Canterbury veranlasst hat.
Statt sich auf die Kenntnisse einheimischer Sherrifs zu verlassen, schickt er nach einem wahren Wissenden. Also begegnet der Leser wenig später einem Boten, der in Süditalien eine Nachricht des Königs von Sizilien, einem Verwandten von Henry überbringt. Aus der Schule von Salerno soll ein Totenleser nach England geschickt werden. Der Jude namens Simon aus Neapel, Mansur der Sarazene und Adelia Aguilar, Medizinerin der Schule von Salerno, sind es, die wenig später nach Norden aufbrechen.
Die Einführung des Lesers in die Epoche und die Welt der Adelia ist machtvoll, stilistisch sehr gut gemacht und bunt. Es beginnt mit dem Text des Prologs:
Da kommen sie. Wir hören das Klirren von Pferdegeschirr und sehen ein Stück weiter die Straße hinunter eine Staubwolke in die warme Frühlingsluft aufsteigen.
Weiter geht es mit der Schilderung einer imposanten Reisegruppe, die aus einer bunt zusammengewürfelten Mischung besteht: Pilger aus dem Canterbury mit Nonnen, Mönchen und Gläubigen, einige Kreuzritter, ein königlicher Steuereintreiber (eine besonders verdächtige Person, die sollte man sich merken) - und ganz am Ende drei besondere Reisende, die nicht so ganz zum Rest des Zuges passen.
Auch der Beginn des ersten Kapitels gefällt, denn schon der erste Satz lässt den Leser etwas die Stirn kräuseln, man will wissen was die Autorin damit eigentlich meint. Und unversehens ist man mitten in der Geschichte und hat - ohne es recht zu merken - einem Mord beigewohnt.
Sicher auch aufgrund der schieren Menge an historischen (Kriminal-)Romanen bin ich diesem Genre gegenüber besonders kritisch und lese solche Bücher schon fast in der Erwartung, mich über die Darstellung und geschilderte Einzelheiten zu ärgern. Sei es das "pralle Leben", das man erwartet, oder geschichtliche Unsauberheiten, die beim Schreiben eines Kriminalromans in historischem Kontext fast nicht ausbleiben. Ich denke dabei immer an eine Äußerung von Rebecca Gablé in unserem Interview mit ihr auf der Buchmesse 2007 über die "frauenbewegte Apothekerin, die so ein Mittelalter-CSI abzieht". Dies birgt natürlich die Gefahr in sich überkritisch zu werden und im dem Bedürfnis der Authentizität das Ziel des Genres der historischen Kriminalromane zu vergessen: Unterhaltung.
Auch Ariana Franklin begibt sich auf diese Gratwanderung, mal mit mehr mal mit weniger Erfolg. Wo diese unklare Grenze gezogen wird, muss jeder Leser für sich immer wieder neu entscheiden. Bei diesem Buch fiel es mir nicht leicht. Ich fühlte mich wunderbar unterhalten, ich habe die Geschichte sehr genossen, entschloss mich das eine oder andere Mal dazu aufkommende Fragen zu ignorieren und mich dem "Fluss" der Geschichte zu überlassen.
Nicht losgelassen hat mich die ganze Zeit über die Frage nach den mysteriösen Süßigkeiten, namens "Jujuben", die eine entscheidende Rolle spielen. Hier ist auch das einzige Details an dem ich mit der Begriffswahl (der Autorin oder der Übersetzung, ich habe - noch - keinen Blick in das englische Originalbuch geworfen) nicht glücklich bin. Der Begriff des Bonbon ist für mich nicht wirklich aus dem Mittelaltersprachgebrauch passend. Ich habe in Folge versucht in einem meiner historischen Kochbücher oder ethymologischen Informationen etwas darüber zu finden, leider vergebens. Ich hoffe, dass es in der Leserschaft unserer Seite jemanden gibt, der mir mehr über die Geschichte des Begriffs Bonbon sagen kann.
An einigen Stellen nimmt die Handlung des Buches eine unerwartete Wendung und hebt sich so erfreulich von vielen anderen historischen Romanen ab. Bei allem "Feminismus" ist Adelia Frau und bei aller Weiblichkeit bleibt sie "Forscherin". Sie stammt aus der Schule von Salerno, einer der außergewöhnlichen Forschungsorte und Lernstätten der damaligen Welt. Erfreulich auch die Tatsache, dass jederzeit die Möglichkeit besteht (und es bleibt nicht bei der Möglichkeit), dass eine der Hauptpersonen stirbt und das Ermittlerteam zerrissen werden kann. Da man damit zunächst nicht rechnet war ich umso erfreuter darüber als dies tatsächlich geschah (klingt das nicht absolut "schräg" ) und dies die Authentizität des Buches förderte.
Inzwischen gibt es ein zweites Buch mit der mittelalterlichen Forensikerin Adelia, das im März 2008 (ebenfalls bei Knaur) erschienen ist. In ihm wird es ein weiteres Zusammentreffen mit Henry II. of England geben. Das ist besonders gerlockend da die Figur des Königs in der Totenleserin ausgesprochen interessant angelegt ist. Also her damit!