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Die Bewandtnis mit Atlantis: 3. Der archäologische Befund - Vom Künstler zum Bürokraten

Die Bewandtnis mit Atlantis3. Der archäologische Befund
Vom Künstler zum Bürokraten: Die Erfindung der Schrift

Seitdem der Mensch die Fähigkeit erlangt hat, Wissen zu erwerben und weiterzugeben, stand er vor dem Problem, es festzuhalten. Es sowohl seinen Zeitgenossen, als auch künftigen Generationen zukommen zu lassen. Gewiß, da gab es die Sprache, aber die stößt an ihre Grenzen, wenn man es mit fremden Stämmen zu tun hat, deren Mundart eine andere ist. Oder wenn eine direkte Vermittlung überhaupt nicht möglich ist.

 

So verwundert es nicht, daß die verschiedenen Kulturen ganz unterschiedliche Lösungen gefunden haben, um diesem Problem zu begegnen. So trugen die Irokesen sogenannte Wampun- Gürtel, die nicht nur die Hose hielten, sondern auch Verträge mit anderen Stämmen beinhalteten. An der Pazifikküste Nordamerikas schnitzte man die Familiengeschichte in Form von Bildern in die Totempfähle. Die Dakota orientierten sich an den Jahresringen der Bäume, wenn sie konzentrische Bildchen auf Tierfell malten, um die vergangenen Winter zu zählen.

Tatsächlich ist es gar nicht mal so unwahrscheinlich, daß es auch bei uns schon in der Steinzeit Mittel der Kommunikation gab, die über die bloße Sprache hinausgingen. Schließlich dient ja bereits die Kunst – und hier sind insbesondere die Felsmalereien aus dem späten Paläolithikum zu nennen – dazu, Sachverhalte darzustellen. Diese stellten zwar eine aufwendige Form dar, Informationen zu konservieren, aber sie bedurfte weniger Erklärungen. In erster Linie hatte sie wohl magische Funktion, etwa um die ganze Gruppe am Jagdzauber teilhaben lassen, aber man kennt auch eher profane, und zum Teil sogar recht private Motive.

Eventuell handelte es sich bei den Darstellungen an Höhlenwänden aber nur eine rituelle Sonderform der nonverbalen Kommunikation. Leider aber eignen sich mit weniger Mühe angefertigte Bilder auf Baumrinde, auf Tierfellen oder gar im Sand nicht unbedingt dazu, die Jahrtausende zu überdauern, um den Archäologen in die Finger zu fallen.

Wie die Vorformen der Schrift ausgesehen haben mögen, zeigt uns das 70 Kilometer lange Tal von Valcamonica in den italienischen Alpen. Über 25 Kilometer Länge finden sich hier mehr als 300.000 Felsgravuren aus über 12.000 Jahren Menschheitsgeschichte. Die ältesten sind noch typisch naturalistische Umriß- Malereien der Altsteinzeit. Der Elch, der hier um 10.000 v. Chr. ausstarb, stellt das häufigste Motiv dar

Bei diesen Darstellungen handelte es sich noch nicht um echte Schriftzeichen. Sie bedeuteten genau das, was sie abbildeten (waren also eine reine Ideenschrift). Solche Zeichen nennt man „Ideogramme“. Unsere heutigen Piktogramme, die uns zum Beispiel als zweidimensionales Männlein oder Weiblein auf Toilettentüren vor peinlichen Verwechslungen bewahren, sind nichts anderes. Man muß nicht die Sprache des Malenden kennen, um ihre Bedeutung zu verstehen.

Aber auch auf diesen Bildnissen der Altsteinzeit finden sich schon einige abstrakte Symbole.

Zwischen 5500 und 3300 v. Chr., also im Jung- bis Spät- Neolithikum, malte man dagegen Piktogramme, die zum teil so stark stilisiert waren, daß sie bereits an Schriftzeichen erinnerten. So wurden betende Menschen wie Strichmännchen dargestellt, deren erhobene Arme und abgewinkelte Beine wie die obere und der untere Hälfte des Buchstaben „H“ aussahen. Die Anzahl dieser stereotypen Symbole stellte eventuell die Menge der Gläubigen dar, die auf der dargestellten Zeremonie anwesend gewesen sind. Beizeiten waren diese Mensch- Glyphen auch mit anderen Zeichen kombiniert, die beispielsweise Hunde, Äxte oder Sonnenscheiben abbilden. Andere Darstellungen dagegen, so von Pflügen, Hacken und Göttern, sind noch originalgetreu genug, daß man einen Import der Gerätetypen aus dem Donau- Raum annehmen kann.

Gegen 4000 v. Chr. wurden die Symbole vollends abstrakt. Konzentrische Kreise, Mäander- und Zickzack- Muster, Streitäxte und maskierte Bilder lassen oft nicht mehr erkennen, was sie bedeuten. Wo vorher Sonnen-, Tod- und Hundesymbole zu verehrende Gestalten darstellten, dominierten nun anthropomorphe Götzen.

Nichtsdestotrotz wird der Schritt zur echten Schrift nicht getan. Erst ab dem siebten Jahrhundert vor Christus hinterließen die Etrusker hier als erste geschriebene Graffiti.

Die ältesten Glyphen, die den Charakter einer echten Schrift aufweisen, finden sich in der zweiten Hälfte des sechsten vorchristlichen Jahrtausends bei der schon erwähnten Vinča- Tordos- Kultur (Tafeln von Tărtăria in Transsylvanien, circa 5300 v. Chr.). Besonders häufig kamen diese Zeichen in der zweiten Hälfte des vierten Jahrtausends vor Christus zur Anwendung, und strahlten auch auf die Cucuteni- Tripolje- Kultur in der Südukraine aus. Zuletzt benutzte man sie im Norden Griechenlands gegen 3200 v. Chr.; es ist also eine Wanderung von Norden nach Süden erkennbar. Vermutlich besteht ein Zusammenhang mit dem Vordringen der Kurgan- Leute, die alle anderen Kulturen, in deren Gebiet sie gelangten, in sich aufsaugten.

Die Embleme wurden in die rituell verwendeten Statuetten, aber auch in Becher und Schalen eingraviert. Eine Funktion als einfache Zier- Ornamente läßt sich ausschließen, da ihre Anordnung nicht den Gesetzen der Symmetrie gehorcht. Ihre bloße Verbreitung läßt es auch unwahrscheinlich erscheinen, daß es sich bei ihnen um magische Symbole oder Signaturen der Hersteller handelt: Manch „Gütesiegel“ hatte eine Verbreitung über den ganzen Kulturraum und dazu noch über die ganzen zwei Jahrtausende, in denen die Vinča- Tordos- Kultur persistierte.

Für eine solche Deutung spricht allerdings, daß etwa 85% aller „Worte“ aus einem einzigen Emblem bestehen. So etwas kennt man von Zeichen, die zu mystischen (Kreuz, Davidstern, Pentagramm etc. pp.) oder werbetechnischen (Shell- Muschel, Mercedes- Stern, Lacoste- Krokodil usw. usw.) Zwecken verwendet werden. Die verbleibenden 15% freilich setzen sich aus mehreren Emblemen zusammen, deren Anzahl bis zu zehn und sogar fünfzehn reichen kann. Gegen eine echte Schrift spricht allerdings auch, daß diese Symbole nur selten wiederholt werden.

Es gibt einige äußere Ähnlichkeiten mit den Piktogrammen der „Tokens“, die im alten Sumer der dortigen Schrift vorangegangen sind (siehe unten), so daß man vermutet hat, auch diese Zeichen stellten nur eine Reihe von Bildsymbolen dar, aber keine echte Schrift. Allerdings ergibt eine Lesung der Vinča- Tordos- Glyphen anhand des früh- mesopotamischen Beispiels keinen Sinn.

Insgesamt sind über 230 Einzelzeichen identifiziert worden; schon allein aufgrund dieser Menge kann es sich hierbei um keine Buchstabenschrift handeln. Gerade mal 49 davon sind noch als ehemalige Abbildungen realer Vorbilder zu erkennen, aber 156 sind vollkommen abstrakt. Hinzu kommen noch Hilfs- Symbole, welche die Bedeutung des Basis- Darstellung bestimmen. An Kämme oder Bürsten erinnernde Embleme sind auch als Zahlen interpretiert worden.

Regionale Unterschiede konnten keine festgestellt werden, und auch über die anderthalb Jahrtausende, welche die Glyphen in Gebrauch gewesen sind, soll es keine Veränderungen gegeben haben. Dafür gab es wohl einige Abweichungen in der Funktion, wurden manche von ihnen doch nur am Boden, und andere nur am Bauch oder Rand eines Gefäßes festgestellt. Einzel- Symbole dominieren auf der Keramik, während auf den Spinnwirteln Gruppen aus mehreren Emblemen charakteristisch sind.

Es gibt einige Ähnlichkeiten mit der Schrift der weit entfernten Indus- Kultur (und sogar mit dem alten Chinesisch), aber eine gegenseitige Beeinflussung läßt sich mit ziemlicher Sicherheit ausschließen. Bei der räumlichen Entfernung hätte es ansonsten vermittelnde Völkerschaften geben müssen, bei denen dieses System gleichfalls Verwendung gefunden haben mußte. Davon aber weiß die Archäologie nichts.

Wie zu sehen, hielt sich die Vinča- Tordos- Schrift zuletzt nur im nordgriechisch- makedonischen Raum. Nun lassen sich aber für die Folgezeit einige Kulturelemente der Donau- Zivilisation auch im früh- helladischen Griechenland, auf den Kykladen und im minoischen Kreta nachweisen. Es ergibt sich ganz das Bild, daß sich hier eine Welle von Flüchtlingen über die Ägäis ergossen hat. Die Schriften Kretas und Vinča- Tordos‘ verfügen nicht nur über acht wesentliche Grundmerkmale, sondern auch über ein Repertoire von 120 gemeinsamen Zeichen – Da aber keine von beiden Schriften entziffert ist, läßt sich nicht sagen, ob die Zeichen einander tatsächlich entsprechen, oder ob die Ähnlichkeit – wie bei dem Vergleich mit dem Sumerischen – nur oberflächlicher Natur ist.

Vielleicht handelte es sich auch um eine Art Symbolschrift, wie sie die Yoruba im Bereich des heutigen Nigeria gekannt haben. Der deutsche Paläograph Prof. Hans Jensen schildert (fide P. J. Blumenthal) einen Fall, in dem ein Stammesangehöriger in die Gefangenschaft des Königs von Dahomey geriet. Er schickte seiner Frau einen Stein, ein Stück Holzkohle, ein Pfefferkorn, einen getrockneten Maiskolben und ein Tuchfetzen. Die Gemahlin verstand sofort, daß er zwar gesund war (hart wie ein Stein), aber auch deprimiert (das düstere Schwarz der Kohle) und unruhig (der Pfeffer, den man sprichwörtlich im Hintern haben kann). Die Leiden haben seinen Körper ausgezehrt (wie einen trockenen Maiskolben), und seine Kleidung ist zerlumpt (wie der Fetzen).

Ähnliche Symbole sind auch die „Zinken“ der Vaganten Europas, wo z. B. das Zeichen für „Kirche“ sowohl das Gotteshaus, aber auch den Sonntag meinen konnte.

Dieser Typ „Schrift“ verlangt vom Lesenden jedoch, daß er in die Bedeutung eingeweiht ist. Das schmälert ihren Nutzen, wenn es darum geht, eine Verständigung zwischen Gemeinschaften herbeizuführen, die unterschiedliche Languen sprechen. Aus diesem Grunde hat sich bei den Indianern, die durch eine Unzahl von Idiomen zersplittert waren, eine Zeichensprache etabliert. Auf diese Weise konnte sich jeder Stamm mit dem anderen zumindest rudimentär verständigen. Im neolithischen und erst recht im bronzezeitlichen Europa gab es gleichfalls die Notwendigkeit, mit fremden Völkern zu kommunizieren. Wo die Handelsnetze von der Ostsee bis in den Sudan reichten, und von den Britischen Inseln bis ins heutige Persien, ja, über die Vorläufer der späteren Seidenstraße sogar bis nach China, da mußten sich die Kaufleute mit ihren Kunden und „Lieferanten“ verständigen können. Auch wenn man annimmt, daß der Großteil der Waren nur von Nachbar zu Nachbar getauscht wurde, und damit nur äußerst langsam größere Strecken zurücklegte, so kann das doch nicht in jedem Fall die Regel gewesen sein. Die Wirtschaft der Bronzezeit benötigte zum Beispiel einen gesicherten Import von Zinn, der in den Hochkulturen des östlichen Mittelmeerraums natürlich nicht vorkam – Ein stockender Warentransport hätte hier verheerende Folgen gehabt (und hatte es wohl auch im zwölften Jahrhundert vor Christus)!

Gesten sind aber oftmals mißverständlich. Auch läßt sich nicht jede Mengenangabe mit Hilfe von Fingern und Zehen darstellen. Daher wird man annehmen können, daß auch hier schon eine Frühform der Schrift zum Einsatz gekommen ist. Zahlen könnten in Form von Strichen mit dem Stock in den Boden gemalt worden sein. Desgleichen mögen nicht standardisierte Zeichnungen den Piktogrammen und Hieroglyphen späterer Epochen vorangegangen sein. Freilich entstanden sie aus dem Augenblick heraus, um eine gerade anstehende Transaktion über die Bühne zu bringen. Sie dienten nicht dazu, Informationen für eine kommende Generation festzuhalten. Darum sind auch die Chancen eher gering, daß sie sich im archäologisch verwertbaren Material hinterlassen haben.

Wie sich die Organisation einer Sippe oder Dorfgemeinschaft noch auf steinzeitlichem Niveau befindet, also weder eine berufliche Spezialisierung, noch eine entwickelte Führungsschicht erkennbar sind, besteht auch keine Notwendigkeit zu schriftlichen Abkommen oder Verträgen. Zumal das dünn besiedelte Europa viel Siedlungsraum bereitstellte, so daß territoriale Streitigkeiten noch vergleichsweise selten vorkamen.

Auch gab es weder Steuern oder Abgaben, über die Buch geführt werden mußte, noch Meister oder Künstler, die ihr Werk als „Gütesiegel“ mit einer Signatur versahen.

Denkbar wäre, daß so mancher Händler eine Art „Preistabelle“ für seine Tauschware mit sich führte. Da sich der Wert der einzelnen Güter nach Angebot und Nachfrage richtete, mußten die Aufschriften stets verändert werden. Die Tabelle für die Ewigkeit festzuhalten, hätte keinerlei Sinn gemacht. Man mag sich so etwas wie die klassische Kombination von Kreide und Schiefertafel vorstellen. Doch obwohl „Schmuckpaletten“ im Fundspektrum der Gräber immer wieder mal vorkommen (und im Fall von Ägypten auch erste Hieroglyphen enthalten können), kann man so etwas wie „Notizbücher“ erst für eine verhältnismäßig späte Epoche nachweisen.

Dafür kennt man schon aus dem frühen siebten Jahrtausend vor Christus die „Tokens“ oder Symbolsteine, die im überregionalen Handel eine Rolle spielten. Diese aus Ton gebrannten Figürchen stellten verkleinerte Abbilder der Handelsgüter dar. Ihre Anzahl entsprach den Gütern, die ein Kunde erwartete, und sie wurden in einem versiegelten Behältnis transportiert. Wenn es der Empfänger öffnete, konnte er vergleichen, ob die Ware, die er erhielt, auch tatsächlich der Menge entsprach, die man an ihn verschickt hatte.

Etwas später war nur jeweils ein „Token“ in Gebrauch, auf dem man die versandte Anzahl mit eingeritzten Strichen festgehalten hatte. Schließlich malte man auch ein einfaches Bildchen dazu, damit jeder wußte, worauf sich die Angabe bezog. Diese Bildchen aber wurden relativ rasch standardisiert, daß sie ohne viel Mühe auf den kleinen Symbolsteinen Platz fanden, und doch von jedem gedeutet werden konnten.

Zeichen wie diese wurden wohl vor allem dann wichtig, wenn es nötig war, mit Sippen oder Stämmen zu kommunizieren, die eine andere Mundart hatten als man selbst. Damit scheinen die Vorformen der Schrift nicht an Sprachen gebunden gewesen zu sein, sondern wurden – ganz wie die heutigen Piktogramme auch – eben dann verwendet, wenn die verbale Verständigung nicht mehr funktionierte.

Der Einsatz bei den reisenden Kaufleuten sorgte freilich auch dafür, daß der Gedanke, Informationen nicht nur mit Hilfe von Gedächtnis und Zunge zu bewahren, eine weite Verbreitung fand.

Die frühesten sumerischen Piktogramme waren im Grunde genommen solche „Token“- Embleme, nur daß man sie nun nicht mehr auf irdenen Steinen festhielt, sondern auf Tontäfelchen – Die „Notizbücher“, von denen oben die Rede gewesen ist.

Um bei dem Beispiel der Sumerer zu bleiben, läßt sich bei ihnen ab ungefähr 3700 v. Chr. eine Bilderschrift nachweisen. Bis zum Jahr 3000 wurden die 1600 bis 1800 weniger exotischen Zeichen auf 800 reduziert, die aus einer Kombination keilförmiger Stiftabdrücke bestanden (die Keilschrift).

Dabei haben die Handels- Piktogramme allerdings nur einen Teil zu den Glyphen der Bilderschrift beigetragen. Hinzu kommen eine Reihe von Symbolen, die regional schon seit Jahrtausenden in Gebrauch gewesen, und darüber immer abstrakter geworden sind. So wurden Mann und Frau beispielsweise als Umrisse ihrer Geschlechtsorgane dargestellt.

Das Auftreten einer ganzen Reihe abstrakter Symbole ohne erkennbare lokale Vorbilder ist jedoch noch ungeklärt.

Die Ähnlichkeit manch südeuropäischer Zeichen mit denen der frühen Sumerer hat immer wieder Theorien provoziert, die von einer kulturellen Beeinflussung ausgegangen sind. Vor der Kalibrierung der Chronologie wurde behauptet, einige Pioniere aus dem Süden Mesopotamiens wären nach Transsylvanien gelangt. Nun, wo sich die Vinča- Tordos- Kultur als deutlich älter herausgestellt hat, sind die meisten dieser Stimmen verstummt. Es wurden aber auch schon Meinungen formuliert, die einen Transfer in umgekehrter Richtung nahelegen. Tatsächlich überschneidet sich der letzte Nachweis der einen Schrift mit dem ersten der anderen.

Haarmann hat einige Konvergenzen zwischen den Zeichen beider Systeme herausgestellt, doch angesichts von ca. 231 (Vinča- Tordos) bzw. ca. 2000 (Sumer) bekannter Zeichen wirkt eine Äquivalenz „Dutzender“ Symbole nur mäßig überzeugend. Ein Weitertragen der Idee ins benachbarte Elam mag noch denkbar sein. Aber durch erwähnte sumerische Handelskontakte mit „Dilmun“ (Bahrein?) gegen 3000 v. Chr. auf Beziehungen zur Indus- (bzw. Harappa-) Kultur zu schließen, wo man Elemente der alt- europäischen Schriften übernommen haben soll, mutet doch schon etwas abenteuerlich an.

Ausschließen laßt sich diese Möglichkeit nach unserem derzeitigen Kenntnisstand freilich nicht, und wo die Vinča- Tordos- Embleme über zwei Jahrtausende in Gebrauch gewesen ist, mag sie von fahrenden Händlern weit getragen worden sein. Dagegen spricht allerdings ihr direkter Nachweis, der sich nicht nur auf den Raum zwischen Rumänien und Nordgriechenland beschränkt, sondern auch eine deutliche Verlagerung von Nord nach Süd erkennen läßt. Hier bietet sich mehr das Bild einer kleinen Gruppe an, die von 5300 bis 3200 v. Chr. von Transsylvanien aus in Richtung Ägäis gezogen ist. Die Verknüpfung mit anderen frühen Schriftsystemen mag sich anbieten, ist aber nicht auf jeden Fall zwingend.

Was die Sumerer anbelangt, so gaben sie zwischen 2700 und 2650 v. Chr. ihre Hieroglyphen auf, und führten die für Tontafeln praktikablere Keilschrift ein.

Aber Schrift muß auch nicht immer zentral von einem Ursprung her stammen. Beispielsweise gab es in den 1840‘er Jahren in Westafrika einen Momolu Duwalu Bukele, dem im Traum die Idee kam, aus den Ideogrammen seines Stammes eine Silbenschrift zu kreieren.

Dementsprechend scheinen auch die Ägypter ohne Beeinflussung von Euphrat oder Donau her zu einem eigenen System gefunden zu haben, den sogenannten „Hieroglyphen“. Dieses Wort ist griechischen Ursprungs, und bedeutet soviel wie: „heilige Kerben“. Und mit „heilig“ ist auch schon ihre ursprüngliche Funktion beschrieben, denn zu Anfang waren es nur die Priester, die sie benutzten. Ähnlich den Höhlenmalereien der Altsteinzeit, dienten sie zunächst dazu, Begebenheiten festzuhalten, waren also noch reine Ideogramme.

Diese Funktion sollten die Hieroglyphen auch noch in Zeiten behalten, in denen sie längst komplexere Bedeutungen erhalten hatten. Man kennt zum Beispiel Proklamationen des hethitischen Großkönigs, die in der endemischen Bilderschrift in den Fels gemeißelt worden sind. Sie sollten auch vom gemeinen Volk verstanden werden, das mit den schwierigen Silbenschriften der Hatti oder der Assyrer nichts anzufangen wußte.

Viele Dinge aber sind „unsichtbar“, und darum auch nicht graphisch festzuhalten. Gefühle gehören dazu, aber auch Namen, Pronomen, Eigenschaften, manche Tätigkeiten und Abstraktes wie der menschliche Geist. Hier wurde dann das Bilderrätsel eingeführt. Um klar zu machen, wie man vorging, wähle ich ein Beispiel in deutscher Sprache: „Bockbier“ ließe sich direkt wohl als braune Flasche oder als Seidel mit Schaumkrone darstellen. Das gleiche Zeichen würde aber auch „Bier“ im Allgemeinen bedeuten, vom Malz- bis zum Starkbier. Malen wir jetzt aber eine männliche Ziege davor, ist klar, was gemeint ist. Trotzdem ist so ein Tier meist weit und breit nicht in Sicht, wenn wir uns das Getränk durch den Kopf und die Kehle gehen lassen.

Damit ist die Entwicklung jedoch noch nicht zu Ende. Läßt man nämlich die Vokale weg, hat man ein Zeichen „Bck“ und ein Zeichen „Br“. Malen wir jetzt einen Ofen dahinter, dann könnten unsere Bilder von Bock und Bier auf einmal „backbar“ meinen. Oder wir setzten ein „Deo“ („D“) dazu, und erhalten mit einem dahingekrakelten Schiff die Bedeutung „Backbord“, und im übertragenen Sinne „links“. Solche auf rein sprachlicher Basis zusammengesetzte Vokabeln, die mit der ursprünglichen Bedeutung nichts mehr zu schaffen haben, nennt man „Phonogramme“, und ein darauf aufgebautes Alphabet eine „Lautschrift“.

Schlußendlich braucht es ein standardisiertes Zeichen (Bei den Ägyptern war es ein senkrechter Strich), um klar zu machen, daß mit dem Bild auch tatsächlich das gemeint ist, was man sehen kann. Weitere Symbole drücken aus, ob es z. B. ein Verb ist, zu einem Menschen gehört, zu einem Ort oder zu einer sonstigen Gruppe. Sie sind bekannt als „Determinativa“.

Auf diese Weise ist zumindest bei den Ägyptern die Silbenschrift entstanden. Freilich hatten sie damit an die dreitausend Glyphen zu lernen, so daß sie weithin eine Sache des Klerus und weniger Gelehrter blieb. Erst im 7. vorchristlichen Jahrhundert fand eine vereinfachte Abart Verbreitung, die „demotische Schrift“, aber da gab es auch schon die weit simpleren Buchstabenschriften.

Auch die Keilschrift der Sumerer hatte sich weiterentwickelt. Die Assyrer hatten sie im Verlauf der Bronzezeit übernommen, und dabei alle Ideogramme weggelassen, daß sie letztlich mit nurmehr 100 Glyphen ausgekommen sind – Ihre Variante entwickelte sich zur internationalen Diplomatenschrift der Bronzezeit. In Ugarit entwickelte man daraus schließlich ein Buchstabensystem.

Dasjenige der Phönizier ist dagegen unabhängig entstanden, wohl auf der Basis semitischer Versionen der Hieroglyphen vom Nil. Es lieferte das Vorbild für die Alphabete der Etrusker, Tartesser und Griechen. Von den Letztgenannten haben sowohl die Slawen, als auch die Römer ihr System – und das der Römer benutzen wir auch heute noch.

Vielleicht ein ganzes Jahrtausend jünger als die Schrift der Ägypter ist diejenige der Kreter, „Linear A“ genannt. Es gab damals wohl schon Handelskontakte nach Süden, doch das Linear A ist vermutlich eher mit den Glyphen der Vinča- Tordos- Kultur verwandt. Die mykenischen Griechen bastelten sich daraus das „Linear B“, das man im Gegensatz zu seinem Vorläufer inzwischen entziffert hat. Andere Ableger entwickelten sich auf Zypern, und gelangten von dort bis an die Ostküste Spaniens. Die meisten dieser Schriften hatten vor allem den Zweck, Listen zu erstellen, wie sie für die Verwaltung eines Landes und seiner Untertanen vonnöten sind.

Nicht zu vergessen sind natürlich die Chinesen, die auch heute noch 50.000 unterschiedliche Schriftzeichen verwenden, von denen freilich nur zwei- bis dreitausend wirklich wichtig sind. Aber im Chinesischen sind mehrsilbige Worte auch die absolute Ausnahme.

Und den Koreanern schließlich ist das Bravourstück gelungen, auf solch einer Basis von ganz allein (und unabhängig vom Westen) zu einer eigenen Buchstabenschrift zu finden. Wirklich durchgesetzt hat sie sich aber nicht; es macht ganz den Eindruck, als ob auch die komplizierteren Systeme mit ihrer Unmenge an Zeichen ihre Vorzüge haben.

 

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