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Die Bewandtnis mit Atlantis: 4. Was wussten die alten Ägypter wirklich? - Psammetich I.

Die Bewandtnis mit Atlantis4. Was wussten die alten Ägypter wirklich?
Psammetich I. und die saïtische Renaissance

Saïs ist, wie schon angeführt, eine sehr alte Stadt. Von ihr aus wurde Unterägypten regiert, bevor Menes gegen 3000 v. Chr. die Reiche am Nil einte (Siehe oben, im Kapitel über Nordafrika).

Die weiße Krone der Stadtgöttin Neith wurde zum Teil der Doppelkrone der Pharaonen.

 

Aber der Ort hat noch zwei weitere Besonderheiten. Zum einen liegt er recht weit im Norden, im Flußdelta, in Reichweite des Mittelmeeres und nur wenig östlich von Naukratis. Zum anderen aber nahm hier die 26. oder saïtische Dynastie ihren Ursprung, die für den Atlantis- Mythos von besonderer Bedeutung ist. Psammetich I. („Nabû- šēzibanni“ oder „Pišamilki“ in der Sprache der Besatzer), Fürst des Gaues Saïs, gelang es 655 v. Chr. mit Hilfe der Lyder und griechisch- karischer Söldner, die Fremdherrschaft der Assyrer abzuschütteln. Zu dieser Zeit war es fast drei volle Jahrhunderte her, daß ein König reinen ägyptischen Blutes über das Land zwischen den Wüsten geherrscht hatte.

Freilich hatten auch Psammetich und seine Abkömmlinge ausländische (in diesem Fall libysche) Vorfahren, aber was nicht sein durfte, durfte eben nicht sein. Wie wenig die Ägypter von einer unangenehmen Vergangenheit, und wie viel sie von Geschichtsklitterung hielten, zeigt auch die Königsliste, die uns der zugegebenermaßen auch nicht immer exakte Herodot überliefert hat. Darin sind die Assyrer nicht etwa siegreich gewesen, sondern von einem Pharao Sethos abgewehrt worden. Nach ihm sollen zwölf Pharaonen gleichzeitig in Amt und Würden gestanden haben, bis Psammetich an die Macht kam. Von der Oberhoheit einer ausländischen Macht ist an dieser Stelle keine Rede. Dabei mag es sich bei elf dieser Herrscher um Psammetichs Mitverschwörer handeln, derer er sich bald ziemlich skrupellos entledigte. Letzten Endes war es aber auch notwendig, um aus einem in Feudalherrschaften zerfallenen Land einen einigen und straff organisierten Beamtenstaat zu schaffen. Dazu gehörte auch die Neuordnung der Armee. Viele wichtige Militärs aber hatten Feinden oder Konkurrenten gedient, so daß er sich ihrer Loyalität nicht sicher sein konnte. Tatsächlich sagte sich ein Teil der alten, meist (wie wohl auch Psammetich selbst) libysch- stämmigen Würdenträger von ihm los, und lief zu den Äthiopen über. Also lag es nahe, die griechischen und karischen Söldner, mit deren Unterstützung er auf den Thron gelangt war, im Land zu behalten. Er gab jedoch nicht nur ihnen Wohnsitz, sondern auch Kriegern aus Nubien, Libyen, den phönizischen Städten, Syrien und vor allem Juda.

Dies war allerdings auch die große Zeit der griechischen Kolonisation, wo viele Hellenen die übervölkerte Ägäis verließen, um anderswo ihr Glück zu versuchen. Hinzu kommt, daß die Küste Kleinasiens gerade von gesellschaftlichen Unruhen erschüttert wurde. So waren es schließlich bald nicht nur Soldaten, die im Deltagebiet eine neue Heimat fanden, sondern es entstanden neue, griechische Ortschaften. Insbesondere die ionischen Handelsfaktoreien sind hier von Bedeutung, allen voran die neu gegründete (und eingangs erwähnte) Hafenstadt Naukratis, denn sie sorgten dafür, daß Ägypten fest in den Mittelmeer- weiten Seehandel eingebunden wurde. Gerade in Griechenland herrschte immer wieder eine Knappheit an Getreide, das man am Nil im Überfluß erntete. Das Land nahm einen wirtschaftlichen Aufschwung, der sich auch im täglichen Leben bemerkbar machte. Es erlebte nach langen Jahrhunderten des Niedergangs noch einmal eine Blütezeit.

Psammetich I. muß seinem Volk vorgekommen sein, wie später der Stauferkaiser Friedrich II. dem seinen: ein mächtiger und charismatischer Herrscher, der die herausragende Vergangenheit des Reiches in seiner Person vereinte, und doch auch für neue Kraft und Größe stand. Der aber auch exotische Einflüsse förderte, und sich sogar mit einer ausländischen Leibwache umgab. Und der sich dabei durch einen wachen und regen Geist auszeichnete. Ja, er veranlaßte sogar ein Experiment, das der erwähnte Deutsch- Römische Monarch knapp 1900 Jahre später ebenfalls befehlen sollte: Er ließ eine Gruppe Säuglinge isoliert aufziehen, um herauszufinden, welcher Sprache ihre ersten Worte angehören würden. Dies wäre dann die älteste Sprache, und damit wäre auch das älteste Volk auf Erden ermittelt. Als eines der Kinder schließlich die ersten Silben lallte, klang es für ägyptische Ohren phrygisch, und so wurde der Titel, zuerst dagewesen zu sein (den man bis dato selbst innegehabt hatte), den Phrygern zuerkannt. Ob die so glücklich darüber gewesen sind, daß man ihre Sprache mit dem Gestammel eines Babys gleichgesetzt hat, ist nicht überliefert.

Fest steht, daß sich Ägypten in seinem wiederhergestellten Glanz sonnte. Daß man nach dreihundert Jahren Fremdherrschaft auf einmal wieder selbst mitspielte im Konzert der Großmächte, verführte nur zu sehr dazu, sich auch sonst mit der glorreichen Vergangenheit zu identifizieren. Mit Psammetich setzte auch die sogenannte „saïtische Renaissance“ ein: Man baute und malte wieder, wie man es in der Hochzeit des Landes getan hatte. Fast vergessene Adelstitel wurden wieder eingeführt, vergessene Sprachen und Schriftformen wiederbelebt, und alte Kulte mit neuem Eifer gepflegt. Das gesamte gesellschaftliche und geistige Leben richtete sich an dieser Rückbesinnung aus, bis hin zu Kleidung und Haartracht, um aus der einstigen Größe Kraft für die Zukunft zu finden. Man sah sich als „ewige Nation“, die seit Jahrtausenden Bestand hatten, wo andere Reiche kamen und gingen. Wo andere Völker immer wieder Katastrophen zum Opfer fielen, von denen man am Nil verschont blieb. Und der wirtschaftliche Erfolg schien dieser Einstellung recht zu geben.

Aber auch politisch sah man sich bestätigt. Das galt nicht nur für die Handelsbeziehungen mit Griechenland, oder den dauerhaften Frieden mit den Äthiopen: Die Assyrer hatten anderweitig massive Probleme, als daß sie sich um die Rückeroberung ihrer abtrünnigen Provinz hätten kümmern können. Babylon und Susa im Süden des Zweistromlandes hatten sich ebenfalls erhoben, und kaum hatte man dort für Ruhe gesorgt, fielen im Norden die Kimmerier ein. Die aber wurden ihrerseits gejagt von den Skythen, und die Meder (im Nordwesten des heutigen Iran) nutzten die Gelegenheit, sich an der munteren Hatz zu beteiligen. Dabei ging es kreuz und quer durch das assyrische Imperium, bis in den Süden Palästinas hinab, und die Herren am Tigris sahen sich nicht in der Lage, dem wilden Treiben Einhalt zu gebieten. Ja, darüber konnten es sich die Babylonier 626 v. Chr. leisten, sich noch einmal für unabhängig zu erklären!

Also sah man sich in Assyrien gezwungen, mit dem Pharao, der sie einst verraten und vertrieben hatte, ein Bündnis abzuschließen. Und die Ägypter kamen auch, und trieben den Chaldäerkönig Nabopolassar I. zurück hinter die Mauern Babels. Es war gewiß keine Liebe, welche sie an die Seite ihrer früheren Unterdrücker geführt hat. Aber ein schwaches Assyrien war immer noch ein angenehmerer Nachbar, als ein starkes Babylon oder ein unberechenbares Nomadenvolk vom Schlage der Skythen. Freilich konnte dem untergehenden Reich am Tigris niemand mehr helfen, aber an der außenpolitischen Bedeutung, die sein Partner am Nil gewonnen hatte, änderte das nichts.

Das Ägypten dieser Tage war weltoffen, aber zugleich auch fixiert auf sich selbst und die eigenen Traditionen. War nach vorne, aber mehr noch nach hinten orientiert. Die wieder strikter ausgelebte Religiosität sorgte für eine Abschottung gegenüber den Neubürgern, deren zunehmende Präsenz im Reich jedoch umgekehrt gefördert wurde. Die Ära des Neuen Reichs, in dem Ägypten Großmacht gewesen, aber damit auch ausländischen Einflüssen ausgesetzt gewesen war, wurde im Volksgedächtnis eher verdrängt zugunsten der Epochen des Alten und Mittleren Reichs, wo man fast allein auf weiter Flur gewesen ist. Götter aus späteren Zeiten und fremder Herkunft wurden verfemt, darunter sogar der bei den Ramessiden sehr populäre Seth. So machten sich Dünkel und Fanatismus auch dort breit, wo man sich den Anstrich altehrwürdiger Gelehrsamkeit gab. Man präsentierte sich als das Volk, das den Schlüssel zu Kenntnissen hatte, über die niemand sonst verfügte, eben weil niemand sonst über eine Geschichte verfügte, die dermaßen weit in die Vergangenheit zurück reichte.

Dies war das Ägypten, in das Plato später einmal seinen Ahn Solon reisen lassen sollte.

 

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