Von Mäusen und Meisen - »Die Eiche – Mein Zuhause«
Von Mäusen und Meisen
»Die Eiche – Mein Zuhause«
Inszeniert haben den Film mit Laurent Charbonnier und Michel Seydoux zwar zwei Franzosen, und die hier im Mittelpunkt stehende Stieleiche, die vermutlich im Jahr 1810 gekeimt ist, ist ebenfalls in Frankreich verortet. Da sich die Vegetation zwischen Frankreich und Deutschland mitunter aber sehr ähnelt, könnten die in „Die Eiche – Mein Zuhause“ gefilmten Ereignisse auch genauso gut irgendwo in Deutschland stattfinden. Für Michel Seydoux war der 2022 uraufgeführte Film der erste Abstecher auf den Regiestuhl, als Produzent ist der 1947 geborene Franzose aber ein alter Hase, der in dieser Funktion u.a. „Das Leben ist ein Chanson“ und „Birnenkuchen mit Lavendel“ mitverantwortet hat. Laurent Charbonnier hingegen ist seit mehreren Jahrzehnten auf Tierdokumentationen spezialisiert. Zum einen hat er als Kameramann an solch spektakulären und bahnbrechenden Produktionen wie „Nomaden der Lüfte – Das Geheimnis der Zugvögel“ (2001) oder „Der Junge und der Wolf“ (2009) mitgewirkt. Zum anderen dreht er aber auch schon seit mehr als 30 Jahren seine eigenen Tierdokumentationen, darunter „Prédateurs“ (1995) über Raubvögel, „Les animaux amoureux“ (2007) über das Liebesleben von Wildtieren und zuletzt „Chambord“ (2019) über ein 500jähriges Schloss im Loire-Tal und dessen 5000 Hektar umfassenden Wald, der den unterschiedlichsten Tieren ein Zuhause bietet. In „Die Eiche – Mein Zuhause“ haben sich die Filmemacher nun lediglich wenige Meter vom Titel gebenden Zentrum der Dokumentation wegbewegt.
Viele Naturdokumentationen sind mit einem manchmal schwülstigen, manchmal allzu sehr vermenschlichenden Kommentar unterlegt, der nicht immer allen Zuschauern den ungetrübten Blick auf die faszinierenden Bilder der Naturfilmer ermöglicht. In dieses Fettnäpfchen treten Seydoux und Charbonnier hier nicht – denn „Die Eiche – Mein Zuhause“ hat schlichtweg überhaupt keinen Erzähltext! Der Zuschauer wird eingeladen, einfach nur die Bilder auf sich wirken zu lassen und sich selbst einen Reim darauf zu machen, was man hier zu sehen bekommt. Und es passiert wahrlich einiges auf, an, in und unter dieser Eiche, die den unterschiedlichsten Tierarten und auch noch einigen weiteren Pflanzen den idealen Lebensraum beschert. Direkt auf der Eiche haben sich ein Eichhörnchen und ein Eichelhäher-Paar ihre Nester gebaut, im Wurzelwerk des majestätischen Baumes haben sich Waldmäuse ihre Gänge gegraben. Sie alle leben von den Eicheln, die Ende September reif werden und zu Boden fallen. Auch die ulkig aussehenden Eichelbohrer, Vertreter aus der Familie der Rüsselkäfer, haben sich auf die Samen der Eichel spezialisiert und beginnen und vollenden ihren Lebenszyklus rund um Eichenbäume. Zu den Nebendarstellern dieser Dokumentation zählen aber auch Blaumeisen, Wildschweine, Rehe, Dachse und Igel, die ebenfalls immer wieder im Umkreis der Eiche zu sehen sind.
Auch ohne kommentierende Texte folgt der Film einer Dramaturgie, die sich anhand der Jahreszeiten entspinnt und den Haupt-Protagonisten durch diese Zeit hindurch folgt. Ein cleverer Schnitt und beeindruckende Kamerafahrten, die mal einem Habicht auf Beutejagd durch den Wald folgt, mal tief in die verzweigten Gänge des Mäusebaus vordringt, in den sich die Nager vor einem hungrigen Fuchs geflüchtet haben, erzeugen auf diese Weise eine kindgerechte Portion Spannung. Auch eine Äskulapnatter wagt sich einmal bis in den Wipfel der Eiche vor, wo im Nest der Eichelhäher der Nachwuchs zur Zielscheibe wird. Aber wirklich zu Schaden kommt in diesem familienfreundlichen Film niemand, selbst die Made des Eichelbohrers entgeht der ungestümen Schnauze eines Wildschweins und kann sich in den Boden zu ihrer Verpuppung eingraben. Als Naturfilmfan hätte man sich mitunter zwar doch gewünscht, zusätzliche Informationen (vielleicht auch nur als Texteinblendungen) geliefert zu bekommen. Aber die wunderbaren Aufnahmen, die mitunter auch mehrere Spezies gleichzeitig im Bild einfangen und dadurch Interaktionen dokumentieren, entschädigen für dieses kleinere Manko zur Genüge. Die BluRay-Erstveröffentlichung präsentiert den Film in einer sehr guten Bildqualität im Widescreen-Format 2,39:1. Auch der Ton, der wahlweise in Dolby Atmos 7.1 oder im DTS-HD Master Audio 7.1 vorliegt, ist sehr gut abgemischt und vorbildlich geraten. Leider sind die Extras äußerst mau, es gibt lediglich ein dreiminütiges Promo-Interview mit Co-Regisseur Michel Seydoux sowie den deutschen Kinotrailer zum Film.