Krieg um Troja - 2. Das Grundproblem: Dichter, Architekten und Steuereintreiber
2. Das Grundproblem:
Dichter, Architekten und Steuereintreiber
Dichter, Architekten und Steuereintreiber
a) Unterhaltung im Versmaß
Wer aber sagt uns, daß sich Homer bei der Dichtung seines Epos nicht ebensolche Freiheiten herausgenommen hat? Denn er und Wolfgang Petersen hatten vor allem ein Ziel: Ihr Publikum zu unterhalten. Es bestens zu unterhalten, damit es einen gut bezahlt und auch weiter empfiehlt. Manch weniger ereignisreiche Passage läßt man da lieber weg, manch spannendere aber schmückt man dafür um so mehr aus.
Bei Homer ist es daran zu erkennen, daß er sich eigentlich nur auf 51 Tage der auf zehn Jahre angesetzten Handlung konzentriert hat, von denen er wiederum sechs besonders intensiv schildert. Zudem bearbeitet er einen Stoff, der wenn er denn je real gewesen ist drei bis fünf Jahrhunderte in der Vergangenheit liegt. In einer Zeit, in der man im griechischen Raum die Schrift nicht kannte, kann da sehr viel verfälscht, vergessen oder hinzu erfunden worden sein. Allerdings dichteten die frühen Poeten Griechenlands in Hexametern Wer immer hier etwas verändern möchte, muß das im Rahmen des Versmaßes tun. Auch sind Gedichte mit wiederkehrenden Elementen (Versmaß, Reim etc.) besondere Erinnerungshilfen Gewiß wird Ihnen eher einfallen, wann in Issos Keilerei war, oder Rom aus dem Ei schlüpfte, als beispielsweise das Jahr, in dem das erste Deutsche Reich gegründet wurde. Aufgrund von archaischen Vokabeln (oder den Spuren, die sie hinterlassen, wenn sich durch ihre Ersetzung der Rhythmus der Silben verändert) kann man den Gebrauch des Hexameters bis in eine Zeit von ungefähr 1500 v. Chr. zurückverfolgen. Damit mag Homer auf Strophen zurückgegriffen haben, die tatsächlich seit dem Fall der berühmten Metropole im Umlauf gewesen sein mögen. Es gibt allerdings auch noch andere Alternativen
b) Archäologie und Geschichte
Dem gegenüber steht eine ganz andere Quellengattung, nämlich die Archäologie. Da gibt es zum einen die Ruinen auf dem Hügel Hisarlik, auf dem ein bis mehrere Orte standen, die spätestens seit Ende des vierten Jahrhunderts vor Christus Ilion hießen. Wie allerdings die ursprünglichen Namen gewesen sind, kann heute niemand mehr rekonstruieren, denn mit einer Ausnahme sind von der Grabungsstätte keine Schriftzeugnisse bekannt geworden. Bestenfalls aus Architektur und Gegenständen des täglichen Lebens könnte man versuchen, weitergehende Schlüsse zu ziehen.
Zum anderen gibt es aber Schriftquellen von anderen bronzezeitlichen Lokalitäten. In den Palästen der griechischen Städte wurden detaillierte Listen in Puncto Einnahmen und Abgaben erstellt. In der hethitischen Hauptstadt Hattusa ist man sogar auf das Archiv der Großkönige mitsamt der diplomatischen Korrespondenz gestoßen. Hier und da können selbst die Assyrer und Ägypter etwas zur Aufklärung beitragen. So kennen die Griechen immerhin den Troi, den Trojaner Nur ist er bei ihnen ein geraubter Arbeiter; über ihre Diplomatie im zweiten vorchristlichen Jahrtausend wissen wir von ihrer Seite her nichts. Und auch geschriebene Dichtung haben sie uns nicht hinterlassen. Sie hatten von den minoischen Kretern eine Silbenschrift übernommen, das Linear A, und als Linear B ihrer Sprache angepaßt. Aber was für das Kretische vielleicht ideal gewesen war, klemmte und quietschte beim frühen Griechisch. Mit Hilfe der Silben ließen sich nur Einzelvokale oder Kombinationen aus Einzelkonsonant und Einzelvokal wiedergeben. Das Griechische aber ist reich an aufeinander folgenden Konsonanten Will man dies in Linear B ausdrücken, muß man entweder zahlreiche Vokale einfügen, oder aber Konsonanten weglassen. In Bezug auf die Dichtung würde der erste Fall das Versmaß zerstören, und der zweite die Verständlichkeit. Es verwundert also kaum, daß wir aus dem Hellas der Bronzezeit nur Inventarlisten kennen. Steuereintreiber brauchen sich um Poesie und Metrik nicht groß zu scheren.
Die Hethiter haben uns da mehr hinterlassen, doch redeten sie nicht griechisch, sondern nesili. Dementsprechend paßten sie auch Orts, Volks und Eigennamen ihrer Sprache an. Deshalb ist bei ihnen auch nie von Ilios (ältere Form von Ilion) oder Troia die Rede, wohl aber von Wilusa und T(a)ruwisa. Aber was auch immer man entdeckt hat, nur wenig davon hat den Anspruch, als Landkarte zu fungieren. Und wenn doch, so nimmt die Unsicherheit immer mehr zu, je weiter das geschilderte Land von der Hauptstadt entfernt liegt. In unmittelbarer Nachbarschaft des Hügels Hisarlik hat man keine Schriftfunde gefunden.
Nebenbei bemerkt, sind uns vor allem Tontafeln erhalten geblieben. Sie stellten allerdings nicht das finale Medium dar, sondern vielmehr so etwas wie Notizblöcke. Erhalten geblieben sind sie uns nur, weil der Ton gebrannt wurde Und das geschah nicht aus Absicht, sondern weil die Stadt selbst lichterloh in Flammen stand.
Also liegen uns nun Erkenntnisse aus drei unterschiedlichen Fachgebieten vor, die uns jede für sich keine konkreten Auskünfte liefern. Nicht die Alte Geschichte und die Sprachwissenschaft, nicht die klassische Archäologie, und auch nicht Mykenologie, Altorientalistik oder Ägyptologie. Da ist die Versuchung natürlich gegeben, zu gucken, ob sich die einzelnen Wissenslücken nicht gegenseitig stopfen könnten. So wie sich aus einem Auto ohne Reifen und einem ohne Motor ein komplettes Fahrzeug zusammenbasteln ließe Es ist bloß blöd, wenn man dabei einen Citroën 2 CV 4 mit einem Unimog kombiniert.
c) Der Kelte im Unimog: Probleme bei der Korrelation unterschiedlicher Wissenschaften
Diese Probleme gelten auch für die Geisteswissenschaft (also auf Überlieferung fußende Geschichte) und die Naturwissenschaft (in diesem Fall die auf Funde beruhende Archäologie) Wer hier Unimog, und wer Ente sein mag, ist dabei völlig unwichtig. Als Beispiel mögen die Kelten dienen. Von einem relativ späten Beitrag der Helvetier abgesehen, haben sie der Nachwelt nichts Schriftliches hinterlassen. Also müssen wir uns auf die Quellen der Griechen und Römer verlassen. Die Archäologie kennt die La Tène Kultur. Deren Verbreitungsgebiet entspricht etwa dem geschilderten Siedlungsraum der Kelten. Und doch kann man beides nicht ohne Weiteres gleichsetzen, denn viele Stämme, die von den Römern als Germanen klassifiziert worden sind, waren ebenfalls Träger dieser Kultur. Tatsächlich sind die Fundgruppen, die einigermaßen sicher von frühen Germanen herrühren (Jastorf, Ripdorf, Seedorf), auf Süd Skandinavien und Norddeutschland beschränkt, und stellen vom Spektrum her mehr einen keltischen Hinterwald dar, als daß sie tatsächlich eigenständige Züge tragen. Ähnliches gilt für das erste Auftreten dieses Volkes, wo es wechselseitig als Skythen oder Kelten bezeichnet wird. Die Nordseeküste Jütlands, das Himmerland und Amrum hatten gewiß nicht das Potenzial, die Menschenmassen an Teutonen, Kimbern und Amronen hervorzubringen, die den Römern das Fürchten gelehrt haben. Zumal auch nur ein Teil der Bewohner in Richtung Süden aufgebrochen ist. Aber so ein Zug will auch verpflegt werden, und so wurden dort, wo er durchzog, die Nahrungsmittel knapp. Hunger ist ein ausgezeichneter Motivator, um sich einem Haufen plündernder Barbaren anzuschließen. Also wurde das Heerzug immer größer, auch als es durch eindeutig nicht mehr germanische Gebiete marschierte. Die Kelten schienen keine sprachlichen Probleme zu haben, sich in die Gruppe einzufügen. Die sogenannte germanische Lautverschiebung konnte demnach gerade mal auf Dialekt Ebene wirksam sein. Ja, als die Römer mit dem König der Kimbern verhandelten, hieß der Boiorix Das aber ist ein gallisches Wort und bedeutet übersetzt: König der Boier. Die Boier waren ein Keltenstamm, der den Italienern schon früher von der Po Ebene aus Ärger bereitet hatte, und von dem das spätere Böhmen, und darüber hinaus die Bajuwaren und Bayern ihre Namen haben. Und was die Teutonen angeht, ist ihr ganzer Name gallisch. Jeder Asterix Leser wird den Teutates kennen Teutis hieß soviel wie Stamm, also war er der Stammesgott. Interessant ist, daß über das Theodescu der Straßburger Eide auch das Wort deutsch von dieser keltischen Wurzel herrührt, und nicht etwa von einer germanischen.
Wirklich faßbar werden die Germanen erst zu einer Zeit, in der die Gallier kurz davor stehen, Teil des römischen Imperiums zu werden, oder bereits integriert worden sind.
Cäsar unterschied beide Völker daran, auf welcher Seite des Rheins sie wohnten. Kulturelle Aspekte interessierten ihn nur am Rande; für ihn stand das Militärische im Vordergrund.
Als Tacitus und andere Gelehrte sich näher mit den Germanen befaßten, gab es die Kelten als eigenständige Kultur eigentlich nicht mehr. Also ist das, was beide voneinander unterscheidet, zu verschiedenen Zeiten notiert worden. Wie ausgeprägt aber waren diese Unterschiede in einer Epoche, da sich die Römer noch südlich der Alpen aufhielten?
Natürlich gibt es auch heute noch Kelten. Doch erstens sind sie von ihren Ahnen gleichen Namens in etwa so weit entfernt, wie wir von den Markomannen und Cheruskern, und zweitens entstammen sie gallischen Außenposten, also auf den britischen Inseln siedelnden Stämmen, die mit ihren Brüdern und Schwestern in Mitteleuropa weniger zu tun hatten, als die benachbarten Germanen.
Mit anderen Worten: Wir befinden uns in einem Bereich, der von Alter Geschichte, Archäologie und Sprachwissenschaft gleichermaßen ausgezeichnet untersucht worden ist, und doch können wir noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, was den Kelten definitiv vom gleichzeitig lebenden Germanen unterscheidet.
Und jetzt gehen wir noch einmal 500 bis 1000 Jahre zurück. In eine Epoche, in der die Quellenlage noch weitaus schlechter und widersprüchlicher ist!
Ich hoffe, die Problematik ist einigermaßen klar geworden.