Heyne Science Fiction Classics 27 Clive Staples Lewis
Die Heyne Science Fiction Classics
Folge 27: Clive Staples Lewis
Die Perelandra-Trilogie
Wie sieht es mit der Beziehung Religion und Science Fiction aus? Das ist ein außerordentlich vielschichtiges Thema. Gehen wir aber zuerst einen Schritt zurück und betrachten das Verhältnis von Religion zu Wissenschaft. Moment, da ist doch die Theologie, die Religionswissenschaft. Es gibt allerdings Leute, die meinen, nur Naturwissenschaften seien wahre Wissenschaft, und dies wird auch in einem der hier vorgestellten Bücher thematisiert:
„Und alle wirklich Gebildeten – denn Geisteswissenschaften und Geschichte und solchen Plunder bezeichne ich nicht als Bildung – denken genau wie ich.“
(Zitiert aus: Clive Staples Lewis: Jenseits des schweigenden Sterns. München 1976, Heyne SF 3499, S. 25)
Soweit möchte ich nicht gehen, aber es ist leider eine Tatsache, dass Religion, insbesondere die katholische Ausprägung des Christentums, seit Jahrhunderten ein mehr oder weniger erfolgloses Rückzugsgefecht gegen die Fortschritte in den Naturwissenschaften kämpft. Der Grund dafür ist wohl der lange Zeit absolute Herrschaftsanspruch der Institution Kirche über alle Lebensbereiche, der weit über die von Jesus präsentierte Lehre hinausging und zwangsläufig scheitern musste. Der Fall Galilei ist uns noch in guter Erinnerung. Auch heutzutage halten es weite Kreise von (in diesem Fall aber vor allem evangelikalen) Christen nach wie vor mit der wörtlichen Auslegung der Bibel und verweigern konsequent eine Anerkennung der Erkenntnisse der Evolutionstheorie. Sogar jene Überlegungen wie z. B. von Teilhard de Chardin in Richtung Ontogenese, also einer zielgerichteten Evolution, heute vielleicht unter dem Begriff „Intelligent Design“ besser bekannt, werden abgelehnt. Das sind Versuche, zwischen Evolution und Christentum eine Synthese anzudenken, die dann aber zwischen den Stühlen beider Fundamentalistengruppen landen. Generell sollten Gläubige dem Fortschritt der Naturwissenschaften etwas gelassener gegenüberstehen. Wir wissen nach wie vor soviel mehr nicht als wir wissen. Religion heißt nur einen Zipfel des Mantel Gottes zu lüpfen und zu versuchen, einen Teil seiner Geheimnisse zu schauen. Es gibt soviel, was immer der Transzendenz vorbehalten bleiben wird. Wer von uns kann wirklich die Unendlichkeit und die Ewigkeit begreifen, oder falls es doch einen Anfang oder ein Ende gibt, was vorher oder nachher existiert. Vielleicht bleiben diese Erkenntnisse unserem Nachfolger vorbehalten, dem Homo superior, der gelegentlich in der Science Fiction beschrieben wird.
Science Fiction und Religion haben gemeinsam, dass sie von Phänomenen berichten, die wir nicht angreifen können. Die wörtliche Übersetzung von Science Fiction heißt ja wissenschaftliche Dichtung. Diese Gattungsbezeichnung wurde anfangs vor allem durch Geschichten populär, welche Fortschritte in den Naturwissenschaften in literarischer Form vorstellten. Obwohl die Thematik der SF heuzutage viel breiter ist, wird sie von vielen nach wie vor mit interstellaren Reisen gleichgesetzt und als Spinnerei abgetan. Eine Reise zum Mond war bis zur ersten realen Landung 1969 Science Fiction, und manche Verschwörungstheoretiker glauben nach wie vor, dass das nur eine Fälschung aus amerikanischen Fernsehstudios war. Der Glaube an zukünftig Mögliches weist Parallelen an den Glauben an überirdische Mächte auf, und so ist es kein Wunder, dass es immer wieder religöse Themen in Science-Fiction-Geschichten gibt. Zu den berühmtesten Beispiele dafür zählen wohl wohl Frank Herberts Romane über den Wüstenplaneten Dune, wo ein mit übersinnlichen Kräften Begabter einen Weg als Messias der Einheimischen zurücklegt und sich aufopfert. Sein Nachkomme wird eine quasi-unsterbliche, gottähnliche Gestalt. Es existiert eine einheimische Lebensform, die riesigen Sandwürmer, aus deren Ausscheidungen ein Mittel gewonnen wird, das Unsterblichkeit erzeugt und die Grundlage für den interstellaren Raumflug liefert. Bemerkenswert ist, dass ein großer Teil der religiösen Versatzstücke dem Islam entnommen ist. Starke religiöse Bezüge haben auch mehrere Romane von James Blish, so Der Gewissensfall (A Case of Conscience), wo ein Jesuitenpater ein Volk auf einem fremden Planeten exorziert, das seiner Meinung nach in Sünde lebt, worauf die Sonne zur Sonne wird und das gesamte Volk untergeht. Beeindruckend sind auch seine Kurzromane Der Hexenmeister (Black Easter) und Der Tag nach dem jüngsten Gericht (The Day After Judgement) über den Fall Gottes gegen den Erzrivalen und dem Überlebenskampf der Menschen auf der verwüsteten Erde. Für gläubige Christen möglicherweise schockierend ist I.N.R.I oder Die Reise mit der Zeitmaschine (Behold the Man) von Michael Moorcock. Hier macht ein Mann eine Zeitreise in die Zeit Christi. Auf den Spuren von Jesus muss er allerdings feststellen, dass der Sohn des Zimmermanns ein Idiot ist. Es entwickelt sich eine Eigendynamik, und Karl Glogauer stolpert irgendwie in Teile der überlieferten Rolle von Jesus hinein und wird zum Schluss ans Kreuz genagelt. Aus jüngeren Jahren stechen besonders die Romane von Dan Simmons um Hyperion hervor. Hier wird der Kampf von künstlichen Intelligenzen untereinander geschildert, aus denen sich ein Maschinengott entwickelt, der zu einer existentielle Bedrohung für die Menschheit wird. Ein mächtiger Spieler ist die katholische Kirche, welche wieder eine beherrschende Position in der Gesellschaft einnimmt, weil sie das Geheimnis der Unsterblichkeit hütet. Die komplexe Handlung, die im ersten Band in Episoden nach dem Vorbild der Canterbury Tales gegliedert ist, wird mit einer Pilgerreise zum Planeten Hyperion und dem dortigen mythischen Monster Shrike eingeleitet, um das sich ein eigener religiöser Kult entwickelt hat. Der deutsche Autor Andreas Eschbach hat mit seinen Romanen Das Jesus-Video und der Fortsetzung Der Jesus-Deal das Thema der Zeitreise in die Zeit Christi wieder aufgegriffen, allerdings auf andere Art als Moorcock. Das Jesus-Video wurde erfolgreich verfilmt.
Genug der Vorrede, aber das Thema ist nahezu unerschöpflich. Der in der heutigen Folge vorgestellte Autor ist eines der Beispiele für die Verbindung von phantastischer Literatur und Religion. Clive Staples Lewis (1898 – 1963) stammte aus dem nordirischen Belfast und begann ein Studium in Oxford, das er aber wegen seiner Einberufung zur Armee 1917 unterbrechen musste. Er wurde 1918 verwundet und zur Genesung nach England zurückgeschickt. Er setzte sein Universitätsstudium in Sprachen, Geschichte und Philosophe fort und wurde nach einem Lehraufrag in Oxford Professor für Englische Literatur des Mittelalters und der Renaissance an der University of Cambridge. Er lernte J. R. R. Tolkien kennen, den späteren Vater der Fantasy-Literatur. Es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den beiden Sprachwissenschaftlern, die allerdings in späteren Jahren litt, weil Tolkien einigen Werken von Lewis ablehnend gegenüberstand. Ein gemeinsamer Freundeskreis waren die Inklings, also die „Tintenlinge“, bei denen unter anderem auch Tolkiens Sohn und späterer Nachlassverwalter Christopher sowie Charles Williams, welcher auch Romane mit religiösen Bezügen wie z. B. Krieg im Himmel (A War in Heaven) schrieb, Mitglieder waren. Lewis wurde nach einer mehrjährigen atheistischen Phase als Jugendlicher und junger Erwachsener überzeugter Christ. Zum Leidwesen seines Freundes Tolkien, welcher Katholik war, wandte sich Lewis aber der anglikanischen Kirche zu. Neben seinen Werken, die unmittelbar mit seinem Beruf als Professor zu tun hatten, verfasste Lewis eine Reihe von christlichen apologetischen Schriften. Auch seine siebenteilige Kinderbuchserie über Narnia hat starke christliche Bezüge. Heutzutage ist Lewis wohl hauptsächlich als Autor dieser Buchreihe bekannt, von denen drei Bände auch erfolgreich verfilmt wurden. Im bekanntesten Titel Der König von Narnia (The Lion, the Witch and the Wardrobe) geraten vier Kinder der Erde durch einen magischen Wandschrank in das Land Narnia, welches unter der Herrschaft einer bösen Hexe in tödlichem Winter erstarrt ist. Der Löwe Aslan ist der eigentliche Herrscher des Landes. Er opfert sein Leben wie einst Christus am Kreuz, steht aber wieder auf und bringt dem Land den Frieden, bevor er sich zurückzieht und Narnia seinen Bewohnern überlässt. Lewis schrieb auch drei Romane, die eher der Science Fiction zuzuordnen sind und in der Reihe der Heyne Science Fiction Classics erschienen sind. Auf Deutsch sind sie als Perelandra-Trilogie bekannt, während sie im Englischen richtiger als Space Trilogy bzw. als Cosmic Trilogy bezeichnet werden.
Der englische Philologe Ransom ist während der Sommerferien auf einer ausgedehnten Wanderung in Mittelengland unterwegs. Als er auf der Suche nach Obdach für die Nacht in das Gelände eines abgelegenen Hauses eindringt, wird er von den beiden Bewohnern festgesetzt. Eigenartigerweise kennt Ransom einen der beiden. Sie waren einander in Jugendzeit in Abneigung verbunden, und daran hat sich nichts geändert. Devine und Weston, sein Kumpan, sind skrupellose Wissenschaftler, die ein Weltraumgefährt entwickelt haben. Sie nehmen Ransom mit auf ihre Reise zum Mars, erklären ihm aber nicht weshalb.
„Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wozu brauchen Sie mich? Was versprechen Sie sich von meiner Anwesenheit auf diesem – auf Malakandra?“
„Das weiß ich nicht“, antworete Weston. „Es war nicht unsere Idee. Wir befolgen nur Befehle.“
„Wessen?“
Wieder kam es zu einer Pause. „Kommen Sie“, sagte Weston schließlich, „es hat wirklich keinen Zweck, in diesem Kreuzverhör fortzufahren. Sie stellen mir immerfort Fragen, die ich nicht beantworten kann: in einigen Fällen, weil ich die Antworten nicht weiß, in anderen, weil Sie sie nicht verstehen würden. Unsere Reise würde sich weit angenehmer gestalten, wenn Sie sich mit Ihrem Schicksal abfinden und aufhören würden, sich und uns zu quälen. Es würde einfacher sein, wenn Ihre Lebensphilosophie nicht so unerträglich eng und individualistisch wäre. Ich hatte gedacht, die Rolle, die zu spielen Sie gebeten wurden, müßte jedermann begeistern. Ich dachte, daß selbst ein Wurm, wäre er mit Verstand begabt, sich dem Opfer nicht entziehen würde. Ich meine selbstverständlich das Opfer an Zeit und Freiheit, und ein gewisses Risiko. Bitte mißverstehen Sie mich nicht.“
(Zitiert aus: Clive Staples Lewis. Jenseits des schweigenden Sterns. München 1976, Heyne SF 3499, S. 24f)
Ransom kann schließlich ein Gespräch zwischen den beiden Entführern belauschen. Ihr Gefangener soll ihnen als Pfand, mäglicherweise sogar als Menschenopfer für die auf dem Mars lebenden Sorne dienen. Nach mehrwöchiger Reise kommen die Menschen auf Malakandra an, wie der Planet bei den Einheimischen heißt. Ransom wird von seinen Entführern aus dem Raumgefährt hinausgeschleppt. Als er eine Gruppe der Marsbewohner sieht, packt ihn das Grauen:
Es war, als ob er in einen Zerrspiegel blickte, so absurd dünn und grotesk sahen sie aus. Die unproportioniert und massig wirkenden Oberkörper dieser stelzenbeinigen, biegsam aussehenden Karikaturen irdischer Zweibeiner verstärkten diesen Eindruck noch. Und sie waren ganz gewiß nicht aus Stein oder Metall gemacht, denn nun, als er sie beobachtete, schienen sie ein wenig zu schwanken. Und mit einem Schock, der das Blut aus seinen Wangen trieb, sah er, daß sie lebendig waren, daß sie sich bewegten und auf ihn zukamen.
(Zitiert aus: Clive Staples Lewis. Jenseits des schweigenden Sterns. München 1976, Heyne SF 3499, S. 42)
Ranson flieht durch die phantastische Landschaft des Planeten, die so anders als alles auf der Erde ist. Er begegnet einer anderen einheimischen Lebensform und erkennt, dass sie intelligent ist. Das Wesen sieht irgendwie wie eine Kreuzung eines Fischotters mit einem Pinguin und einer Robbe aus. Der Marsbewohner nimmt den Erdling mit zu seinen Artgenossen und Ransom wird als Gast in die Gemeinschaft der Hrossa aufgenommen. Sie sind ein friedliches Volk. Ransom schließt Freundschaft mit Hyoi, seinem Retter, und lernt mühevoll die Sprache der Einheimischen. Er wird von Hyoi zur Jagd auf einen Hnakra, ein Wasserraubtier, eingeladen. Bei Beginn der Jagd erscheint ein Eldil, ein geisterhaftes, engelartiges, fast unsichtbares Wesen und überbringt die Botschaft, dass Ransom sich zu Oyarsa, den Herrscher Malakandras, begeben soll. Doch die Jagd hat bereits begonnen, und Ransom wird zusammen mit Hyoi tatsächlich zum Hnakrapunti. Sein Freund kann den Jagderfolg aber nicht mehr genießen, denn er wird Opfer der Schusswaffe der verbrecherischen Weston und Devine, welche skrupellos die Eingeborenen als jagdbares Wild ansehen. Traurig macht sich Ransom auf die mehrtägige Reise zu der Insel Melidorn, wo Oyarsa residiert. Oyarsa ist der oberste der Eldil, ihm ist als Stellvertreter von Maleldil, dem Gott der Marsbewohner, die Obhut über Malakandra anvertraut. Der Weg führt Ransom über einen Pass, wo die Luft bereits so dünn ist, dass sich der Reisende erschöpft in eine Höhle flüchtet. Dort erwartet ihn ein Sorn, ein Angehöriger der Wesen, vor denen sich Ransom so fürchtet. Doch dieser entpuppt sich als ein genauso friedliches Geschöpf wie die Hrossa. Er ist ein freundlicher Philosoph, der den Erdling den restlichen Weg nach Meldidorn trägt. Dort begegnet Ransom auch den Pfifltriggi, der dritten intelligente Spezies von Malakandra. Endlich wird er von Oyarsa empfangen und erfährt die Geschichte der Planeten. Ranson befindet sich Jenseits des schweigenden Sterns, denn die Erde hat sich seit langer Zeit aus der Gemeinschaft der Welten entfernt, es kommt von ihr keine Botschaft mehr. Auch auf der Erde gab es einen Oyarsa, doch dieser wurde bösartig und wollte die Erde und die anderen Welten verderben. Es gab Krieg, er wurde aus den Himmeln in den Luftraum seiner eigenen Welt vertrieben. Die Erde ist ein Planet der Ausgestoßenen geworden, von Krieg und Hader überzogen im Gegensatz zu den anderen friedfertigen Welten. Oyarsa erzählt auch, dass die beiden Erdmenschen bereits einmal hier gewesen seien und Sonnenblut entdeckt hätten, das es hier reichlich gibt. Die Erdlinge nennen es Gold.
Es erscheint eine Prozession von Hrossa, die den Leichnam von Hyoi bringen und die beiden Verbrecher als Gefangene mit sich führen. Weston versucht, die Marsbewohner wie primitive Eingeborene mit billigem Tand zu betören, erreicht aber nur Heiterkeit und Unverständnis. Oyarsa verbannt die beiden Mörder vom Mars und sendet sie zurück zur Erde unter der Bedingung, dass sie auch Ransom wieder mitnehmen und unbeschadet freilassen. Glücklich wieder auf die Erde heimgekehrt wird Ransom klar, dass Weston oder die Mächte, die hinter ihm stehen, in den weiteren Geschehnissen auf der Erde eine bedeutende, wenn nicht verhängnisvolle Rolle spielen werden.
Nach seiner unfreiwilligen Reise zum Mars wird Ransom mit einer Mission betraut. Er soll eine weitere Weltraumreise unternehmen. Die beiden Oyarsa von Mars und Venus haben ihm den Auftrag erteilt, aber keine Details seiner Aufgabe erklärt. Ransom lässt nach seinem Freund Lewis, den Autor, schicken, vertraut ihm seine Geheimnisse an und bestimmt ihn für alle Fälle zu seinem Nachlassverwalter. Lewis schließt den Deckel des fliegenden Sarges, in den Ransom einsteigt, und das Fluggerät erhebt sich wie von Zauberhand in Richtung Perelandra, den Morgenstern. Nackt wie er eingestiegen ist verlässt Ransom nach glücklicher Landung sein Gefährt. Die Venus ist eine paradiesische Welt, die fast gänzlich von einem Ozean bedeckt ist. Ransom ist auf einer der vielen schwimmenden Inseln angekommen und bahnt sich mühsam seinen Weg auf dem schwankenden Untergrund.
Und dann verbrachte er die nächsten Stunden damit, sich das Gehen beizubringen. Es war viel schwieriger, als auf einem Schiff den Seemannsgang zu lernen, denn ob die See stürmisch oder ruhig ist, das Schiffsdeck bleibt eine Ebene. Aber dies war, als lerne er auf dem Wasser selbst gehen. Es kostete ihn mehrere Stunden, um vom Rand oder der Küste der schwimmenden Insel hundert Schritte landeinwärts zu gehen; und er war stolz, als er fünf Schritte gehen konnte, ohne zu fallen – die Arme ausgestreckt, die Knie gebeugt, um auf plötzliche Veränderungen des Gleichgewichtes gefaßt zu sein. […] Auch war es ungemein seltsam und belustigend, nach dem Hinunterpurzeln in eine Mulde die Augen zu öffnen und sich unvermittelt auf der höchsten Erhebung der Insel wiederzufinden, wo man wie Robinson Crusoe nach allen Seiten bis zur Küste blicken konnte. Nun konnte man nicht umhin, ein wenig sitzenzubleiben und den Ausblick zu genießen – und wurde wieder aufgehalten: denn kaum schickte man sich zum Aufstehen an, verschwanden Berg und Tal, und die ganze Insel wurde zu einer ebenen Fläche.
(Zitiert aus: Clive Staples Lewis: Perelandra. München 1976, Heyne SF 3511, S. 38)
Bald trifft der Erdling die erste Bewohnerin des Planeten. Es handelt sich um eine vollkommen menschliche Frau, aber mit grüner Haut und genauso nackt wie Ransom. Im paradiesischen Klima ist keine Kleidung vonnöten. Die Frau ist eine von nur zwei menschlichen Wesen auf dem Planeten. Sie spricht die gleiche Sprache wie die Marsianer, welche die Ursprache der Planeten des Sonnensystems ist. Ransom führt eine Reihe von Gesprächen mit der wie eine Göttin erscheinenden Frau. Sie wurde von ihrem künftigen Ehemann getrennt und ist auf der Suche nach ihm. Sie lobt Maleldil, welcher der Herr aller Geschöpfe ist. Die Frau führt Ransom herum und zeigt ihm auch ein Stück Festland, auf dem sie sich nach Maleldils Gesetz nur am Tag aufhalten darf.
Eine Wendung ergibt es sich, als ein weiteres Raumgefährt erscheint, aus dem Ransoms alter Feind Weston aussteigt. Er behauptet zwar, aus der früheren gemeinsamen Reise nach Malakandra gelernt und seine einseitige Bevorzugung der Physik zugunsten einer ganzheitlichen Sicht, in der auch die Biologie wichtig ist, korrigiert zu haben. Doch er versucht alsbald, die Frau mit verführerischen Reden zu umgarnen und sie dazu zu bringen, Gottes Gebot zu übertreten und auf dem festen Land die Nacht zu verbringen. Ransom erkennt, dass er es mit einer Situation ähnlich wie im Garten Eden zu tun hat, als Eva von der Schlange verführt wurde und Adam dazu brachte, vom Baum der Erkenntnis zu kosten, was die Vertreibung aus dem Paradies zur Folge hatte. Mit Schrecken muss Ransom feststellen, dass Weston nur noch eine menschliche Hülle ist, die gänzlich vom Bösen, dem Widersacher Gottes, übernommen worden ist. Nun wird ihm seine Aufgabe klar: Er muss mit allen Mitteln versuchen, den Sündenfall zu verhindern. Er ist die Waffe Gottes, er muss die ihm übertragene Mission mit seinen schwachen menschlichen Kräften annehmen. Nachdem der Nichtmensch viele Tage lang auf die Frau einredet, wird klar, dass er irgendwann ihren Widerstand brechen wird. Ransom muss handeln, weitere Worte nützen nichts mehr. In einem Kampf auf Leben und Tod besiegt er den Widersacher, der in der Gestalt Westons nur menschliche Kräfte hat. Der siegreiche Ransom tritt dem Königspaar Tor und Tinidril entgegen, die einander wiedergefunden haben. Tinidril, die Frau, hat mit Ransoms Hilfe der Versuchung widerstanden. Sie und ihr Gatte werden unter dem Schutz von Maleldil und der Hilfe seines Stellvertreters Oyarsa die Herrschaft über Perelandra übernehmen. Ransom hat seine Mission erfüllt und kehrt zur Erde heim. Doch es fehlt noch der letzte Schritt: Die Belagerung Thulkandras muss aufgehoben und der schwarze Fleck entfernt werden, bevor auch die Erde ihren gleichberechtigten Platz in der Gemeinschaft der Welten einnehmen kann.
In der beschaulichen mittelenglischen Kleinstadt Edgeworth herrscht Aufruhr. Das dort befindliche Universitätscollege Bracton hat ein großes Stück Land mit dem Bragdon-Wald an das N.I.C.E, das National Institute for Coordinated Experiments verkauft. Bragdon verspricht sich außer der Rettung aus seiner finanziellen Misere eine möglichst enge Anbindung des Instituts an die Uni und damit mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, verbunden mit zusätzlichen Forschungsgeldern. Die Hoffnungen sind trügerisch, denn N.I.C.E verfolgt eigene Pläne, welche letzten Endes die Weltherrschaft bedeuten würden. Die böse Macht, die hinter dem Institut steht, kennt keinerlei Rücksichten.
„Und an welche praktischen Maßnahmen haben Sie gedacht?“
„Am Anfang stehen ganz einfache und offensichtliche Maßnahmen – Sterilisierung der Untüchtigen, Liquidation rückständiger Rassen (Ballast können wir nicht gebrauchen) und Zuchtwahl. Dann richtige Erziehung, worunter ich eine verstehe, die mit dem Prinzip der Freiwilligkeit und ähnlichen Unsinn aufräumt. Eine richtige Erziehung bringt den Schüler unfehlbar dorthin, wo sie ihn haben will, gleichgültig, was er oder seine Eltern dagegen zu unternehmen versuchen. Naürlich wird sie zuerst hauptsächlich psychologischer Natur sein müssen; aber im weiteren Verlauf werden wir zur biochemischen Konditionierung und der direkten Manipulation des Gehirns übergehen.
(Zitiert aus: Clive Staples Lewis: Die böse Macht. München 1977, Heyne SF 3524, S. 38)
Die Ähnlichkeit dieser Gedankengänge mit der Rassenpolitik und dem Sozialdarwinismus der Nazis ist kaum zufällig. Man beachte das Erscheinungsdatum des Buches.
Der junge Soziologiedozent Mark Studdard wird von Lord Feverstone, einem der grauen Eminzenzen der Uni und bestens mit dem Institut vernetzt, für eine Mitarbeit im Institut angeworben. Feverstone ist den Lesern der vorherigen Romane der Trilogie als Mr. Devine bestens bekannt. Studdard, der ein Angehöriger der progressiven Fraktion und ist und als Prinzip hauptsächlich das eigene Vorankommen hat, reist nach Belbury zum Sitz des Instituts, um die Bedingungen für eine Mitarbeit zu erfahren. Der Vizerektor hält ihn hin, Studdard beginnt aber informell mitzuarbeiten und verstrickt sich immer tiefer in die Machenschaften des Instituts. Das Institut übernimmt die Herrschaft über Edgestow mit einer eigenen Polizeitruppe, welche von einer sadistischen Kommandantin geführt wird, vertreibt die Bewohner aus der Stadt und beginnt, den Fluss umzuleiten, der durch die Stadt führt. Dazu kommen Grabungsarbeiten im Wald. Irgendetwas oder irgendjemand wird gesucht. Mark erstarrt vor Grauen, als er den scheinbaren Kopf des Instituts kennenlernt. Es ist tatsächlich nur ein Kopf, denn das Haupt eines hingerichteten verbrecherischen Wissenschaftlers wurde mit wissenschaftlichen Methoden am Leben erhalten und erteilt seine Befehle. Eine böse Macht spricht aus ihm.
Auch Marks angetraute Frau Jane hat Schwierigkeiten, denn sie hat seltsame Träume, darunter eine Szene über einen Mann, der einem anderen den Kopf abschraubt und ähnlich haarsträubende Visionen. Sie vertraut sich einem Bekannten an, welcher sie zu einer Frau schickt, die ihr möglicherweise weiterhelfen kann. Miss Underwood sagt Jane, dass sie nicht krank ist, sondern das zweite Gesicht hat hat und in ihren Visionen wahre Vorgänge wahrnimmt. Sie wäre wichtig, um bei einer großen Aufgabe mitzuhelfen. Nach längerem Zögern lässt sich Jane auf dias Wagnis ein und landet in einem Landhaus, dessen Herr ein Mensch ist, der sich Mr. Fisher-King nennt. Der Meister ist ein gutaussehdener, jung wirkenden Mann, der aber Schwierigkeiten mit einer nicht heilenden Wunde am Fuß hat. Er hat eine unwiderstehliche Ausstrahlung. So ähnlich könnte man sich Jesus vorstellen, als er auf Erden wandelte. Doch es ist Ransom, der von seinem Abenteuer auf der Venus zurückgekehrt ist und sich im letzten Kampf gegen das Böse auf der Erde befindet. Die Wunde hat er von seinem Kampf gegen Weston davongetragen. Ransom und seine Freunde sind auf der Suche nach Merlin. Der Zauberer und Berater von König Artus soll hier in der Gegend im Bracton-Wald begraben worden sein. Das Institut ist auf der Suche nach ihm, um seine Macht für seine Zwecke auszunutzen. Ransom möchte den Institutsleuten zuvorkommen. Mit Hilfe der Visionen Janes gelingt es tatsächlich, Merlins Unterschlupf ausfindig zu machen. Doch die Höhle ist leer. Der Zauberer ist bereits erwacht, pötzlich steht er hoch zu Ross vor Ransoms Haus. Obwohl ihm vieles nicht verständlich ist, was um ihn herum passiert, erkennt er Ransom als den Pendragon an und stellt seine ganze magische Kraft in seinen Dienst. Die Oyarsas der Schwesterplaneten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn erscheinen auf der Erde. Der Bann um den schweigenden Stern ist gebrochen und die letzte Schlacht gegen das Böse kann beginnen.
In der Zwischenzeit hat sich das Institut in Edgestow ausgebreitet und eine Schreckensherrschaft angetreten. Die Polizeitruppe mimt einen Aufstand wie weiland Hitler in Gleiwitz, um unter dem Vorwand der Niederschlagung der Unruhen umso rücksichtloser vorgehen zu können. Da wird ein fremder Mann gefunden, der nicht Englisch spricht und seltsames Verhalten zeigt. Hat man endlich Merlin gefunden? Doch es ist in Wirklichkeit ein Landstreicher, dem der echte Merlin die Kleider abgenommen hatte. Die Institutsleute suchen einen Übersetzer für altkeltische Sprachen, um sich mit dem vermeintlichen Zauberer verständigen zu können. Der echte Merlin erscheint und gibt vor, ein Priester zu sein, der die Sprache des Fremden übersetzen kann. In Wirklichkeit verwirrt er bei einer Versammlung des Instituts die Gehirne der Anwesenden, sodass sie plötzlich unverständlich zu sprechen beginnen. Dann lässt Merlin die Versuchstiere des Insittuts frei, unter ihnen Tiger und Elefanten. Ein unvorstellbares Chaos entsteht, das Institut geht in Flammen auf. Mark, der letzten Endes die abgrundtiefe Bösartigkeit der Ziele des Instituts und seiner führenden Personen erkannt und die Aufnahme in den innersten Kreis verweigert hat, kann relativ unbeschadet fliehen. Durch die Vorkommnisse ist er, so wie es auch seiner Frau ergangen ist, zum Christen geworden. Die Menschheit ist jetzt, wie sie sein sollte – zwischen den Engeln, die ihre älteren Brüder sind, und den Tieren, die ihre jüngeren Brüder und Spielgefährten sind.
Die Namensgebung einiger Hauptpersonen der Romane ist sprechend. Ransom heißt übersetzt Lösegeld, Weston steht wohl für die schlechten Seiten der westlichen Zivilisation. Devine ist allerdings alles andere als göttlich, aber durch die andere Schreibweise als das Adjektiv divine vielleicht als von Gott abgefallen interpretierbar. Ransom ist ein autobiografischer Charakter, der viele Züge des Autors trägt. Das anfängliche Zitat über die Naturwissenschaften wird im ersten Band der Trilogie auf seltsame Weise bestätigt, denn bei der Schilderung der Reise zum Mars zeigt sich Lewis außerordentlich physikunkundig. Er hat keine Ahnung vom freien Fall und schildert deswegen die Einflüsse der Anziehungskraft des Planeten Mars komplett falsch. Sein Planet Mars ist ein Fantasieplanet, der auch mit den zur Zeit der Abfassung des Romans bekannten physikalischen Eigenschaften unseres Nachbarplaneten nichts zu tun hat. Gleiches gilt auch für die Venus. Sollte man die Romane also nicht besser als Fantasy kategorisieren? Ein Vergleich mit David Lindsays Reise zum Arcturus liegt nahe, welche auch religiöse Bezüge hat, wenngleich ganz andere. Dieser Roman hat Lewis sicherlich beeinflusst. Manchmal glaubt man, sich nicht auf Malakandra, sondern auf Tormayne zu befinden. Die böse Macht erweckt einen ganz anderen Eindruck auf den Leser als die beiden vorangehenden Romane, obwohl teilweise die gleichen Hauptpersonen vorkommen und in allen drei Werken der Kampf Gut gegen Böse das zentrale Thema ist. Bemerkenswert ist, dass Lewis selbst in seinem eigenen Vorwort diesen Roman als Märchen bezeichnete. Besser gefällt mir allerdings die im Hinweistext auf der Rückseite des Bandes erwähnte Kategorisierung in Kindlers Literatur-Lexikon als metaphysischer Thriller. Interessant ist auch, dass Lewis im erwähnten Vorwort einräumte, dass er eine Idee von Olaf Stapledon übernommen hat, dessen Einfallsreichtum er bewunderte, seine Philosophie aber nicht teilte. Es fällt deutlich die Abneigung von Lewis – in Umkehrung des Zitats vom Anfang des Artikels – gegen Erkenntnisse der Naturwissenschaften auf, die er als das Kosten der Früchte vom Baum der Erkenntnis und damit als Sündenfall betrachtete. Dem ist ganz klar entgegenzuhalten, dass der Forscherdrang der Menschen prinzipiell nichts Schlechtes ist. Allerdings müssen Forschungen unter ethischen Prinzipien betrieben werden. Dass die Wissenschaft wertfrei sei, ist eine Illusion, der viele Wissenschaftler nach dem Motto anhängen, dass das Messer nichts dafür kann, wenn es zum Mord gebraucht wird, denn es kann ja zum Zwiebelschneiden verwendet werden. Die Wertfreiheit als Vorwand für das Betreiben von Forschungen in Grenzbereichen zu stellen, bedeutet jede Verantwortung auf jene abzuschieben, welche die Forschungsrgebnisse zur Anwendung bringen. Die Gewissenskonflikte, welche etliche Mitarbeiter am Manhattan-Projekt durchgemacht haben, illustrieren dieses Dilemma, denn nicht jeder hat sich bei den Politikern und Militärs abgeputzt. Leo Szilard ist ein Beispiel dafür. Die drei kosmischen Romane von Lewis sind jedenfalls trotz naturwissenschaftlicher Schwächen des Autors und einer einseitiger Betrachtungsweise, die wissenschaftsfeindlich anmutet, viel interessanter als manches platte Weltraumabenteuer. Deshalb haben sie sich den Platz in den Heyne Science Fiction Classics redlich verdient.
Anmerkung:
Es werden die Ausgaben in den Heyne Science Fiction Classics, Neuausgaben im Heyne-Verlag, die deutschen Erstausgaben sowie die Originalausgabe der Werke angeführt.
1976