Wenn Sterbliche mit Göttern ringen - Wolfgang Hohlbeins "Thor"
Mit »Thor« legt Wolfgang Hohlbein den Auftaktband seines neuen Fantasyepos' »Die Asgard-Saga« vor
Die »Asgard Saga«, so heißt es weiter, solle eine Art Plattform sein, auf der Autoren, professionellen Künstler und Fans ihrer kreativen Ader vor dem Hintergrund der nordischen Mythologie freien Lauf lassen können. Ob Zeichnungen oder Kurzgeschichten, Musik oder Filme, alle Arten von (thematisch passenden) Beiträgen sind willkommen, um das Universum der »Asgard Saga« zu erweitern und so die Vision des zuvor zitierten größten Fantasyabenteuers der Gegenwart Wirklichkeit
Neugierig geworden? Dann solltet ihr rasch einen Blick auf die Homepage der Saga werfen. Was genau es mit dem Projekt auf sich hat, wie ihr mitmachen könnt, wer die verantwortlichen Köpfe im Hintergrund sind, kurzum, alle relevanten Infos findet ihr hier.
Viel mehr Worte möchte ich an dieser Stelle über das besagte Unterfangen gar nicht verlieren. Im Folgenden geht es nämlich nicht um das »Asgard Saga«-Projekt an sich, sondern um einen der zentralen Eckpfeiler der Vision: Um »Thor«, den ersten Roman der Buchreihe »Die Asgard Saga« aus der Feder von Wolfgang Hohlbein, der dieser Tage in die Buchläden gekommen ist.
Auf »Thor« habe ich mich viele Monate lang gefreut. Die Idee einer düsteren, auf der faszinierenden nordischen Götterwelt basierenden Erzählung reizte mich von dem Moment an, als ich erfuhr, dass Hohlbein ein entsprechendes Projekt in Planung hat. Dass er sich auf wuchtige, den Leser fesselnde Geschichten auf Grundlage der alten nordeuropäischen Mythologie versteht, hat er mit packenden Werken wie dem Roman »Midgard« oder der »Chronik der Unsterblichen« unter Beweis gestellt. Zudem hat mir der vergangenes Jahr erschienene Auftaktband der »Chroniken der Elfen« wieder einmal klar gemacht, dass Hohlbein nie besser ist als dann, wenn er wahrhaft phantastische Geschichten verfasst.
Insofern habe ich mich auch unverzüglich an die Lektüre von »Thor« gemacht, kaum dass ich das Buch endlich in den Händen hielt. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Nun ja, zumindest zu Beginn nicht. Die ersten Kapitel des Buchs übten eine ungeheure Faszination auf mich aus. Je weiter die Lektüre allerdings voranschritt, umso mehr nahm meine Begeisterung ab, bis sie schlussendlich fast ganz verschwunden war. »Thor«, das muss ich leider sagen, ist trotz eines mitreißenden Auftakts bei Weitem nicht der hervorragende Roman, den ich mir erhofft hatte. Von dem Autor, der mich mit Romanen wie »Die Rückkehr der Zauberer« und der »Chronik der Unsterblichen« begeistert hat, und von einem Buch, das als Auftakt für eine neue Dimension von Fantasyabenteuer gedacht ist, hätte ich mir bedeutend mehr erwartet als die mittelprächtige Erzählung, die ich letztlich geboten bekommen habe.
»Thor« Inhalt
Wenn er jemals einen Namen gehabt hatte, so hatte er ihn vergessen.
Wenn er jemals Eltern gehabt hatte, so erinnerte er sich nicht an sie.
Wenn er jemals geboren worden war, so wusste er nicht mehr, wann.
(»Thor«, Seite 5)
Mit diesen vielversprechenden Worten leitet Wolfgang Hohlbein seinen neusten Fantasyroman ein.
»Thor« beginnt damit, dass ein Mann vollkommen ohne Gedächtnis inmitten eines höllischen Schneesturms zu Bewusstsein kommt. Er weiß nicht, wie er in die weiße Einöde, in der er sich wiederfindet, gelangt ist, er weiß nicht woher er kommt, ja nicht einmal, wer er ist. Verstört irrt der Mann durch die Kälte, ohne eine Ahnung, was er tun oder wohin er gehen soll.
Bis zu dem Moment, als er auf eine Familie trifft, deren Wagen von einer Horde blutgieriger Wölfe attackiert wird. Todesmutig stellt sich der Mann den Tieren entgegen. Ein mörderischer Kampf entbrennt, den er nur mühsam für sich entscheiden kann.
Zeit zum Ausruhen bleibt keine. Der heldenhafte Einsatzes des Mannes, dem bald der Name Thor gegeben wird, ist der Auftakt zu einer Reihe von Ereignissen, die mit Leid, Gewalt und Tod einhergehen. In einer Welt aus Eis und Schnee muss Thor erkennen, dass er unversehens in einen mit aller Härte geführten Kampf zwischen Menschen und Göttern geraten ist. Während er versucht, sein Leben in den Griff zu bekommen, und sich langsam an seine Vergangenheit erinnert, wird ihm mit jedem vergehenden Tag bewusster, dass er weit mehr als bloß eine beliebige Spielfigur in diesem Krieg ist. Schon bald muss Thor sich entscheiden: Ist er der Retter der Menschheit oder wurde er gesandt, um sie Welt der Menschen zu vernichten?
Mittelprächtig bis durchwachsen
Es wäre eine Lüge, würde ich sagen, dass »Thor« mich auf ganzer Linie enttäuscht hat. Wie ich ja bereits erwähnte, hat mich Hohlbeins neustes Fantasyabenteuer gerade zu Beginn mit fast schon hypnotischer Kraft in seinen Bann gezogen. Auch im weiteren Verlauf hat die Erzählung durchaus ihre Momente. Überhaupt ist sie äußerst ansprechend geschrieben und von daher ausgesprochen gut zu lesen. Letzten Endes kann all dies aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass »Thor« ein reichlich durchwachsener, bestenfalls mittelprächtiger Roman geworden ist, der sein Publikum nach vollendeter Lektüre ziemlich ernüchtert zurück lässt.
Begründen lässt sich dieser Eindruck am Besten, wenn wir uns die einzelnen Aspekte des Romans einmal der Reihe nach ansehen.
1. Die Story
Keine Frage, Hohlbein hat die 860 eng bedruckten Seiten seines Romans gut gefüllt. Es geschieht eine ganze Menge in »Thor«. Immer wieder muss sich der Titel gebende Held in blutigen Duellen und Schlachten seinen Feinden stellen, immer wieder hat er mit neuen inneren Dämonen und zwischenmenschlichen Problemen zu kämpfen. Tragisch, hart und stets mit einem schneidenden Unterton versehen, der die eisige Kälte des Schauplatzes und die Motive der gnadenlosen nordischen Götterwelt unterstreicht, bietet Hohlbein seinen Lesern in Sachen Handlung genau das, was man von einer düsteren Fantasysaga auf Grundlage der nordischen Mythologie erwartet. Zumindest vordergründig.
Blickt man, wenn man das Buch beendet hat, auf das zurück, was man gerade gelesen hat, so wird einem schnell klar, wie dünn die Romanhandlung eigentlich war. All die Schlachten, all die Streitigkeiten, all, die aufgebauschten Konfrontationen, all das ändert nichts an der simplen Tatsache, dass im Grunde nicht wirklich viel passiert. Die Geschichte, die der Leser aufgrund der Ankündigung auf dem Cover erwartet der Kampf von Menschen und Titanen bzw. Göttern um das Schicksal eines ganzen Reiches spielt sich weitestgehend im Hintergrund ab und wird eher angedeutet, als dass er sichtbar zum Ausdruck kommt. Stattdessen hetzt Thor von einer Szene in die nächste, darf sich hier mal eine blutige Nase holen und da mal ein wenig austeilen, ohne dass er dadurch wirklich etwas bewegen würde. Es wird viel geredet und spekuliert, aber tatsächlich geschehen tut nur wenig. Das ändert sich im Grunde lediglich in den letzten Kapiteln.
Nicht, dass das Buch öde und langatmig wäre. Hohlbein versteht sich darauf, aus den inneren Konflikten seiner Protagonisten einen hunderte Seiten füllenden Roman zu erschaffen, der trotz wenig sonstiger Handlung durchgängig interessant bleibt. Langweilig wird die Lektüre nie. Erwartet man sich aber von dem Roman einen hochdramatischen Kampf um das Schicksal einer ganzen Welt, dann sollte man sich auf eine Enttäuschung gefasst machen. In »Thor« ist der Romantitel, und nicht etwa der Name der Saga Programm. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen ganz eindeutig Thor und sein Innenleben. Die restliche Handlung lässt sich am besten als schmückendes Beiwerk umschreiben. Das ist, wie gesagt, nicht weiter tragisch und in weiten Teilen auch recht spannend geschildert. Und dennoch: Ein wenig größer und effektvoller hätte der Kampf zwischen Menschen und Göttern durchaus ausfallen dürfen.
Die nordische Götterwelt, der innere Kampf des Helden mit seiner Bestimmung, die Frage nach der Macht von Göttern und Menschen übereinander die grundlegenden Motive der Erzählung sind geradezu klassisch für ein Werk von Hohlbein. Der Autor bedient sich ihm bestens vertrauter Leitgedanken und verpackt diese in einer wuchtigen, von düsteren Storylines durchzogenen Handlung. Freunde charakterbezogener, dunkler Fantasygeschichten werden begeistert sein.
Sofern sie nicht schon einige Bücher von Hohlbein gelesen haben, heißt das.
Dass Autoren immer mal wieder Motive aufgreifen, die sie in vorherigen Romanen bereits in ähnlicher oder auch gleicher Weise verwendet haben, ist keine Seltenheit. Gerade dann, wenn jemand so viel schreibt wie Hohlbein, bleibt dies nicht aus. Jeder Mensch hat nun einmal gewisse Vorlieben, bestimmte Ideen, die er als perfekt geeignet für mitreißende Geschichten ansieht.
Das Ausmaß, in dem Hohlbein in »Thor« auf altbekannte Muster zurückgreift, hat mich dann aber doch, gelinde gesagt, verblüfft. »Thor« beinhaltet so gut wie keinerlei originelle Ansätze. Statt sich (zumindest in Teilen) neuen Pfaden zuzuwenden, verharrt Hohlbein bei Altbewährtem. Wer seine Romane »Die Tochter der Himmelsscheibe«, »Die Bedrohung« und die letzten Bände der »Chronik der Unsterblichen« gelesen hat, dem werden Motive und Ereignisse erstaunlich bekannt vorkommen. Von der Originalität eines »Anubis« oder »Horus« ist »Thor« meilenweit entfernt, weshalb Hohlbein-Altleser den Verlauf der Handlung recht schnell mühelos vorhersagen können.
Die vielleicht größte Schwäche des Romans sind die ständig in gleicher Art und Weise auftauchenden bzw. ablaufenden Motive und Handlungsstränge der Story selbst. Dass ein Autor auf Ideen aus früheren Werken zurückgreift, okay, das lässt man ihm zumeist noch durchgehen. Wenn man seine vorherigen Arbeiten nicht kennt, merkt man die Wiederholungen ohnehin nicht. Doch dass ein Schriftsteller in einem einzigen Werk immer nach dem gleichen Schema vorgeht, ist mehr als nur ein klein wenig enttäuschend.
Um nur mal zwei Beispiele zu nennen:
Dialogszenen, in denen viel geredet, aber wenig ausgesagt wird, das wiederholte künstliche Aufschieben von Enthüllungen durch bemüht wirkende Unterbrechungen von Zwiegesprächen zwischen Figuren, all das sind nur einige wenige Beispiele für beständig wiederkehrende Storyelemente. Mehr Abwechslung hätte der Story in jedem Falle gut getan.
Mit Logik nimmt es »Thor« nicht allzu genau; sie wird nur allzu bereitwillig um der Dramatik Willen geopfert. Da ist zum Beispiel Urds Tochter Elenia, die zu Beginn ein dreizehnjähriges Mädchen ist, von Thor in einem späteren Kapitel aber mit Ihrer als sehr fraulich beschriebenen Mutter verwechselt wird, weshalb er mit ihr schläft. Die Art und Weise, wie Elenia im Buch altert ist geradezu grotesk. Genauso wie die rasante Schwangerschaft von Urd, die den Geburtstermin ihres Kindes immer mal wieder sprunghaft nach vorne verlegt.
Keine Frage: Wer die Lektüre »Thor« genießen möchte, der muss beide Augen kräftig zudrücken und über so manches Logikloch hinwegsehen.
Hier sträuben sich einem beim Lesen zeitweilig ganz gewaltig die Haare. Wie schon die Logik wird auch der Einsatz glaubwürdiger Wendungen und Story-Entwicklungen dem dramatischen Effekt zuliebe geopfert. Um auch hier einige Beispiele anzuführen: Ist Urd zunächst ein Flüchtling vor einem finsteren Kult, so entpuppt sie sich später als Hohepriesterin eben jener Religion. Die Erklärung, die Hohlbein hierfür findet (dass Urd gewissermaßen undercover im Feindesland unterwegs war), mutet derart gezwungen an, dass es fast schon wehtut. Die Entwicklung passt schlichtweg nicht zur restlichen Handlung. Und wenn sich Thor schlussendlich als Vater von Urds Kindern entpuppt, dann fällt es schwer, den Mund vor lauter ungläubigem Staunen nicht sperrangelweit aufzureißen, so irreal, wenn nicht sogar lächerlich wirkt diese Enthüllung.
Mir ist durchaus bewusst, dass Wendungen wie die genannten im Grunde dazu gedacht sind, den Leser zu schockieren und die Dramatik einer Erzählung noch einmal kräftig anzufachen. Doch die Holzhammer-Methode, mit der Hohlbein die Handlung von »Thor« mitunter zu neuen Höhen lenken möchte, bewirkt im besten Falle das genaue Gegenteil.
So viel zur Story. Machen wir weiter im Takt mit einigen anderen zentralen Bestandteilen des Romans.
2. Die Protagonisten
Die Zeichnung der Charaktere ist einerseits eine der großen Stärken, andererseits allerdings auch eine der großen Schwächen von »Thor«. Paradox? Nur im ersten Moment.
Beginnen wir mal mit den starken Aspekten der Charakterbeschreibungen. Hohlbeins Romane haben in der Regel die Besonderheit, dass sie sich, ganz egal, wie umfangreich sie auch sein mögen, einzig und alleine auf die Sicht eines einzigen Protagonisten beschränken. Das ist in diesem Falle Thor.
Wenn ein Autor am Werke ist, dem Charakterbeschreibungen nur mäßig liegen, dann erweist sich eine solche Einschränkung bei über 800 Seiten recht schnell als Stimmungskiller. Hohlbein gehört glücklicherweise zu jenen Verfassern, die sich auf die vielschichtige, überzeugende Zeichnungen von Charakteren verstehen. Sein Held Thor verfügt über ein facettenreiches Wesen, das glaubwürdig beschrieben wird. Der Leser hat keine Mühe, sich in die Lage des Helden hineinzuversetzen, mit ihm mitzufühlen und auch mitzuleiden. Viel besser und plastischer, ja, viel lebensechter kann man eine Romanfigur kaum schildern.
Sehr gerne würde ich sagen, die übrigen Charaktere aus »Thor« seien ähnlich exzellent gezeichnet wie der Held des Buchs. Dem ist leider nicht der Fall; die Beschreibung der restlichen Figuren erweist sich größtenteils als reichlich uninspiriert.
Jemandem, der noch nie einen Hohlbein-Roman gelesen hat, wird diese Schwäche gar nicht auffallen. An und für sich sind die verschiedenen Figuren durchaus ordentlich gezeichnet, wenn auch bei Weitem nicht so exquisit wie Thor. Einzig die zuvor schon erwähnten logischen Brüche und Wendungen, die auch vor der Charakterbeschreibung nicht halt machen und dafür sorgen, dass die ein oder andere Person im Laufe der Handlung Wesenszüge annimmt, die nicht im Einklang stehen mit den charakterlichen Eigenschaften, die ihr zuvor andichtet wurden, trüben das Bild ein wenig.
Wem Hohlbeins Romane allerdings ein Begriff sind, der wird seine liebe Not mit den Protagonisten haben: Ähnlich wie die Story sind auch die Figuren samt und sonders nach altbekannten Mustern gezeichnet. So fantasievoll und einfallsreich Hohlbein'sche Geschichten im Allgemeinen auch daher kommen mögen, was die Beschreibung der Figuren aus »Thor« angeht, scheint er jegliche Fantasie ausgeschaltet zu haben. Neue, einzigartige Charaktere sucht man vergeblich; stattdessen trifft der geneigte Hohlbein-Leser auf eine Vielzahl von Figuren, die sich nur dem Namen nach von Personen aus anderen Romanen des Autors unterschieden und mitunter nicht einmal das.
Am enttäuschendsten fällt zweifelsohne die Beschreibung von Urd aus, die nicht mehr ist als ein blasses Abbild des typischen 0-8-15-Frauencharakters in Hohlbeinromanen mit männlichen Hauptfiguren. Urd sieht gut aus, gibt sich spöttisch, dominant und bissig, ist stur und offenbart im unpassendsten Moment (und das mit schöner Regelmäßigkeit) neue Seiten, die zuvor keinerlei Erwähnung fanden. Ob im »Avalon-Projekt« oder in der »Chronik der Unsterblichen« (Himmel noch mal, im neunten Band der Reihe tauchte gar eine Figur namens Urd auf, die ihrer Namensvetterin aus »Thor« gleicht wie ein Ei dem anderen), immer wieder bedient sich Hohlbein des gleichen Stereotyps, wenn es darum geht, seinem Helden einen weiblichen Counterpart zur Seite zu stellen.
Es hat seinen Grund, warum ich Hohlbein-Romane mit weiblichen Hauptfiguren bevorzuge: Die Beschreibung verschiedenartiger männlicher Sidekicks liegt dem Autor wesentlich besser.
3. Setting und Atmosphäre
Was den Schauplatz und die Atmosphäre der Geschichte angeht, so gibt es wahrlich nichts zu meckern. Mit ungeheurer Intensität erweckt Hohlbein den Kosmos der »Asgard-Saga« zum Leben. Wenn er zu Beginn schildert, wie Thor verwirrt und ohne Gedächtnis durch einen Schneesturm irrt, dann vollzieht er dies mit einer Eindringlichkeit, dass man meint, der eiskalte Wind würde einem selbst um die Ohren heulen.
Im Verlauf der Handlung nimmt die Faszination, die von dem rauen Klima und der schroffen Kulisse ausgeht, immer weiter zu. Wortgewandt erschafft Hohlbein vor den geistigen Augen seines Publikums eine düstere, von Kälte, Schnee und Felsgestein geprägte Welt sowie eine nicht minder düstere Atmosphäre, die den Leser von Beginn an für sich einnimmt. Mehr als nur einmal bin ich beim Lesen derart tief in das Universum der »Asgard-Saga« eingetaucht, dass es mit schwer fiel mich wieder von dem beeindruckenden Setting zu lösen.
Schade, dass nicht der gesamte Roman in diesem Ausmaß zu überzeugen weiß.
»Thor« Wuchtige Fantasy vor allem für Hohlbein-Neulinge
»Thor« hat mich mit reichlich gemischten Gefühlen zurückgelassen. Die Story an sich ist im Großen und Ganzen spannend und in jedem Fall wuchtig, doch so episch oder atemberaubend wie zunächst erhofft ist sie nicht. Zudem sorgen Logiklöcher, haarsträubende Wendungen und das Verharren in altbekannten Mustern für Unzufriedenheit. In Sachen Atmosphäre und Schreibstil hingegen begeistert das Buch in vollem Umfang.
Als altgedienter Hohlbein-Fan habe ich mir mehr von dem Buch versprochen. Bedeutend mehr. Nachdem er mich in der jüngeren Vergangenheit mit originellen Werken wie »Silberhorn«, »WASP« oder »Elfenblut« begeistern konnte, hat Hohlbein mich diesmal nicht wirklich überzeugen können. Besonders viel Appetit auf die folgenden Teile der Saga hat mir der Roman nicht gerade gemacht.
Der eher negative Eindruck, den »Thor« bei mir hinterlassen hat, mag aber schlichtweg damit zusammenhängen, dass ich schon zu viele Romane von Hohlbein gelesen habe. Die meisten meiner Kritikpunkte beziehen sich darauf, dass in »Thor« allzu viele Motive aufgegriffen werden, die Hohlbein in früheren Werken bereits zur Genüge ausgewalzt hat. Wenn etwa die Sprache darauf kommt, dass Götter im Grunde nur Menschen mit überlegenen Fähigkeiten sind, dann mag das jemand, der Hohlbeins Werk nicht kennt, interessant finden. Für alle Leser der »Chronik der Unsterblichen« ist das dagegen ein alter Hut, der in dieser Romanreihe schon lang und breit diskutiert wurde.
Letzten Endes sollte man nicht vergessen, dass »Thor« über eine Menge positiver Aspekte verfügt. Der wuchtige, charakterbezogene Fantasyroman ist genau das richtige für alle Leser düsterer phantastischer Erzählungen, die Hohlbein noch nicht kennen. Ein Meisterwerk mag er zwar auch dann noch nicht sein. Packende Unterhaltung bietet er wenn man hin und wieder über diverse Logiklöcher hinwegsieht aber in jedem Fall.
Kommentare
Voller Freude hatte ich mich an Thor gemacht, eigentlich nur, weil ich die nordische Götter- und Sagenwelt mag. Dann habe ich das Buch nach guten 50 Seiten wieder weggelegt.
Zwei Fragen hätte ich allerdings noch:
Wie stark ist denn die nordische Götterwelt in das Buch eingeflossen?
Ist der Roman in sich abgeschlossen?
Erinnert mich irgendwie an Edmond Hamiltons Geschichte über Tyr. Und an Poul Andersons "Two Hearts and Two Lions". Werde ich mir also besorgen, um die Kritik nachvollziehen zu können. Aber danke für die Warnung.
Die nordische Götterwelt bildet nur ein begriffliches Gerüst für die Geschichte. Viele Aspekte der Mythologie werden zwar namentlich genannt, aber dann zweckentfremdet. So ist "Midgard" im Roman etwa lediglich der Name für ein Tal, in dem eine Reihe von Menschen unabhängig von der Außenwelt siedeln. Mit der eigentlichen Saga hat "Thor" also letzten Endes sehr wenig zu tun.
Was den Abschluss des Romans angeht: Thors innerer Kampf mit seiner Bestimmung und die Suche nach seiner Herkunft weren geklärt. Das Ende an sich ist allerdings so gestaltet, dass die Geschichte nach einer Fortsetzung verlangt. Insofern sage ich mal: Der Roman braucht im Grunde genommen eine Fortsetzung, weil er einen sonst handlungstechnisch ein wenig im Regen stehen lässt.
@a3kHH
Dann wünsche ich dir mal, trotz meiner Warnung, viel Vergnügen bei der Lektüre!
Ich selbst habe vor vielen Jahren wütend ein Buch von Hohlbein beiseite gelegt, und mir geschworen, nie wieder einen Roman von ihm zu lesen. Ich fühlte mich seitenweise immer nur hingehalten und nie zufriedengestellt. Für mich ist Hohlbein jemand, der zwar Seiten füllen kann aber nicht das Herz eines Lesers zu füllen vermag. Und wieder einmal sehe ich mich bestätigt.
Klar sollte ich dieses neue Werk selber gelesen haben, um es besser zu beurteilen zu können. Aber die ganzen Hinweise und Andeutungen in dem Artikel zeigen mir, dass sich für mich persönlich an der 'Schreibe' Hohlbeins nichts geändert hat ...
Außerdem kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Musiktruppe Manowar, die inzwischen an Popularität eingebüßt hat, damit versucht wieder etwas Geld in ihre (mit großer Wahrscheinlichkeit) leer gewordenen Kassen zu bekommen ...
Den negativen Rezensionen kann ich mich nicht anschließen. Ist eben ein Roman für erwachsene Leser, weitab vom Mainstream. Wer Moorcocks Corum mag, ist hiermit ebenfalls gut bedient.
Schau dir nochmal den letzten Absatz dieses Artikels an:
Letzten Endes sollte man nicht vergessen, dass »Thor« über eine Menge positiver Aspekte verfügt. Der wuchtige, charakterbezogene Fantasyroman ist genau das richtige für alle Leser düsterer phantastischer Erzählungen, die Hohlbein noch nicht kennen. Ein Meisterwerk mag er zwar auch dann noch nicht sein. Packende Unterhaltung bietet er ? wenn man hin und wieder über diverse Logiklöcher hinwegsieht ? aber in jedem Fall.
Du siehst, ich zerreiße "Thor" keinesfalls. Das Buch hat schon was für sich. Es bietet halt jemandem, der schon viele WH-Romane gelesen hat, nicht besonders viel Neues. Hohlbein bleibt in viel zu großem Umfang Motiven verhaftet, die er schon in viel zu vielen sonstigen Romanen untergebracht hat. Von daher wirkt "Thor" eben ein wenig uninspiriert.
Dass er es besser kann, zeigt er im Auftaktband der "Chroniken der Elfen". Der ist genial, und ich freue mich jetzt schon ungemein auf Band 2.
Was aber, wie ich nochmals betonen möchte, nicht heißen soll, "Thor" wäre schlecht. Fand dunkler heroischer Fantasy, die Hohlbeins sonstigen Werke nicht oder nur wenige davon kennen, werden an dem Roman, ganz wie du sagst, ihre helle Freude haben.