Gaiman, Neil: Das Graveyard-Buch
Das Graveyard-Buch
Doch zum Roman an sich, denn so ansehnlich die metallene Grabsteinbox auch sein mag: Im Endeffekt ist es der Inhalt des Buchs, der zählt. Und der kann die hohen Erwartungen, die das faszinierende Äußere weckt, leider nicht ganz erfüllen.
Im Zentrum von »Das Graveyard-Buch« steht Nobody Owens, ein Junge, dessen Familie im Schlaf von einem finsteren Killer ermordet wird. Nur durch Zufall entkommt das Nesthäkchen der Familie, das noch viel zu jung ist um zu verstehen, was genau mit seinen Eltern und Geschwistern geschehen ist, dem Messer des Mörders. Auf einem alten Friedhof findet der Junge nicht nur einen neuen Namen, sondern auch eine ungewöhnliche Ersatzfamilie aus Geistern und Untoten. Hier wächst Nobody gut behütet in einer recht skurrilen Umgebung auf.
Doch die Gefahr, in der Nobody schwebt, ist noch lange nicht vorbei. Außerhalb des Friedhofs lauert noch immer ein tödlicher Feind auf ihn, der nur darauf wartet, dass er das Reich der Toten verlässt und in die Welt der Lebenden kommt. Denn auf dem Totenacker wird Nobody von den Geistern beschützt doch außerhalb der Friedhofsmauern gibt es niemanden, der ihn vor der schrecklichen Gefahr, in der er schwebt, bewahren kann...
Geister und Untote, ein Junge, der auf einem Friedhof aufwächst, der Name Neil Gaiman über dem Titel des Buchs all das zeigt dem versierten Freund phantastischer Unterhaltung, dass ihn mit dem »Graveyard-Buch« ein schräges, ausgefallenes Fantasyvergnügen fern allzu großer Bemühungen um Realitätsnähe erwartet. Ähnlich wie Bessermanns »Greg und die Traumfänger« oder Bindings »Sylvie und die verlorenen Stimmen« entführt auch Gaimans Buch den Leser in eine Welt voll absonderlicher Charaktere und bizarrer Handlungsbögen. Nur wer bereit ist, sich auf ein durchweg phantastisches Abenteuer einzulassen, wird an diesem Roman seine Freude haben.
Wer nun aber ob des Autors etwas wirklich Außergewöhnliches erwartet, der sollte sich auf eine Enttäuschung gefasst machen.
Neil Gaiman, dieser Name steht ja geradezu synonym für ungewöhnliche Storys voll irrwitziger Einfälle und einzigartiger Figuren. Beides bietet das »Graveyard-Buch« durchaus in recht großem Umfang. Und doch, so liebevoll die Charaktere auch gezeichnet sein mögen und so kurios die Handlung auch anmuten mag, es gelingt Gaiman einfach nicht, seiner Story echtes Gefühl zu verpassen. Das Buch ist gut geschrieben und lässt sich flüssig lesen, ganz zweifellos. Dennoch hat man ständig das Gefühl, als würde das gewisse Etwas fehlen, etwas, das den Roman wahrhaft packend und die Figuren wirklich überzeugend macht. Man kann das Potential, das in der Story liegt, mühelos erkennen, nur greifen kann man es nicht. Gaiman bliebt zu sehr an der Oberfläche der Geschichte, ruht sich zu sehr auf den (zugegebenermaßen außergewöhnlichen) Charakteren aus, ohne der Story den nötigen Tiefgang zu verleihen.
Liegt es daran, dass »Das Graveyard-Buch« ein Roman ist, der sich vorwiegend an ein junges Publikum richtet? Oder ist das Schauermärchen einfach eines von Gaimans weniger gelungenen Erzählungen? Ich weiß es nicht, doch dem Namen Gaiman wird das Buch einfach nicht gerecht. Da hilft auch die tolle Verpackung nicht.
Ignoriert man einmal die Tatsache, dass das Buch von dem berühmten Briten stammt, so hat man mit dem »Graveyard-Buch« ein kindgerechtes, gut lesbares Schauermärchen vor sich, das insbesondere Lesern, die an unkonventionellen Romanen wie den Werken Bessermanns und Bindings Gefallen finden, zusagen dürfte. Etwas wirklich Besonderes ist das Buch aber, mit Ausnahme der schmucken Metallbox, leider nicht.