Pratt, T. A.: Blood Engines

Cover BLOOD ENGINES Blood Engines
Marla Mason Book One
von Tim A. Pratt
Bantam Spectra
erschienen: September 2007 (USA)
368 Seiten, ca. 6 Euro
ISBN-10: 0553589989
ISBN-13: 978–0553589986
Bantam Books

Schon wieder Urban Fantasy? Wird das nicht langsam eintönig?

Nein!

Ich muss freimütig zugeben, dass ich derzeit hauptsächlich Bücher aus diesem Genre lese, weil ich es sehr mag und weil ich überrascht bin, mit welcher Vielfalt an Ideen das Thema im Großen und Ganzen angegangen wird, auch wenn es momentan vielleicht ein paar Privatermittler zu viel gibt. Dass es auch anders als mit Philip Marlowe-Kopien mit Magie-Update geht, zeigt der amerikanische Autor Tim A. Pratt eindrucksvoll in seinem Roman »Blood Engines«, den ich in Rekordzeit inhaliert habe. Die Protagonistin Marla Mason unterscheidet sich nämlich grundlegend von den lakonischen Ermittlern und selbst, wenn auch hier mal wieder (fast) die Welt gerettet werden muss, so tut sie dies doch hauptsächlich um des eigenen Vorteils willen.

Das in »Blood Engines« beschriebene Universum ist eigentlich genau wie das unsere, mit einem kleinen Unterschied: Unbemerkt von den mundanen Menschen existiert eine Gesellschaft von mächtigen Magiern, welche die eigentlichen Herrscher der Welt stellen. Jede Stadt wird – abhängig von ihrer Größe – von einem Magier beherrscht, oder aber von einem Hexerkonzil. Marla Mason ist eigentlich die »Chefin« von Felport, an der amerikanischen Ostküste, muss sich aber auf den Weg nach San Francisco machen, um den sinistren Plan einer Gegenspielerin zu verhindern, der sie ein für alle Mal ausschalten soll. Und um das zu vollbringen darf sie nicht zimperlich sein – aber »zimperlich« gehört ohnehin nicht zu Marla Masons Repertoire.

Klappentext:

Meet Marla Mason – smart, saucy, slightly wicked witch of the East Coast.…

Sorcerer Marla Mason, small-time guardian of the city of Felport, has a big problem. A rival is preparing a powerful spell that could end Marla’s life – and, even worse, wreck her city. Marla’s only chance of survival is to boost her powers with the Cornerstone, a magical artifact hidden somewhere in San Francisco. But when she arrives there, Marla finds that the quest isn’t going to be quite as cut-and-dried as she expected…and that some of the people she needs to talk to are dead. It seems that San Francisco’s top sorcerers are having troubles of their own – a mysterious assailant has the city’s magical community in a panic, and the local talent is being (gruesomely) picked off one by one.

With her partner-in-crime, Rondeau, Marla is soon racing against time through San Francisco’s alien streets, dodging poisonous frogs, murderous hummingbirds, cannibals, and a nasty vibe from the local witchery, who suspect that Marla herself may be behind the recent murders. And if Marla doesn’t figure out who is killing the city’s finest in time, she’ll be in danger of becoming a magical statistic herself....

Der Roman wirft den Leser sofort mitten in die Geschichte, denn Marla und ihr... hm... »Assistent« Rondeau sind vor Kurzem in San Francisco gelandet und die beiden sind auf der Suche nach einem sehr alten Freund, der ihr Zugang zu einem hochmagischen Artefakt verschaffen soll, einem sogenannten »Grundstein« (Cornerstone), mit dessen Hilfe sie die Attacke ihrer Konkurrentin abwehren will, oder besser: muss. Doch viel Zeit hat sie dafür nicht und leider läuft eine Menge kräftig schief.

Man sollte sich als Leser schnell von stereotypen Charakteren verabschieden, denn Pratts Protagonisten sind weit davon entfernt, einfach nur »die Guten« oder »die Mächtigen« zu sein. Vielmehr wird schnell klar, dass man sich als hochrangiger Magier keine Schwächen erlauben kann, will man seine Position behalten. Und auch die Gegner sind erheblich vielschichtiger, als man das üblicherweise gewohnt ist.
Und so passen weder Marla noch Rondeau noch ihr Verhalten in die üblichen Heldenklischees und das ist überaus erfrischend zu lesen. Das Verhalten der Protagonistin ist geprägt von »erstmal zuschlagen und später fragen – nur um auf Nummer Sicher zu gehen«. Dennoch sind die handelnden Figuren weit davon entfernt, Unsympathen zu sein, wie sich im Verlauf der Handlung herausstellt. Grade wegen ihrer offensichtlichen Schwächen und für »normale Menschen« offensichtlich zweifelhaften Moral, die aber im Verlauf der Handlung sehr nachvollziehbar wird, fiebert man mit den beiden.

Das gesamte Buch ist schwer durchsetzt von Humor, ohne jedoch wirklich in den Bereich der Funny Fantasy eines Asprin oder Pratchett abzugleiten. Nein, die erzählte Geschichte ist grunsätzlich ernst und keinesfalls lustig. Die Protagonisten lassen sich aber von übermächtigen Feinden (oder solchen die sich dafür halten) nicht ins Bockshorn jagen und heitern die Stimmung fast kontinuierlich mit zahllosen Bonmots auf. Oder – um es mal deutlicher zu sagen – sie hauen sich gegenseitig Sprüche um die Ohren, dass es eine helle Freude ist. Außerdem läuft Marla zu spottender Höchstform auf, wenn man sie bedroht.

Die Sprache von »Blood Engines« ist sehr eingängig zu lesen, es kommen weder Längen vor, noch stockt der Lesefluss an irgendeiner Stelle, man sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass etliche Beschreibungen eindeutig daherkommen.

Marla inhaled, deeply, taking in the scent of piss and spilled beer, and, yes, she could have been in Felport, in the darkest part of the urban core, where she lived alone in an apartment building that would have been condemned if not for her influence. This was the neighborhood of easily gratified baser appetites, where sex and booze and drugs were just a quick cash transaction away, where the distance between want and have and have-not could be cut down to nothing in a moment. Every city had places like this, though some cities took pains to hide them. Marla liked it here. She understood its logic and its brutal grace.

Um noch ein Beispiel zu nennen: Es gibt diverse »Fachrichtungen« der Zauberei. Der eine Magier zieht seine Kraft beispielsweise aus der Erde, ein anderer aus Schamanismus, der Dritte aus Technik (die sogenannten Technomancer), der vierte aus Feuer (Pyromancer). Und es gibt eben auch eine »Schule«, die ihre Energie aus sexueller Lust bezieht, die »Sexmagier« oder – wie Marla sie nennt – »Pornomancer«. Einen davon muss sie aufsuchen und der gibt in seinem Haus immer wieder Sexparties, um sich »aufzuladen«. Die Beschreibung des Geschehens ist deutlich, ohne jedoch tatsächlich ins Pornographische abzugleiten. Pratt pflegt hier für einen amerikanischen Autor eine erfreulich »entspannte« Schreibe und wie die beiden Hauptfiguren durch die Party (inklusive SM-Dungeon) stolpern (Marla genervt, Rondeau erfreut und »nach allen Seiten offen« :o) ist ein Spaß für sich.

Auch ansonsten sprüht die Geschichte vor originellen und witzigen bis aberwitzigen Ideen und Charakteren, über die ich hier jedoch nichts weiter schreiben will und kann, um keinem Leser durch Spoiler um das Vergnügen zu bringen, sie selbst kennenzulernen.

»Blood Engines« ist eine wirkliche und überaus erfreuliche Entdeckung, die ich – wieder einmal – Amazons Buchvorschlägen verdanke. Ich spreche jedem, der auf Urban Fantasy, originelle Charaktere und Plots sowie Humor in solchen Romanen steht, eine eindeutige Leseempfehlung (eigentlich eher einen Lesebefehl) aus, dann hier ist ein Buch, das man keinesfalls verpassen darf. Prüden Naturen (wegen der paar Seiten auf der Sexparty) oder Hardcore-High-Fantasy-Lesern, die zum Lachen in den Keller gehen und eher auf Elfenbeinturmmagier oder langbärtige, stabtragende Angeber stehen, rate ich ab. :o)

Ich halte »Blood Engines« ob seiner kreativen Ideen und seines trockenen Humors in ergriffener Fan-Übertreibung für schlichtweg brilliant, denn es handelt sich um einen Urban Fantasy-Roman, wie mir bisher noch keiner untergekommen ist, und freue mich wie ein Schneekönig, dass Band zwei um Marlas Abenteuer – »Poison Sleep« – bereits erschien.

Cover POISON SLEEP

 

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