Uschi Zietsch: Nauraka
Waldsee ist eine Welt aus dem "Träumenden Universum". Sie besteht aus einem Kontinent, vielen Inseln und der "umschließenden See". Dort ist die Heimat der Nauraka, dem ersten der "Alten Völker". In der See, aber auch an Land leben noch weitere Völker, darunter auch die Menschen. Die Nauraka haben die einmalige Fähigkeit sowohl Wasser als auch Luft atmen zu können. Früher waren sie eines der bedeutendsten Völker, doch nach den Wirren um das Tabernakel sind nur noch Reste des einstigen Glanzes und der früheren Macht geblieben.
Das größte dieser kleinen Unterwasserkönigreiche ist Darystis. Unter der strengen Regierung des Hochfürsten Ragdur leben die Untertanen in relativem Wohlstand. Formal beansprucht das Reich den Vorrang vor allen anderen Nauraka-Reichen, aber praktische Folgen hat das nicht. Der junge Prinz Erenwin und seine Schwester Lurdéa (Luri) stehen an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Sie kümmern sich nicht viel um Politik und Staatsangelegenheiten. Auch ihr Onkel Theofur ist für sie eher ein schrulliges Überbleibsel aus der Vergangenheit und sie geben nicht viel auf seine Geschichten aus der glorreichen Vergangenheit der Nauraka. Erenwin (Eri) erkundet die Unterwasserstadt samt angrenzendem Vulkan, streitet sich mit seinem älteren Bruder, dem Thronfolger, und besucht den Markt, wo Besucher aus aller Herren Länder sich treffen. Darunter sind auch Menschen, merkwürdige Landgänger, und Eri träumt heimlich davon einmal das Wasser zu verlassen, an Land aufregende Abenteuer zu erleben und als gefeierter Held wieder nach Haus zurückzukehren. So hofft er die Aufmerksamkeit seiner Eltern zu gewinnen, die große Stücke auf den älteren Sohn halten, obwohl dieser eher als Spieler, Schürzenjäger und Zechbruder in Erscheinung tritt.
Dann überstürzen sich die Ereignisse und Eri muss Abschied von seinen Träumen, aber auch von seiner Heimat nehmen. Durch einen Jagdunfall (genau genommen rettet er seinen überheblichen und leichtsinnigen großen Bruder) gerät er in die verbotenen Tiefen. Dort findet er etwas, was sein Leben verändert. Ausserdem stellt er fest, dass es in seinem Volk auch Verbannte gibt, die unter unwürdigen Bedingungen abseits der Stadt hausen müssen. Als er seinem Vater deswegen Vorhaltungen macht, wird er wegen ungebührlichen Verhaltens verbannt. Zur gleichen Zeit wird seine geliebte Schwester mit einem anderen Fürsten vermählt und Eri muss sie in ihr neues Zuhause begleiten. Er verspricht feierlich, sie dort zu beschützen und ahnt dabei nicht, in welche Schwierigkeiten ihn dieser Schwur bringen wird.
Gerade der Anfang des Romans hat mich in ihren Bann geschlagen. Die fremdartige Kultur und Lebensweise der Nauraka ist von Uschi Zietsch mit viel Einfühlungsvermögen beschrieben worden. Überzeugend auch die Betrachtungsweise der Landbewohner aus Sicht der Nauraka. Überhaupt hat die Handlung einen angenehm märchenhaften Touch. Auch die Figuren sind äußerst sensibel gekennzeichnet. Nach dem ersten Drittel nimmt die Handlung dann rasant Fahrt auf. Eindringlich die Beschreibung der fremdartigen Lebensumstände unter Wasser, auf See und an Land. Am Anfang eher am Rande der Geschehenisse rückt dann mehr und mehr Luri ins Zentrum der Ereignisse. Damit kommt eine stärker weiblich geprägte Sichtweise ins Spiel. Aber auch der "Alte Feind", der Gegenspieler der Helden wird nicht einfach eindimensional geschildert, sondern als komplexer Charakter mit durchaus nachvollziehbarer Motivation dargestellt.
Es gibt mehrere Brüche und Sprünge in der Handlung, etliche Tempo- und Perspektivwechsel und doch stellt sich das Buch als ein einnehmendes zuweilen poetisches Leseerlebnis dar. Die Mischung aus Liebesgeschichte und Abenteuer, aus Märchen und Fantasy dürfte genau das richtige für ein breites Publikum sein, Männer und Frauen, alte und junge Menschen gleichermaßen ansprechen. Mir hat es jedenfalls gefallen!