Niemandskind

Das große Serien-Crossover "Niemandskind"

Wer kennt sie nicht, die Comics und Romane, in denen Personen aus unterschiedlichen Serien, bzw. Universen aufeinandertreffen und gemeinsam Abenteuer bestehen? Crossovers sind allseits beliebt, denn sie bringen Abwechslung ins gewöhnliche Serienleben. Ein Crossover ist aber eine etwas heikle Angelegenheit, denn manchmal hat der Leser das Gefühl, dass es sich dabei nur um eine Masche handelt um die Verkaufszahlen ein wenig anzukurbeln. Ein Crossover entpuppt sich bisweilen auch als Niete, was manchmal an der Story liegt, manchmal aber auch daran, dass die Agierenden aneinander vorbei leben und irgendwie nicht so recht zusammenkommen. 

 

Ein Beispiel hierfür sind IMHO die Storys aus der Feder von Dan Shocker, in denen er seine beiden Helden Björn Hellmark-Macabros und Larry Brent aufeinandertreffen ließ. Ich erinnere mich an zwei Macabros-Romane, in denen Larry Brent kurz auftaucht und durchs Bild latscht, ohne wirklich etwas mit der Story zu tun zu haben. Mag sein, dass es Shocker gar nicht darum ging, dass die Beiden zusammen arbeiten, sondern dass er es nur originell fand, sie zusammen auftreten zu lassen. Ich als Leser versprach mir seinerzeit aber mehr davon, da der Verlag diese Hefte, zumindest den Jubiläumsband Nr. 50 ja großspurig ankündigte. In den Siebzigern hieß so etwas auch noch gar nicht Crossover, es gab eigentlich gar keinen expliziten Namen hierfür. Crossover hätte damals wohl auch niemand verstanden. Ich selbst hätte mit diesem Begriff vermutlich knuspriges Schokokonfekt damit assoziiert.

Ein Crossover entfaltet seine angestrebte Wirkung, wenn es nicht allzu oft auftritt. Ein Negativbeispiel waren die inflationären Crossovers aus dem DC-Verlag, in denen sich alljährlich eine große Storyline durch nahezu alle Serien des Verlags durchzog. Irgendwann war schließlich die Luft raus und die Storys wurden immer abgedrehter und wurden buchstäblich an den Haaren des verkaufsfördernden Selbstzwecks herbeigezogen. Ich denke da an „Underworld“ oder „One Million“, beide in den Neunzigern im Dino-Verlag auch auf Deutsch erschienen.

Es gibt aber auch gelungene, die den Leser zu fesseln wissen. Ein gutes Beispiel dafür ist die legendäre DC-versus-Marvel-Serie, in der die Helden beider Universen aufeinandertrafen und in der Nachfolgeserie „Amalgam“ sogar miteinander verschmolzen! Ein Feuerwerk origineller Einfälle und Ideen.

Ein weiteres gelungenes Crossover ist das Buch, das ich heute bespreche. 3 Gruselromanserienhelden eines Verlages treffen aufeinander und bestehen gemeinsam ein Abenteuer. Die Rede ist von John Sinclair, Professor Zamorra und Dorian Hunter.

Drei Helden, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.

Sinclair ist Oberinspektor und ein Mensch wie Du und ich. Ein Normalo, bis auf seine Tätigkeit als Geisterjäger. Seine Serie gibt es schon seit 1973. Erfunden wurde der stramme Polizist mit dem roten Rollkragenpullover von Helmut Rellergerd, alias Jason Dark. Sinclair hatte seinen ersten Auftritt in der Nummer 1 der Serie Gespenster-Krimi und jagte dort furchtlos Geister, bis er schließlich nach 50 Abenteuern seine eigene Serie bekam. Seine bevorzugten Waffen sind unter anderem ein silbernes Kreuz und eine Beretta, die mit geweihten Silberkugeln geladen ist.

Professor Zamorra wurde ebenfalls von Rellergerd erdacht, der allerdings nur einen Roman zur Heftromanserie beisteuerte. Die Serie um den Meister des Übernatürlichen kam 1974 auf den Markt und ist eigentlich keine reine Gruselserie. Thematisch ist es ein Genre-Crossover aus Grusel, Fantasy und auch SF. Zamorra ist Franzose und alles andere als ein Normalo. Er ist relativ unsterblich und besitzt ein Märchenschloss. Seine Hauptwaffen sind Merlins Stern und Merlins Machtspruch, der dem Film Excalibur von John Boorman entliehen ist.

Dorian Hunter schließlich unterscheidet sich grundlegend von seinen beiden Kollegen. Er ist ein düsterer, rüpelhafter Finsterling der seinem Beinamen alle Ehre macht: er ist der Dämonenkiller. Er killt Dämonen, raucht wie ein Schlot, trinkt übermäßig Bourbon und nimmt es auch mit der Treue nicht sehr genau. Seinen ersten Auftritt hatte er in der legendären Vampir Horror Roman-Reihe, erfunden wurde er von Ernst Vlcek und Kurt Luif. Ursprünglich war die Serie auf 10 Romane begrenzt, aufgrund des enormen Erfolges aber wurde das Konzept erweitert und ausgebaut. Schließlich erhielt er ab Band 18 seine eigene Serie, die zuerst 14-täglich erschien, bald aber schon wöchentlich. 1977 war dann aber abrupt Schluss mit Killen, denn die Serie wurde aufgrund von 4 indizierten Romanen eingestellt.

Anfang der Achtziger erlebte sie aber überraschend eine Wiederauferstehung als Neuauflage. Allerdings wurde der Leser übel enttäuscht: der Verlag fürchtete so sehr eine erneute Indizierung, dass Romane stark zensiert, um- bzw. neugeschrieben oder gar komplett ausgelassen wurden. Auch die Covers wurden verstümmelt, denn es wurden mit ungelenker Hand alle Darstellungen von Blut übermalt. Der nächste große Schock kam dann Mitte der Achtziger, als der Verlag beschloss, die laufende Handlung abrupt zu beenden und den grandiosen Baphomet-Zyklus auf zwei Bände zu komprimieren. Ab sofort erschienen brandneue Romane, die allerdings keinerlei Exposevorgaben mehr hatten. Nach dem Ende der Fantasyserie Mythor übernahm man einfach die Autoren und ließ sie für den DK schreiben.

Totgesagte leben aber bekanntlich länger, und so erfuhr der Dämonenkiller eine zweite Wiedergeburt im Zaubermond-Verlag, wo die Serie dann auch endlich fortgesetzt wurde. Seit einigen Jahren erscheint sie im Heftformat im gleichen Verlag wie John Sinclair und Professor Zamorra.

Niemandskind

In diesem Jahr hatte die Redaktion die Idee zu einem großen Crossover, das die drei Serienhelden vereinen sollte. Der Clou daran war, dass es nicht nur einen einzigen Roman geben sollte, sondern dass sich die Story über drei Bände erstrecken sollte. Und zwar über alle drei Serien verteilt! Den Anfang machte Ian Rolf Hills Niemandsland, der als Nr 2360 in Sinclairs Serie erschien. Es folgte Thilo Schwichtenberg mit Niemandsleben als Nr. 1288 in Professor Zamorra. Den Abschluß bildete Niemandskind von Dario Vandis als Nr. 134 der Serie Dorian Hunter, der unmittelbar vor Beginn des Baphomet-Zyklus eingeschoben wurde.

Vor kurzem erschien das Crossover dann als Dorian Hunter Sonderband, in dem alle 3 Romane in einem Taschenbuch vereint sind.

Um was geht es denn in der Story?

Nun, ich will nicht allzu viel von der Handlung preisgeben, vor allem will ich nicht spoilern, was den Schluss betrifft. Ich zitiere einfach mal den Klappentext des Buches:

Die drei Fremden John Sinclair, Professor Zamorra und Dorian Hunter finden sich in einem Hotel am Fuße eines Vulkans wieder. Sie wissen weder, wo der Ort liegt, noch wie sie dorthin gekommen sind. Nur eines scheint klar: Der Ausbruch des Vulkans steht unmittelbar bevor, und ihnen bleiben nur wenige Stunden, das Rätsel um die geisterhaften Bewohner des Hotels zu lüften…

Durch das Setting und die eng begrenzte Personenanzahl – außer den 3 Hauptfiguren kommen noch ein ominöser Alter, ein geheimnisvoller Mann, ein Kind und eine Frau vor – erhält der Roman etwas Kammerspielähnliches. Zur Auflockerung der Story geben sich auch noch einige alte Bekannte aus den drei Serien vor, die aber keine nennenswerte Rolle spielen. Das Geschehen ist alptraumähnlich, die Atmosphäre ist geisterhaft und unwirklich, was hervorragend zum Plot passt und auch seinen Ausdruck darin findet, dass die magischen Waffen weitgehend ohne Wirkung bleiben. Merlins Stern wirkt nicht wie gewohnt, auch Sinclairs Kreuz hat Zicken, was nicht ohne Grund ist.

Nicht nur die Zahl der Handlungsträger ist begrenzt, auch die Ungeheuererstaffage ist es: ein Seetangmonster macht den drei wackeren Helden zu schaffen, aber auch einige Killerbäume. Recht viel mehr gibt es tatsächlich nicht, und so spielt Action die zweite Geige, was aber durchaus kein Nachteil ist. Statt zünftiger Dämonenkillerei gibt es Rätselraten und geheimnisvolle Begebenheiten. Es macht auch enormen Spaß, wie die 3 schon fast übermächtigen Ghostbusters ein wenig verunsichert auf ganz fremdem Terrain agieren müssen. Die Auflösung des Ganzen ist sehr originell und erklärt die mystisch-unwirkliche Atmosphäre…

Der Roman, obwohl von drei Autoren für drei verschiedene Serien geschrieben, liest sich nichtsdestotrotz sehr flüssig und wirkt wie aus einem Guss. Eine tolle Leistung des Autorenteams, denn man merkt dem Roman nicht an, dass es eigentlich drei Romane sind. Die Handlung erstreckt sich über die ersten 257 Seiten, denen anschließend ein Teil mit 4 Anhängen folgt.

Anhang 1: Hier schildert Ian Rolf Hill einen kurzen Abriss über die bisherigen Crossovers der Serienhelden.

Anhang 2: Dieser Werkstattbericht stammt von Dario Vandis und erschien auf der Leserseite von John Sinclair Nr. 2360.

Anhang 3: Hier schildert Thilo Schwichtenberg seine Erfahrungen mit dem Entstehungsprozess des Mittelteils der Trilogie. Sein Text erschien auf der Leserseite von Professor Zamorra Nr. 1288.

Anhang 4: Hier interviewt Uwe Voehl den Autor des Abschlussbandes, Dario Vandis alias Dennis Erhardt.

Das Buch ist im Zaubermond-Verlag erhältlich und wird zusammen mit einem großen Poster ausgeliefert, das Mark Freiers Cover zeigt. Das Poster gibt es auch vom Künstler signiert für knapp 20€.

Dorian Hunter Sonderband

Niemandskind

Ian Rolf Hill

Thilo Schwichtenberg

Dario Vandis

ISBN 978-3-95426-830-6

© Zaubermond Verlag 2024

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