Plischke, Thomas: Die Halblinge des Ewigen Hains - Die Zerrissenen Reiche 3
Zum Roman selbst. Nach dem weitaus Fantasy-typischeren zweiten Teil der Reihe, orientiert sich Plischke in »Die Halblinge des Ewigen Hains« wieder stärker an »Die Zwerge von Amboss«, dem mit Krimi-Elementen gespickten Auftaktband der Saga. Im Mittelpunkt des ersten von drei (Haupt-)Handlungssträngen steht der Halbling und Kommissar der Bundessicherheit Anini 29-3, der den brutalen Mord an einer Halblingsfrau in der Industrie-Großstadt Stahlstadt aufklären soll. Eine Ermittlung nimmt ihren Lauf, deren Ergebnisse nicht nur Anini, sondern den ganzen Zwergenbund gravierend verändern sollen.
In Stahlstadt hält sich auch die ehemalige Sucheranwärterin Karu Schneider auf, die sich dem hiesigen Freibund angeschlossen hat. Gemeinsam mit ihrem Geliebten Rinul Plattenstemmer sucht die Zwergin nach einem Weg, die unrechtmäßige Regierung des Zwergenbunds zu Fall zu bringen und gerät von einer gefährlichen Intrige in die nächste.
Garep Schmied, die zentrale Figur des ersten Teils der Saga, befindet sich unterdessen mit seinem Sohn Himek, seiner Geliebten Sira und deren Bruder Siris in Meerschaum, der Heimatstadt der Geschwister. Während sich die Stadt auf die bevorstehende Invasion durch die Flotte der Zwerge vorbereitet, müssen sich Garep und seine Gefährten dunklen Schatten aus der Vergangenheit stellen
Spätestens nach der Lektüre von »Die Halblinge des Ewigen Hains« steht für mich fest: »Die Zerrissenen Reiche« ist die originellste Fantasyserie, die derzeit auf dem Buchmarkt vorhanden ist. Romane wie die von Brandon Sanderson (»Elantris«) oder Scott Lynch (»Die Lügen des Locke Lamora«) mögen im ersten Moment zwar weitaus innovativer erscheinen, entwerfen besagte Autoren doch Kosmen fernab des von Tolkien geprägten Standard-Fantasy-Universums, wohingegen Plischke den Grundmotiven der High Fantasy verhaftet bleibt. Was »Die Zerrissenen Reiche« hingegen so originell macht, ist Plischkes Umgang mit diesen altbekannten Motiven, in dem er mindestens ebenso viel Kreativität beweist wie Sanderson und Co.
Wobei diese Kreativität auf weitaus speziellere Art und Weise zum Ausdruck kommt, als durch das Erschaffen möglichst Tolkien-fremder Fantasywelten. Statt möglichst viel zu verwerfen, nimmt sich Plischke ganz bewusst typischer Fantasy-Motive an und präsentiert sie in neuer, ungewohnter Weise, ohne sich völlig von ihnen zu entfernen.
Anders gesagt: Mit seiner Saga hebt der deutsche Autor die High Fantasy auf eine ganz neue Stufe. Plischke verbindet das klassische Thema des Genres mit Aspekten aus dem Politthriller-Bereich und erobert sich somit oder besser: und erschafft somit eine vollkommen neue Nische in der Gattung Fantasy. Hinzu kommt das Verschieben der Handlung aus dem klassischen mittelalterlichen Szenario in ein industrielles, mit Steampunk-Zügen behaftetes Setting, was der Geschichte ein einzigartiges Flair verleiht.
Hat mir die Saga in den ersten beiden Bänden bereits ausgesprochen gut gefallen, so stellt »Die Halblinge des Ewigen Hains« zweifellos den Höhepunkt der Reihe dar. Geschickt verquickt Plischke die unterschiedlichen Handlungsstränge zu einer spannenden Gesamtgeschichte, mixt die Erzählung dazu mit exzellenten Charaktermomenten, außergewöhnlichen Abstechern weit aus dem Bereich der High Fantasy hinaus (wie etwa mit einer ausgesprochen amüsanten Szene in einem Bordell, in welchem auch eher ausgefallene zwergische Wünsche befriedigt werden) sowie mit einer guten Portion Gesellschaftskritik. Geschildert wird das Ganze in einem ureigenen Stil, der geprägt ist von Ironie, Wortspielereien und ganz besonderen Manierismen und Ausschweifungen der agierenden Personen, wie Plischke es selbst so schön im Nachwort formuliert. Resultat dieses ungewöhnlichen Tonfalls ist ein sehr gut zu lesender Roman, der sich in seinem Stil deutlich (!) von allem abhebt, was sonst so im Bereich der phantastischen Literatur in den Buchregalen vorzufinden ist.
Ebenfalls gelungen: die Darstellung der Protagonisten. »Die Halblinge des Ewigen Hains« verfügt über ein facettenreiches Figurenensemble, das den Leser dank einer Vielzahl verschiedenartiger Charaktere zu begeistern weiß. Ausgesprochen schön dabei ist, wie gut es Plischke gelingt, einfache Schwarz-Weiß-Malereien zu vermeiden, die Grenzen zwischen guten, bösen und mehr oder weniger neutralen Figuren aber dennoch aufrecht zu erhalten. Jede Person verfügt über wünschenswerte Eigenschaften, aber auch über dunkle Seiten, die einen über weniger, die anderen, allen voran der Oberschurke Awoho, über mehr.
Im Grunde habe ich lange genug um den heißen Brei herumgeredet. Meine Begeisterung für »Die Halblinge des Ewigen Hains« lässt nur ein einziges Urteil zu: in jedem Falle lesen! Der dritte Band von »Die Zerrissenen Reiche« ist, wie überhaupt die Saga im Ganzen, ein außergewöhnlich packendes Epos und eines der originellsten Fantasy-Abenteuer, das man sich nur wünschen kann. Wer durchdachte phantastische Literatur zu schätzen weiß und nicht davor zurückscheut, neue Pfade zu betreten, wird an Plischkes meisterhafter Erzählung nicht vorbeikommen.
Nachtrag:
Als ich im Nachwort von »Die Halblinge des Ewigen Hains« lesen musste, dass die Fortsetzung der »Zerrissenen Reiche« wohl noch ein Zeitlang auf sich warten lässt, habe ich mich sofort Thomas Plischke gewandt und ihn gefragt, wie genau sich die Zukunft von Garep, Sira und Co denn nun gestalten würde. Der Autor antwortete mir hierauf Folgendes:
Bleibt zu hoffen, dass die Wartezeit nicht allzu lange wird und dass die übrigen Projekte Plischkes seiner Fantasysaga in nichts nachstehen! Nach seinem ausgesprochen interessanten Abstecher ins Horrorgenre (»Die Zombies«) habe ich daran aber keine Zweifel!