... Kolja van Horne über »Lassiter«, seine Romane und die Serie
... Kolja van Horne ...
... über »Lassiter«, seine Romane und die Serie
: Indem man dreißig bis vierzig Manuskriptseiten schreibt und sich damit beim zuständigen Redakteur als Autor bewirbt. Dabei sollte man bestimmte Regularien einhalten, was Schriftgröße und -art, Zeilenlängen und -anzahl pro Seite angeht. Und es kann hilfreich sein, nicht nur schreiben zu wollen, sondern es auch zu können.
Wenn du aber fragen wolltest, warum man Heftromanautor wird… Was mich angeht, hat sich die Gelegenheit ergeben, mit dem Schreiben von Geschichten Geld zu verdienen. Und die habe ich beim Schopf ergriffen.
: Hunderte! Ich habe schon mit vier Jahren lesen gelernt und bereits in der Grundschule das komplette Oeuvre von Karl May verschlungen. Zu den Heftromanen kam ich dann so mit zehn oder elf Jahren. Das waren Lassiter, Lobo, G.F.Unger, aber auch viele Krimiserien wie Franco Solo, Kommissar X, Butler Parker … Perry Rhodan habe ich auch eine Weile verfolgt, obwohl mir die Zusammenhänge da irgendwann zu komplex wurden. Aber ich habe eigentlich seit der Sandkiste Bücher, unzählige Comics und Hefte verschlungen, als gäbe es kein Morgen – auf Jugendbücher folgten die klassischen Goldmann-Krimis mit den roten Umschlägen, dann kamen Science Fiction-Taschenbücher an die Reihe, und Fantasy - alles von Robert E. Howard war z. B. innerhalb weniger Monate weggesaugt. Ich war regelrecht süchtig nach Geschichten, und meine Mutter war ständig damit beschäftigt, mich mit genug Lesestoff zu versorgen, damit das Kind nicht unruhig wurde und auf dumme Gedanken kam.
: Geschichten habe ich bereits mit neun Jahren geschrieben, mit einem Pelikan-Füller in Schulhefte und mit selbst gezeichneten Titelbildern. Da gab es ganze Serien, die hießen TARGO KOLTA und BARRY WOODS, und nicht nur die Titel hatten viele Großbuchstaben und Ausrufezeichen. Die Auflage lag immer bei einem Exemplar und die Leserzahl nur ein wenig darüber.
: Ich glaube nicht, dass es heute anders ist als vor vierzig Jahren – wenn man hauptberuflich vom Schreiben leben will, muss man einen ziemlich großen Output haben. Es gibt ja Autoren, die tatsächlich von morgens um neun bis abends um fünf jeden Tag an der Maschine sitzen. Davor habe ich großen Respekt, aber von so einem Pensum bin ich weit entfernt. Deshalb macht das Schreiben nur einen Teil meines Lebensunterhalts aus, und ich schreibe bis dato auch ausschließlich Lassiter. Hauptsächlich verdiene ich mein Geld als Illustrator und Kommunikations-Designer.
: Hm, das sind eine Menge Fragen auf einmal.
In den aktuelleren Lassiter-Romanen gehen die Sex-Szenen meiner Meinung nach schon weit über die Bravo-Fotolovestories hinaus, an die ich mich noch aus meiner Jugendzeit erinnere. Was mich im Übrigen auch überrascht hat, als ich vor dem Einstieg in die Serie mal ein paar neuere Hefte gelesen habe. Was du meinst, trifft wohl eher auf die älteren Hefte zu – die ich mit elf trotzdem schon sehr gewagt fand (grinst). Heutzutage wird vieles realistischer und manchmal auch detaillierter beschrieben, die Sprache ist moderner geworden. Von „weichgespült“ kann daher meiner Meinung nach keine Rede sein, obwohl die Grenzen des Jugendschutzes beim Heftroman, der offen über die Kiosk und Supermärkte geht, ziemlich eng gesteckt sind. Im Taschenbuch im Ständer daneben geht es viel härter zur Sache – nicht ganz nachvollziehbar, aber so liegen die Dinge nun einmal.
Zu wenig Western? Was ist damit gemeint? Damit kann ich erstmal nichts anfangen … würde mich aber interessieren, was du damit meinst.
Das US-Original (meinst du da die ersten Hefte?) kenne ich nicht. Dabei handelt es sich ja nur um die ersten fünfzehn Hefte der Serie, oder? Ich weiß nur, dass ein paar Jahre später, als die Serie bereits von deutschen Autoren fortgeschrieben wurde, wegen einer drohenden Indizierung eine grundsätzliche Neuausrichtung der Hauptfigur vorgenommen wurde. Weil Lassiter ursprünglich ja eine Art Jesse James war, der als Outlaw die Wells Fargo drangsaliert. Heute steht er eindeutig auf der Seite der vermeintlich „Guten“, was ich aber immer wieder etwas zu brechen versuche – zum Beispiel, indem ich die Brigade Sieben als Regierungsbehörde darstelle, die nicht immer hehre Ziele verfolgt und auch korrupte Leute in ihren Reihen hat. Bei mir hinterfragt Lassiter auch regelmäßig seine Missionen und hadert mit deren Auswirkungen. Zum Beispiel in „Annie Two-Guns“, als er eine Bande zur Strecke bringen muss, die gegen einen Ausbeuter zu Felde zieht, um Armen zu ihrem Recht zu verhelfen.
: Das hat sich dadurch ergeben, dass ein guter Freund von mir – der Autor und Übersetzer, der unter dem Pseudonym Marten Veit in den 90er Jahren auch für „Die Abenteurer“ geschrieben und bisher einen Lassiter-Roman verfasst hat – mir den Tipp gab, mich bei Michael Schönenbröcher zu bewerben, weil zu der Zeit (Ende 2014) Autoren für die Serie gesucht wurden. Ich kannte Mike noch aus Abenteurer-Zeiten, weil ich damals während meines Studiums die Innen-Illus für die Serie gezeichnet habe. Daher traute ich mich, ihm ein Exposé und die erwähnten vierzig Probe-Seiten zu schicken – und war kurz darauf Lassiter-Autor.
: Ich finde ziemlich viele Dinge lustig, das können manchmal auch abgetrennte Füße sein. Persönlich mag ich die Heute Show, Böhmermann und derzeit vor allem Donald Trump.
: Indem ich mich selbst nicht langweilen will.
(Grinst): Also, niemand interessiert sich dafür, wenn die handelnden Personen zur Toilette gehen oder sich morgens ihr Frühstück zubereiten, wenn das für die Geschichte keine Relevanz hat. Schon gar nicht, wenn nur 65 Seiten zur Verfügung stehen. Derartige Kürzungen oder Verdichtungen der Realität finden aber nicht nur in Heftromanen, sondern generell in der Literatur statt (Marcel Proust einmal ausgenommen). Das hat weniger mit Realismus zu tun als mit der Aufgabe, sich als Autor auf das Wesentliche zu konzentrieren, um den Leser nicht zu langweilen. Soll ich beschreiben, wie Lassiter Chili gegessen hat und danach das Klo auf dem Hinterhof aufsucht, um eine Stunde damit zuzubringen, das Zeug wieder aus seinem Darm zu befördern? Oder willst du stattdessen lieber erfahren, welchen Plan er entwickelt, um dem korrupten Sheriff auf die Schliche zu kommen?
Dass Lassiter über scheinbar unerschöpfliche finanzielle Mittel verfügt, ist zugegebenermaßen ein Umstand, der vieles leichter macht (und mich persönlich regelmäßig vor Neid erblassen lässt).
Zu diesem Thema kann ich eine großartige Graphic Novel (das hieß damals 1980 noch Comicroman) empfehlen: DAS GROSSE ABENTEUER von Milo Manara.
: Ein zyklisch aufgebautes Exposé wie beispielsweise bei Perry Rhodan oder auch bei Maddrax gibt es für Lassiter nicht, da es sich um Einzelabenteuer handelt.
Vorgegeben ist lediglich der Zeitraum, in dem die Geschichten spielen (Vom Ende des Bürgerkriegs, also 1865, bis spätestens 1890) und die Schauplätze, die aber nicht nur die USA umfassen, sondern theoretisch auch in Kanada oder Mexiko stattfinden dürfen. Es gibt darüber hinaus natürlich Fixpunkte wie die dem Justizministerium unterstehende Brigade Sieben als Auftraggeber, Lassiters Waffen (Remington-Revolver, Winchester-Karabiner und Parker-Gun) sowie seine Vorliebe für Pferde aus Armeebeständen, meistens Wallache. Darüber hinaus ist der Autor gehalten, den „One-Shot-Charakter“ der Serie zu beachten. Somit sollten keine Dinge passieren, die die Situation des Helden als unabhängigen Lonesome Wolf maßgeblich verändern – zum Beispiel, indem er Vater wird oder plötzlich eine Schwester hat.
: Jedem Autor ist selbst überlassen, ob er historische Details in die Handlung einfügt. Wenn er es macht, müssen sie aber natürlich auch stimmig sein.
Für mich persönlich macht dieser Aspekt durchaus einen besonderen Reiz aus.
Ich finde es beispielsweise wichtig, dass die Landschaft, real existierende Orte, Flora und Fauna überprüfbar authentisch sind, wenn ich sie in den Geschichten beschreibe. Dasselbe gilt auch für Waffen, Pferderassen, Kutschen und Kleidung, Baustile etc.. Das sollte aber nicht zum Selbstzweck werden.
: Ein Exposé sollte dem Begriff entsprechend auf dem Punkt sein und ist es im Allgemeinen auch – selten mehr als zwei Seiten, die den Plot grob umreißen, allerdings auch bis zum Finale gedacht. Das ist die Basis, auf der ein Roman mit dem Redakteur abgestimmt wird. Danach schreibe ich manchmal ein ausführliches Treatment, in der die Szenen und der dramaturgische Ablauf explizit festgelegt werden. Manchmal aber auch nicht. Das ist von Roman zu Roman verschieden und hängt auch ein wenig davon ab, wie komplex eine Handlung ist. Im Kopf ist die Geschichte eigentlich immer fertig, wenn das Schreiben beginnt. Es gibt höchstens mal Einzelszenen, die sich erst während des Entstehens ergeben.
: Das richtet sich nach dem Output des jeweiligen Autors. Man kann schwerlich einen Roman pro Woche von mir verlangen, wenn ich zwei Wochen oder mehr dafür benötige. Bei den Einplanungen kann man sich seine Termine aus den möglichen aussuchen, muss diese dann aber auch einhalten.
: Hahaha. Woher bekommen Sie Ihre Ideen? Douglas Adams hat darauf mal geantwortet: „Aus einem Versandhaus in Indiana“ (oder so ähnlich). Anfangs hatte ich einen ganzen Berg an Plots aufgetürmt, den ich erstmal abarbeiten musste. Das ist nun, da ich bereits an meinem zweiundzwanzigsten Lassiter schreibe, mehr oder weniger erledigt. Ich mache mir ehrlich gesagt keine Gedanken über die Zahl an bereits erschienenen Romanen, weil ich selbst ja in meinem gesamten Leben vielleicht hundert Romane der Kollegen gelesen (und fast alle bereits wieder vergessen) habe. Sondern ich blicke auf meine eigenen Geschichten zurück und versuche, mich nicht zu wiederholen. Außer, was liebgewonnene Nebenfiguren angeht, die ich gerne mal wieder auftauchen lasse wie gute Freunde und Feinde. Das sind zum Beispiel Howard Devon, eine Art „Cigarette Smoking Man“ in der Western-Version (L 2263, L 2288, L 2330) – ich liebe diesen Widerling, auch wenn er dem Krebs von Auftritt zu Auftritt immer weniger entgegenzusetzen hat. Oder Eddy Rothschild, der elegante Pokerspieler, dem Lassiter ebenfalls bereits zweimal begegnet ist (L 2243, L2330).
Grundsätzlich ist es hilfreich, quer zu denken und nicht in die üblichen Western-Schemata zu verfallen. Ich habe zum Beispiel von Anfang an meiner Vorliebe für Horror-, Krimi- und Thriller-Geschichten hemmungslos nachgegeben und diese Ideen dann in ein Westerngewand gekleidet. Das funktioniert prima, wenn man es richtig macht. Die Serie sollte ein bisschen unberechenbar sein, damit bleibt sie für den Leser – aber auch für die Autoren – interessant.
: Der heutige Lassiter ist sicherlich ein anderer als der aus den Anfängen der Serie. Dem Zeitgeist gemäß ist er intelligenter, auch in sozialer Hinsicht, und er muss mit weiblichen Figuren zurechtkommen, die eine ganze Ecke selbstbewusster daherkommen – womit er aber keine Probleme hat. Eigentlich sehe ich im Geist immer noch Clint Eastwood vor mir, aber eher im Stil von William Munny denn als Josey Wales. Wortkarg, männlich bis zum Machismo, aber auch empathisch und manchmal sensibel. Ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit, kritisch gegenüber Obrigkeiten, auch seinen Auftraggebern gegenüber. Freiheit ist ihm wichtig, er hat einen trockenen Sinn für Humor und ist immun gegen Schmeicheleien, wenn nicht sogar misstrauisch, falls sie geäußert werden. Der stetig voranschreitenden Zivilisation begegnet er mit Abneigung und fühlt sich in der einsamen Natur wohler als in Städten. Und natürlich ist er ein unruhiger Geist, der es nie lange an einem Ort aushält.
Romane von Kollegen lese ich immer noch ab und an, allerdings nicht mehr so häufig wie vor drei Jahren, als ich eingestiegen bin. Da gibt es vielleicht ein paar kleine Unterschiede in der Darstellung, doch das können die Leser wohl besser beurteilen.
: Es ist wohl klar, dass bei dem Konzept eines "Westerns mit erotischen Motiven" selbige enthalten sein müssen – dies aber nicht in übertriebenem Maße.
Wenn ich Lachkrämpfe bei den Szenen bekäme, die ich geschrieben habe, hätte ich keinen guten Job gemacht (grinst). Der Sex gehört bei Lassiter eben dazu, sollte aber in die Handlung eingebettet sein. Und ob alle Passagen dieser Art immer jugendschutzkompatibel sind, müssen andere entscheiden. Ich bin mir da manchmal nicht ganz sicher, aber deshalb gibt es ja eine Redaktion
: Das Thema finde ich spannend, glaube aber, dass der Verlag das bei Lassiter eher nicht forcieren würde. Die Serie ist von Anbeginn auf unabhängige Einzelstories angelegt, und horizontale Erzählstränge, auch wenn sie gerade so angesagt sind, machen es für die Autoren natürlich auch aufwändiger, weil mehr abgestimmt und berücksichtigt werden müsste. Gemeinsame Nebenfiguren würden dann ein Leben jenseits der eigenen Geschichten führen, und man müsste übergeordnete Handlungsbögen entwickeln.
: Eindeutig ja. Aber diese Zeiten sind leider vorbei.
: »No Goes« sind Lassiters Hochzeit, ein spätes Coming Out oder altersbedingte Potenzstörungen. Schlimm wäre auch eine Kugel im Kopf des Mannes der Brigade Sieben.
Derzeit empfinde ich die Entwicklung der Serie als recht aussichtsreich, soweit ich das beurteilen kann. Ich hoffe, dass sich die Experimentierfreude der Autoren und der Redaktion auch in den Verkaufszahlen niederschlägt und noch ein paar hundert Romane mit dem Großen Mann folgen werden.
Kolja van Horne: Meine Geschichten deuten ja vielleicht schon darauf hin: Thriller und Horror sind Gebiete, denen ich mich verbunden fühle, und es gibt einen halb fertigen Roman, der in diese Richtung geht.
: Schwer zu sagen, weil ich wenig gelesen habe. Vielleicht Jerry Cotton oder Maddrax.
: Te nada, muchacho.
Kolja van Horne
- bürgerlicher Name Thorsten Wilkens
- geboren 1965 in Mülheim/Ruhr, aufgewachsen in der Lüneburger Heide.
- Studium an der FH Hannover, 1998 Diplom für Kommunikations-Design.
- Selbstständiger Einzelkämpfer als Grafik-Designer, Comiczeichner und Illustrator unter dem Label ArteFact seit der Jahrtausendwende.
- Autor für LASSITER seit Band 2243 (Juli 2015).
Seitdem zwanzig veröffentlichte Romane:
Kommentare
Interessante, erfrischend überlegte Antworten. Eigentlich kann ich mich nur Feldese in seiner Meinung anschließen. "Van Hornes" Romane gehören momentan mit zum Besten, was die Serie zu bieten hat.
Wenn es nicht bei LASSITER bleiben soll, macht so ein wohlklingender Name durchaus Sinn, denke ich. ;0)
Danke an Andreas und Feldese für die positiven Feedbacks. Ich hoffe, auch für die anderen Besucher war das Interview erhellend und interessant.