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... Laura Flöter über: Wie viele Engel begleiten einen Menschen?

Laura Flöter... Laura Flöter über:
Wie viele Engel begleiten einen Menschen?

Ich hatte die Gelegenheit, mit Laura Flöter über ihren neuen Roman „Der Engelseher“ zu sprechen, der kürzlich im Fabylon-Verlag erschien. Wir haben uns über Dante und Stephen King, über Engel und Heavy-Metal, übers Schreiben und übers Malen unterhalten – also quasi über Luzifer und die Welt.

Dabei sind wir auch auf die Frage gekommen, wie viele Engel denn nun einen Menschen begleiten …

 

Der EngelsseherZauberspiegel: Auf deiner Webseite schreibst du, dass dich Stephen Kings Erzählstil beeinflusst hat. Da ich King (und vor allem seine Kurzgeschichten) sehr schätze, war mir das auf Anhieb sehr sympathisch. Stephen King vergleicht das Schreiben mit dem Entdecken und Freilegen eines Fossils. Seiner Meinung nach kann es beim Freilegen passieren, dass das Fossil Schrammen abbekommt, man muss sehr vorsichtig sein. „Der Engelseher“ ist dein erstes Fossil, das veröffentlicht wird. Bist du mit dem Freilegen zufrieden und stimmst du mit Stephen Kings Analogie überein?
Laura Flöter: Ich kann diese Analogie zumindest sehr gut nachvollziehen. Ganz 100% zutreffend finde ich sie allerdings nicht – denn ein Fossil ist ja Relikt eines vorübergegangenen Zeitalters, etwas, das ich nur wiederfinde und nicht selbst erschaffen habe. Diesen Aspekt auf eine Geschichte zu übertragen, die man entwickelt, wäre mir persönlich ein wenig zu mystisch; denn Erzählungen entspringen ja allein meiner Vorstellungskraft und existieren erst von dem Augenblick an, da ich sie irgendwie festgehalten habe. Vorher sind sie diffuse Phantasiegebilde. Ich vermute aber, dass King mit seiner Fossil-Metapher einen anderen Aspekt des Schriftstellerns beschreiben möchte, und darin stimme ich wirklich mit ihm überein: Manche Geschichten entwickeln eine ganz eigene Dynamik. Details fügen sich zu Strukturen zusammen, die man nicht vorausgeplant, die man vielleicht nicht einmal bedacht hat – und trotzdem entsprechen sie völlig der Logik der Geschichte. So, als seien sie schon immer da gewesen und hätten nur darauf gewartet, von mir entdeckt zu werden. Das ist einer der spannendsten Aspekte des Schreibens – oder musischen Schaffens überhaupt, und so etwas habe ich auch selbst schon oft erlebt. Das ist ein irres Gefühl!
Zum „Engelseher“ selbst: Ja, ich bin zufrieden mit dem, was ich 'freigelegt' habe – aber ich weiß auch ganz genau, dass da noch jede Menge 'unter der Erde' verborgen liegt! Ich konnte längst nicht alles 'heraufholen', was ich gefunden habe – das ist natürlich schade, aber die Vorgaben waren eben so, und man muss als Autor auch lernen, seine Geschichten entsprechend der Möglichkeiten, die man hat, zu gestalten.

Zauberspiegel: Von Stephen Kings Roman „Brennen muss Salem“ gibt es eine Jubiläumsausgabe, in der einige „geschnittene Szenen“ angehängt sind, die es aus verschiedenen Gründen nicht ins Buch geschafft haben. Gibt es bei deinem Engelseher auch fertige Szenen, die du nicht 'heraufholen' konntest, von denen du dich aber nur ungern verabschiedet hast?
Laura Flöter: Beim Entwurf der Handlung hatte ich die Umfangsvorgaben immer im Blick, deshalb war es nicht so, dass ich fertige Szenen streichen musste; stattdessen gab es Skizzen, die ich nicht ausführen konnte. Ich habe den Szenen je nach Inhalt und Bedeutung für die Handlung eine 'Prioritätsstufe' zugeordnet und dann beim Schreiben erst die ausgearbeitet, die tragend waren, dann die, die ausschmücken sollten. Da ich im „Engelseher“ sehr viel Stoff verarbeitet habe, fielen leider zwangsläufig Szenen-Entwürfe aus, die ich gern ausgeführt hätte, um noch hier und da etwas zu akzentuieren – beispielsweise die Entzweiung von Ezariel und Malach, aber genauso auch die Annäherung von Jeásh und dem dunklen Engel. Vielleicht kann ich diese Fragmente irgendwann in andrer Weise noch einmal verwenden.

Zauberspiegel: Hattest du neben den Vorgaben zum Umfang des Buches auch inhaltliche?
Laura Flöter: Inhaltlich gab es keine Vorgaben – bis auf die eine, dass die Liebe ein Teil der Geschichte sein sollte. Nachdem ich schon zugesagt hatte, kamen mir kurzzeitig Bedenken, denn ich habe nie einen Liebesroman gelesen, und Liebesfilme gehören auch nicht unbedingt zu meinem bevorzugten Genre...deshalb war ich mit dem Motiv kaum vertraut, und ich wusste nicht so richtig, wie ich das Ganze angehen sollte. Also fing ich einfach irgendwo mit der Geschichte an – die erste Szene, die ich schrieb, war Jeáshs Selbstmordversuch. Danach gewann die Liebe immer mehr an Bedeutung, und plötzlich war sie zum Leitmotiv geworden! Denn um seiner Aufgabe gewachsen zu sein, muss Ezariel etwas an Jeásh finden, das er lieben kann – aber mit der Liebe hat er eigentlich für immer gebrochen. Und Jeásh entwickelt Gefühle für den dunkeln Engel, den er doch fürchten sollte – denn eigentlich hatte Ezariel seit Jeáshs Geburt kein andres Ziel, als seine Seele für die Hölle zu gewinnen. Das ist der Ausgangspunkt für die Entwicklung der beiden Protagonisten – es geht also im Grunde um die Macht der Liebe, und ob sie wirklich jede Grenze überwinden kann.

Zauberspiegel: Du hast wie ich (allerdings zu einem anderen Zeitpunkt) bei Uschi Zietsch ein Schreibseminar besucht. Eine für mich faszinierende Erkenntnis des Seminars war, dass man nicht auf den Musenkuss warten muss – man kann die Muse auch bewusst herbeilocken. Wobei das nicht immer gleich gut klappt. Hattest du beim Schreiben Momente, in denen es nicht so gut lief?
Laura Flöter: Es gibt natürlich hin und wieder Tage, an denen die Worte einfach nicht so richtig wollen, und in jedem Text gibt es Stellen, die schwierig sind. Meistens liegt es aber daran, dass man nicht genau weiß, was man von seinem Text denn nun möchte – je exakter man ein Exposé vorab ausarbeitet, desto unwahrscheinlicher ist es, dass man wirklich 'steckenbleibt.' Insofern gibt es also verschiedene Möglichkeiten, die Muse 'herbeizulocken'. Zu wissen, wie man diese für sich nutzt, ist vor allem eine Frage der Praxis, die man hat. Letztlich muss man sich aber zugestehen, dass ein Text Resultat eines kreativen Prozesses ist, der seine eigene Dynamik hat. Dieser ist man zu einem gewissen Teil einfach unterworfen. Und außerdem hat wahrscheinlich jeder Künstler hin und wieder Zweifel an sich und seinem Werk – das gehört dazu, davon darf man sich nicht klein machen lassen. Krisen zeigen ja meistens an, dass etwas im Umbruch ist – man sollte sich selbst dann einfach die Zeit geben, die man braucht, um damit „fertig zu werden“. Insofern sind Krisen oft auch sehr produktiv. Sehr viel häufiger als eine echte Schreibkrise ist aber trotzdem, dass man einfach keine Lust hat, warum auch immer – und dann hilft oftmals einfach nur: Trotzdem schreiben, dann kommt die Lust von selbst. Oder, wenn man so will – die Muse. Und wenn nicht, wird man irgendwann merken: Es geht auch ohne sie!

Zauberspiegel: Würdest du gerne mal nach einem Exposé arbeiten?
Laura Flöter: Bei SunQuest, das ja meine erste offizielle Arbeit war, habe ich nach bereits nach Exposé gearbeitet, und das hat viel besser geklappt, als ich vermutet hätte! Zu einem großen Teil ist das mit Sicherheit auch Uschi Zietsch zu verdanken, die die Serie konzipiert und die laufenden Schreibprozesse von der ersten Silbe bis zum letzten Punkt betreut hat. Die Manuskripte fügten sich hinterher völlig nahtlos zueinander, das war wirklich faszinierend zu beobachten, obgleich jedes von einem andren Autor stammte. Von daher finde ich die Arbeit nach Exposé vor allem für Nachwuchstalente sehr lehrreich, denn man lernt unglaublich viel darüber, wie sich das professionelle Schreiben organisieren lässt. Das war eine Erfahrung, die ich jedem wünsche, der ernsthaft schreiben möchte!

Zauberspiegel: Uschi hat mir mal beim Schreiben einer Kurzgeschichte geholfen. Die Geschichte wurde zwar leider nicht veröffentlicht, aber ich habe aus der Zusammenarbeit sehr viel gelernt. Mit das Wichtigste sind stimmige Charaktere, denen man treu bleiben muss. Und dann ist es viel Arbeit, am Text zu feilen, bis alles passt. Wie viel Spaß macht dir dieser Teil des Schreibens?
Laura Flöter: Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass dieser Teil der Arbeit enorm wichtig ist. Ich überarbeite meine Texte mindestens drei Mal, bis alles stimmt: Bisher übersehene Doppelungen entfernen, noch einmal straffen, überzählige Leerzeichen entfernen, ggf. noch genauere Formulierungen finden – es sind letztlich nur mehr kosmetische Arbeiten, die erledigt werden müssen, aber die beeinflussen die Qualität eines Textes genauso wie die inhaltliche Gestaltung. Außerdem habe ich immer eine „Bugs-Liste“, wo ich alles notiere, was mir zwischendurch einfällt und geändert werden muss, und die will auch noch abgearbeitet werden. Von daher entspricht das Feilen ganz gut meiner Arbeitsweise – ich arbeite von 'grob' zu 'fein'. Ich könnte mich nur im Ausnahmefall mit dem detaillierten Ausschreiben einer Szene befassen, wenn ansonsten nicht einmal der 'Rohbau' steht. Also – ein Text hat sehr viele Stadien, die er durchmacht, ehe er fertig ist. Und ich glaube, sie machen mir alle in etwa gleich viel Spaß, weil ich verfolgen kann, wie mein 'Baby' fertig wird! Allerdings muss, was man als Autor am eigenen Text macht, in jedem Fall durch die Arbeit eines Probelesers und des Lektorats bzw. Korrektorats ergänzt werden. Sowohl beim „Engelseher“ als auch bei meinem Nachfolgerprojekt „Nirgendland“ merke ich – und genauso bei den Schreibwerkstätten, die du schon erwähnt hast – wie wichtig die Wahrnehmung eines Außenstehenden dabei ist. Und sowohl beim Probeleser als auch beim Lektorat/Korrektorat hab ich bisher riesiges Glück!

Zauberspiegel: Für mich war der Film „Himmel über Berlin“ sehr faszinierend. Die Idee, dass die Engel überall unter uns sind, uns zuhören, uns studieren. Das ist mir nachhaltig in Erinnerung geblieben und war quasi meine bisher intensivste Begegnung mit Engeln. Wann bist du das erste Mal Engeln begegnet?
Laura Flöter: Ich muss ehrlich sagen, vor dem „Engelseher“ habe ich mich mit Engeln eigentlich nur unter literaturwissenschaftlichen Aspekten befasst – als Motive in PARADISE LOST, im FAUST und in Dantes GÖTTLICHER KOMÖDIE, die den LUZIFER-Stoff verarbeiten. Dort habe ich zum Teil auch für den Hintergrund des „Engelsehers“ recherchiert: Luzifer wird zu einem komplexen Charakter, der mehr ist als die bloße Inkarnation des abstrakten Bösen – er wird mit Motiven und Motivationen ausgestattet. So wird das Böse greifbar und ist nicht mehr bloß eine hohle rhetorische Figur und abstrakte Antithese. Es wird zum Zündstoff und löst eine Kette von Ereignissen aus, die dann schließlich auch meine Hauptfiguren Jeásh und Ezariel betreffen.
Auf „Der Himmel über Berlin“ bin ich bereits ein paar Mal angesprochen worden. Ich kenne den Film nicht – aber dafür habe ich „Dogma“ gesehen, und die zynische Art von Loki und Bartleby könnte meine schwarzen Engel beeinflusst haben...

Zauberspiegel: Wenn du beim Recherchieren festgestellt hättest, dass dich das Thema nicht so interessiert oder es dich nicht inspiriert, hättest du es fallengelassen? Gab es einen Plan B?
Laura Flöter: Also, dass mich das Thema interessiert, wusste ich schon, ehe ich den Vertrag unterschrieben habe. Wahrscheinlich liegt es an meiner Lieblingsband ICED EARTH, einer Metalband. Die haben eine unglaublich geniale Platte gemacht, die SOMETHING WICKED THIS WAY COMES heißt, und eine andre, die DARK SAGA. In den Texten geht es u. a. um Engel, z.B. in den Songs PROPHECY und THE HUNTER. Die gehören zu meinen absoluten Lieblingssongs, ich kann die Texte bald mitsingen (nicht schön, aber selten...). Dunkle Engel haben mich schon immer begeistert – so auch John Miltons Satan in PARADISE LOST. Und im „Engelseher“ konnte ich alle meine Ideen dann endlich einmal umsetzen! Einen Plan B gab es von daher nicht – weil er überhaupt nicht nötig war.

Zauberspiegel: Nachdem ich schon mit „Himmel über Berlin“ in Erinnerungen geschwelgt habe, hab ich noch mal welche parat: Als Kind gefiel mir ein Hörspiel sehr gut, in dem ein Mensch in ein Bild buchstäblich hineingestiegen ist und fortan darin gelebt habt. Nun gut, diese Idee ist so selten nicht, Harry Potter hat sie beispielsweise aufgegriffen, und in der Tintenherz-Trilogie von Cornelia Funke steigen jede Menge Charaktere in und aus Büchern. Würdest du gerne in die Welt des Engelsehers steigen, wenn du könntest?
Laura Flöter: Äh – nein, lieber nicht. In der Welt des „Engelsehers“ ist die Endzeit angebrochen, es herrscht eine Stimmung wie zum Fin de Siècle. Die einen glauben (zumindest in der Stadt Toch Eleth, die die Kulisse für die Handlung ist), dass sie sich retten können, wenn sie den Weisungen der „Guten Hirtin“ folgen, der gottberufenen Herrscherin. Wer es sich dagegen leisten kann, überlässt sich Genusssucht und moralischem Verfall, um sich der Untergangsstimmung zu entziehen.
In Wirklichkeit sind die geistigen und weltlichen Oberhäupter der Stadt längst selbst vom Glauben abgefallen. Die Gottesfurcht ist nur noch Instrument, um die „Herde“ zu leiten. Die Rituale und Lehre, welche die Kirche in dieser fiktiven Welt ausführt bzw. vermittelt, werden zur Indoktrination der Massen missbraucht, und hinter allem wirkt die Inquisition als Terrorinstrument einer gewissenlosen Theokratin.
Die schwarzen Engel treiben gnadenlos den Tribut ein, den die Menschen ihrer Schöpferin schulden – Sühne für ihre Gedankenlosigkeit und den Missbrauch ihrer Mitmenschen.
Im „Engelseher“ habe ich diese Hintergründe bisher nur angedeutet, denn aufgrund der bereits genannten Vorgaben im Umfang habe ich mich auf Jeáshs Geschichte konzentriert; es war mir erst einmal wichtiger, ihn detailliert darzustellen. Aber vielleicht habe ich ja irgendwann noch einmal die Möglichkeit, Toch Eleth und seinen Glaubenswahn eingehender zu beleuchten!

Zauberspiegel: Auf deiner Webseite ist die Frage zu lesen, was sich die Leser von einer Fortsetzung wünschen würden. Hast du bewusst lose Enden eingefügt, um an ihnen anknüpfen zu können?
Laura Flöter: Wie ich bereits sagte – große Teile des 'Fossils' sind noch 'unter der Erde.' Es ist ja ohnehin unmöglich, alle Motive, Hintergründe und (Neben)Handlungen erschöpfend zu behandeln und dabei unter tausend Seiten zu bleiben! Es gibt da also auch bei meinem „Engelseher“ noch ganz viel, was ich gern über Malach, Ezariel und Jeásh erzählen würde. Ich habe schon einen Berg Notizen gemacht und weiß genau, wie die Geschichte weitergehen könnte. Wer weiß – vielleicht bekomme ich ja die Gelegenheit! Ich würde mich in jedem Fall sehr freuen, nach Toch Eleth zurückzukehren – auch, wenn es mir völlig reicht, Jeáshs Welt von meiner Seite des Bildschirms aus zu sehen...

Zauberspiegel: Wir haben uns vorhin über Stephen King unterhalten, lass uns bitte noch kurz einen anderen Autoren-Kollegen ansprechen: Du hast mal gesagt, dass du Michael Ende sehr magst und seine Texte für sehr einflussreich hältst. Das fand ich sehr schön. Leider ist Michael Ende relativ früh gestorben. Da er keine Kinder hat und seine Frau auch nicht mehr lebt, habe ich ein wenig das Gefühl, dass er heutzutage nicht mehr ganz so präsent ist, weil niemand so recht die Erinnerung an ihn pflegen kann. Wo siehst du seinen Einfluss heute, wo wirkt sein Werk nach?
Laura Flöter: Nun, es gibt ja beispielsweise die Phantastische Gesellschaft, die sein Andenken pflegt, und der Thienemann-Verlag unterhält nach wie vor eine Webseite über sein Leben und Wirken. Es gibt Schulen, die nach ihm benannt sind, Straßen, etc., das alles würdigt ihn natürlich als Künstler und als Menschen sehr. Was meines Wissens nach fehlt, und was sicherlich ganz in seinem Sinne wäre, wäre nur das Ausloben eines Michael-Ende-Preises für Phantastische Literatur – das würde nicht nur seine Bedeutung als Schriftsteller wiederspiegeln, sondern die literarische Gattung auch insgesamt aufwerten.
Sein Werk hat die Diskussion um Phantastik wesentlich beeinflusst – das wirkt bis heute nach. Ende hat als einer der Ersten klassische Märchenmotive neu gedeutet und in seinen Geschichten allgemein gültige Themen mit diesen gestaltet, wie z.B. Freundschaft und Selbsterkenntnis. Ich glaube, ihm ist wesentlich mit zu verdanken, dass die Phantastik zu ihrem literarischen Potential gefunden hat – und dass wir als Leser heute gewohnt sind, sie mit einem entsprechenden Anspruch zu lesen.

Zauberspiegel: Michael Endes Vater war Maler, er selber hat zum Beispiel seinen Roman „Momo“ selber illustriert. Da liegt die nächste Frage nicht fern: Du hast bereits Ausstellungen eigener Kunstwerke gemacht. Kannst du uns ein bisschen davon erzählen? Wie Michael Ende haben viele Künstler mehrere Begabungen, malen und schreiben und schauspielern und bildhauern zugleich. (Von den singenden Fußballern ganz zu schweigen!) Bist du eine malende Schriftstellerin oder eine schreibende Malerin? Oder noch was ganz anderes?
Laura Flöter: Hm, das ist eine gute Frage! Ich habe Kunst und Germanistik studiert, weil für mich beides immer von gleicher Wichtigkeit war – eine Zeitlang habe ich gedacht, ich müsste/sollte/würde mich irgendwann entscheiden, ob mir das Schreiben wichtiger ist oder das Malen, denn beides sind ja aufwändige Tätigkeiten, die viel Zeit fordern und anstrengend sein können. Aber irgendwie hat das nicht geklappt. Wenn ich das eine getan habe, hat mir das andere gefehlt – Zwickmühle! Zum Glück habe ich irgendwann herausgefunden, dass es etwas gibt, das beide Tätigkeiten vereint – das Phantastische! Wenn ich male, male ich Phantastik. Wenn ich schreibe, schreibe ich Phantastik. Also könnte man vielleicht am ehesten sagen: Ich bin eine Phantastin!
Deshalb habe ich mich entschieden, mich nicht zu entscheiden – oder die Idee entscheiden zu lassen, sagen wir so. Wenn mir ein Gedanke kommt, den ich gestalten möchte, weiß ich meistens auch gleich, ob eine Geschichte oder ein Bild die passendere Form wäre, um ihn festzuhalten, und darauf verlasse ich mich dann. Inzwischen ist beides irgendwie ineinander übergegangen. Für mich ist Schreiben wie mit Worten Bilder malen, und Malen ist wie mit Farben Geschichten schreiben.

Zauberspiegel
: Das klingt nach einem beneidenswert unabhängigen Leben als Künstlerin. Kannst du so frei von wirtschaftlichen Überlegungen entscheiden, was du als nächstes tust? Oder gab es für das Entstehen des Engelsehers auch finanzielle Gründe?
Laura Flöter: 'Unabhängig' ist man als Künstlerin nie – vor allem nicht von finanziellen Mitteln. Deshalb schreibe ich leider bisher nur nebenberuflich, aber wenn ich könnte, würde ich den ganzen Tag nichts andres machen! Nein, das ist nicht ganz richtig – meine Dissertation liegt mir auch sehr am Herzen, die möchte ich unbedingt voran bringen, und ich könnte mir auch nicht vorstellen, ohne meine Malerei zu leben. Sagen wir also: Das Schreiben ist meine Hauptnebenbeschäftigung. Für das Entstehen des „Engelsehers“ spielte das Geld deshalb überhaupt keine Rolle – und ich glaube, ich möchte auch nicht in die Situation kommen, mir ein Schreibprojekt nach der Bezahlung aussuchen zu müssen und nicht danach, ob es mir liegt.

Zauberspiegel: Da du gerade an deiner Dissertation arbeitest, wie sieht dann idealerweise später einmal ein typischer Arbeitstag bei dir aus?
Laura Flöter: Ein typischer Arbeitstag – hm, das ist nicht ganz einfach, ich glaube, dazu kann ich noch gar nicht viel sagen. Außer vielleicht: Er muss Platz lassen für alles, was ich gerne tue! Im Idealfall hat er natürlich sogar direkt etwas damit zu tun...

Zauberspiegel: Wenn ein Leser dieses Interviews schwankt, ob er sich den Engelseher kaufen soll. Womit würdest du ihn versuchen zu überzeugen, dass sich die Lektüre lohnt?
Laura Flöter: Als Autorin ist so etwas natürlich nicht ganz einfach zu beurteilen, man selbst ist ja stolz auf sein Werk und findet es toll, sonst hätte man es ja nicht so geschrieben, wie es ist. Deshalb beziehe ich mich hier ein wenig auf das, was mir von Leuten gesagt wurde, die den „Engelseher“ schon gelesen haben, und dabei kamen ein paar interessante Sachen heraus! Zunächst einmal gefiel wohl die psychologische Entwicklung der Figuren, die einen begründeten und nachvollziehbaren Wandel durchmachten. Das machte die Geschichte spannend unabhängig von der 'Action'. Dann war da das besondere 'Endzeit-Ambiente' einer gesellschaftlichen Dystopie. Wer Filme wie „Priest“ oder „Franklyn“ mag, dem wird auch Toch Eleth gefallen! Zuletzt kam dann natürlich noch die Liebe, die wirklich im Zentrum der Geschichte steht, aber nicht in dem Sinne, dass sie eben eine Liebesgeschichte ist, in der sich ein gewöhnlicher Mensch und ein übernatürliches Wesen finden, was man ja in letzter Zeit häufiger gelesen hat. Im „Engelseher“ geht es um die Liebe als kosmisches Prinzip, und zwar zwischen zwei männlichen Protagonisten. Das hat wohl insbesondere den Mädels gut gefallen...
Und sogar mehrfach erwähnt wurde die phantastische Bildsprache, die das alles bekleidet, vor allem die ungewöhnliche Interpretation der Engel (dazu kann ich aber gar nichts sagen, habe noch nie einen Engel-Roman gelesen...). Ich muss sagen, ich finde „meinen“ „Engelseher“ in diesen Beschreibungen wieder. Und deshalb hoffe ich, dass es dem zögernden Leser ähnlich ginge – und er sich entschließt, es mit meinem „Engelseher“ zu versuchen!

Zauberspiegel: Herzlichen Dank für deine interessanten Antworten. Ich wünsche dir und deinem Engelseher viel Erfolg! Eine Frage noch zum Schluss: Wenn ich die Gelegenheit habe, bitte ich Autoren beim Signieren gerne, doch einen Satz aus ihrem Buch dazuzuschreiben, den sie für typisch halten. Welchen Satz aus dem Engelseher würdest du nehmen?
Laura Flöter: Das ist eine wundervolle Idee – zur Signierung einen Satz, von Hand geschrieben, das hat Flair! Wenn mich jemand darum bitten würde, müsste ich nicht lange überlegen. Der Satz, den ich wählen würde, wäre: „In der Dämmerung gingen der Morgen- und der Abendstern für immer unter. Und von Stund an begleitete nicht ein Engel jeden Menschen, sondern zwei.“ Denn nach meinem Empfinden enthält er den Keim der ganzen Geschichte – das Dreigestirn des Sterblichen und seiner beiden Engel und den Hintergrund, vor dem das alles steht, das Zerwürfnis von Schwarz und Weiß und die Spaltung des Himmels. Deshalb finde ich ihn so bezeichnend für den ganzen Text.
Zum Abschluss möchte ich Dir für Dein Interesse und dieses tolle Gespräch danken – da waren sehr außergewöhnliche und anregende Fragen dabei, auf ein paar von denen wäre ich selber nie gekommen!

Kommentare  

#1 zeitkugel 2012-03-15 15:39
Schönes und sehr persönliches Interview!
Ich finde es übrigens auch bedauerlich, dass Michael Ende heute nicht mehr so präsent ist. Es wäre sicher von Vorteil, wenn es eine eigene Literatur-Gesellschaft unter seinem Namen gäbe, die sein literarisches Erbe pflegen würde und bekannter machen könnte.

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