Hasz, Robert - Der Herrscher der Seelen (gebunden)
Der Herrscher der Seelen
Die Geschichte der Erlebnisse des Stephanus am Pleso werden von Alberich von Langres erzählt, jenem Schüler, der immer sein Liebling war, und dem er seine Erlebnisse in jenem wilden und unchristlichen Land anvertrauen kann.
Gleichzeitig hat Alberich von einer zweiten Person die gleiche Aufgabe erhalten: Der Abt von St. Gallen, Virgil von Aquilea, der seit vielen Jahren im Kloster lebt und dort zum Vorsteher des Klosters aufgestiegen ist, weist ihn an für die Annales Sanctgallenses die Geschichte vom Märtyrertod des Stephanus im Land der Tyrken nieder zu schreiben.
Wie kann dies sein?! Stephanus berichtet Alberich seine Geschichte - muss also noch am Leben sein - und zur gleichen Zeit soll er "offiziell" den Tod für seinen Glauben erlitten haben? Dieser offensichtliche Widerspruch ist eines der Hauptthemen des Romans.
Die "Annales Santcgallenses" gibt es scheinbar in der Tat, ein Literaturkatalog der "Gesellschaft fur̈ ältere deutsche Geschichtskunde zur Beförderung einer Gesammtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichten des Mittelalters", veröffentlicht 1824, bezeichnet sie als ein "dreifaches Facsilime", das von St. Gallen aus an die Gesellschaft der dt. Geschichte geschickt wurde1. Ich bin allerdings sicher, dass man davon ausgehen kann, die Geschichte, die Robert Hasz in seinem Buch berichtet, dort nicht zu finden.
Alberich befindet sich in einem moralischen Zwiespalt. Er soll die christliche Heldengeschichte des Stephanus von Pannonien verfassen, die sich so gar nicht zugetragen hat, und schreibt gleichzeitig die wahren Erinnerungen des Stephanus im Osten nieder. Dies wird ergänzt durch seine eigenen Gedanken und die Auseinandersetzung mit den Widersprüchen, die ihn am Ende zur Lösung dieser seltsamen Geschichte führen.
Die drei Erzähllinien ziehen sich durch das gesamte Buch und verwirren und entwirren sich in stetem Wechsel.
Das Wissen um diese Widersprüche und die Auseinandersetzung mit den verschiedenen auftauchenden Fragen, machen das Buch zu einem historischen Roman mit Krimianalspekten und einem Fall im Fall im Fall im ...
Unwillkürlich dachte ich immer wieder an Ecos Namen der Rose, unvermeidlich, wenn man einen solchen Grundhandlungsfaden heutzutage liest. In manchem erinnerte die Art wie Alberich von seinen eigenen Sünden berichtet, so zum Beispiel von seiner unerlaubten Liebesbeziehung zu einer Magd des Klosters, an die Berichte von Adson von Melk. Auch eine Rose taucht auf, wenn auch hier deren Bedeutung erklärt wird. Ob dies Absicht des Autoren war um Fans des Romans von Eco zum Kauf zu bewegen?
Stephanus bricht auf, ergeben in den Willen Gottes, begleitet durch nichts weiter als einem nicht-christliches Amulett und einer Botschaft des Papstes für den tyrkischen Großfürsten, die nur im Gedächtnis des Stephanus existiert - etwas Schriftliches hat er nicht erhalten.
Nun widmete ich mich der nicht ganz einfachen Aufgabe, die tyrkische Kleidung anzulegen. Am meisten zu schaffen machte mir die Hose, bei der ich vorne und hinten nicht unterscheiden konnte, doch schließlich fand ich mich mit all den Knöpfen und Bändern zurecht. Hemd und Weste hingen mir bis zum Knie, waren dafür am Bauch zu eng, die ausgelatschten Rohlederstiefel waren zu groß. (...) Als Ordensbruder ist man es nicht gewohnt, beim Gehen die eigenen Beine zu sehen, und ich hatte das Gefühl, ich wäre plötzlich in den Besitz ganz neuer Körperteile gekommen. (S. 72)
Die Geschehnisse um Stephanus werden immer irritierender. Er versteht die Sprache der Tyrken, die ihn kurz hinter der Grenze gefangen nehmen, das Amulett sorgt für ebenso großes Aufsehen. Mit einem Mal wird seine ungeklärte Herkunft zu einem zentralen Thema: Von den Mönchen St. Gallens hatte er vor über sechzig Jahren den Beinamen "Pannonius" (der aus Pannonien stammende) erhalten. Dies deutete sein Leben lang darauf hin, dass man damals annahm er sei aus der Region des östlichen Ungarns gekommen.
Schritt für Schritt gerät der arglose Mönch Stephanus Pannonius in eine verwirrende Welt tyrkischer Stämme und Machtansprüche, die sich zunehmend mit denen von Byzanz und denen der westlichen Völker verbinden.
All dies erfährt Alberich und kann nicht anders als die Geschichte aufzuschreiben. Er beginnt selbst zu forschen, liest in den Annalen des Klosters St. Gallen nach Hinweisen auf die Herkunft von Stephanus und stellt fest, dass Virgil, der Abt des Klosters, in die Sache tiefer verwickelt ist als er zunächst angenommen hat.
Und alles deutet darauf hin, dass die (geschichtlich verbürgte) Ermordung des tyrkischen Fürsten Kurszans bei einem Aufenthalt bei bairischen Gesandten im Jahre 904 eine zentrale Rolle spielt.
Nach dem Lesen der letzten Absätze legte ich das Buch mit einem Seufzen und vielen Papierstreifen als Markierung zwischen den Seiten erst einmal beiseite. Die Streifen sollten mir als Gedächtnisstütze beim Verfassen der Rezension - und dem Nachforschen zu den Inhalten des Buches - dienen. Es waren bei der letzten Zählung um die fünfzehn, ohne jene Fragen, die ich bereits beim Lesen dank der unendlichen Weite des Webs zu beantworten versucht hatte.
Es war eine sehr besondere Idee von Robert Hasz, die Hauptperson in dieser Art und Weise in einen Teil der ungarischen Geschichte eintauchen zu lassen. Er wird so mehr als ein bloßer Beobachter - und der Leser ein sehr intimer Beobachter ungarischer / magyarischer Mystik und Geschichte. Dieser eher unbekannte Teil mittelalterlicher Geschichte und Völker macht das Buch so interessant.
Gleichzeitig strotzt das Buch nur so von Informationen und Fakten, die man nur mit Mühe nachverfolgen und noch schwerer recherchieren kann, da es teilweise doch erhebliche Unterschiede in den Namensgebungen gibt. Mir fehlte eine (ausführliche) Erläuterung der tatsächlichen geschichtlichen Basis in Abgrenzung zu den literarischen Freiheiten, ein paar weitere Worte zum geschichtlichen Hintergrund mehr als die wenigen Jahreszahlen und evtl sogar ein Glossar. Zweifellos hätte dies dem Buch etwas von seinem Romancharakter genommen und dafür gesorgt, dass man ständig nach hinten und wieder nach vorn blättert, jedoch für ein tieferes Verständnis der geschilderten Geschichte und Mythen gesorgt. Geblieben sind nach der Lektüre mehr Fragen als Antworten zur Geschichte Ungarns und seiner Völkerstämme, aber viel Neugierde auf mehr Informationen darüber.
1 "Archiv
der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde zur Beförderung
einer Gesammtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichten der
Mittelalters ..." 1824