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Die Bewandtnis mit Atlantis: 3. Der archäologische Befund - Was man von Kuh und Katze lernen kann

Die Bewandtnis mit Atlantis3. Der archäologische Befund
Was man von Kuh und Katze lernen kann:
Religionen in der Steinzeit

Als Insel im Meer ist Atlantis Poseidon geweiht (zumindest laut Plato). Ihm sollen die wichtigsten Tempel gewidmet gewesen sein. Nun kann man nicht davon ausgehen, daß dieser Gott zu dieser frühen Zeit schon einen griechischen Namen getragen hat, aber das ist kein Widerspruch, pflegten die alten Hellenen doch, die Götzen anderer Völker mit eigenen gleichzusetzen (interpretatio graeca).

 

Doch wenn Atlantis ein mächtiges Königreich gewesen sein soll, das bis weit ins Mittelmeer hinein Eroberungen gemacht hat, wäre es da nicht zu erwarten, daß zumindest einige der unterworfenen Stämme auch die Religion ihrer neuen Herrscher übernommen hätten?

Schon in der Altsteinzeit lassen sich Spuren magischer Praktiken nachweisen. Da sind zum einen die Jagdzauber, die für Wildbeuter und Sammler sehr wichtig sind. Die Höhlenmalereien stellen sehr oft Szenen dar, in denen Tiere der damaligen Zeit von Menschen erlegt werden – Hier kann man von der Beschwörung eines künftigen Jagderfolges ausgehen.

Mit der Nacheiszeit lassen die Höhlenmalereien nach, aber rituelle Praktiken sind auch von den Menschen der Mittelsteinzeit überliefert, den Mesolithikern. Beispielsweise kennt man von der Hamburger Kultur ein mit Steingewichten im See versenktes Ren, was nur als Opfergabe gedeutet werden kann.

Die Schädelmasken der Maglemose- Kultur dienten wiederum der Beschwörung einer erfolgreichen Jagd. Nicht selten trugen sie Geweih, obwohl das Rotwild in der Hauptsaison nicht geweihtragend war, so daß sie wohl nicht zum Anpirschen genutzt worden sind.

Zum anderen aber gab es auch das Mysterium der Fruchtbarkeit. Die sogenannte „Venus von Willendorf“ ist wohl das bekannteste Beispiel kleiner Statuetten, bei denen Frauen mit deutlichen Merkmalen der Schwangerschaft (dicker Bauch, schwere Brüste) dargestellt worden sind. Sie fungierten wohl als magisches Idol, um bei der Trägerin eine Empfängnis zu bewirken. Eventuell kannte man weiland noch nicht den Zusammenhang zwischen Geburt und Sex (Ja, auch zum letztgenannten Thema gibt es Höhlenmalereien).

Mit der Seßhaftwerdung läßt sich im Nahen Osten ein Fortschritt erkennen. So enthielten die genormten Häuser von Çatal Hüyük jeweils einen abgetrennten Bereich, der als Schrein genutzt wurde. Hier fanden sich Figuren von Frauen im Augenblick ihrer Niederkunft. Manche sitzen auf thronartigen Stühlen, deren Lehnen von Katzen (Löwen? Höhlenlöwen? Leoparden?) gebildet werden.

Katzen stehen immer wieder für die Fertilität, so bei den alten Ägyptern. An der Stelle des untergegangenen Troia VIIb gab es früh im ersten vorchristlichen Jahrtausend den Tempel eines Fruchtbarkeitskultes, in dem Löwen gehalten wurden. Und Katzen ziehen sowohl den Wagen der griechischen Aphrodite, als auch den der germanischen Freya.

Noch häufiger aber tauchte in Çatal Hüyük das Motiv des Stieres auf, mal als Kopf, mal als Horn, mal als Beobachter der Geburt, und mal an Stelle des Säuglings. Das männliche Rind erfreute sich insbesondere in der Bronzezeit großer Beliebtheit als Sinnbild für Zeugungskraft. Wohl in Ablösung alter Jagd- und Initationsriten, gilt der Kampf mit dem Tier vom alten Kreta bis zum heutigen Spanien als Ritual der Männlichkeit. Ja, unsere Vokabel „Auerochse“ bedeutet eigentlich „potenter Ochse“, was nur nach dem heutigen Wortsinn einen Widerspruch darstellt.

Kühe gehören zu den früh domestizierten Nutztieren. Schaf, Schwein und Ziege wurden etwa um 7000 v. Chr. im nahen Osten erstmals von den Bauern gehalten; das Rind folgte nur wenig später. An den Gestaden des Schwarzen Meeres war es schon vor 6700 v. Chr. gehalten worden. Von Zypern (Khirokitia) kennt man ein 8000 Jahre altes Katzenskelett, ohne daß die Wildkatze dort jemals heimisch gewesen ist (Das heißt, das Tier muß vom Menschen dort hingebracht worden sein). Spätestens dem Viehzüchter und dem Ackerbauern mit Mäuseproblem dürfte aufgegangen sein, daß der Trächtigkeit stets eine Brunft bzw. Rolligkeit vorausgeht.

Freilich läßt sich Gleiches auch beim Hund beobachten, dem ältesten Gefährten des Menschen. Aber wer eifrig bei der Jagd hilft oder den Hof bewacht, den bringt man wohl nicht in erster Linie mit der Fortpflanzung in Verbindung.

In Europa kam als weiteres Symbol das Wasser hinzu, eventuell weil eine regelmäßige Bewässerung den Ernteertrag steigert. Bewässerungskanäle kennt man zu dieser frühen Zeit zwar nur von der nordsyrischen Halaf- Kultur, deren Blütezeit in die Epoche zwischen 5200 und 4000 v. Chr. fällt, aber regelmäßig überflutete Flußufer wurden auch anderenorts bevorzugt zur Aussaat genutzt. Darüber hinaus übernahmen auch Wasservögel eine Rolle als Personifikationen der Fertilität.

Gleiches galt auch für Frösche und Kröten. Hier war aber wohl weniger ihre amphibische Natur von Bedeutung, als die Stellung ihrer Hinterbeine. Die nämlich erinnerte zum einen an die Position beim Gebären. Außerdem haben gespreizte Schenkel wohl auch damals schon die Phantasie der Männer angeregt.

Dominant aber blieben die Frauendarstellungen, teilweise auch abstrakt in Form eines Schamdreiecks. Inzwischen läßt sich nachweisen, daß aus der simplen Darstellung einer schwangeren Frau spätestens im siebten vorchristlichen Jahrtausend im Zweistromland eine „Große Göttin“ geworden ist. „Damals gab es noch keine Götter, sondern nur eine Göttin: Die Liebe!“, hat der griechische Philosoph Empedokles (500 – 430 v. Chr.) geschrieben, und damit gewiß nicht Unrecht gehabt. Aber sie stand nicht nur für die Fruchtbarkeit; wohl durch Verschmelzung mit älteren Götzen hatte sie auch die Funktion als „Mutter Erde“ und Behüterin des Heimes. Die Wissenslücken der Folgezeit verbieten jedoch eine gesicherte Verknüpfung früher Göttinnen dieser Region (Uttu? Ninkasi? Ninurra? Nisaha? Inanna?) mit ihrer möglichen Ahnherrin.

Männliche Götzen tauchen erst allmählich auf, und der Größe nach sind sie vermutlich von untergeordneter Bedeutung gewesen. Man kennt einen Jüngling mit Erektion, aber auch einen älteren Herrn mit gütigem Gesichtsausdruck, der als eine Art Gevatter Tod interpretiert wird.

Eine Änderung der Verhältnisse ist erst im dritten vorchristlichen Jahrtausend festzustellen, verbunden mit dem Eindringen der Kurgan- bzw. schnurkeramischen Kulturen. Diese halbnomadischen Hirten brachten einen patriarchalischen Pantheon unter einem Himmels- und Schöpfergott mit, der sich überall dort festsetzte, wo sie oder ihre Nachfahren hinkamen und einheimische Gemeinschaften assimilierten. Dabei kam es oft zu einem Nebeneinander von alten und neuen Vorstellungen. Vielleicht ist es die germanische Mythologie, welche diesen Zustand am deutlichsten bewahrt hat. In ihr gab es zunächst die bodenständigen Vanen, namentlich die Erdmutter Nerthus und das gleichfalls für Fruchtbarkeit stehende Geschwisterpaar Freyr und Freya. Die Asen (Odin, Thor, Tiuz) sollen als kriegerische Eroberer gekommen sein, haben sich aber schließlich mit den Vanen arrangiert.

Freilich können der Entstehung von Legenden mannigfaltige Einflüsse zugrunde liegen, bis hin zu prophetischen Träumen, so daß sie mit Vorbehalt betrachtet werden müssen. Zumal zwischen den Schnurkeramikern und den Germanen Jahrtausende liegen.

Tiuz auf jeden Fall war ein uralter Himmelsgott, der bei vielen indogermanischen Völkern unter seinem ursprünglichen Namen überlebt hat. Bei den Indern hieß er Dyaeus, bei den Griechen Zeus, und auch das römische „Deus“ ist auf ihn zurückzuführen. Unser Dienstag ist nach ihm benannt.

Wo aber bleibt bei alledem Poseidon?

Der ist aller Wahrscheinlichkeit nach kein Indogermane; das zeigt sich eventuell schon daran, daß er der Bruder des Göttervaters Zeus ist, und nicht etwa sein Sohn oder gar Enkel.

Herodot zufolge soll er libyscher Herkunft sein. Ihm unterstand das Wasser im Allgemeinen, sowohl das des Ozeans, als auch das Fruchtbarkeit spendende auf den Feldern. Letzteres mag ihn mit den Fruchtbarkeitskulten der Jungsteinzeit in Verbindung bringen, muß es aber nicht.

In eine ähnliche Richtung weist auch der Brauch, ihm Stiere zu opfern. Außerdem ließe sich seine Affäre mit der Erdmutter Gaia als „Hochzeit von Ackerboden und Bewässerung“ interpretieren.

Damit müssen die religiösen Praktiken von Atlantis auf eine sehr ferne Vergangenheit weisen. Das gilt auch für den Brauch der Könige, am Lagerfeuer Recht zu sprechen. Die Pferderennbahn dagegen – sofern sie überhaupt einem religiösen Zweck, und nicht allein dem Vergnügen dient – kann erst nach der Domestikation der Tiere entstanden sein. Da sie jedoch im äußersten Osten des Kontinents heimisch gewesen sind, dürften sie den äußersten Westen erst sehr, sehr spät erreicht
haben.

 

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