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Die Bewandtnis mit Atlantis: 3. Der archäologische Befund - Städte der Jäger und ein Garten Eden...

Die Bewandtnis mit Atlantis3. Der archäologische Befund
Städte der Jäger und ein Garten Eden: Der Nahe Osten

Wie stellt man sich den Garten Eden vor? Als einen Ort, an dem die ersten Menschen lebten und sich um nichts Sorgen zu machen brauchten. Überall wuchs Nahrung im Überfluß, und kein Tier tötete ein anderes. Das Alte Testament hat erstaunlicherweise recht wenig Probleme damit, ihn zu lokalisieren. Es macht ihn nicht etwa im Himmel aus, sondern östlich des Euphrats. Nun haben weder die Sumerer, noch die Akkader, Babylonier oder Assyrer in einer paradiesischen Umgebung gelebt, aber trotzdem hat die Bibel nicht ganz unrecht.

 

Es war Anatolien, wo die Kulturgeschichte der Menschheit ihren Anfang genommen hat. Schon um 10.000 v. Chr. ging man hier vom Mesolithikum (Mittelsteinzeit) der Jäger und Sammler über zum Neolithikum (Jungsteinzeit) der Ackerbauern und Viehzüchter. Zum Vergleich: In Norddeutschland ging seinerzeit gerade die Eiszeit zu Ende, und die den Rentieren folgenden Nomaden fanden eben erst vom Paläolithikum (Altsteinzeit) ins Mesolithikum. Allerdings befand sich diese frühe Form der Landwirtschaft noch im Experimentierstadium, und stellte eigentlich mehr eine Art seßhaften Wildbeutertums dar. Noch über lange Zeit kam es vor, daß man diese neue Daseinsart einfach wieder aufgab, und zur mittelsteinzeitlichen Lebensweise zurückkehrte.

Derzeit wird weiterhin darüber diskutiert, ob das Neolithikum nun an den südlichen Gestaden des Schwarzen Meeres aufgekommen ist, und sich von dort bis nach Syrien ausbreitete, oder umgekehrt. Bereits im neunten und achten vorchristlichen Jahrtausend wurde man südlich des Schwarzen Meeres seßhaft. Orte wie Can Hasan und Suberde beherbergten einige hundert, Çatal Hüyük sogar einige tausend Einwohner. Letzteres lag etwa im Überschneidungsbereich von Syrischem und Schwarzmeer- Einfluß.

Ab dem siebten Jahrtausend vor Christus kennt man auch von dort, wo der Garten Eden gelegen haben soll, erste Siedlungen. Sie lagen freilich nicht nur östlich des Euphrats, sondern über große Teile des Fruchtbaren Halbmonds verteilt, bis hinunter nach Palästina. Jericho, Abu Hureya, Al Natuf und das 2000 Seelen beherbergende ‘Ain Ghazal sind hier die prominentesten Fundstätten. Die Bewohner dieser frühen Siedlungen scheinen dabei ein ausgesprochen bequemes Leben geführt zu haben. Ackerbau stellte damals offenbar noch keine Notwendigkeit dar, lieferte die Natur doch Nahrung im Überfluß. In Abu Hureya konnte man die Samen von 157 verschiedenen Wildpflanzen nachweisen, die alle auf dem Speiseplan gestanden haben. Es scheint noch nicht einmal nötig gewesen zu sein, Vorräte anzulegen, so daß auch die Keramik noch nicht erfunden war. Allerdings lassen anthropologische Untersuchungen darauf schließen, daß man schon viel Zeit mit dem Mahlen von Getreide verbracht hat.

Auch läßt es sich nicht ausschließen, daß man seine Umwelt bereits gärtnerisch gestaltet hat, und sei es auch nur nach Art der australischen Aborigines, weniger begehrte Pflanzen zu verbrennen, und den Wuchs beliebterer zu fördern.

Hinzu kommt, daß man diese Orte an den Wanderrouten der Antilopen angelegt hat, so daß man regelmäßig im Mai, wenn die Kälber geboren wurden, nur abzuwarten und ohne große Mühe zu jagen brauchte. Çatal Hüyük stellte im Grunde genommen eine bewohnte Gazellenfalle dar, bei der die Tiere durch den Verlauf der Mauern in einen Engpaß gelotst wurden.

Die Mauer von Jericho dagegen diente ohne Zweifel der Verteidigung: So ganz friedlich scheint das Leben auch damals schon nicht verlaufen zu sein.

Immerhin fand man die Muße, sich ausgiebig der Kunst und der Herstellung von Schmuck zu widmen. In Çatal Hüyük hatte jede der standardisierten Hauszellen des Pueblo- artigen Wohnkomplexes einen abgetrennten Kultbereich, und auch Wandmalereien waren en vogue.

Wenn man in dieser Epoche nach einer Zivilisation suchen möchte, die allen anderen weit überlegen gewesen ist, so wird man sie am ehesten hier finden. Freilich ist der Nahe Osten nun wirklich nicht „jenseits der Säulen des Herakles“. Auch ist Abu Hureya zwar in einem Stausee versunken, aber das erst lange nach Platos Zeit. Auf einem versunkenen Eiland hat keine der genannten Stätten gelegen.

Um 6150 v. Chr. setzte dann auch ganz allmählich die Vertreibung aus dem Paradies ein, aber dabei ging keine Insel unter, sondern das Klima wurde kälter. Die frühe Metropole Çatal Hüyük, die für ungefähr ein Jahrtausend bewohnt gewesen war, wurde urplötzlich verlassen. Vermutlich haben sich die niedrigeren Temperaturen auf den Pflanzenwuchs ausgewirkt, und da die Antilopen die Richtung ihrer Wanderungen nach dem Nahrungsreichtum ausrichten, dürften sie ihre Route geändert haben. Den Bewohnern der Stadt lief das Fleisch auf einmal nicht mehr von selbst in die ausgestreckten Arme.

Um 5800 v. Chr. kam es dagegen wieder zu einer Erwärmung, und weite Teile des zuvor fruchtbaren Mesopotamiens trockneten zur Wüste aus. Ausbleibende Regenfälle und verkarstende Böden vertrieben die Bewohner, daß selbst so florierende Siedlungen wie das nordsyrische Haçilar († ca. 5500 v. Chr.) aufgegeben werden mußten.

Wellen von Flüchtlingen strömten nord- und westwärts, auf der Suche nach besseren Bedingungen zur Landwirtschaft. Dabei verbreitete sich auch ihre Lebensweise: Zwischen 7000 und 6500 v. Chr. ging man bereits in der Ägäis und dem Westufer des Schwarzen Meeres dazu über, den Boden zu bestellen. Von dort aus sickerten die neuen Praktiken langsam landeinwärts, verstärkt erst durch den Ansturm an Einwanderern. Vinča zum Beispiel wurde um 5500 v. Chr. auf noch unbearbeiteter Scholle gegründet. Dafür ging die Ausbreitung auf dem Seeweg rascher vonstatten: Zwischen 6100 und 5500 v. Chr. gab es im westlichen Mittelmeer die ersten Bauern, gegen 5500 v. Chr. in Süd-, und um 5200 v. Chr. in Mitteldeutschland (siehe weiter unten im Kapitel über die Bandkeramiker).

Diejenigen, die im Zweistromland blieben, wichen zurück zu den Oasen und Flüssen. In der zweiten Hälfte des sechsten Jahrtausends erfand man hier die künstliche Bewässerung der Felder (Samarra- Kultur in Nord- Mesopotamien und vor allem die Halaf- Kultur in Nord- Syrien). Auch das Rad ist hier zum ersten Mal nachgewiesen. Der Süden des Zweistromlandes blieb für eine Weile noch im Schatten des Nordens: Die dortigen Ubaid- Leute (circa 5000 – 4200 v. Chr.) standen ganz unter dem Einfluß der Samarra- Kultur. Ursprünglich waren sie – genetischen Untersuchungen an Skeletten zufolge – wohl aus dem Westen Georgiens eingewandert, doch hatten sie sich schon bald mit den Ureinwohnern ihrer neuen Heimat vermischt. Hinzu kam, daß das Vordringen der Wüsten überall im Fruchtbaren Halbmond für einen Zustrom von Flüchtlingen sorgte, die für eine weitere Vermengung der Sprachen und Traditionen sorgte.

Interessant ist, daß sich bei der Verzierung der Keramik bis ins Detail ähnliche oder gleiche Stilrichtungen und Motive zwischen der Halaf- und der Vinča- Tordos- Kultur feststellen lassen. Dies läßt den Schluß zu, daß es in der Mitte des sechsten vorchristlichen Jahrtausends Handelskontakte zwischen Donau und Tigris gegeben haben muß, die intensiv genug waren, um auch für einen Austausch von Trends und Ideen zu sorgen. Freilich hielt sich dieser Transfer in Grenzen, gelangte doch beispielsweise das Wissen, Kanäle anzulegen, nicht nach Europa. Allerdings hätte man an der feucht- warmen Schwarzmeerküste wohl die Vorteile einer solchen Maßnahme auch nicht erkannt.

Umgekehrt mag es möglich sein, daß man die Glyphen der Vinča- Tordos- Kultur im Morgenland kennengelernt hat. Doch da es hier weder die Praxis gab, Wünsche, Gebete oder Segnungen in Kultobjekte zu ritzen, noch die Notwendigkeiten einer ausgedehnten Palastwirtschaft zum Tragen kamen, stieß die Schriftkunst zunächst wohl auf eher geringes Interesse.

In der zweiten Hälfte des fünften Jahrtausends dominierte der Süden des Fruchtbaren Halbmonds über den Norden. Die Bewässerungs- und Ackerbau- Techniken der Halaf- Leute wurden jetzt auch in der Ubaid- Kultur angewendet und fortentwickelt. Außerdem kam bei ihr nun erstmals auf der Welt die Töpferscheibe zum Einsatz (zunächst aber nur als Arbeitsplattform), welche die Keramikproduktion revolutionieren sollte.

Trotzdem verlief hier die kulturelle Entwicklung bis weit ins vierte Jahrtausend hinein in ruhigeren Bahnen. Haarmann begründet dies unter anderem damit, daß das Zweistromland „abgelegen“ gewesen sei, aber das vermag ich bei den Kontakten nach Westen (syrisch- ägyptischer Raum), Norden (Anatolien, Kaukasus) und Osten (iranisches Hochland) nicht zu erkennen. Und seine These, daß die Vermischungen von Völkern und Kulturen in Wüstengebieten weniger weitreichend gewesen sein sollen, als im bewaldeten Südosteuropa, ignoriert meines Erachtens nach die Möglichkeit, Flüsse, Seen und Meere als Transportmittel zu nutzen.

Haarmann erwähnt aber auch den Beginn einer intensiveren Trockenperiode zu Beginn des vierten vorchristlichen Jahrtausends im vorderen Orient. Die Bewässerung wurde vorangetrieben, und das verbliebene Ackerland effektiver genutzt. Das Spektrum der entdeckten Funde läßt erkennen, daß der Fernhandel mit dem Norden, Westen und Nordwesten mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hatte.

Bei der Ubaid- Kultur läßt sich inzwischen ein allmählicher Wandel verfolgen, der von der Überprägung aus dem Norden wegführte. Ältere, einheimische Traditionselemente blühten wieder auf, und aus den Ubaid- Leuten wandelten sich mehr und mehr zu den uns vertrauten Sumerer. Zwischen 3700 und 3200 v. Chr. entwickelten sie mit Hilfe der sogenannte Zählsteinen oder „Tokens“ eine Bilderschrift (Näheres im Kapitel über die Kulturen am Schwarzen Meer), auf der einmal ihre berühmte Keilschrift fußen sollte. Während die ägyptischen Hieroglyphen in erster Linie eine zeremonielle Funktion hatten, diente sie vorrangig Verwaltungszwecken.

 

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