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Die Bewandtnis mit Atlantis: 4. Was wussten die alten Ägypter wirklich? - Necho II.

Die Bewandtnis mit Atlantis4. Was wussten die alten Ägypter wirklich?
Necho II. und die Umsegelung Afrikas

Habe ich Psammetich I. mit Friedrich II. verglichen, so muß sein Sohn und Nachfolger Necho II. so etwas wie der Helmut Kohl unter den Pharaonen gewesen sein: Er schrieb große Geschichte, ohne wirklich absichtlich Großes getan zu haben. Als er 610 v. Chr. als Sohn des großen Psammetich sein Amt antrat, war es schon an die 700 Jahre her, daß Ägypten bis an den Euphrat gereicht hatte; zu seiner Zeit erstreckte es sich in nordöstlicher Richtung gerade mal bis über die Halbinsel Sinai. Nun war das Land aber immer noch verbündet mit Assyrien.

 

Die Assyrer hatten 614 mit Psammetichs Hilfe die Babylonier unter Nabopolassar I. geschlagen. Doch als sie den Triumph umsetzen, und die abtrünnige Provinz erobern wollten, fühlten sich im Norden die Meder unbehelligt. Prompt fielen sie in die einstige Königsstadt Assur ein und zerstörten sie nach Lust und Laune. Die Herren des Landes mußten stehenden Fußes umkehren, sich um diese Störenfriede zu kümmern, und damit gewannen die Babylonier wieder die Oberhand. Allein die Tatsache, daß sie lieber wild plünderten, als ihre Siege zu nutzen, rettete die Assyrer eine Weile. Doch 612 teilte die Hauptstadt Ninive das Schicksal Assurs, und das stattdessen wurde das anatolische Harran zur Residenz ausgerufen. 609 sollte es mit erneuter ägyptischer Hilfe zur großen Wende kommen, und der assyrische König Aššur- uballit wartete ungeduldig am Euphrat auf die Verstärkung.

Sie kam auch, doch reichte ihre Mannstärke nicht aus. Indes verlor der Verbündete von Tag zu Tag mehr an Boden; höchste Eile war geboten. Also machte sich der Pharao im Jahre 608 persönlich mit seinem Heer auf nach Norden. Auf dem Landweg, so wie die Truppen auch, die er oder sein Vater vorher schon auf den Weg geschickt hatten. Dabei machte er seine Rechnung allerdings ohne das Reich Juda, das sich unter dem König Josia just von Assyrien losgelöst hatte. Er hatte einfach nur durchmarschieren wollen, weil es nun mal im Weg lag, ohne auch nur die kleinste Eroberung zu machen – Schließlich wurde er sehnlichst von seinen Verbündeten erwartet! Doch die Judäer sahen das etwas anders, und stellten sich ihm bei dem als Kampfstätte beliebten Megiddo entgegen. Necho blieb nichts anderes übrig, als sie zu schlagen, und ihr Land somit doch noch in Besitz zu nehmen.

Das aber kostete ihm wertvolle Zeit, und als er endlich in Syrien ankam, war die Schlacht bereits vorbei. Die Hauptstadt Harran war längst gefallen, und Aššur- uballit starb bei dem Versuch, sie zurück zu erobern.

Mit seinem Tod aber gab es kein Assyrien mehr, und urplötzlich fand sich Pharao Necho II. in der unverhofften Situation wieder, daß er ein Heer in einem äußerst begehrten Land stehen hatte, das niemandem gehörte. Als Verbündeter des gestürzten Großreichs nahm er alles in Besitz, was die Babylonier nicht vor ihm erreichten – Die Meder muß dieser Wettlauf überrascht und verwirrt haben, denn sie hielten sich aus den weiteren Verwicklungen heraus. So bildete ab 608 zum ersten Mal seit der Schlacht von Kadesch (1299 v. Chr.) wieder der Euphrat die Ostgrenze Ägyptens, und das nicht wegen des politischen Weitblicks, sondern wegen der Kurzsichtigkeit Nechos.

Freilich waren die Annexionen ziemlich überstürzt geschehen, und er hatte nur Kampf-, aber keine Besatzungstruppen geschickt. Gerade mal ein paar strategisch wichtige Städte – allen voran die einstmals hethitische Festung Karkemišch am Euphrat – konnte er besetzen, und das überwiegend mit Söldnern. Ganze drei Jahre konnten sie sich halten, dann wurde Karkemišch samt seiner Verteidiger dem Erdboden gleichgemacht. Doch bevor der babylonische Kronprinz Nebukadnezzar (II.) weiter marschieren konnte, starb der Vater, und es mußte erst einmal die Thronfolge geklärt werden. So konnte er Syrien erst 604 zurückerobern, und es war kaum ein Ägypter mehr da, um ihm noch Widerstand zu leisten. Erst 601 erlitt er eine Niederlage, als er deren Kernland am Nil selbst angriff. Aber dafür hatte er andere Erfolge. So konnte er 597 und 587 Jerusalem einnehmen, und fand damit als Initiator der „Babylonischen Gefangenschaft“ Eingang in die Bibel.

Vier Jahre nur, von 608 bis 604 v. Chr., war Syrien wieder ägyptisch gewesen. Vier Jahre hatten auch die phönizischen Küstenstädte wieder zu dem Imperium gehört. Nun betrieb Necho gerade ein ehrgeiziges Projekt, nämlich den Bau eines frühen „Suez- Kanals“ vom Nil zum Roten Meer. Nach Herodot hat es 120.000 Menschenleben gefordert, bis es schließlich an technischen Schwierigkeiten scheiterte, nach anderen Quellen ist er doch noch fertiggestellt worden, aber irgendwann versandet. Wie dem auch sei, der Pharao liebte es, die Titel „Admiral“ und „Kapitän“ zu führen, und in Anbetracht der baldigen Einweihung der Wasserstraße befahl er seinen phönizischen Untertanen, eine Flotte auszurüsten. Die stach alsdann im Roten Meer in See, mit keinem geringeren Ziel, als Afrika zu umsegeln. Nach mehreren Jahren Abwesenheit, in denen sie unterwegs auch immer wieder Getreide anbauten und ernteten, sollen sie tatsächlich vom Atlantik her durchs Mittelmeer zurückgekehrt sein.

Ausgerechnet die Kritik, die der griechische Geschichtsschreiber Herodot an der Glaubwürdigkeit des Berichtes äußert, bestätigt uns dessen Richtigkeit. Denn dort heißt es, die Seeleute hätten „die Sonne zur Rechten gehabt“, als sie die Südspitze des Kontinents umfuhren, und das mochte er nicht glauben. Tatsächlich scheint die Sonne aber südlich des Äquators (bzw. des Wendekreises des Steinbocks) zur Mittagszeit von Norden – Eine Beobachtung, die man nur machen kann, wenn man selbst da ist.

Pharao Necho II. hat die Rückkehr der Seefahrer wohl noch miterlebt, auch wenn er schon im Jahre 595 v. Chr. das Zeitliche segnete. Leider ist von dieser Expedition nur wenig überliefert; weder kennen wir den Namen des Kapitäns, noch die Details des Berichts, der Herodot vorgelegen haben muß. So steht es zwar fest, daß sie im Atlantik gewesen sind, aber was sie dort beobachtet und festgehalten haben, ist verloren gegangen im Staub der Geschichte.

Eines allerdings läßt sich damit konstatieren: Die Ägypter, die zuvor niemals wirklich eine Seemacht gewesen waren, hatten nun zum ersten Mal aus erster Hand Informationen über die Ozeane. Für die damaligen Gelehrten muß es alles revolutioniert haben, was sie über die Wasser jenseits Gibraltars gewußt haben. Ein Bericht über einen Inselstaat Atlantis kann davon nicht unbeeinflußt geblieben sein. Ja, da die Ägypter nie zuvor in jenen Regionen gewesen sind, ließe sich sogar annehmen, der Mythos wäre erst mit der Umrundung Afrikas entstanden.

Möglicherweise nur Jahrzehnte später waren es wieder Phönizier, die es versuchten, den Kontinent in umgekehrter Richtung zu umschiffen. Von Karthago aus gelangten sie unter ihrem Admiral Hanno möglicherweise bis an die Küsten Kameruns, bevor sie wieder umdrehten. Zu den merkwürdigen Dingen, die sie unterwegs kennenlernten, gehörte ein Stamm behaarter Menschen, die äußerst aggressiv auf Versuche reagierten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die Eingeborenen nannten sie „Gorillas“. Der Name hat sich bis heute gehalten, auch wenn es sich bei den „behaarten Menschen“ vermutlich um Schimpansen gehandelt hat.

Auch ein Perser namens „Sataspes“ hat sich Herodot zufolge an dieser Route versucht, als Buße dafür, daß seine Finger am Hofe des Großkönigs nicht von fremden Frauen hatte lassen können. Da die Phönizier zu diesem Zeitpunkt bereits Teil des Persischen Imperiums waren, und einen nicht unbeträchtlichen Teil der Flotte stellten, läßt sich vermuten, daß sie auch hier mit von der Partie gewesen sind. Aber die Mission scheiterte an „Untiefen“, wie Sataspes später behauptet hat. Auf jeden Fall hat er die ihm aufgetragene Mission nicht vollendet, und ist damit – wie ursprünglich vorgesehen – für seine unschicklichen Taten hingerichtet worden.

„Untiefen“ sind freilich kein „schlammiges Wasser“, auch wenn das eine ein Anzeichen für das andere sein kann (aber nicht muß). Die Flotten Nechos, Hannos und Himilcos auf jeden Fall scheinen weder von dem einen, noch von dem anderen Phänomen nennenswert behindert worden zu sein. Trotzdem hielt sich die Mär von der Unbefahrbarkeit des Ozeans noch einige Jahrhunderte.

Alles in allem scheinen sich Atlantikfahrten im sechsten Jahrhundert vor Christus einer außerordentlichen Beliebtheit erfreut zu haben. Und welche Kenntnisse auch immer von dort nach Ägypten gedrungen sind, sie müssen den Bildungsstand sehr bereichert haben. Bislang nämlich hatte man sich im nautischen Bereich kaum hervorgetan, und Informationen über solch entlegene Regionen wie den Säulen des Herkules nur aus zweiter Hand erhalten, in der Regel über die Phönizier oder auch die Griechen. Es wird sich kaum mit dem Anspruch vertragen haben, als einziges Volk auf Erden den Schlüssel zu Jahrtausende altem Wissen in Händen zu halten.

 

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