Die Bewandtnis mit Atlantis: 5. Die Interpretation - Schlussbetrachtung
5. Die InterpretationSchlussbetrachtung
Zunächst ist da ein Ruf, für den er gar nichts kann. Spätere Schriften über Utopias und Schlaraffenländer haben sich nicht selten an seiner Vorlage orientiert, so daß sich der Leumund der jeweiligen Zauberwelt mit dem des Originals mischte.
Dann aber ist da auch die Persönlichkeit Platos selbst. Er war die unbestrittene Geistesgröße seiner Zeit, und die Tatsache, daß er seine beiden Beschreibungen des verwunschenen Eilands als logos deklarierte, nicht aber als mythos, sorgte er dafür, daß sich gebildete Kreise mit dem Thema befaßten, und nicht einfach nur Großmütter am Bett ihrer Enkel. Es war nicht an die Sagen und Märchen eines Volkes gebunden, sondern an die Bildung und Belesenheit der Gelehrten Und Gelehrte gab es in jeder Nation!
Damit blieb die Geschichte von dem Land unter dem Meer über die Jahrtausende präsent (wenn man für das finstrere Mittelalter ein paar Abstriche macht). Als terra incognita ließ es sich wunderbar als Projektionsfläche für alle möglichen Gedankenspiele nutzen. Beispielsweise begründeten die Könige Spaniens ihren Anspruch auf Amerika damit, daß sich das als Atlantis gedeutete Tartessos in ihrem Herrschaftsbereich befände. Und wer als Mystiker oder Okkultist etwas werden wollte, tat gut daran zu behaupten, über geheimes Wissen von jener untergegangenen Landmasse zu verfügen. Schließlich wurde auch die phantastische Literatur auf das Thema aufmerksam, und Größen wie Jules Verne und Robert E. Howard widmeten sich ihm. Auf diesem Weg fand die Legende in die Populärkultur, wie das bekannte Lied von Donovan nur allzu deutlich beweist.
Somit hat Atlantis längst dem Sprung vom antiken zum modernen Mythos geschafft, und steht damit neben dem Aussterben der Dinosaurier und der möglichen Existenz von Tachyonen. So wäre die Entdeckung von Akrotiri oder Tartessos allein kaum eine Schlagzeile wert. Kann man die Orte jedoch mit Platos Eiland verknüpfen, ist auf einen Schlag das öffentliche Interesse da, und mit den Medien kommen auch die Investoren.
Dementsprechend gibt es weit mehr Hypothesen, als ich zu behandeln in der Lage bin. Völlig ignoriert zum Beispiel das Ehepaar Flem- Ath, das Atlantis in der Antarktis gefunden haben möchte. Da der Südkontinent bereits im Miozän vereist ist, also während in Ostafrika gerade mit dem aufrechten Gang experimentiert wurde, erschien mir ihr Ansatz dann doch zu abwegig. Für andere Theorien, welche die Inselkapitale zum Beispiel vor Japan (Yonaguni- Fels) oder als Troja ausgemacht haben wollen, gelten die selben Argumente, die zum Beispiel gegen Malta, Zypern oder Mu sprechen. Troja war eine Hochkultur gewesen, hatte über künstliche Quellen verfügt und mit den mykenischen Griechen Krieg geführt Das langt offenbar schon, um es mit Platos Imperium gleichzusetzen.
Dementsprechend stellt auch dieser etwas in die Länge geratene Aufsatz kaum mehr als ein Streiflicht dar, und nur ein winziger archäologischer Fund, eine einzige neue Quelle aus vorplatonischer Zeit können ausreichen, ihn reif für die Löschtaste zu machen. Es wäre nicht im geringsten tragisch angesichts der Fülle neuen Wissens, das so viel Licht in die dunklen und schriftlosen Kapitel unserer Vergangenheit werfen würde.
Sollte mich also jemand fragen, ob es Atlantis denn nun gegeben hat oder nicht, so kann ich mit dem Brustton der tiefsten Überzeugung erwidern: Ich weiß es nicht!
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