Valeria Messala Barbata: Sie nannten sie »Messalina« - Heraustreten aus dem Schatten
Valeria Messala Barbata - Sie nannten sie »Messalina«
1. Heraustreten aus dem Schatten
1. Heraustreten aus dem Schatten
Messalina lebte in einer interessanten Zeit, und wer sich mit chinesischen Flüchen auskennt, weiß, daß das nicht unbedingt eine Garantie für ein gutes Leben ist. Seit dem zweiten Jahrhundert vor Christus hatten die nach unserem Verständnis nahezu rechtlosen Frauen für die damalige Epoche im mediterranen Raum ungewöhnlich große Freiheiten gewonnen. Von Ovid über Petronius, Juvenal und Martialis bis hin zu Apuleius beklagten gleich mehrere zeitgenössische Autoren die Abkehr von den althergebrachten Sitten, in denen die Frau noch ein Mensch zweiter Klasse gewesen war, und den Sittenverfall, der damit einherging. Frauen drangen in Domänen vor, die früher allein Männern vorbehalten gewesen waren. Und es wurde besonders moniert, daß sie sich betrinken, und promiske und lesbische Neigungen ausleben würden.
In diese Zeit wurde Valeria Messala Barbata, genannt „Messalina“, hineingeboren. Sie erblickte im Jahre 25 n. Chr. das Licht der Welt, als Tochter der Domitia Lepida und des Marcus Valerius Messala Barbatus. Letzterer stammte mütterlicherseits von einer Schwester des Kaisers Augustus ab, und auch ihre eigene Mutter gehörte einer angesehenen Familie (den Domitier Abenobarbiern) an, die gleichfalls mit der besagten Schwester verwandt war.
Über Messalinas Kindheit weiß man relativ wenig, gehörte sie doch trotz ihrer edlen Herkunft nicht zu den allerhöchsten Kreisen, und war zudem eine Frau. Man kennt noch nicht einmal ihr Geburtsdatum (anders als etwa bei Agrippina, der Jüngeren). Im Gegensatz zu vielen ihrer Vorfahren war sie (laut Juvenal) nicht rot-, sondern schwarzhaarig. Auch soll sie schon recht früh ausnehmend hübsch gewesen sein. Über eventuelle Geschwister ist nichts bekannt, doch hatte sie in der Folgezeit einen Halbbruder. Der spätere Kaiser Nero war ein Cousin von ihr.
Sie genoß eine privilegierte Erziehung; ihr Privatlehrer war vermutlich ein griechischer Freigelassener, Philokrates mit Namen, der sie in Geschichte, Geographie und der griechischen Sprache unterwies. Schon in ihrer frühen Jugend soll sie zarte Bande zum anderen Geschlecht geknüpft haben. Erwähnt werden vor allem ein „Speisemeister“ namens „Sabbio“ und ein halbstarker Verwandter namens Threptus, die beide eines frühen Todes gestorben sind.
Einer Statue im Louvre zufolge hatte sie als Teenager einen wohlgestalten Körper und ein ebenmäßiges Antlitz mit weichen Zügen und großen, verträumten Augen (eventuell mit Augenringen), das von einer aufwendigen Lockenfrisur umkränzt wurde. Einer Gemme im Pariser Cabinet des médailles zufolge neigte sie in späteren Jahren zu einer leichten Fülligkeit (zumindest bei Hals und Gesicht), aber davon läßt die Plastik noch nichts erahnen. Nichtsdestotrotz ist es laut Mazzei „gewiß“, daß sie sich auch in fortgeschritteneren Jahren „nicht gehenließ“ und „ihren Körper sehr pflegte“.
Die Nähe zur Macht ließ sie vielleicht erste Erfahrungen machen mit Sünde und Dekadenz. Immer wieder mal befand sie sich an der Seite ihres entfernten Vetters, Kaiser Caligula, wenn dieser den Gladiatorenspielen beiwohnte. Schon dessen Vorgänger Tiberius hatte auf Capri Orgien mit „Fischlein“ und „Strichjungen“ gefeiert, und gar Säuglinge an seinem Glied nuckeln lassen. Caligula aber soll das Spiel noch weiter ins Extrem getrieben haben, indem er inzestuöse wie homosexuelle Beziehungen unterhielt, und gar ein Bordell in seinem Palast einrichtete.
Noch allerdings ließ Messalina nicht erkennen, ob sie diesen berüchtigten Hoheiten einmal nacheifern würde. Wenn sie in den zeitgenössischen Berichten einmal erwähnt wurde, so war es in der Regel als Anhängsel ihres Gemahls, und sie tat das, was Anhängsel eben so tun.
Ihr Gemahl, das sollte Caligulas Onkel sein, Tiberius Claudius Nero, kurz: „Claudius“. Damals ging er schon auf die Fünfzig zu, war bereits zweimal verheiratet gewesen, galt als dumm, und wirkte auch äußerlich eher abstoßend, als anziehend (unter anderem wegen einer überstandenen Kinderlähmung, die ihn ein Bein nachziehen ließ, und einer schlechten Kontrolle des eigenen, eher schwächlichen Körpers, die sich auch in häufigem Speichelfluß äußerte). Obwohl ihn seine Mutter für „schwachsinnig“ gehalten, und die Großmutter Livia Drusilla gar den direkten Umgang mit ihm verweigert hatte, erwies er sich doch als recht intelligent beim Studium gelehrter Fächer, insbesondere der Geschichte. Beim Vortrag von Werken aus diesem Themenkreis stotterte er auch nicht, wie es sonst seine Art war. Nach eigenen Worten hatte er sich in den gefährlichen Jahren der Herrschaft Caligulas lediglich dumm gestellt, um für ungefährlich gehalten zu werden, daß niemand auf den Gedanken käme, ihn aus dem Weg zu räumen.
Außerdem wurde Claudius von mehreren Autoren bescheinigt, „einen unstillbaren Hang zu Frauen“ zu haben (und nicht im Geringsten zu Männern, wie Sueton betont), so daß man ihn regelmäßig in Bordellen (und beim Würfelspiel in Spelunken) fand.
Hinzu kam, daß er sich zu dem Zeitpunkt gerade in einem finanziellen Engpaß befand. Er hatte sich von einem Testamentfälscher übers Ohr hauen lassen, eine Entschädigung nach dem Brand seines Hauses nicht erhalten, und zudem finanzielle Aufwendungen zur priesterlichen Anbetung Caligulas gehabt. Die Mitgift seiner Braut kam ihm da bestimmt gelegen.
Doch was brachte er mit in die Ehe ein? Nur seine Zugehörigkeit zur kaiserlichen Familie. Möglicherweise fiel die Wahl auf ihn, weil kaum sonst jemand aus seiner nächsten Verwandtschaft im heiratsfähigen Alter die Hinrichtungswellen unter Tiberius und Caligula überstanden hatte. Immerhin hatte ihn Caligula für zwei Monate zum (Mit-) Konsul ernannt (aber die selbe Ehre hatte er auch Incitatus zukommen lassen, seinem Lieblingspferd).
Messalina hingegen war zum Zeitpunkt der Hochzeit im Jahre 39 n. Chr. gerade mal Fünfzehn und bildhübsch. Vermutlich fand die Vermählung im Juni statt (Die zweite Hälfte dieses Monats galt als besonders segensreich), da das zweite Kind des Paares (Britannicus) bereits anno 41 im Februar das Licht der Welt erblickte.
Das Paar wohnte damals schon im Palast. Der Kaiser oder Princeps Caligula war bei der Trauung nicht zugegen; er weilte seinerzeit gerade auf einem Feldzug in Richtung Germanien und Britannien. Und doch war er es, der die junge Angetraute beinahe zur Witwe gemacht hätte! Denn man hatte eine Delegation zu ihm geschickt, mit Claudius als Kopf, um ihn zu einem überstandenen Komplott zu gratulieren. Der unberechenbare Caligula reagierte erbost, da kaum namhafte Persönlichkeiten mitgereist waren, und unterstellte, daß sich sein Onkel die Rolle als „Lehrmeister“ über ihn anmaßen wolle: Er stieß Claudius über das Geländer einer Flußbrücke. Doch der Jungvermählte überlebte das unfreiwillige Bad.
Der zur Farce ausgeartete „Britannien- Feldzug“ des Caligula, bei dem Muscheln gesammelt, und eigene Legionäre und Schulkinder zu „Kriegsgefangenen“ erklärt worden waren, hatte trotz der Ausplünderung Galliens mehr gekostet, als er eingebracht hatte. Also erhob der Herrscher nach seiner Rückkehr reichlich Sondersteuern, die nun auch die Ritter und das einfache Volk trafen, auf deren Sympathie er sich bislang hatte stützen können. Ein Princeps, den keiner mehr mag, hat auch kein langes Leben mehr vor sich…
Messalinas erstes Kind kam im Frühjahr (nach Wikipedia im März) des Jahres 40 zur Welt. Es war ein Mädchen, und hieß daher nach dem Geschlecht ihres Vaters „Claudia“, wurde aber „Octavia“ gerufen. Ihren Vater enttäuschte es zwar, daß es sich um keinen männlichen Nachkommen handelte, doch tröstete er sich damit, daß ein Kind, das nicht als Erbe in Frage kam, auch nicht den Argwohn des Kaisers erwecken würde.
Messalina war bereits hochschwanger mit dem zweiten Kind, als ihr Gemahl eine Warnung von dem Freigelassenen Callistus erhielt. Der vertraute ihm an, er hätte von Caligula selbst den Auftrag erhalten, ihn zu vergiften. Messalina jedoch argwöhnte, daß es einen Grund haben mußte, warum der einstige Sklave den Kaiser anschwärzte, und das ausgerechnet jetzt. Sie meinte, die Zeit wäre reif für große Veränderungen, und darum müsse man erst recht die Augen offen halten.
Nur wenig später, am 24. Januar 41 war es soweit: In einem überdachten Gang, der den Palast mit einem Theater verband, fiel der Tyrann den Dolchen seiner Attentäter zum Opfer. Erst im Verlauf der weiteren Ereignisse wurden auch seine Frau und seine Tochter gemeuchelt. Es nimmt nicht Wunder, daß sich Claudius bei den ausgebrochenen Gewalttätigkeiten in einem „Hermeus“ genannten Seitenflügel des Palastes verkrochen hatte. Als ein Trupp marodierender Soldaten dorthin vordrang, verbarg er sich hinter einem Vorhang. Der war freilich etwas zu kurz, und Claudius konnte man leicht an seinen ungleichen Füßen erkennen. Er warf sich vor dem Legionär Gratus, der ihn enttarnt hatte, zu Boden und flehte ihn an, ihn zu verschonen, da er sich Zeit seines Lebens nicht um Politik gekümmert habe. Statt abgestochen zu werden, wurde er von Gratus zum Kaiser ausgerufen, und dem folgten dann auch die übrigen an der Revolution Beteiligten. Er wurde auf den Schultern in die Kaserne der Prätorianer getragen. Herodes Agrippa I, ein anwesender Herrscher eines Reiches im heutigen Jordanien (und Enkel Herodes‘, des Großen), gelang es, sowohl den verängstigten Claudius, als auch die auf den Kapitol versammelten Senatoren davon zu überzeugen, diese Nominierung zu akzeptieren. Zum Dank ernannte ihn der neue Princeps bald zum König von Judäa und Samaria.
Wohl um der Gefahr einer Bevormundung durch die Senatoren zu entgehen, suchte sich der politisch wenig erfahrene Claudius seine Berater und Minister nicht in deren Reihen, sondern in denen der Freigelassenen. Nicht selten handelte es sich dabei um gebildete Griechen, die man bereits in Verwaltungstätigkeiten eingesetzt hatte. Callistus beispielsweise, der ihn von Caligulas Mordabsichten unterrichtet hatte, wurde mit der Bearbeitung sämtlicher Bittschriften aus dem gesamten Reichsgebiet befaßt.
Und die sechzehnjährige Messalina, die gerade kurz vor der Entbindung stand, fand sich auf einmal in der Rolle der ersten Frau im Staate wieder. Offiziell gab es den Titel einer Kaiserin nicht im damaligen Rom (mit der Ausnahme von Claudius‘ Großmutter Livia), aber inoffiziell waren nun alle Augen auf sie gerichtet.