Valeria Messala Barbata: Sie nannten sie »Messalina« - Einleitung: Vornamen und Segenswünsche
Valeria Messala Barbata - Sie nannten sie »Messalina«
Einleitung: Vornamen und Segenswünsche
Es war bei einer dieser Gelegenheiten, wo ich eine Frau kennenlernte, die unten ohne herumlief (was immer noch mehr Garderobe war, als die meisten anwesenden Herren am Leibe trugen). Sie hatte eine Tochter, und die war auf den Namen Messalina getauft worden. Vornamen drücken eher die Vorlieben der Eltern aus, als die der Kinder, und so mancher erweist sich als Bürde für das spätere Leben. Dabei sind viele von ihnen ursprünglich einmal Segenswünsche gewesen! So steht beispielsweise Regina für „Königin“, Klaus für „Sieg des Volkes“ und Richard für „reich und hart“ (na ja, und Perdita bedeutet eigentlich: „die Unglücksbringerin“). Welchen Wunsch gibt man seiner Tochter mit, wenn man sie Messalina nennt? Nun, von der Wortbedeutung her besagt der Name nur, daß seine Trägerin dem römischen Geschlecht der Messaler entstammt. Frauen stand im alten Rom kein eigentlicher Vorname zu, so daß der Name des Familiengeschlechts in seiner weiblichen Form als solcher fungierte. Eine Julia gehörte zum Beispiel dem Geschlecht der Julier an, eine Claudia dem der Claudier, eine Valeria dem der Valerier, und eine Messala den Messalern (eine Teilsippe der Valerier).
Eine Möglichkeit, der Dame etwas Individualität zu verleihen, war ein Beiname wie „die Ältere“, oder aber eine verniedlichende Verkleinerungsform. So heißt „Messalina“ nicht einfach „die zum Geschlecht der Messaler gehörende“, sondern: „Die Kleine aus dem Geschlecht der Messaler“. Daß in ihrem Fall nicht der Name der eigentlichen Familie, sondern der einer bestimmten Untersippe gewählt worden war, dürfte ebenfalls darauf zurückzuführen sein, daß man sie von anderen Verwandten gleichen Namens zu unterscheiden suchte.
Aber die Zugehörigkeit zu einem längst ausgestorbenen Geschlecht aus dem alten Italien ist gewiß kein Segen, den man heutzutage unbedingt seinem eigenen Nachwuchs mit auf den Weg geben möchte. Die deutsch- türkische Journalistin Meşale Tolu ist auf jeden Fall nicht nach Messalina benannt; Meşale ist das türkische Wort für „Fackel“. Messalina dagegen ist zunächst einmal ein Name, der selten ist: Wer ihn trägt, ist etwas Besonderes. Aber das wäre eine Walpurga und eine Pepsi- Carola auch! Nur, daß einer Walpurga der Beigeschmack von Frömmigkeit anhaftet, und Pepsi- Carola der von Limonaden- Reklame. Messalina dagegen umgibt der Hauch von sexueller Selbstbestimmung, Verruchtheit und Freiheit von den Konventionen. Es ist ein schöner Gedanke, seinem Kind den Wunsch mitzugeben, einmal ein selbstbewußter und charakterfester Mensch zu werden. Freilich gibt es da noch ein paar andere Dinge, die man mit diesem Namen verknüpft. Wer aber ist sie gewesen, die Frau, die vor knapp zwei Jahrtausenden gelebt hat, und heute noch die Phantasie anregt?
Leider habe ich durch die ungünstige Verknüpfung der Dinge nur die Zeit und Gelegenheit gehabt, ein einziges Buch zu dem Thema zu studieren, so daß mein nun folgender Aufsatz in mancherlei Hinsicht wichtige Aspekte auslassen, oder aber zu einseitigen Beurteilungen neigen mag. Trotzdem werde ich versuchen, mich um weitestgehende Objektivität zu bemühen, falls das überhaupt möglich ist. Denn schauen wir uns einmal an, welchen Männern (!) wir die Quellen verdanken, von denen wir unser Wissen über Messalina beziehen:
Fangen wir an mit Seneca, dem Jüngeren (Lucius Annaeus Seneca), der Messalina tatsächlich gekannt hat. Als Philosoph und Dramatiker vertrat er zwar die Ideale der Stoa, pflegte im Widerspruch dazu jedoch den Lebensstil eines Bonvivants. Nach heutigen Maßstäben war sein Frauenbild ohnehin archaisch, aber was die Protagonistin unseres Aufsatzes anbelangt, so hatte er einen ganz persönlichen Grund, sie zu hassen… auch wenn seine Apocolocyntosis gegen ihren (ersten) Gatten Claudius gemünzt ist. Seneca war Suffektkonsul unter Nero, den er auch erzogen hatte, und stand entsprechend loyal zu diesem Kaiser, dessen Mutter Agrippina eine Rivalin Messalinas gewesen ist. Die Nähe zur Macht sollte korrumpieren: Als der Anwalt und Ex- Konsul Publius Suillius Rufus, von dem wir noch hören werden, vor Gericht stand, warf er dem Philosophen vor, ein Ausplünderer, Faulpelz und Verführer von Frauen und Kindern zu sein. Letzten Endes wurden sowohl Agrippina, als auch Seneca Opfer Neros, dem sie doch so sehr die Treue gehalten hatten.
Plinius, der Ältere (Gaius Plinius Secundus), der zu Messalinas Generation gehört, wurde von Tacitus, wie von Sueton als Quelle benutzt. Er diente dem Imperium als Offizier und Verwaltungsbeamter. Seine Anekdote zum Wettstreit Messalinas mit einer stadtbekannten Prostituierten findet sich in seiner Naturalis historia. Bei der handelt es sich jedoch um kein Geschichtswerk, sondern um ein Lexikon zu kosmologischen, astronomischen, meteorologischen, geologischen, geographischen, anthropologischen, zoologischen, physiologischen und medizinischen Themen.
Dann gibt es da Tacitus (Publius Cornelius Tacitus), der bei uns vor allem wegen seiner Germania bekannt geworden ist. Er war Konsul unter Nerva, und gehörte dementsprechend zu den Chronisten, die den Standpunkt des Senates vertraten. Dieser wiederum war dem des Kaisertums entgegengesetzt. Tatsächlich zieht sich durch sein Werk wie ein roter Faden immer wieder die These, daß sich die Römer seiner Zeit ein Beispiel an den Ahnen aus der Ära der Republik nehmen sollten.
Dann gibt es da Juvenal (Decimus Iunius Iuvenalis), der ebenfalls erst ein Jahrzehnt nach Messalinas Tod geboren worden ist. Er war ein Satirendichter, der hauptsächlich Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaftszuständen übte. Ihm dürfte mehr an der publikumswirksamen Zuspitzung gelegen gewesen sein, als an der detailgetreuen Wiedergabe historischer Fakten.
Dann gibt es da Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus), bei dessen Geburt Messalina schon gute zwei Jahrzehnte tot gewesen ist. Er stand in kaiserlichen Diensten, war unter Trajan Statthalter in der römischen Provinz Bithynien und Pontus, und unter Hadrian unterstand ihm die Reichskanzlei (ab epistulis) – Ein Amt, das lange vor ihm ein Mann namens Narcissus innegehabt hat, der in diesem Aufsatz noch eine wichtige Rolle spielen wird. Sein Bestreben galt nicht so sehr der historischen Korrektheit: Er verließ sich nur partiell auf die offiziellen Quellen, und bezog dafür auch Klatsch, okkulte Vorkommnisse und Anekdoten in seine Schriften mit ein. Hätte Tacitus für die WELT geschrieben, wäre er eher bei der BILD angestellt gewesen.
Dann gibt es da Lucius Cassius Dio, der erst über ein Jahrhundert nach Messalinas Dahinscheiden das Licht der Welt erblickt hat. Er hat die Senatslaufbahn eingeschlagen, und es dabei sogar bis zum Konsul gebracht. Dementsprechend kritisch steht er dem Kaisertum gegenüber, schreibt er doch selbst, daß man vor der Einführung des Prinzipats alles erfahren konnte, „und jeder schrieb es nieder“. Danach jedoch bestünde bei jeder Aussage der Verdacht, „es sei nach den Wünschen der jeweiligen Herrscher oder ihrer Nebenherrscher geschehen“.
Bliebe noch Johannes Zonaras, der Geschichtsschreiber aus dem Byzanz des frühen 12. Jahrhunderts. Er benutzte neben Cassius Dio auch heute verlorengegangene Schriften, doch zeigt schon die große zeitliche Distanz, daß bei der Verwendung seines Materials Vorsicht geboten ist.
Da haben wir also einen von Messalina geschädigten Parteigänger Neros, einen nicht so sehr auf Geschichte spezialisierten Naturwissenschaftler, zwei kaiserfeindliche Schreiber aus dem Senat, einen Satiriker, dem der Effekt wichtiger als die Korrektheit ist, eine Klatschbase und einen Oströmer, der mehr als ein Jahrtausend nach Messalina zur Welt gekommen ist. Man sieht also, daß die Quellen nicht ohne Vorbehalt dazu geeignet sind, sich ein optimales Bild von der Messalina zu verschaffen, wie sie wirklich gewesen ist. Darum rate ich dem Leser, auch mir zu mißtrauen, wenn ich im Folgenden den Inhalt eines Buches zusammenfasse, das sich auf die oben genannten Chronisten bezieht. Denn wie Messalina wirklich gewesen ist, das wissen nur die Leute, die sie gekannt haben…
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