Am 11. November 397 wurde Martinus von Tours, Bischof von Tours, beigesetzt. Dieser Tag wurde im mittelalterlichen Jahreskreislauf zu einem der zentralen Kalendertage.
Dieses historische Kalenderblatt zeichnet zunächst die Lebensgeschichte des Heiligen Martin von Tours nach, um dann einen Schwerpunkt auf die mittelalterliche Bedeutung dieses Tages zu legen. Der Heilige Martin von Tours
Der Martinitag im Mittelalter
Martinsgans
Der Heilige Martin von Tours
Martin vor Tours, geboren 316/317, stammte aus Pannonien, einer römischen Provinz im heutigen Ungarn (Rezension zum Roman "
Herrscher der Seelen"). Als sein Geburtsort gilt Savania, mit heutigem Namen Szombathely und eine der größten Städte in Ungarn. Sein Vater, ein römischer Tribun, hatte sich nach seiner aktiven Dienstzeit als Veteran in Pannonien niedergelassen. Schon während der Kindheit von Martinus kam dieser zurück nach Italien. Heimat seines Vaters war Pavia, eine Stadt im Nordwesten Italiens, wo Martinus seine Jugend verbrachte.
Der Vater von Martin wollte, dass sein Sohn ebenso wie er eine militärische Laufbahn einschlug, als Sohn eines römischen Offiziers war er ohnehin zum Militärdienst verpflichtet gewesen. Martinus, der offenbar schon zu dieser Zeit mit dem Christentum in Berührung gekommen war, behagte dies nach der Geschichtserzählung gar nicht. Dessen ungeachtet wurde er in den Dienst der Leibwache Kaiser Konstantins II. gerufen und lebte zunächst am kaiserlichen Hof in Mailand.
Die Mantellegende, für die Martinus bis heute bekannt ist, ereignete sich noch während seiner Dienstzeit, als er in Amiens als Reiter diente. Während eines Ausritts begegnete er einem armen Mann, der unbekleidet war. Es war Winter. Sein Handeln in dieser Situation gilt als Beispiel für wahrhaft christliche Tugend, ähnlich dem des Barmherzigen Samariters: Er teilt die Chlamys, den sorgsam gefütterten Überwurf der römischen Soldaten, und gibt dem Bettler eine Hälfte davon. Nach einer Vision in der folgenden Nacht lässt sich Martinus taufen und zählt sich seit diesem Tag zu den Christen.
Als es zu Kämpfen mit Stämmen der Germanen kam, rief man ihn zum Dienst an der Waffe und schickte ihn nach Gallien (Frankreich und heutiges Franken). Die Erzählung berichtet, dass Martinus vor einer Schlacht in der Nähe von Worms seinem Vorgesetzten die Gefolgschaft verweigerte. Als miles Christi (Soldat Christi) könne er nicht mehr dem römischen Kaiser als Soldat dienen. Erst 351 wurde Martinus aus dem Dienst der römischen Truppen entlassen. Nach seiner Entlassung aus dem Dienst, ging er zu Hilarius von Poitiers, der die erste klösterliche Gemeinschaft in Gallien begründet hatte, und wurde sein Schüler.
Von Frankreich zog es ihn nach seiner Weihe zunächst zurück in seine Heimat nach Pannonien, wo er missionieren wollte. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt dort zog es ihn zurück nach Gallien, vor er fast zwanzig Jahre später, er war damals bereits sechzig Jahre alt, zum Bischof von Tours geweiht wurde. Es gibt verschiedene Geschichten und Legenden darüber, wie es dazu kam. Eine davon berichtet, dass er sich so unwürdig empfand für dieses Amt, dass er sich in einem Gänsestall verbarg. Das aufgeregte Geschnatter der Gänse jedoch verriet ihn, und er musste hervor kommen.
Eine weitere Geschichte mit Bezug zu den Gänsen ist, dass einer der Gläubigen zu Martins Versteck ging und ihn darum anflehte, seiner kranken Frau zu helfen. Martin konnte sich diesem Ruf nicht verschließen, packte sein Bündel und folgte dem Mann. Angeblich soll er damals ausgesehen haben als hätte er in einem Gänsestall gelebt.
Im Alter von 81 Jahren starb Martin am 8. November 397 während einer Reise in seinem Bistum. Man brachte ihn nach Tours, wo er drei Tage später beigesetzt wurde.
Schon zu seinen Lebzeiten war Martin eine Legende geworden, unter anderem durch den Lebensbericht von Sulpicius Severus. Sein Leben als asketischer Mönch galt als das ideale Bild eines Bischofs der Kirche, wie man ihn sich zu jener Zeit vorstellte Wie üblich bildeten sich rasch Legenden über Wunder, die Martin vollbracht haben soll. Dies erhob ihn nochmals deutlich über den reinen Wohltäter (Mantelteilung) hin zu einem wahrhaften Wundertäter und war ein wichtiges Argument für die Heiligsprechung des Martin von Tours. Martin scheint ein streng gläubiger Christ gewesen zu sein, hilfsbereit gegenüber Allen, unnachgiebig und wo notwendig streitbar gegenüber Kaiser, Königen und Äbten. Unter Chlodwig (fränkischer Merowingerkönig, 466- 511) wurde Martin zum Nationalheiligen und Schutzherrn der fränkisch-merowingischen Könige. Dies markiert den Beginn der Verehrung des (Heiligen) Martin als einem der großen Heiligen in Mitteldeutschland.
Der Martinitag im Mittelalter
Was jedoch dazu führte, dass Martin und der Martinstag im Kirchenjahr diese Bedeutung erlangte, die er das ganze Mittelalter hindurch hatte, lag nicht primär an der Person des Martin selbst, sondern vor allem an einigen einfachen Gegebenheiten.
Heiligenfeste, eben auch der Tag des Heiligen Martin, waren in der mittelalterlichen Welt die Orientierungspunkte des Lebens. Eine Einteilung des Lebens nach Stunden, Minuten war für den mittelalterlichen Menschen weitgehend unerheblich. Seine Orientierung war der Sonnenaufgang als Beginn der Arbeit - und der Sonnenuntergang als Ende. Das Leben hatte einen vollständig anderen Rhythmus, der sich auch in eben dieser Orientierung zeigt.
Der 11. November, der Tag des Begräbnisses von Martinus, liegt 40 Tage vor Weihnachten und markierte für die Gläubigen ab etwa dem 6. Jahrhundert den Beginn einer Fastenzeit, die in der katholischen und orthodoxen Kirche als Vorbereitung auf Weihnachten dienen sollte. Wie auch an Fasching dem Beginn der vorösterlichen Fastenzeit war der Martinstag ein vorerst letzter Tag von Feiern, essen und genießen. Nicht zuletzt aus diesem Grund beginnt heute auch die Fastnachtszeit ("Fastnacht" - "Die Nacht vor dem Fasten").
Es bürgerte sich ein, dass an Martini die bäuerlichen Beschäftigungsverhältnisse von Knechten und Mägden, bäuerlichen Wanderarbeitern und Hirten endeten. Der Georgstag, 23.4., war der Termin, an dem Bauern und Handwerker die Saisonkräfte einstellten. Jene, die zum Ende des bäuerlichen Sommerhalbjahres nicht mehr gebraucht wurden, wurden entlassen, erhielten ihren Lohn und machten sich auf den Weg, um sich anderweitig zu verdingen.
Die Ernte war eingebracht, der Weinberg abgelesen, das Vieh war von der Alm getrieben, vielfach galt ab diesem Tag das Recht der Armen, die Felder und Weinberge abzuätzen, also eine Nachlese zu betreiben und sich die Früchte zu nehmen, die zurückgelassen waren.
In jener Zeit, die teilweise bereits als Jahresausklang begangen wurde, betrieb man nur die notwendigsten Arbeiten. Nach den Anstrengungen der Sommermonate wurde so dem Menschen eine Phase relativer Ruhe gegönnt.
Wenn am Tage des Heiligen die Sonne hell und klar untergehet im Westen, so bedeutet dies einen harten und mühseligen Winter; einen gelinden Winter hingegen, wenn an jenem Tage die Sonne in Wolken niedersinkt.1
In der Gothik sagte man, der heilige Martin würde "in den Wohnungen das Licht und im Kamin das Feuer " anzünden (nach einer alten Kalenderregel)2. Man begann also erst ab dem 11. November die Zimmer zu heizen, und die Abende bei Licht zu verbringen. Zuvor war es noch möglich gewesen, weitgehend ohne künstliches Licht den Tag zu arbeiten, man ging ja damals früh zu Bett.
Um den 11. November herum sollte das Dreschen beendet sein. Das Getreide sollte vor Weihnachten gedroschen, eingelagert, wenn möglich sogar bereits verkauft sein. Da die Gutsbesitzer dies mit ihren eigenen Bediensteten nicht allein schaffen konnten, hatten die abhängigen Bauern zum Fron anzutreten. War es - anders übrigens als laut Landwirtschaftsberichten im Jahr 2009 - die Eichelmast im Wald nicht erfolgreich genug, waren die fronpflichtigen Bauern dazu gezwungen, ab dieser Zeit die Schweine der Herrschaft in ihre Ställe zu übernehmen und bis in den Mai hinein zu füttern. So zahlten sie neben dem Kirchenzehnten, dem anfallenden Fron und eventuell fälligem Kredit- und/oder Pachtzins nochmals einen Frondienst. War der "aktive Fron" beendet, markierte auch dies das Ende des bäuerlichen Jahres.
Aus dieser Bedeutung entwickelte sich der Martinstag zu einem bedeutenden finanziellen Tag. Er wurde ein Tag der Rechtssprechung, an dem Zinsen für Kredite zu leisten waren, im Raum Marburg beispielsweise mussten Brauer bis ins 17. Jhd hinein rechtzeitig vor Martini ihr Ansinnen anmelden - nur unter dieser Voraussetzung war es ihnen dann erlaubt, im Marburger Stadtgebiet bis zum Bonifaziustag am 5. Juni zu brauen3, die Winzer kosteten den jungen Wein und beurteilten seine Qualität.
Michael mahnt und Martin zahlt.4
So erklärt sich auch der Brauch, an Martini den ursprünglich letzten Markttag des Jahres abzuhalten. Erst viel später bildeten sich Weihnachtsmärkte heraus, die es ursprünglich nicht gab. Abgesehen von einigen lokalen Verkaufsmärkten war somit auch in dieser Hinsicht das Jahr beendet. Wer etwas zu verkaufen hatte, das er nicht über den Winter bringen konnte oder wollte, verkaufte es. Für jenes Gesinde, das nach den Sommermonaten freigesetzt wurde, gaben die Märkte die Gelegenheit, vor dem Wintereinbruch einen neuen Herrn zu finden und für den Winter versorgt zu sein. Erhielten sie den sogenannten "Martinstaler", ein Handgeld, das sie von dem neuen Dienstherren als Pfand für ihre neue Tätigkeit im Voraus erhielten, war die gegenseitige Verpflichtung besiegelt.
Da in der Fastenzeit Geschäfte aus religiösen Gründen eigentlich nicht denkbar waren, etablierte sich der Martinitag hierfür.
In vielen Regionen, zum Beispiel auch in West- und Ostgothland, heiratete man im Mittelalter meistens im Herbst oder zu Beginn des Winters. Auch dies nicht verwunderlich, hatte doch der Bauer zumeist erst jetzt Zeit, um nach der Bestellung seines Ackers sein Haus zu "bestellen". Die Sonntage nach dem Martinstag waren traditionell diese Tage5.
Martinsgans
Wenn die Martinsgänse auf dem Eise gehn, muss das Christkind im Schmutze stehn.
Bauern zahlten ihre Zehnten und Steuern traditionell in Naturalien, denn sie besaßen in aller Regel kein Geld. Aufgrund der guten Transportmöglichkeit boten sich Gänse als Abgaben an. Der Bauer mästete sie das Jahr über, indem sie auf dem Hof "mitliefen", stand die Winterzeit bevor und man konnte nur eine begrenzte Anzahl an Tieren durchfüttern, wurden die Gänse verkauft oder eben als Abgabe geleistet.
Hier vermischte sich mit großer Wahrscheinlichkeit die Verbindung des Heiligen Martins mit den Gänsen mit den rein praktischen Erwägungen. Eine der "Gänselegenden" um den Heiligen Martin handeln davon, dass eine Horde Gänse während eines Gottesdienstes des Heiligen Martin in die Kathedrale von Tours watschelten und dort die Predigt des Heiligen störten.
Als Strafe hierfür dreht man den Gänsen im wahrsten Sinne des Wortes den Hals um.
Vor der Fastenzeit wurde noch einmal "richtig zugeschlagen", in Norddeutschland traten an die Stelle der Gänse oftmals jene Schweine, die man nicht behalten wollte.
In Frankreich ging dies offenbar so weit, dass sich in Frankreich sogar zwei feste Redewendungen gibt, die sich mit den Ausschweifungen des Martinstages beschäftigen. Will man zum Ausdruck bringen, dass man gut besonders gut isst oder trinkt, spricht man davon "faire la Saint Martin". Hat(te) man es übertrieben und litt unter Magendrücken und Kopfschmerzen, litt man unter der "Mal de Saint Martin".
in diesem Sinne ... Guten Appetit.
1 Autor unbekannt - Alsatia, Verlag J.P. Rissler, 1851
2 Autor unbekannt - Die Welt der Gotik, Verlag Hoffmann und Campe, 1781
3 Beck, Nadine - Hopfen und Malz, Gott Erhalt's? Zum Wandel lokaler Brautradition. Die Geschichte des Bieres im Landkreis Marburg-biedenkopf, Akademische Schriftenreihe, GRIN Verlag, 2007
4 Graf, E., Dietherr, M., Bluntschli, J.C. - Deutsche Rechtssprichwörter, Verlag C.H. Beck, 1864
5 Weinhold, Karl - Die Deutschen Frauen in dem Mittelalter: Ein Beitrag zu den Hausalterhümern der Germanen, History of women, Ausgabe 2055
Quellen (wichtigste):
Heyse, K.W.L. und J.C. - Band 2 von Handwörterbuch der deutschen Sprache, Verlag W. Heinrichshofen, 1849
Gfrörer, August Friedrich - Zur Geschichte deutscher Volksrechte im Mittelalter, Band 2, Herausgeber: Johann Baptist von Weiss, Verlag F. Hurter, 1866
- http://cms.bistum-trier.de
- www.wikipedi.de
- www.geschichte-untermain.de
- www.erste-markgraefler-weinbruderschaft.de
- www.platinnetz.de
- www.regionalgeschichte.net
- www.ekd.de
- www.kirchenweb.at
- www2.brauchwiki.de
- www.heiliger-martin.de
Abbildungen:
1 Heiliger Martin und der Bettler, um 1480/90, www.landesmuseum-mainz.de
2 Martini, Simone, Freskenzyklus mit Szenen aus dem Leben des Hl. Martin von Tours, Kapelle in Assisi, Szene: Der meditierende Heilige, 13221326
3 Albrecht Dürer, um 1494