Auswanderung - Wenn Menschen (alles) aufgeben und gehen
Wenn Menschen (alles) aufgeben und gehen
Ein risikoreiches Unterfangen, auf Leben und Tod. Berichte wie der von dem Auswandererschiff Leibnitz ist ein schreckliches Beispiel für die Gefahren, denen sich die Auswanderer aussetzten.
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Menschen, die es in die Neue Welt zog, auf Segelschiffe angewiesen. In der Regel handelte es sich dabei um Schoner oder Dreimaster, die für den Handelsverkehr geplant und gebaut worden waren. Entsprechend ungeeignet waren sie für den Transport von (großen Mengen) an Passagieren. So kam es zum so genannten Zwischendeck" (Englisch Steerage"). Auch später, auf den Dampfschiffen, gab es diese Zwischendecks, und erst allmählich verbesserten sich die Zustände.
Die Reise auf diesen Segelschiffen dauerte je nach Abfahrthafen zwischen 40 und 60 Tagen. Je nach Vorkommnissen (Flaute, Stürme) auch länger, bis zu 100 Tagen war gerade in der Anfangszeit keine Seltenheit.
Um den vorhandenen "Strauraum" möglichst optimal auszunutzen, schuf man auf den Seglern, und später auf den Dampfschiffen, sogenannte "Zwischendecks". Bei den Zwischendecks handelte es sich um Frachträume, die ursprünglich für den Transport von Fracht oder Vieh genutzt wurde. Diese Räume besaßen in der Regel nur einige wenige Luken, waren schlecht zu lüften und in aller Regel nur über Leitern erreichbar. Um Passagiere transportieren zu können, wurden in die Zwischendecks mit Hilfe mobiler Wände Abteile eingezogen, in denen man Liegeflächen einrichtete.
Ein Bericht aus dem Jahr 1903 beschreibt die Zustände auf den Segelschiffen (und leider ebenso auf den späteren Dampfschiffen) so1:
Kaum ein Bericht der Zwischendeckspassagiere aus dem 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert, in dem man nicht Hinweise auf mehr oder weniger unerträgliche Zustände auf den Schiffen findet. Dies bezog sich auf die hygienischen Zustände ebenso wie die Ernährung, Unterbringung oder ärztliche Versorgung.
Friedrich Gerstäcker, Schriftsteller und Amerikareisender, schrieb (wohlgemerkt im Jahre 1873) in einem Brieftagebuch2:
Ein Bericht aus dem Jahr 1903 beschreibt die Zustände auf den Segelschiffen (und leider ebenso auf den späteren Dampfschiffen) so1:
Früher glichen die Schlafabteilungen eines Auswandererschiffes eher einer Anzahl Käfige in einer Menagerie, als Ruhestätten für Menschen. Eisengerüste waren in zwölf und noch mehr Abteilungen übereinandergetürmt, in jeder Abteilung lag ein dünnes langes Strohpolster als Unterbett und ein winzig schmales als Kopfkissen, darüber eine dünne unzureichende Decke aus undefinierbarem Stoff und das Bett war fertig. Eine gedeckte Vorhalle, ausgestattet mit großen Tischen und roh gezimmerten Bänken ohne Lehne stellte den Speisesaal vor.
Kaum ein Bericht der Zwischendeckspassagiere aus dem 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert, in dem man nicht Hinweise auf mehr oder weniger unerträgliche Zustände auf den Schiffen findet. Dies bezog sich auf die hygienischen Zustände ebenso wie die Ernährung, Unterbringung oder ärztliche Versorgung.
Friedrich Gerstäcker, Schriftsteller und Amerikareisender, schrieb (wohlgemerkt im Jahre 1873) in einem Brieftagebuch2:
Einen Raum von ungefähr 11 Schritt Länge 9 Schritt Breite, 8 Fuß hoch, an beiden Seiten mit den Schlafstellen oder Coyen versehn, von denen immer 2 von Brettern genagelt übereinander sind, ungefähr in der Art wo in jeder Coye 10 Mann liegen, 5 oben und 5 unten. ( ) Denke Dir nun in diesem Raum bei schlechter Witterung 100 und ungefähr 10 bis 15 Auswanderer eingeschlossen, denke Dir ihre Ausdünstung, das Lachen Toben, Uebergeben, Lamentiren, Kinderschreien!
Vergleichsweise früh entstanden die ersten Bücher und Hinweishefte für Auswanderer und solche, die darüber nachdachten.
Als gute Zeiten für eine Einschiffung wurden die Mai bis September empfohlen, denn sie galten als die weniger stürmischen und man vermied die Überfahrt in den Wintermonaten. Selbst für Dampfschiffe waren die Wetterkapriolen der Wintermonate nicht ungefährlich. Ins Kalkül zu ziehen war außerdem die Frage, wie man nach seiner Ankunft über die Runden kommen wollte. Landwirten wurde der Tipp gegebenen sehr früh im Februar einzutreffen um dann noch Zeit für die erste Bestellung der Felder und eine erste Ernte im Herbst zu haben. Auch würde in dieser Zeit, so zumindest der Autor, für Arbeiter die größte Wahrscieinlichkeit bestehen, eine Arbeit zu finden3.
Mehr zu diesen Schriften, die sich hervorragend als Primär- und Sekundärliteratur für das Thema Auswanderung anbieten, in dem Artikel "Auswanderung - Motive und Gründe", der im Laufe der kommenden Reihe zum Thema Auswanderung erscheinen wird.
Die Auswanderung der Deutschen (vor allem in das neue Amerika) geschah in Wellen, die - wie fast alle Auswanderungen - umreißbare Auslöser hatten.
Im 19. Jahrhundert führte eine erste größere Welle viele Deutsche (vor allem aus dem südlichen Deutschland, Baden-Würrtemberg) in Richtung Osten. Eine Naturkatastrophe hatte für eine weltweite Abkühlung gesorgt, für Missernten und eine zunehmende Verarmung. Über die Donau reisten sie gen Osten und siedelten sich dort an.
1845/46 brach eine weitere Naturkatastrophe über die Landbevölkerung herein - dieses Mal in Form des Phytophthora infestans, der - von Amerika ausgehend - rasch Ausbreitung in ganz Europa fand. Die Einschleppung des Auslösers der Fäule von Amerika aus per Schiff nach Europa war eine der ersten bekannten katastrophalen Auswirkungen einer einsetzenden Globalisierung (wenn man dies so nennen möchte). Bis zu diesem Zeitpunkt war der Erreger in Europa nahezu unbekannt, mittlerweile vermutet man, dass er aus Südamerika eingeschleppt wurde.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Kartoffel als eine entscheidende Nahrungsgrundlage in Deutschland etabliert, und der Einbruch der Ernte im Jahr 1846, der in Preußen um die 50%, stellenweise sogar bis zu 705 (!) betrug, war desaströs. Besonders die Landbevölkerung hatte darunter zu leiden, denn die große Feuchte, die das Wachstum dieses Pilzes begünstigte, sorgte für Einbrüche auch bei anderen Ernten: Roggen, Weizen ... in fast allen Bereichen kam es zu Ernteausfällen. Die Folgen waren dramatisch: In Hessen-Kassel waren bereits im Januar (!) des Jahres 1847 in vielen Gemeinden keine Kartoffeln und Getreide der Herbsternte 1846 mehr übrig. Überall in Deutschland hungerten die Menschen. In Schlesien allein starben in diesem Jahr 18.000 Menschen am Hungertyphus4.
In Verbindung mit den anderen sich mehr und mehr entladenden Unruhen (z.B. der Weberaufstand in Schlesien) wird deutlich, wie groß die Armut, Not und wirklich existenzielle Bedrohung der unteren Bevölkerungsschichten gewesen sein muss.
Bis ins Jahr 1857, als eine weltweite Wirtschaftskrise die Länder überzog, dauerte diese erste Welle an. Diese Wirtschaftskrise begann in den Vereinigten Staaten mit dem Zusammenburch einer der großen Banken, und breitete sich wellenartig aus. Zu der wirtschaftlichen Krise kamen in Europa zu dieser Zeit ständig schwelende Konflikte zwischen Österreich-Preußen / Deutscher Bund - Dänemark / Russland - Türkei im Krimkrieg mit den weiteren Kriegspartnern Frankreich und Großbritannien.
Während des amerikanischen Bürgerkrieges (1861 bis 1865) zogen es viele Auswanderer vor zu bleiben oder orientierten sich eher in Richtung Australien oder Südamerika.
Der Krieg war kaum beendet, da ging die Auswanderung weiter. Der Wiener Börsenkrach (1873) mit dem Ende der Gründerzeit, allgemeine wirtschaftliche Krisenzeiten ab ca. 1880, die immer wieder kurzzeitige Unterbrechungen oder Abflachungen der Auswanderungsbewegungen mit sich brachten. Mit dem Abebben dieser Krisen ab ca. 1900 begann die letzte große Auswanderungswelle, die bis zum ersten Weltkrieg andauern sollte.
Die Fragen warum sie nun eigentlich gingen, welche Gruppen von Menschen ihre Heimat in Richtung Amerika verließen, was sie auf der Überfahrt erlebten und wie sie dort lebten, das sind Themen, die im Laufe der Zeit erscheinen werden.
1 Auswanderer! aus Vossische Zeitung v. 06.08.1903
2 Friedrich Gerstäcker: Reise von Leipzig nach New York. Brieftagebuch einer Überfahrt im Zwischendeck 1837
3 Gustav Struve - Wegweiser für auswanderer, Verlag Buchner, 1866
4 Reinhard Rürup, Deutschland im 19. Jahrhundert, 1815-1871, Deutsche Geschichte Band 8, Vandenhoeck & Ruprecht, 1992
Kommentare
Mich wundern in den Reality-Soaps immer wieder Leute, die hier alles haben und dann auswandern. Aber das sind dann wohl die Optimisten, die nie schelchte Erfahrungen gemacht haben, und die denken, dass es auch diesmal wieder klappt...
Zum Thema "Abenteuerlust" denke ich, dass es leicht ist und war abenteuerlustig zu sein, wenn ich ausreichend materielle Ressourcen habe, oder eben ausreichend verzweifelt bin - wie ihr schon schreibt.
Ich glaube, dass es heute kaum vorstellbar ist was "arm" bedeutet, wenn man sagt die "Armen von damals" wanderten aus. Das wurde mir bei den Recherchen zu den Auswanderungsgründen nochmal sehr deutlich *cliffhanger*
Klar, die Flucht aus den Drittweltländern hierher ist nichts anderes als das, was damals geschah. Mit dem Unterschied, dass wir sie heute als "Wirtschaftsflüchtlinge" bezeichnen.
Oh, ich sehe da schon noch andere Unterschiede zwischen Europa heute und Australien/Nordamerika im 19. Jahrhundert, die doch erheblich dünner besiedelt waren als es bei uns der Fall ist.
Es kann allerdings sein, dass die Nachkommen der Indianer und der Aborigines jetzt mit den Schultern zucken und sagen: "Da seht ihr mal, wie sich so was anfühlt."
als jemand der in vielen ländern schon mit auswanderern gesprochen hat (reisen ist mein liebstes und teuerstes hobby ) kann ich nur sagen: wer es in d-land zu nix gebracht hat wird es mit hoher wahrscheinlichkeit auch im ausland zu nix bringen.
Die realtity soaps zeigen das eigendlich sehr gut auf. die menschen die hier schon gut "gesattelt" waren gehen in ein anderes land mit plänen, job und realistischen vorstellungen die sie dann dort umsetzen.
Die anderen wundern sich, dass in spanien tatsächlich kein deutsch geprochen wird
Das End vom Lied: Nach einem 1/2 Jahr kehrte sie nach Deutschland zurück.
Ein anderer Bekannter fühlte eine ständige Unruhe und wollte aus Deutschland weg. Schließlich hatte er genug Geld, um eine Weltreise zu machen. Er hat jeden Kontinent bereist und besonders hat es ihm Indien angetan. Als er dort war und u.a. mitbekam, welch irrwitzige Hasstiraden in Richtung Pakistan 'geschossen' wurden und ihm indische Studenten in einem Zug sagten, wie toll sie Hitler fänden, war er um viele Illusionen ärmer. Und er erzählte mir, dass er nach seiner langen Reise zu schätzen gelernt hat, was er an Deutschland hat und dass er sich hier im Grunde sauwohl fühlt.
Es muss wohl so sein, dass bestimmte Menschen den Schritt der Auswanderung oder den einer langen Reise in unbekannte Gefilde auf sich zu nehmen, um zu erkennen, dass es da, wo man ist, bereits schön genug ist.
Und ein ganz gewichtiger Grund, der Deutschland auch sehr weh tut, ist die Abwanderung von Hochqualifizierten Menschen die im Ausland oft bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen vorfinden. Was vor allem Ingenieure, Ärzte und Naturwissenschaftler betrifft. Dort herrscht International ein regelrechter "Kampf" um diese Fachkräfte. Die Möglichkeiten, gerade in der Forschung, sind in Ländern wie z.b. den USA deutlich besser als bei uns.
In meinem Umfeld haben schon drei Menschen diesen Rufen nicht widerstehen können und sind vollkommen zufrieden mit ihrer Situation. Natürlich gibt es auch Menschen die sich ein Paradies im Ausland erhoffen, aber die werden recht schnell ernüchtert sein. Trotzdem besteht die Möglichkeit, auch im Ausland einen guten Start hinzulegen. Dazu ist aber eine gute Vorbereitung nötig. Und da scheint es dann bei einigen zu scheitern. Schlußendlich muß das jeder für sich selber entscheiden. Es ist ja auch nicht so das der Großteil der Auswanderer in Armut lebt, sondern ebenso wie in Deutschland einem Beruf nachgeht. Vorbereitung ist alles.