Mitchell, Kirk: "Germanicus"-Trilogie

Kirk Mitchell Procurator / Imperator / Liberator (Procurator / New Barbarian  / Cry Republic!)

Bastei SF Abenteuer Taschenbücher 23084/23090/23103)

Originaljahre: 1984/1986/1989: deutsch  1988/1989/1990

Übersetzungen:  Peter Robert (1) / Heiko Langhans (2 und 3)

Titelbilder: James Gurney

288 / 318 / 348 Seiten

Alle 3 Bände erschienen später auch gesammelt in einem einzigen Bastei Taschenbuch.

 

Germanicus, Procurator von Kleinasien und entfernter Verwandter des Kaisers in Rom, sieht sich und seine Provinz einer gefährlichen Lage ausgesetzt: nicht nur scheinen  die ständig unruhigen (turbantragenden) „Wickelköpfe“ aus Anatolien wieder einen Aufstand zu planen, sind machtgierige römische Befehlshaber involviert (inklusive seiner eigenen Geliebten....) und bedroht zusätzlich eine Art Geheimbund  mit der unnatürlichen Kraft des „Ballens“ (einer Art „parapsychischer Beeinflussung“ über weite Strecken hinweg) die Soldaten und ihn selbst. Die „Große Arterie“, eine Treibstoffleitung aus dem fernen Arabien zur Küste, wird unterbrochen, es kommt zu ständigen kleinen Scharmützeln. Doch Germanicus ist ein alter erfahrener Veteran vieler Kämpfe in und an den Grenzen des Imperiums, mutig und rücksichtslos gegen die Gegner wie sich selbst und wagt sich ohne Angst zum Ausgangspunkt der Rebellion, die Gegend um den Berg „Agri Dagri“ (Ararat) im Osten der Provinz, von dessen „Dorf der Schätze“ die sowohl religiöse wie fanatisch-fundamentalistische Bedrohung ausgeht, obwohl der Anführer, ein „Heiliger Mann der Wickelköpfe“, selbst friedfertig ist und ein uraltes Geheimnis hütet. Als die Kämpfe vorüber sind (siegreich hier für Roms Soldaten durch Einsatz von Sandgaleeren und pilum-Feuerwaffen), erreicht ein Eilbote Germanicus: das gesamte Umfeld des Kaiserlichen Hofes inklusive dem Imperator selbst ist der unheimlichen „Ballung“ zum Opfer gefallen und Germanicus, als letzter Überlebender der „Gens Juliae“ wird zum neuen Kaiser proklamiert.

 

In dieser Eigenschaft ist er einige Zeit später gezwungen, mit der Kriegsflotte übers Wasser des Westlichen Ozeans zu fahren. Die „Novo Provinces“  im Norden des Doppelkontinentes mit ihren römischen Siedlern und der einheimischen (rothäutigen)  Bevölkerung werden durch die Azteken aus dem Süden aufgewiegelt, bedroht und schließlich mit offenem Krieg überzogen. Eine Verständigung ist nicht mehr möglich; in einem grausamen und blutigen krieg stürmen Roms Soldaten mit dem Kaiser an der Spitze schließlich die aztekische Hauptstadt Tenochtitlan und zerstören die aztekische Kultur.

 

Doch eigentlich ist Germanicus nur ein Imperator wider Willen. Sein Ideal einer Staatsform ist eher die Zeit vor den Imperatoren, die der römischen Republik. Seine Versuche, dem Senat größere Macht zuzuschieben und langsam aber sicher wieder auf diesen Zustand hinzuarbeiten, sind erfolglos; ein Aufstand des ehrgeizigen Prätorianerpräfekten und seiner Schwägerin (Mutter des kindlichen Thronfolgers, der letztlich ermordet wird) bricht aus und Germanicus muss, nur begleitet von einem Gefährten aus dem fernen östlichen Inselreich Nihon, fliehen, über Illyrien, Griechenland, die Ägäis und Kleinasien, ständig bedroht von den Häschern des Usurpators. Während sein treuer ehemaliger Leibwächter, Zenturio  Rolf, in sein Waldland Germanien zurückkehrt und dort als Herzog der Markomannen und schließlich Heerkönig, die Germanen eint und gegen Rom führt, sammelt Germanicus in Palästina die letzten loyalen Truppen (inklusive der judaeischen Legion, deren Angehörige meist einer Sekte angehören, die seit langer Zeit im Verborgenen angehört, die auf die Glaubensprinzipien eines vor zweitausend Jahren verstorbenen Propheten basiert) und sich der letzten, entscheidenden Schlacht gegen die Reichstruppen in einer Ebene bei Megiddo  stellen......

 

All diese Geschehnisse ereignen sich in den Jahren 2741 bis 2743 „ab urbe condita“, nach der Gründung der Stadt (ROM) statt 1988 bis 1990 nach Christus – und damit weiß nun endgültig jeder, dass es sich um eine Geschichte jener speziellen Art von SF handelt, die als „Alternate Timestream“ (AT) bezeichnet wird und mit zu den aufwendigsten, aber auch faszinierendsten des Genres zählt; Romane aus/von/in einer Zeit, die auch nicht, wie in den klassischen (sozusagen „landläufigen“) Zeitreisegeschichten beschrieben, mit wie auch immer gearteten, meist aber  technischen Mitteln (Zeitmaschine) erreicht werden, um dann dort auch oft Veränderungen vorzunehmen, sondern gleich voraussetzen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt „etwas anders lief“, sich die Geschichte danach anders und eben zu jenem Punkt entwickelt, in dem die Handlung dann spielt.

Und für solche Ansätze gibt es, im ohnehin fast unbegrenzten Bereich der Science Fiction, zahllose Möglichkeiten. (Die umfangsreichste Internet-Seite zu diesem Thema, www.uchronia.com ,  führt allein schon 1702 Bücher, Stories, Essays usw. auf, dazu gibt es diverse andere Quellen im Netz, wo auch eigene Szenarios zu finden sind, etwa bei www.AlternateHistory.com, wo man zwei Mitchells Ansatz verwandte Entwürfe findet: Szenarien, wo das römische Reich nicht nur weit länger existierte als in der „richtigen, unserer Geschichte“, sondern auch sich schneller und größer mehr ausdehnte, etwa über

Germanien hinaus bis zur Elbe).

 

Kirk Mitchell allerdings ist sehr, sehr (vielleicht auch zu?) weit gegangen. Gegenüber anderen AT-Geschichten  unterscheidet er sich auch durch gleich drei (statt üblicherweise einem) „Pods“ Mit diesem Begriff (Point of Divergence) bezeichnet man eben jenem Punkt, an dem sich der Ablauf der Ereignisse gegenüber der „normalen Geschichte“ ändert und der alternative Strang sich abspaltet  Mitchell bemüht nicht nur Pontius Pilatus, jenen Statthalter Roms in Palästina und Judäa, der viel auf die Träume seiner Frau gab und daher einen Straßenräuber namens Barrabas und nicht, wie vom Volk und den Pharisäern gefordert einen jüdischen Mystiker hinrichten ließ; letzterer zog sich dann zurück in den abgelegenen Norden, erreichte das uralte Dorf am Agri Dagri und starb dort, allerdings, erfährt nicht nur der Leser, sondern Germanicus selbst, unter den mysteriösen Umständen, dass seine einbalsamierte Leiche nach einiger Zeit auf unerklärliche Weise aus der Krypta  verschwand. Als Folge (einige der römischen Geschichtsschreiber haben so etwas bereits als rein philosophische Betrachtung erwogen...) gab es keinen staatstragenden Kult oder gar Religion, die auf gewisse Friedfertigkeit aufgebaut war. Hinzu kam etwa 13 Jahre später der glorreiche Sieg von Varus über die Germanen unter diesem Arminius und der Entschluss des Augustus, diese wilden Völkerstämme auf ihrem damaligen Gebiet als völlig autonom, aber geschützt von Rom zu belassen, weshalb sich von dort zwar viele (als Soldaten geschätzte...) Leute in die römischen Dienste aufmachen, Germanien aber immer noch ein einziger, ungebändigter Urwald

ist....Das übrige Europa inklusive Skandinavien und sogar das traditionell immer unruhige (wenigstens das...) Hibernien  hat Rom ebenso unterworfen wie das nördliche Afrika und natürlich auch die neuen Provinzen auf dem großen Doppelkontinent im Westen jenseits des Ozeans.

 

Mitchell ist „bekennender Romanophile“, so dass man den Eindruck haben kann, es gehe ihm nicht nur allein um ein reines Gedankenspiel (wie das jede AT-Story ist), sondern fast schon um Kritik zur heutigen Gesellschaft, die bessere beraten wäre, „alte römische Tugenden“ wieder anzunehmen (und einige der Passagen im dritten Band um die ja eigentlich auf friedliebenden Glauben aufgebaute Sekte/Religion sind ebenso übertrieben wie die, gerade dem deutschen Leser, leicht peinliche Darstellung des Germanentums....). Natürlich ist auch sein Ansatz viel zu sehr dahingehend übertrieben, dass sich ein solcher Geschichtsablauf nicht schlüssig ergeben kann (selbst die vielbeschworenen römischen Tugenden würden nicht über 2000 Jahre überdauern....zumal die technische Entwicklung inklusive Dampfmaschinen zum Schiffsantrieb, feuernden Pili und gepanzerten, raupenbewehrten Sandgaleeren mit Ballistageschützen als Erfindungen von Germanicus’ Onkel Fabius, dem vorangehenden Kaiser erweist).

 

Aber wenn man das mal diskret im Hinterkopf behält und sich nur auf die Geschichte an sich konzentriert, sieht man eine sehr spannende Handlung, sehr glaubhafte Personen (besonders,. trotzdem/natürlich er letztlich siegreich ist, Germanicus, eine wirklich tragische Figur) und ungetrübten Lesegenuss, die selbst im Rahmen anderer AT-Geschichten ihresgleichen sucht.  Und lesen kann mans immer und immer wieder....

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