Cortes, Carlos J.: The Prisoner
Und darum geht es in »The Prisoner«: Washington, D.C., Mitte des 21. Jahrhunderts. Rapide Fortschritte in der Kälteschlaf-Technologie haben das weltweite Gefängnissystem revolutioniert. Verbrecher werden nicht mehr nur einfach weggesperrt, sondern für die Dauer ihrer Strafe in Kälteschlaf versetzt, wodurch verhindert wird, dass sie durch den ständigen Kontakt zu anderen Straftätern ihre kriminelle Energie weiter steigern. In den USA sind es die Betreiberfirma Hypnos und das DHS, das Departement of Homeland Security, die die Aufsicht über die Kälte-Gefängnisse haben.
Einige skrupellose
Verbrecher missbrauchen das System allerdings für eigene Zwecke.
Unbemerkt von der Öffentlichkeit werden in den Kälteschlafkammern
auch Menschen aufbewahrt, die gar keine Untaten begangen, sondern
sich schlichtweg die falschen Leute zu Feinden gemacht haben.
Syndikate sind in diese Verschwörung ebenso verstrickt wie
Mitarbeiter von Hypnos, hochrangige Politikfunktionäre und
Angestellte des DHS.
Die Geheimniskrämerei könnte allerdings ein jähes Ende finden. Eine Gruppe idealistischer Menschenrechtler findet einen Weg, einen der illegalen Gefangenen aus dem Kälteschlaf zu befreien und mit ihm ins Kanalsystem von Washington zu fliehen. Dies ist der Auftakt zu einer gnadenlosen Jagd: Die Schattenmänner hinter der Verschwörung setzen alle Hebel in Bewegung, um zu verhindern, dass ihr schmutziges Geheimnis ans Licht kommt ...
»The Prisoner« ist ein spannender Thriller, vor dessen Lektüre man sich über zweierlei im Klaren sein sollte.
Erstens: Das Buch wird zwar, wie erwähnt, unter dem Label SF verkauft (nicht umsonst habe ich es entsprechend eingeordnet, und nicht umsonst ist das Buch für den diesjährigen Philip K. Dick Award nominiert), ist aber im Grunde viel mehr ein Thriller als ein SF-Abenteuer abgesehen von dem futuristischen Setting, versteht sich.
Zweitens: Liest man Ankündigungen zu »The Prisoner«, so scheint es sich bei dem Buch um eine Art Romanversion von »Prison Break« zu handeln, in deren Mittelpunkt der Ausbruch aus einem Hochsicherheitsgefängnis steht. Dem ist allerdings nicht der Fall. Der Ausbruch nimmt nur wenig Raum ein; im Zentrum des Geschehens steht vielmehr der verzweifelte Versuch einiger Weniger, eine gewaltige Verschwörung in Regierungskreisen aufzudecken.
Wer sich mit diesem Wissen auf das Buch einlässt, der darf sich auf einen spannenden, gut geschriebenen Thriller freuen, der sich hinter bekannten Vertretern des Genres nicht zu verstecken braucht.
Vorab sei erwähnt: Das Non-plus-Ultra des Spannungsgenres ist »The Prisoner« nicht. Hier steht der komplexe Plot sich manchmal selbst im Weg, sorgt er zeitweilig doch dafür, dass die Handlung ins Stocken kommt, weil immer wieder verzwickte Zusammenhänge erläutert werden müssen. Das ist an sich ja nicht verkehrt, drückt jedoch aufs Tempo und sorgt dafür, dass das Spannungsniveau wiederholt absinkt.
Im Gegenzug werden Freunde anspruchsvoller Thrillerkost allerdings mit einem Plot konfrontiert, der es in sich hat. Cortes hat sich für seine Erzählung eine vielschichtige, sich dem Leser erst nach und nach in ihrem vollen Ausmaß erschließende Verschwörung ausgedacht, die dank intelligent konstruierter Zusammenhänge auf ganzer Linie zu überzeugen weiß. Eine derart komplexe Handlung fordert dem Leser natürlich einiges ab; man muss schon durchgängig aufmerksam am Ball bleiben, wenn man nicht entscheidende Details und Wendungen verpassen will. Wer durchdachte Handlungen liebt, der wird sich daran allerdings nicht im Mindesten stören, sondern die Geschichte in vollen Zügen genießen.
Ein weiterer Pluspunkt von »The Prisoner« ist das erfrischend unkonventionelle Figurenensemble. Cortes hat versucht, eine möglichst glaubhafte Gruppe von Personen ins Zentrum seines Romans zu rücken. Das ist ihm vorzüglich gelungen. Die Protagonisten sind samt und sonders hervorragend charakterisiert und wirken weder stereotyp noch übertrieben um übermäßige Außergewöhnlichkeit bemüht.
Obwohl das Buch sein Spannungsniveau nicht immer halten kann, kann ich durchaus verstehen, warum »The Prisoner« für den Philip K. Dick Award nominiert wurde. Cortes hat einen wohl durchdachten Thriller geschrieben, der den Leser bis zum exzellenten Finale in seinen Bann zu ziehen versteht. Ein gutes Buch, das hoffentlich bald auch in deutscher Übersetzung zu erhalten ist.