... Carsten Polzin über Fantasy und den deutschen Fantasybuchmarkt
... Carsten Polzin ...
... über Fantasy und den deutschen Fantasybuchmarkt
Zauberspiegel: Herr Polzin, Sie sind bei Piper verantwortlich für den Bereich Fantasy. Ich würde Piper - analog mit den Immobilienlagen von Geschäften - als eine der "1A-Lagen" für Fantasy sehen. Interessante Bücher, hohe Qualität in Inhalt und Produktion. Mit welchem "Missionstatement" agiert Piper im Bereich Fantasy?
C. Polzin: Piper Fantasy ist modern und zugleich der Tradition des Genres verbunden, abwechslungsreich und zuverlässig.
Zauberspiegel: Pratchett, Jordan - das sind nur zwei Autoren, die Sie 2004 beim Ankauf der Heyne-Fantasy mit übernommen haben. Es sind vier Jahre ins Land gezogen - für den Buchmarkt eine lange Periode. Welche Bedeutung hatte diese Übernahme im Rückblick für die Entwicklung von Piper-Fantasy?
C. Polzin: Das Hinzukommen der ehemaligen Heyne-Fantasy war ein großer Schub, der das Fantasy-Programm bei Piper in neue Bahnen lenkte. Eben hatten wir noch mit einem kleinen, aber feinen Hardcover-Programm begonnen, mit einem Schlag wuchs uns ein großer Teil des gesamten Marktsegments zu. Ganz neue Programme und Strukturen mussten geschaffen werden. Das war nicht nur für den Verlag ein ordentliches Stück Arbeit. Auch bei den Buchhändlern und Lesern standen wir auf dem Prüfstand. Es handelte sich immerhin um einen Rechtefundus von über 800 Titeln, darunter zahlreiche etablierte Autoren und Serien. Es lastete also eine große Verantwortung auf uns. Die Leser warteten schließlich auf bereits angekündigte Titel und die Fortsetzung von Serien, die bei Heyne begonnen worden waren. Dass es so gut gelungen ist, das Piper Fantasy-Programm in recht kurzer Zeit neu aufzustellen, lag sicherlich daran, dass wir unseren Qualitätsanspruch hinsichtlich Inhalt, Ausstattung und Präsentation auch an die neu hinzugekommenen Titel stellten. Wir haben nicht nur ein-, sondern auch aussortiert. Es war eine wirkliche Integration und kein bloßes Anhängen eines dazugekauften Verlags. Das merkten die Buchhändler, und das merkten die Leser.
Zugleich war der Heyne-Fundus nur Anstoß und Signal für das, was folgen sollte. Serien bereits etablierter Autoren wie Terry Pratchett und Robert Jordan weiterzuführen, ist die eine Sache. Viel bedeutsamer war, dass schnell neue deutsche und internationale Namen dazukamen. Backlist und neue Titel bilden längst eine gemeinsame Marke Piper Fantasy.
Zauberspiegel: Friedel Wahren war ja vor ihrem Ruhestand für die Fantasy bei Piper verantwortlich. Wie war es für Sie, in die Fußstapfen dieser erfolgreichen Leiterin zu treten? Machte es die Arbeit in der Nachfolge leichter oder schwieriger?
C. Polzin: Friedel Wahren hat die Fantasy über drei Jahrzehnte in Deutschland etabliert und dann bei Piper ein hochwertiges Fantasy-Programm ins Leben gerufen. Dieses Programm weiterzuentwickeln, zukunftsfähig zu machen, darin bestand für mich die Herausforderung - keine kleine, aber eine äußerst reizvolle. Es wäre zu schön, wenn man alles, was in der Vergangenheit funktionierte, einfach so fortführen könnte. Doch die Marktbedingungen ändern sich ständig, und da kann nur die Strategie zum Erfolg führen, die nach vorne gerichtet ist.
Zauberspiegel: Wie sehen Sie den Platz deutscher Fantasy-Autoren in der einheimischen Verlagslandschaft ganz allgmein, und bei Piper im Besonderen?
C. Polzin: Nachdem es lange Jahre immer hieß, deutsche Autoren hätten in der Fantasy nichts verloren und könnten auch keine guten Geschichten entwickeln, hat sich die Wahrnehmung doch sehr geändert. Zu den erfolgreichsten Schriftstellern hierzulande, nicht nur bei Piper, gehören gerade die einheimischen - Markus Heitz, Wolfgang Hohlbein, Michael Peinkofer, Ralf Isau, Monika Felten, Bernhard Hennen, Christoph Hardebusch und andere. Autoren wie Tobias O. Meißner und Richard Schwartz bieten qualitativ hochwertige Fantasy, die vieles in den Schatten stellt, was über den großen Teich herüberschwappt. Das ist eine Mut machende Entwicklung. Wir brauchen deutsche Autoren, und zwar nicht, weil sie deutsch sind, sondern weil sie gut schreiben. In unserem Programm spielten sie von Beginn an eine zentrale Rolle und werden das auch weiterhin tun.
Zauberspiegel: Pratchett schreibt: "Um geistig gesund zu bleiben, ist es oft erforderlich, dem Chaos zu entfliehen, nach einem ruhigen, behaglichen Ort zu suchen und einen kleinen Teil der Welt heiter und geordnet zu halten, wenn auch nur für den Zeitraum der Lektüre eines Buches" (Pratchett, Lass Drachen sein, aus: Der ganze Wahnsinn, erschienen bei Piper). Was sagen Sie zu diesem Zitat? Könnte das eine mögliche Erklärung für den beständigen Markt für Fantasybücher sein?
C. Polzin: Einerseits zielt Pratchett auf den Eskapismus. Es ist das alte Lied, das immer wieder als Erklärung für den Erfolg der Fantasy ins Feld geführt wird. Die Vermutung, dass Fantasy gelesen wird, um alltäglichen und persönlichen Problemen zu entfliehen, greift jedoch zu kurz. Wir Fantasy-Fans brauchen weder eine soziologische noch psychologische Erklärung für unseren "Defekt", und erst recht keine Therapie. Wir wissen, dass das Genre (neben zugegebenermaßen einem Haufen Schrott) zahlreiche hochklassige Romane hervorbringt. Darum lesen wir Fantasy - weil es sich um eine äußerst kreative und unterhaltsame Spielart der Literatur handelt.
Terry Pratchett geht es in diesem Zusammenhang aber auch darum, zu illustrieren, dass die Lektüre von Fantasy und Science Fiction für Kinder weder verdummend noch sonst wie gefährlich ist, sondern im Gegenteil beflügelnd und positiv für die Entwicklung der eigenen Kreativität. Und dem kann ich voll und ganz zustimmen.
Zauberspiegel: Der Fantasymarkt wächst ja scheinbar beständig weiter. Plant Piper eine Ausweitung seiner Veröffentlichungen im Bereich Fantasy für dieses und die kommenden Jahre? C. Polzin: Natürlich wollen wir unsere Stellung auf dem Markt nicht nur bewahren, sondern auch ausbauen. Wachstum spielt da eine wichtige Rolle. Wachstum um seiner selbst willen ist jedoch sinnlos. Auf die richtigen Bücher und die richtige Strategie kommt es an.
Zauberspiegel: Gibt es eine Frage, die Sie endlich einmal beantworten wollen, die aber bisher niemand gestellt hat? Welche wäre das? Und wie ist die Antwort?
C. Polzin: Mich hat noch keiner gefragt: Darf ich Dir eine Millionen Euro schenken? Die Antwort: Mach zwei draus, und wir sind uns einig.
Zauberspiegel:... nun wäre noch die Antwort auf die Frage interessant, was Carsten Polzin mit den zwei Millionen anfangen würde. Vielleicht fragen wir das beim nächsten Mal. Vielen Dank für die Antworten!
Quelle Foto: C. Polzin, privat
Kommentare
Prima Interview. Ich hoffe dass vielleicht eine Abkehr vom Mainstream bei Piper stattfindet und auch unbekannteren oder neueren Autoren Chancen gegeben werden.