Go West! - Nachtrag
Wieder in den ›Wilden Westen‹
Nachtrag
Bei den vielen Erlebnissen und Ereignissen während der letzten beiden Amerikareisen ging leider eine Information unter.
Wenn ich mit meinen Reisegruppen Fort Bent im südöstlichen Colorado besuche, steige ich normalerweise in einem Hotel bei Las Animas ab, etwa 9 km von Fort Bent entfernt.
Dieser kleine, verschlafen wirkende Ort am wenig befahrenen Highway US 50, der in weiten Teilen dem alten Santa Fe Trail folgt, hat eine bewegte Geschichte. Hier hatte nicht nur der berüchtigte Revolvermann Clay Allison eine blutige Schießerei, bei der ein Deputy-Sheriff ums Leben kam. In der Nähe hatten sich nach Aufgabe seines Forts William Bent und weitere Verwandte und ehemalige Angestellte angesiedelt, u. a. auch der berühmte Kit Carson.
Sie gründeten die kleine Gemeinde Boggsville, aus der das heutige Las Animas hervorging.
Der Bau eines neuen Eisenbahnknotenpunkts in dem weiter westlich gelegenen La Junta nahm Las Animas seine wirtschaftliche Bedeutung.
Heute lebt die kleine Stadt überwiegend von der Farmwirtschaft im Umland, dem großen County-Gefängnis und natürlich den Besuchern von Fort Bent.
Wer durch den Ort fährt, dem fallen im Zentrum an einigen Gebäuden große, farbenprächtige Wandmalereien auf.
Diese Malereien (Murals, wie es im Englischen heißt) reflektieren das Leben der Siedler im frühen Colorado. Der Santa Fe Trail, frühe Farmen, Viehzüchter, Heimstätter, wilde Tiere – und natürlich Fort Bent prägten die Geschichte dieser Region.
All das wird in diesen prächtigen Malereien repräsentiert.
Der Maler dieser lebendig wirkenden Bilder war ein holländischer Abenteurer mit Namen
Adrian George Aan de Wiel.
Ich möchte an dieser Stelle nicht nur auf diese Wandmalereien hinweisen, sondern gern an ihn erinnern.
„George“, wie alle ihn nannten, die ihn kannten, war ein kauziges Original. Er kam vor gut 30 Jahren von Holland nach Amerika mit dem Wunsch, Cowboy zu werden. Nach endlosen Wanderungen durch den amerikanischen Westen landete er im Südosten Colorados und blieb hier hängen. Er fand Arbeit auf einer Ranch und wurde das, was er sich erträumt hatte – Cowboy.
George war ein illegaler Einwanderer. Er war mit Touristenpapieren in die USA gekommen und war einfach geblieben.
Irgendwann kannten viele Menschen in Las Animas und im Ranchland seine Geschichte, aber keiner interessierte sich dafür. Weil sie George mochten. Die Region ist bis heute sehr dünn besiedelt. Hier kennt fast jeder jeden. Hier fühlt man sich fast wie eine große Familie.
George gehörte bald dazu.
Als er mal vor Gericht musste, weil er betrunken mit seinem Auto in einen Gartenzaun gefahren war, warf der Richter ihn einfach aus dem Saal und riet ihm, in Zukunft besser aufzupassen. (Der Richter wußte, daß George illegal war.)
George war nicht nur fleißig, er zeigte bald ein enormes Talent als Maler. Dabei wollte er kein Künstler sein, er wollte nur Cowboy sein. Aber er wurde immer wieder aufgefordert, seine malerischen Fähigkeiten zu zeigen – und das tat er schließlich, um ein bißchen Geld nebenbei zu verdienen.
Zu denen, die sein Talent besonders förderten, gehörte mein Freund Gerald Faust – Enkel eines deutschen Einwanderers aus Hamburg., Faust war (und ist) ein leidenschaftlicher Lokalhistoriker, und er war der Erbauer von „Bent’s Fort Inn“, dem Hotel, in dem ich immer wohne.
Faust engagierte George, die Halle seines Hotels mit Wandmalereien zu versehen, die die Geschichte der Region zeigten. Als dieser Auftrag zur Begeisterung aller ausgeführt worden war, erhielt George den Auftrag, an einigen Gebäuden der Stadt weitere Malereien anzubringen.
Heute gehören diese Wandmalereien zu den wenigen Attraktionen von Las Animas.
Aber George blieb trotz der öffentlichen Beachtung ein eigenbrödlerischer Mensch, der eine gewisse Distanz zu seiner Kunst hatte.
Ich habe das große Glück, ihn getroffen zu haben und eines seiner Bilder aus dem Innenhof von Fort Bent zu besitzen.
(Ein Geschenk, das mein Freund Gerald Faust mir machte, als er sein Hotel verkaufte und sich zurückzog. Es hängt heute bei mir im Flur.)
George hatte sein Lebensziel erreicht, als vor wenigen Jahren plötzlich bei ihm Krebs festgestellt wurde. Als illegaler Einwanderer hatte er keine Versicherung. Der Rancher, bei dem er gearbeitet hatte, kam für die ersten Krankenhausrechnungen auf, aber irgendwann wurde die Behandlung immer teurer und intensiver, und die Emigration-Behörde der USA wurde aufmerksam.
Nachdem sein Arbeitgeber in Holland nach möglichen Angehörigen gesucht hatte, meldete sich schließlich ein Sohn von Adrian George aan de Wiel.
George musste das Land seiner Träume verlassen und kehrte mit seinem Sohn nach Europa zurück. In Holland ist er vor 3 oder 4 Jahren gestorben.
Seine Wandmalereien zieren noch heute Las Animas, und viele seiner Bilder von der Pionierzeit und dem einst so Wilden Westen sind noch immer erhalten und hängen in vielen Häusern in Colorado.
Dank an Gerald Faust, der mir nicht nur das Bild von Fort Bent schenkte, sondern mir bei meinem letzten Besuch im Juni auch das Foto von George gab, vermutlich eines der wenigen, die überhaupt von diesem exzentrischen, bescheidenen, zurückgezogen lebenden Mann existieren.
Die Bilder zeigen George, die Wandmalereien in Las Animas und mein Gemälde von diesem holländischen Cowboy und Künstler.