Die Brüder Grimm in Kassel (und anderswo) - Die Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettel
Die Brüder Grimm in Kassel (und anderswo)
Die Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettel
Die beiden älteren lebten zur Zeit des Todes der Mutter noch mit dem Rest der Familie zusammen, erst 1814 gab man die Wohnung in der Kasseler Altstadt auf.
Charlotte litt sehr unter der Situation, plötzlich in jungen Jahren in der Rolle einer "Familienmanagerin" zu sein, sie war vermutlich auch nur unzureichend darauf vorbereitet worden, den Männern den Haushalt zu führen. Vermutlich lag dies nicht nur an der finanziellen Situation der Familie.
Jacob schreibt nach dem Tod der Mutter an Wilhelm, der zu der Zeit in Halle war. Der "Haushalt", schreibt er "sei unangenehm geworden, weil sich keins [d.h. keines der Geschwister] an das andere binde und keine Ordnung mehr sei, weder beim Essen noch sonst“. [Hinweis: Es ist ein umfangreicher Briefverkehr erhalten, nicht zuletzt auch zwischen Jacob und Wilhelm. Die Seite Grimmnetz.de verzeichnet allein 258 Briefe von Jacob an Wilhelm, und laut der durchsuchbaren Nachweisdatenbank werden fast jede Woche mindestens einmal Briefe zwischen den Brüdern ausgetauscht.]
In Kassel selbst hatten die Brüder Grimm verschiedene Wohnorte, die aufzuzählen vermutlich nur jemandem etwas sagen, der Kassel kennt und/oder Interesse an der Stadt hat.
Teilweise sind die Gebäude - in der Kasseler Altstadt gelegen - durch die Bombardierung Kassels zerstört, teilweise existieren sie noch, wie beispielsweise die nördliche Torwache, wo sie gemeinsam mit der Schwester Charlotte lebten. "Lotte", wie man sie in der Familie nannte, war für Jacob und Wilhelm als einziges Mädchen der ausgesuchte Liebling der Geschwister.
Vor allem Wilhelm, der aufgrund seiner Gesundheit, er hatte Asthma und eine Herzerkrankung, nicht so viel reisen konnte, litt oft unter den Auslandsreisen Jacobs. Ab 1808 war Wilhelm häufig krank. Die Krankheiten, die heute noch eine nicht unerhebliche Einschränkung darstellen, waren damals kaum zu behandeln. Er war offenbar so eingeschränkt, dass er nach dem Ende des Studiums zunächst keine Stelle fand und auf die finanzielle Unterstützung der Familie angewiesen war. Auch wenn er viel weniger reiste als Jacob, waren seiner Reisen für ihn - und Jacob - besonders nutzbringend. Bekannt ist es eine Rehablitationsreise, die er nach Halle/Saale unternahm (siehe oben, dort erreicht ihn auch der Brief Jacobs). Erst 1814 hatte er sich so weit erholt, dass er eine Stellung annehmen konnte.
Er lernte auf dieser Reise Komponisten kennen und bewegte sich in künstlerischen Kreisen, er reiste in Begleitung des Familienfreundes Brentano nach Berlin und teilte sich mit ihm und Achim von Arnim für gewisse Zeit eine Wohnung in Berlin. Sogar die Bekanntschaft Goethes machte er auf einer seiner Reisen, ebenso die der Schwestern Jenny und Annette von Droste-Hülshoff.
Die diversen "illustren Namen" der Literaturszene, die den meisten von uns zumindest aus dem Deutsch-Unterricht bekannt sind, machen deutlich, in welchem Umfeld sich die beiden Grimms (und ihr Bruder Ludwig sowie Charlotte) bewegten. Sie waren mit den entscheidenden Autoren einer sich verändernden literarischen Welt bekannt, arbeiteten an "des Knaben Wunderhorn" mit, standen - wie der überwiegende Teil der gebildet(er)en Gesellschaft - in umfangreichem Briefkontakt weltweit und befruchteten so ebenso das Wirken der anderen, wie ihr eigenes befruchtet wurde.
Jacob und Wilhelm zogen mit Charlotte 1814 zusammen, eine Gemeinschaft, die bis zu Charlottes Heirat (1822) bestehen blieb. Erster "neuer" Wohnort der drei war die nördliche Torwache in Kassel, ein recht auffälliges Gebäude.
Die beiden anderen Brüder, Carl Friedrich und Ferdinand Phillip, gehen neben der "Glorie" der bekannteren Brüder unter, es ist wenig über sie zu finden in den mir gerade zugänglichen Quellen. Definitiv lebten sie nicht mit Jacob, Wilhelm und Charlotte zusammen. Carl Friedrich wurde Kaufmann und Sprachlehrer, Ferdinand Phillip fand sein Auskommen als Buchhändler und Autor (Quelle www.Grimms.de).
1860 schrieb Jacob „Die Kasseler Jahre waren die glücklichsten unseres Lebens“. Früher sahen sie dies durchaus anders. Als Jacob in/nach seiner Studienzeit viel reiste, unter anderem wie gesagt nach Paris, nannte er Kassel "dörfisch" oder "gewaltig viel schlechter" als andere Städte. "Eigentlich" schrieb Wilhelm sogar noch 1815 "gedeihen wir hier in Caszel nicht". Dies wird sich ändern ...
Bereits 1806 hatten die beiden Brüder mit dem Sammeln von Märchen und Sagen begonnen, und bereits 1811 veröffentlichten sie die ersten wissenschaftlichen Bücher. Dies macht deutlich, dass sie durchaus mehr "auf dem Zettel" hatten als die Märchen.
Das Buch "Die Grimmwelt" war in dieser Hinsicht für mich nochmal ein regelrechter Augenöffner. Was (ganz natürlich) mit den diversen Grußwörtern wie ein Ausstellungskatalog daherkommt, entpuppt sich als viel mehr. Dies liegt nicht nur an der hervorragenden Arbeit des Sieveking Verlages (ich habe mich spontan in das Buchcover "verguggt"), sondern auch an der Ausstellungskonzeption, die das Lesebuch aufnimmt.
Man hat bewusst darauf verzichtet, die Lebensstationen der Grimms chronologisch abzuarbeiten, oder verschiedene Bereiche für die diversen Bereiche ihrer Arbeit zu schaffen. Man wählte ein "von A bis Z", eben diese "von Ärschlein bis Zettel", für jeden Buchstaben des Alphabetes eine "Station". Das hält nicht nur immer wieder Platz für Überraschungen frei, man wird auch nicht der "Reihe nach" durch die Begriffe geführt. Es werden thematische Schwerpunkte gesetzt, die ebenfalls nicht unbeding erwartet werden (ich schreibe nicht mehr, lasst euch überraschen).
Ich gebe zu, manches ist für mich etwas modern geraten, ich bin vielleicht einfach nicht der Richtige für moderne Kunst, aber ich fand die Idee des Alphabetes einfach grandios.
In dem Lesebuch "Die Grimmwelt" sind entsprechend auch zu den Buchstaben jeweils Texte von Autoren wie Hans Magnus Enzensberger oder Yoko Tawada versammelt. Auch da bin ich für einiges vermutlich zu wenig literarisch, aber es sind so spannende und interessante Texte dabei, dass man immer wieder bemerkt, wie bedeutsam eigentlich diese beiden Männer für unser literarisches Deutschland sind.
1816 arbeiteten beide Grimmbrüder für die kurfürstliche Bibliothek. Jacob als Bibliothekar, Wilhelm als Sekretär. Mehr oder weniger unveränderlich zogen sich die Jahre bis 1822 hin.
Zu diesem Zeitpunk verließ Charlotte, die Sommer 1822 heiratete, die Wohngemeinschaft. Sie hatte sich dazu entschieden, einen Jugendfreund der Grimm-Brüder zu heiraten, der später eine sehr konträre politische Entwicklung im Vergleich zu den Grimms nahm: Hans Daniel Ludwig Friedrich Hassenpflug, Jurist und Politiker. Er ist ebenfalls eine sehr interessante Persönlichkeit, mit der man sich länger beschäftigen kann. Lotte starb früh, kurz nach der Geburt ihrer letzten Tochter 1833.
An ihrer Stelle zog Ludwig Emil mit ein, der Maler.
Die Grimms machten sich nicht wirklich beliebt bei den Herrschenden - ihren Arbeitgebern. Mit der Rückkehr des Kurfürsten nach Kassel kehrte auch die reaktionäre Politik zurück, und für die beiden Brüder, die freiheitlich dachten, war diese "Rückbesinnung" auf die alten Werte ein Problem.
Wie sehr sie sich unbeliebt machten, wurde 1829 deutlich. Zu der Zeit sollte die Stelle der Bibliotheksleitung neu besetzt werden. Jacob und Wilhelm machten sich Hoffnungen - vergebens, denn sie wurden übergangen.
In Kassel lebten und arbeiteten sie über 30 Jahre, auch wenn sie es 1829 in Richtung Göttingen verließen ... sie würden zurückkehren, wenn auch unter ganz anderen Bedingungen.
In dem Buch "Die Grimmwelt" ist eine ganz großartige aquarellierte Federzeichnung von Ludwig Emil Grimm abgebildet, die den "Auszug" der Brüder Jacob und Wilhelm aus Kassel darstellt.]
Die Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettel
Ende Teil 2