Die Brüder Grimm und ihre Märchen - Die Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettel
Die Brüder Grimm und ihre Märchen
Die Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettel
So verfassten Jacob Ludwig Karl (1785-1863) und Wilhelm Carl (1786-1859) dort neben den Märchen eine deutsche Grammatik und ein Buch zu "Deutsche Rechtsaltertümer".
Die Sammlung der Kinder- und Hausmärchen, die wir heute als Grimms Märchen kennen, sind ab 1806 durch die Grimms gesammelt, bearbeitet und veröffentlich worden. Es begann mit der Bekanntschaft von Wilhelm und Jacob mit Clemens Brentano, Johann Friedrich Reichardt und Achim von Arnim, die eine Volksliedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" vorbereiteten. Diese erschien 1805 bis 1808. Insgesamt entstanden in dieser Sammlung eine Sammlung von Volksliedtexten in drei Bänden.
Das Wunderhorn gilt als das "Hauptwerk der Heidelberger Romantik". Dies deutet schon an, dass es auch andere Strömungen in der Romantik gab. Hauptpersonen der Heidelberger Gruppe waren Achim von Arnim (1781-1831) und Clemens Brentano (1778-1842). Sie veröffentlichten insgesamt in den drei Bänden 723 Lieder.
Clemens Brentano beschrieb die Idee in einem Brief an von Arnim 1805 wie folgt:
(...) es muß sehr zwischen dem romantischen und alltäglichen schweben, es muß Geistliche, Handwerks, Tagewerks, Tagezeits, Jahrzeits, und Scherzlieder ohne Zote enthalten ... es könnten die bessern Volkslieder drinne befestigt, und neue hinzugedichtet werden"
(Zitiert aus: Uni-heidelberg.de/presse/ruca/ruca08-1/02.html).
Insbesondere Brentano machte Werbung für die Zusendung von Material zur Verwendung, andere Quellen waren mündliche Erzählungen aller möglichen Familien, unter anderem auch die Familie Wild, aus der die spätere Frau von Wilhelm Grimm stammte. Über diese Schiene kam es zur Bekanntschaft mit der Kasseler Hugenottenfamilie. Tatsächlich kamen zahlreiche Zusendungen, die jedoch viel weniger verwendet wurden, als ursprünglich vielleicht geplant. In jedem Fall nutzte Brentano sehr clever die vorhandenen Werbemöglichkeiten, z.B. Flyer.
Inhalt des Wunderhorns sind Liebes-, Soldaten-, Wander- und Kinderlieder, die aus den Epochen des Mittelalters bis ins 18. Jahrhundert stammen. (Originalwerk findet sich unter anderem bei Zeno).
Brentano war wie erwähnt durch eine Empfehlung von Savigny auf die Grimms gestoßen. Es ist bekannt, dass er einen Brief an seinen Schwager (Savigny) schrieb, in dem er sich danach erkundigte, wer für ihn in der Kasseler Bibliothek nach Liedern etc suchen könnte. Savigny dachte sofort an Jacob Grimm, seinen ehemaligen Studenten, den er doch gerade erst als Helfer und Lernender bei sich in Paris gehabt hatte. Grimm war begeistert. Im Lesebuch zur Grimmwelt vom Sieveking Verlag ist unter dem Buchstaben "V" der Aufsatz "Volksmärchen von Heinz Rölleke zu finden, in dem es sehr spannend um die Märchensammlung der beiden Grimms geht - Buchangaben siehe am Ende des Artikels).
Als Anhänger der Romantik wollten sie sich von der klassischen Antike und den Vorbildern (z.B. Griechisches Theater etc) lösen, sich der Geschichte ihres eigenen Kulturkreises und den kulturellen Hintergründen zu besinnen. Dies bedeutete vielfach, diese erst einmal zu sammeln, auszugraben aus den Erinnerungen und Erzählungen, ihnen den Wert zu verschaffen, der ihnen zukommt. Natürlich stieß man da zwangsläufig auf die Archetypen von Helden, Themen und Erzählsträngen, aber dies in Zusammenhang mit regionalen, sozialen und historischen Hintergründen.
Wie (später) auch die Grimms, nutzte man
"ältere Bücher und neuere Zeitschriften, Fliegende Blätter, neuzeitliche Handschriften und zeitgenössische handschriftliche Einsendungen verschiedener Beiträger"
(Zitiert aus: Uni-heidelberg.de/presse/ruca/ruca08-1/02.html).
Wie bereits erwähnt, gab es unterschiedliche Strömungen und Haltungen zur Romantik. Nach der französischen Revolution, den Veränderungen in England, der Unabhängigkeit der jungen Staaten in Amerika und schließlich dank Napoleon, der in Europa alles über den Haufen warf, entstand Aufbruchsstimmung in vielen Studenten und Gelehrten, in Teilen der gebildeten Bürgerschicht.
Grimms und Brentano/Arnim teilten die Kritik an den (negativen) Auswirkungen der sich modernisierenden Gesellschaft und wollte eine „Gesundung der Nation“, für die eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen, germanischen, fränkischen etc Wurzeln hilfreich sein sollten. Und obwohl die Grimms mit Brentano zusammenarbeiteten und die Kontakte, die durch Savigny entstanden sind, erhalten blieben, sie sogar bei Band zwei und drei maßgeblich die Überarbeitung übernahmen, bestanden nicht unerhebliche Konfliktthemen. Diese waren nur auf den ersten Blick rein philologisch/philisophisch, deuten meiner Meinung nach jedoch auch auf grundlegendere Unterschiede hin. Teilweise waren auch die beiden Brüder untereinander uneins, was sich jedoch offensichtlich nicht so weit zog, dass sie nicht zusammenarbeiten konnte.
Erstaunlicherweise übernahm Brentano soweit bekannt ist keine Inhalte, die ihm von den Grimms zugeleitet wurden. Dies ist bestimmt zu klären, würde jedoch vermutlich wieder einmal zu weit führen ;-).
Für die beiden Grimmbrüder war dies durchaus förderlich: Sie blieben an der Arbeit um des Knaben Wunderhorn beteiligt, was sicher für eine Steigerung ihres Ansehens und Bekanntheit sorgte, zum anderen konnten sie das Material, das sie erarbeitet hatten, weiter verwenden - was sie auch taten. Diese Sammlung war die Basis für ihre weitere Arbeit. Etwas schwer erkennbar zeigt das Bild eine Doppelseite aus dem Buch "Grimmwelt". Auf der rechten Seite ist eine Karte mit den internationalen Briefkontakten der Grimms, die ihnen fachlich für ihre Märchen und die vielen anderen Projekte und/oder persönlich freundschaftlich verbunden waren.
Die Arbeit der Grimms zog sich hin, "erst" 20. Dezember 1812 kam es zu einem ersten Druck, im März 1813 folgte eine zweite mit einer Auflage von 900 Stück. Im ersten Moment war ich aufgrund der doch recht geringen Auflagenhöhe verwundert, immerhin kann man heute bei einem entsprechend erfolgreichen Autoren mit ein paar hunderttausend Stück anfangen - aber angesichts der noch immer geringen Anzahl an Menschen, die nicht nur lesen konnten, die das Thema interessierte, die sich ein solches Buch leisten konnten und es dann auch tatsächlich kauften - heute kaum vorstellbar.
Es gibt eine ganze Reihe von Quellen, die uns heute durch die Forschung bekannt sind, bzw. die man als "Hilfssammler" kennt: Über die Freundschaft mit der Familie Droste-Hülshoff und einer anderen Familie des westfälischen Adels, gelangten sie an eine ganz neue Quelle: Die Familien sammelten ihrerseits Erzählungen, Lieder und Geschichten bei ihren Bauern, Dienstmädchen, Knechten, Schäfern ... dem "eigentlichen Volk", dem sie viele ursprüngliche Geschichten für die zweite und folgende Teile verdankten. Wie bereits erwähnt gehört die Familie Wild zu den Quellen, deren Erzählungen in die Märchensammlung einflossen, und natürlich die bekannte Katharina Dorothea Pierson, verheiratete Viehmann aus Baunatal bei Kassel (1755-1815). Wer in Baunatal in die Knallhütte geht, kommt um das Bild der alten Dame nicht herum.
Die Romantik hatte einen schweren Stand. Anders als die Klassiker wurden sie von Gedanken wie "Freiheit", "gegen staatliche Willkür" oder "soziale Gerechtigkeit" stark befeuert. Für die deutschen (Klein-) Staaten und ihre eher wenig demokratisch gesinnten Herrscher roch es nach Revolution. Sie hatten mit den Nachwirkungen von Napoleons Zeiten zu kämpfen, mit den gesellschaftlichen, industriellen und wissenschaftlichen Umbrüchen, die nicht ohne Spuren in der Gesellschaft geblieben waren. Zudem war 1816 das "Jahr ohne Sommer" gewesen, das enorme Auswirkungen auf die Versorgung der Menschen in Deutschland (und darüber hinaus natürlich) mit Nahrungsmitteln hatte. Hungersnöte und Plünderungen waren die Folge gewesen. Ein Beispiel für die Folgen der Unsicherheit und Angst in der Bevölkerung waren die "Hep-Hep-Unruhen" in vielen Städten und Regionen, bei denen es zu antijüdischen Gewaltausbrüchen kam.
Die Arbeit der Grimms zog sich hin, "erst" 20. Dezember 1812 kam es zu einem ersten Druck, im März 1813 folgte eine zweite mit einer Auflage von 900 Stück. Im ersten Moment war ich aufgrund der doch recht geringen Auflagenhöhe verwundert, immerhin kann man heute bei einem entsprechend erfolgreichen Autoren mit ein paar hunderttausend Stück anfangen - aber angesichts der noch immer geringen Anzahl an Menschen, die nicht nur lesen konnten, die das Thema interessierte, die sich ein solches Buch leisten konnten und es dann auch tatsächlich kauften - heute kaum vorstellbar.
Es gibt eine ganze Reihe von Quellen, die uns heute durch die Forschung bekannt sind, bzw. die man als "Hilfssammler" kennt: Über die Freundschaft mit der Familie Droste-Hülshoff und einer anderen Familie des westfälischen Adels, gelangten sie an eine ganz neue Quelle: Die Familien sammelten ihrerseits Erzählungen, Lieder und Geschichten bei ihren Bauern, Dienstmädchen, Knechten, Schäfern ... dem "eigentlichen Volk", dem sie viele ursprüngliche Geschichten für die zweite und folgende Teile verdankten. Wie bereits erwähnt gehört die Familie Wild zu den Quellen, deren Erzählungen in die Märchensammlung einflossen, und natürlich die bekannte Katharina Dorothea Pierson, verheiratete Viehmann aus Baunatal bei Kassel (1755-1815). Wer in Baunatal in die Knallhütte geht, kommt um das Bild der alten Dame nicht herum.
Wie auch die Familie Wild und einige andere Quellen der Sammler Brentano und Grimm war auch die Herkunftsfamilie von Dorothea hugenottischer Abstammung. In der Gastwirtschaft ihres Vaters hatte Dorothea früh Geschichten, Anekdoten, Lieder von den Gästen der Kasseler gehört, immerhin war der damalige "Zum Birkenbaum" - heute heißt das Gasthaus "Knallhütte" und ist heute wie damals neben dem Gasthof auch eine Brauerei - an einer wichtigen Stelle.
Das Gasthaus befindet sich an der "Alten Reichsstraße nach Frankfurt", einer der wichtigsten Handelsrouten von Frankfurt über Kassel nach Norden und Osten. Bevor man in das Kasseler Becken kam, musste man auf der Straße diese eine letzte Steigung überwinden, die besonders steil und lang war. Mit Pferden und Fuhrwerken hieß das nicht nur eine schweißtreibende Arbeit für Tiere und Menschen, sondern auch Notwendigkeit einer Pause zum Pferdewechsel, Ausruhen, Wasser für die Tiere - und das eine oder andere Bier für die Gäste. Entsprechend war das Publikum bunt, stammte aus allen Regionen und Gegenden. Eine bessere Quelle hätten sich die Grimms kaum wünschen können.
Als die beiden 1813 Dorothea Viehmann kennenlernten, war ihr Mann, ein Schneider, bereits verstorben. Sie lebte in Nieder-Zwehren und versuchte als Gartenbäuerin für sich und ihre Kinder zu sorgen. Sie bot ihre Produkte auf dem Markt in Kassel an und kannte den Priesters Ramus, Priester der hugenottischen Carlskirche in Kassel, durch den sie die beiden Grimms kennenlernte. Die Grimms schrieben:
"Einer jener guten Zufälle aber, war die Bekanntschaft mit einer Bäuerin aus dem nah bei Cassel gelegenen Dorfe Zwehrn, durch welche wir einen ansehnlichen Theil der hier mitgetheilten, darum ächt hessischen, Märchen (…) erhalten haben. Diese Frau, noch rüstig und nicht viel über fünfzig Jahr alt, heißt Viehmännin, hat ein festes und angenehmes Gesicht, blickt hell und scharf aus den Augen, und ist wahrscheinlich in ihrer Jugend schön gewesen."
Die Grimms stellten die Dorothea Viehmann als eine Frau aus dem Volk dar, eine hessische Bäuerin, die mit beiden Beinen fest im Leben steht, und die auch noch aus einer Familie mit einem Gasthaus kommt. Dies ist natürlich nur zum Teil richtig, denn soweit bekannt ist, war Dorothea Viehmann alles andere als "bäuerisch", immerhin stammte sie aus einer wohlhabenden Familie, die für die Bildung ihrer Kinder gesorgt hatte.
Sehr spannend finde ich die Tatsache, dass es nicht gerade wenig Quellen gab (sowohl beim Wunderhorn als auch bei den Grimms), die hugenottische Wurzeln hatten: Neben Dorothea Viehmann die Familie Wild oder Hassenpflug (aus der Familie ging unter anderem auch Amalie Hassenpflug hervor, eine Freundin der Grimms und Annette von Droste-Hülshoff, eine deutsche Schriftstellerin. Die Hassenpflugs waren eine hessen-kasselische Familie mit einem nicht unerheblichen Bildungshintergrund: Der Vater war Verwaltungsbeamter, die Mutter stammte aus Hanau und kam aus einer hugenottischen großbürgerlichen Familie. Ein Bruder von Amalie heiratete Lotte Grimm, die Schwester von Jacob und Wilhelm.
Dies lag natürlich nicht unerheblich an der Tatsache, dass die hessischen Lande in großem Stil damals hugenottische Flüchtlinge aufgenommen hatten, die im Laufe der Zeit in der hessischen Gesellschaft Wurzeln schlugen. Außerdem waren es häufig gebildete Handwerker, die geflüchtet waren, die sich ein neues Leben in der Fremde aufbauen mussten und gewisse steuerliche Vorteile hatten. Entsprechend erfolgreich waren viele Familien, in diesem Fall die Nachfahren des Isaac Pierson, der in Hofgeismar mit seiner Familie sesshaft wurde.
Es gibt eine unzählige Anzahl von Geschichten/Märchen/Legenden, die von den Grimms in ihre Bände eingebaut wurden, die uns heute aber volkommen unbekannt sind. Während die Nummer 1 "Der Froschkönig oder der Eiserne Heinrich", "Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen" oder "Der Wolf und die sieben jungen Geißlein" ebenso wie das Rotkäppchen, die Frau Holle oder das arme Aschenputtel bei uns bekannt sind - immerhin sind sie in den meisten Märchensammlungen enthalten, die man heute so als "DIE" Märchen der Grimms versteht, wird es bei Märchen 2 "Katze und Maus in Gesellschaft", Nummer 3 "Marienkind" schon schwieriger. Von den über 200 Märchen/Geschichten kennen wir nur einen Bruchteil. Dies liegt zu einem großen Teil an den verschiedenen Diskussionen über die unterschiedlichen Märchen, die jeweiligen Inhalte und/oder möglichen Deutungen der Inhalte im Lauf der vergangenen Jahrzehnte. Es gab Diskussionen darüber, ob Märchen überhaupt für Kinder geeignet sind - immerhin geht es um jede Menge Gewalt - oder ihnen eher schaden, ob sie nicht einfach nur dazu beitragen eine althergebrachte, überwundene Form von Familie, Regeln etc. zu festigen, oder ob sie heutigen Kindern eventuell nichts mehr zu sagen hätten. Und noch jede Menge anderer Diskussionen mehr.
Die Grimms haben auf jeden Fall mit ihrer Sammlung an Kinder- und Hausmärchen einen kulturellen, historischen, sozialen, gesellschaftlichen Schatz hinterlassen, der meiner Ansicht nach gar nicht überbewertet werden kann. Auch wenn ich nicht jedes Märchen lesen werde ... ich fürchte, ich werde mir einige dieser Märchen zu Gemüte führen "müssen".
Die Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettel
Ende Teil 3