Flaggschiffe, Flottenkadetten und Flops Folge 30: Die Zukunft von gestern ist nicht die Welt von heute
Flaggschiffe, Flottenkadetten und Flops
Folge 30:
In den vorausgegangenen neunundzwanzig Folgen haben wir größere und kleinere Science Fiction-Serien vorgestellt, die während gut dreier Jahrzehnte in den Utopia- und Terra-Reihen erschienen sind. Dabei waren solche, die komplett als Heftausgaben (wie z. B. „Jim Parker“) publiziert wurden, aber auch welche, die nur das eine oder andere Heft in diesen Reihen hinterlassen haben („Sternschnuppen“), großteils aber in Buch- oder Taschenbuchreihen herausgekommen sind (wie z. B. „Doc Savage“). Es waren berühmte Serien dabei (wie z. B. „Foundation“) und wenig bekannte. Wem wäre zum Beispiel "Tab Fantor" ein Begriff gewesen? Es wurden deutsche und im Original englischsprachige Serien besprochen.
Natürlich war die Vorstellung nicht ganz vollständig. Etliche Zwei- bis Fünfteiler, von denen der eine oder andere Titel verstreut ohne Serienkennzeichnung in den Utopia- und Terra-Heftreihen publiziert wurde, haben wir nicht im Detail besprochen. Dies liegt zum Teil daran, dass sie mir nicht wichtig genug erschienen sind, näher vorgestellt zu werden, zum anderen, weil auch meine eigene stattliche Sammlung nicht lückenlos ist und ich auch in mittlerweile 50 Jahren SF-Konsum nicht alles lesen konnte. Und in der Beurteilung der Serien wollte ich mich nicht auf andere Quellen, sondern vor allem auf die eigene Leseerfahrung verlassen. Als Kompromiss stelle ich die nicht besprochenen Kurzserien und ihre Autoren hier noch mit Titel und Verfasser und dann noch in der Bibliografie vor. Von den englischsprachigen Autoren sind zu nennen: Arthur Barnes: Interplanetarische Jäger; Jonathan Burke: Parasiten; Hal Clement: Schwerkraft; Erroll Collins: Space Mariners (dieses Werk hätte beinahe zu einer Indizierung der Utopia-Großbände geführt); Jon J. Deegan: Old Growler; Tom Godwin: Ragnarok; Lewis Padgett: Galloway Gallagher; Festus Pragnell: Die grünen Männer von Graypec; Mack Reynolds: Sektion G, Joe Mauser; H. Beam Piper: Fuzzy; Eric Frank Russell: Jay Score; Robert Randall: Nidor. Nicht besprochen habe ich auch folgende Kurzserien, die nur in der Terra Taschenbuch- oder in der Utopia Classics-Taschenbuchreihe erschienen sind: Larry Maddock: Hannibal Fortune; Dan Morgan: Esper; Samuel R. Delany: Toron-Trilogie; Edmund Cooper: Ents; H. Beam Piper: Parazeit; Lin Carter: Imperiums-Trilogie.
Bei den deutschsprachigen Autoren sind es die „Con-Forster-Trilogie“ von Henry Walter alias C. V. Rock, welche in den ersten Utopia Großbänden erschienen ist sowie die Zweiteiler von Hubert Haensel: Forschungskreuzer Cimarron und L. D. Palmer: Kampf um die Unsterblichkeit in Terra Astra, die nicht besprochen wurden. Darüber hinaus gibt es mit ziemlicher Sicherheit noch verstreut den einen oder anderen weiteren Zwei- oder Dreiteiler, der bisher noch nicht entdeckt worden ist. Der rührige Verleger Heinz Mohlberg hat einiges von diesem Material aufgestöbert und in seinem Verlag in Kleinauflagen wieder zugänglich gemacht. Zum Beispiel wäre der Jim Parker-Klon John Palmer (Geheimauftrag Abendstern) sicher vergessen geblieben, hätte sich nicht Heinz seiner angenommen. Eine Gesamtübersicht über einen Großteil der angeführten Serien mit mindestens vier Bänden sowie Hinweise zu Buchausgaben dieser Titel ist auf der Webseite von Jürgen Kerckhoff zu finden. Für Hinweise zu weiteren unentdeckten Serien wäre ich dankbar.
Eine eigene Untersuchung wären auch die Serien in den Leihbüchern der fünfziger und sechziger Jahre wert. Einige wie „ZBV“, „Prokaskischer Krieg“ und „Sugar Pearson“, die bekannt sind und komplett in den Heftreihen nachgedruckt wurden, haben wir bereits besprochen. Zu diesen und den weiteren Leihbuch-Serien liefert die SF-Leihbuch-Datenbank von Michael Peters im Web wertvolle Informationen. Auch aus diesem Bereich sind einzelne Romane in Heftausgaben nachgedruckt worden. Eine genauere Analyse würde einerseits Zugang zu diesen Büchern erfordern, der mittlerweile sehr schwierig ist, weil sie nur noch von wenigen Sammlern gehortet werden, oder gar längst im Altpapier gelandet sind, weil aufgrund der schlechten Papierqualität auch die Haltbarkeit nicht gegeben war. Außerdem ist der Großteil der Bücher, die in Leihbüchereien „gelaufen“ sind, auch komplett abgegriffen. Zum Schluss kommt, dass ein sehr großer Teil dieser Titel auch inhaltlich so unterirdisch ist, dass ein Nachlesen durch anspruchsvolle Leser von heute schon an Masochismus grenzt. So ist es kein Wunder, dass Pläne von Heinz Mohlberg, Serien aus diesem Bereich (z. B. „UTO-Spion“ von W. W. Shols) aufgrund des mangelnden Interesses potentieller Abonnenten bisher nicht zustande gekommen sind. Auf eine Betrachtung der größeren eigenständigen Hefterien wie Ren Dhark, Rex Corda, Raumschiff Promet, Die Terranauten etc. habe ich in dieser Artikelserie bewusst verzichtet, da sie aufgrund der selbst gewählten Einschränkung auf die Utopia- und Terra-Reihen nicht in Betracht kommen und außerdem zu diesen Themen anderweitig bereits eine Menge von Informationen erschienen sind.
Nach dem Ende der meisten Heftreihen in den achtziger Jahren hatte sich der Markt gravierend verändert. Science Fiction (und ihre Schwester Fantasy) wurde nun hauptsächlich in Taschenbuchreihen publiziert. Der Geschmack des Publikums hatte sich geändert, und deutschsprachige Autoren waren einige Jahre kaum mehr zu verkaufen. Zudem wurden Bücher wesentlich umfangreicher. Die Normierung von Seitenzahlen bei Taschenbüchern (sehr oft 128, 144 oder 160 Seiten, also das Vielfache eines Bogens von 16 Seiten) durch die Papierknappheit und die noch geringe Kaufkraft der Konsumenten in der frühen Nachkriegszeit spielte keine Rolle mehr. Romanhefte hatten normalerweise nur 48, später 64 Seiten Umfang, Großbände 96 Seiten. Dies hatte bei der Übersetzung von fremdsprachigen Originaltexten oft drastische und sinnentstellende Kürzungen notwendig gemacht. Dafür waren die Hefte und Taschenbücher billig. damit für Jugendliche mit bescheidenem Taschengeld erschwinglich, und außerdem durch den Kioskvertrieb frei zugänglich. Der Buchhandel war in den Jahren nach dem Krieg von der heutigen Selbstbedienung samt ausgedehnten Schmökerecken noch weit entfernt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich selbst in den sechziger Jahren Schulbücher in der Buchhandlung abholte und sie mir ähnlich wie in einer Apotheke und in einer Atmosphäre, die eher an ein Amt als an ein Geschäft erinnerte, über den Ladentisch herübergereicht wurden. Es war auch absolut richtig, dass ab den siebziger Jahren die Beschränkungen des Seitenumfangs der Bücher gefallen sind. Damit hat das oft sinnentstellende Kürzen bei der Übersetzung von fremdsprachigen Romanen aufgehört. Leider hat das aber auch dazu geführt, dass seither eine Menge stinkfader Bücher im Ziegelsteinformat erschienen sind, in denen viel geschrieben steht, aber wenig ausgesagt wird. Die heutigen Möglichkeiten mit Computer und Textverarbeitung, die das Schreiben enorm erleichtern, verstärken diesen Trend noch zusätzlich.
Nachdem die großen Publikumsverlage in den achtziger Jahren ihr Programm umgestellt hatten und es einige Zeit schien, dass die Kleinserien aus der Romanheftvergangenheit dem Vergessen anheimfallen würden, belebten nun sukzessive Kleinverlage das Interesse an den alten Serien aus dem SF- und Gruselumfeld durch Neuausgaben vieler dieser alten Romane. Darunter sind folgende Verlage zu nennen, die damit ein „Nostalgie-Geschäftsfeld“ aufgebaut haben: Atlantis, Blitz, Emmerich, Fabylon, Golkonda, HJB, Mohlberg, Dieter von Reeken und Zaubermond. Atlantis kümmert sich um die Neuausgabe der Earl Dumarest-Serie und andere Werke von E. C. Tubb und hat auch die „Valerian“-Trilogie von Michael Sullivan publiziert. Blitz brachte neben etlichen Gruselserien auch die SF-Serien „Raumschiff Promet“ und „Star Gate“ neu heraus. Außerdem legte dieser Verlag einige Kleinserien in seiner Reihe „Utopische Klassiker“ (später auf „SF-Klassiker“ umbenannt) und in der Nachfolgereihe „Magic Edition“ in überarbeiteter Version neu auf. Emmerich Buch & Media bringt das Gesamtwerk von Hugh Walker (mit Ausnahme seiner Romane zu Verlagsserien wie Dragon) aller drei phantastischen Subgenres SF, Fantasy und Horror und eine Neuedition der Romane von H. J. Müggenburg. Fabylon brachte die „Sternensaga“ und den „Kosmischen Vagabunden“ von Ernst Vlcek neu heraus. Golkonda macht eine sehr schöne „Captain Future“-Edition. HJB und der Schwesterverlag Unitall konzentrieren sich auf die Neuausgabe und Fortschreibung von Ren Dhark (daneben leider auch obskure geschichtsrevisionistische Alternativrealität-Geschichten wie „Kaiserkrieger“ etc.). Dieter von Reeken greift mit seinen Neuauflagen noch viel weiter in die Geschichte zurück als die anderen Verlage. Neben einer Gesamtausgabe des deutschen SF-Vorläufers Hans Dominik wurden unter anderem auch die berühmten Serien „Sun Koh“ und „Jan Mayen“ von Paul Alfred Müller neben anderen Werken dieses bemerkenswerten Autors für literaturhistorische Interessierte wieder greifbar gemacht. Neben weiteren Schätzen, die teilweise noch aus der Zeit des Kaiserreiches stammen, damals in Frakturschrift gedruckt wurden und deshalb im Original von vielen Leuten nur mehr schwer zu lesen sind, hat von Reeken auch eine Reihe von sekunderliterarischen Werken herausgegeben. Ein Verlagsprogramm, das einen den Mund offen stehen lässt, wenn man bedenkt, dass dies durch einen Einzelkämpfer bewältigt wird. Herauszuheben sind außerdem noch die äußerst sorgfältigen Editionen, sowohl was die Aufmachung als auch den editorischen Apparat betrifft. Zaubermond ist vor allem im Gruselumfeld tätig, macht dort seit Jahren die Neuausgabe und Fortsetzungen des Dämonenkillers Dorian Hunter und der Hexe Coco, brachte aber auch einige SF, z. B. die Buchfortsetzungen von „Bad Earth“ und „Sternenfaust" und seit einiger Zeit auch Neuausgaben der "Perry Rhodan Planetenromane".
Ein weiterer Versuch wurde von Pabel-Moewig innerhalb der Hardcoverreihe Moewig Fantastic gemacht, in der neben neuen Romanen zu den Fantasy-Serien Dragon und Mythor sowie zwei Atlan-Romanen das Label „Terra Astra“ wieder aufgelegt wurde. Hier erschienen „Androidenjäger“ von Ernst Vlcek, ein Nachdruck des Zweiteilers aus Terra Nova sowie Peter Terrids „Fährte nach Andromeda“, ein Nachdruck der drei Morconen-Romane aus Terra Astra. Leider blieb dem Konzept der Erfolg versagt und die Reihe wurde eingestellt. Ebenfalls erfolglos war der Versuch von Perry Rhodan-Autor H. G. Francis, in der „Gold Edition der besten SF-Autoren“ Werke von ihm selbst und anderen Kollegen herauszubringen. Nach 2 Bänden seiner „Jack Norton“-Serie war schon wieder Schluss. Die ZBV-Serie von K. H. Scheer erlebte in einer Hardcover-Sammlerausgabe des Verlags Winfried Blach ihre xte Inkarnation. Daneben darf auch der Weltbild-Verlag nicht übersehen werden, der mit schönen Sammlerausgaben von Darkover sowie im Fantasy-Bereich von Dragon und Mythor punkten konnte.
Mehr als nur Ersatz für die gescheiterten Versuche bzw. abgeschlossenen Reihen sind die Publikationen des Mohlberg Verlages. Zum einen erhielten dort die „großen“ Serien Jim Parker, Mark Powers und Ad Astra eigene Nachdruckreihen, die wir in den Folgen 1 – 3 besprochen haben. Ad Astra wurde leicht modernisiert und dann mit neuen Romanen fortgesetzt. Zum anderen wurde für kleinere Serien im Jahr 2000 die Reihe „Utopische Welten“ gestartet, die kontinuierlich eine stattliche Bibliothek aufbaute. Besonders hervorzuheben neben einer sehr behutsamen Überarbeitung waren die interessanten Vorwörter mit Hinweisen zur Publikationsgeschichte sowie – wie bei Mohlberg bereits gewöhnt – der Abdruck der Titelbilder der Erstausgaben. Folgende Kurzerien, die vorher in Utopia- und Terra-Heftreihen herausgekommen waren, wurden hier in 40 Sammelbänden publiziert:
„Der Weltraumreporter“ von Kurt Brand; „Der prokaskische Krieg“ von W. W. Shols; „Der Galaktische Krieg“, „Raumschiff Starlight“ und „Hurricane“ von Clark Darlton; „Die interstellaren Händler“ und „Das zweite Imperium der Menschheit“ von Hans Kneifel; „Die Wunder der Galaxis“ und „Die Evolutionspolizei“ von Ernst Vlcek; „Legende der Mutanten“ und „Jack Norton, der kosmische Entwicklungshelfer“ von H. G. Francis.
Die Schwesterreihe „Utopische Welten Solo“, die heute noch existiert, brachte „Die Terra-Chroniken“ von Conrad Shepherd, „Die Mysterien von Garal“ von Hans Peschke; „Im Auftrag der Inter-COSMIC“ von H. G. Francis, „Planet in Flammen“ und „Kampf in der Galaxis“ von Hans Kneifel, „Gefahr von Transpluto“ und „Geheimauftrag Abendstern“ von Alf Tjörnsen, „Flucht ins Multiversum“ von Wilfried Hary, „Pan Laboris“ von Ernst Vlcek, „Bert Pratt“ von Freder van Holk, und „Ring der Universen“ von Horst Hoffmann.
Leider sieht es so aus, dass das Leserinteresse an diesen Nachdruckreihen in letzter Zeit abnimmt Dem Vernehmen nach sinken die - bereits sehr kleinen - Auflagen seit einigen Jahren kontinuierlich. Selbst eine von der Kritik so hochgelobte Serie wie „Die Terranauten“ hat es schwer, sich auf dem Markt zu behaupten. Was sind die Gründe dafür? Ein erfreulicher Grund ist, dass durch die oben vorgestellten Aktivitäten diverser Verlage das Feld mittlerweile ziemlich abgegrast ist. Ein Großteil der in Frage kommenden Serien hat bereits eine entsprechende Neuauflage erlebt. Einige Lücken bleiben zwar noch. So würde ich mich zum Beispiel über Neuauflagen des „Krieges zwischen den Milchstraßen“ und „Roger Staff“ von Kurt Mahr, von „Vermächtnis der toten Augen“ und des „Weltraumscouts“ von H. G. Ewers, von „Delta Ursa“ und der „Time Squad“ von Peter Terrid freuen. Das sind alles Serien von Perry Rhodan-Autoren am Beginn ihrer Karriere, die dann an der großen Serie mitschreiben durften. Die Time Squad ist mittlerweile ja als E-Book erhältlich. Vergessene Highlights sind auch „Tab Fantor“ von Bernt Kling und Leo Günther sowie der „Tantalus“-Zyklus von Mischa Morrison. Bei den im Original englischsprachigen Serien ist ein Großteil nach den Heftpublikationen ebenfalls nochmals in meist ungekürzten Taschenbuchausgaben gebracht worden. Auf jeden Fall eine Neuausgabe hätten sich noch A. Bertram Chandlers Randweltenerzählungen um den späten John Grimes verdient.
Das Thema Übersetzungen und die damit fast immer verbundenen Kürzungen fremdsprachiger Originaltexte habe ich in einigen Folgen (z. B. bei der "Foundation"- und der "Lensmen"-Serie) detailliert beleuchtet. Bei Heftpublikationen ist einfach die genormte Seitenzahl ein Problem. Zur Zeit, wo SF-Romane kaum Chancen hatten, als Hardcover oder auch nur als Taschenbuch publiziert zu werden, war eine Heftausgabe die einzige Chance, auch renommierte Werke internationaler Autoren auf Deutsch zu bringen. Da blieb kaum etwas anderes übrig, als mit gekürzten Ausgaben vorlieb zu nehmen. Die Qualität vieler Übersetzungen war auf Grund der Produktionsbedingungen des Heftmarktes natürlich auch bescheiden. Die Alternative, die Werke gleich in der Originalsprache zu lesen, war vor einigen Jahrzehnten mangels Sprachkenntnissen nur für einen kleinen Teil unserer Bevölkerung machbar. Dazu kam noch, dass fremdsprachige Ausgaben natürlich nicht so einfach wie heute greifbar waren.
Der andere Grund für das nachgelassene Interesse könnte die bereits im Artikel über „Ad Astra“ angesprochene Alterung von SF-Geschichten sein. Viele SF-Werke, die vor einigen Jahrzehnten verfasst wurden, weisen merkwürdige Anachronismen auf. Da sucht der Protagonist im Jahre 2050 verzweifelt eine Telefonzelle, während wir in der Wirklichkeit des Jahres 2017 mitten im Dschungel mit dem Smartphone kommunizieren können. Das Raumschiff fliegt mit Überlichtgeschwindigkeit, der Kurs wird aber mit dem Rechenschieber errechnet, oder wenn es wenigstens einen Bordomputer gibt, spuckt er die Rechenergebnisse auf einem Lochstreifen aus. Von Internet ist keine Rede, aber es gibt bereits Mondstützpunkte. Science Fiction ist in ihren guten Beispielen intelligent geschriebene Unterhaltungsliteratur, die auch zum Nachdenken über technische und gesellschaftliche Entwicklungen anregt, aber als prognostische Literatur ist sie eben nicht zu gebrauchen. Auch deshalb wirken ältere Werke heute oft unfreiwillig komisch. Lesern, die damit aufgewachsen sind, gefällt das Wiedererkennen, aber heute nachkommende Generationen - die außerdem oft überhaupt nur mehr schwer für Bücher zu begeistern sind - kann man damit kaum ansprechen. Sogar bei international populären Werken wie den Robotergeschichten von Isaac Asimov, die in den vierziger Jahren geschrieben wurden und die ich in Vorbereitung für den entsprechenden Artikel durchgesehen habe, konnte ich diese Alterung deutlich beobachten (z. B. „Wahltag im Jahr 2008“, in: „Geliebter Roboter“). Interessant sind auch Änderungen des Sprachgebrauchs im Lauf der Jahrzehnte. Zum Beispiel wurde bis hinein in die siebziger Jahre das Wort „Rasse“ vielfach unbefangen, großteils ohne rassistische Absicht, aber biologisch falsch anstatt Spezies verwendet (besonders auffällig bei Andre Norton und Clark Darlton). Heute, im Zeitalter der politischen Korrektheit, ist dieses Wort so gut wie tabu.
Seien wir ehrlich: Die schriftstellerische Qualität von manchen der vorgestellten Werke, speziell von deutschsprachigen Serien wie „Jim Parker“ oder „Mark Powers“, aber auch der Romane um den amerikanischen Pulphelden „Doc Savage“, ist äußerst bescheiden. Auch viele Werke der Autoren der höchst erfolgreichen Perry Rhodan-Serie haben eine riesige Bandbreite in ihrer Qualität aufzuweisen. Das geht von beachtenswerten Zyklen, die in schönen Hardcoverausgaben gut aufgehoben sind, bis zu Schund aus der untersten Schublade. Wenn man im Abstand von einigen Jahrzehnten so manches Werk kritisch betrachtet, das einen als Zwölfjährigen begeistert hat, muss man feststellen, dass einiges an Defiziten in der Sprache, Handlungsaufbau und naturwissenschaftlichen Kenntnissen zu beobachten ist. Dies ist auch durch die Gesetze der Heftproduktion bedingt (schnell und billig). So ist es schwierig, über den verklärten Blick in die eigene Jugend und über genrehistorische Aspekte hinaus auch für ein heutiges junges Publikum Interesse für diese Werke zu wecken. Aber dennoch haben auch diese Werke ihren Wert. Viele der heutigen Erfolgsautoren, die nicht nur im SF-Genre gut ankommen, sondern sich auch im Mainstream behaupten (man denke im deutschsprachigen Raum z. B. an Andreas Brandhorst und Andreas Eschbach) sind mit diesen „Schundheften“ aufgewachsen, haben teilweise selbst am Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere welche verfasst, für ihre eigene weitere Laufbahn daraus Ideen mitgenommen und für ein heutiges anspruchsvolleres Publikum gefällig aufbereitet. So können wir im Kantaki-Universum oder in der Welt der Haarteppichknüpfer den „Sense of Wonder“ wiederfinden, den wir vor Jahrzehnten in den fast vergessenen Heftserien aus der Nachkriegszeit mit leuchtenden Augen entdeckt haben.
Ein deutlicher Vorteil, den eine Heftreihe als Periodikum gegenüber Buchreihen aufweist, ist die Leserkontaktseite als Mittel der Leserbindung. Dies wurde bei Moewig erkannt und die Terra-Reihe schon bald mit der Seite „Wir diskutieren“ ausgestattet, die – später auch unter dem lapidaren Titel „Leserkontaktseite“ - über Jahrzehnte bis wenige Bände vor Einstellung der Terra Astra-Reihe von G. M. Schelwokat betreut wurde. Hier konnte man ein buntes Sammelsurium von Titelvorschauen, Rezensionen, Vorstellung von Autoren, Bibliografien, Listen von Subserien, Kurzgeschichtensammlungen und Anthologien, die in der Reihe erschienen waren, Infos aus der Fanszene, Artikel zu Wissenschaftsthemen, Kurzgeschichten, Witze und vieles mehr finden. Damit bekam der Stammleser das Gefühl, ein „Insider“ zu sein, ohne sich im Fandom vereinsmäßig organisieren zu müssen. Die Macher traten damit über die Anonymität abgesehen von der Namensnennung hinaus. Der Einfluss dieser Kontaktseiten kann für eine Zeit, wo die heutigen Kommunikationsmedien noch Science Fiction waren, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. In der Perry Rhodan-Serie bekam die Leserkontaktseite, nachdem sie sich von der anfänglichen stupiden Aufzählung der neugegründeten Clubs in Richtung kritisches Forum entwickelt hatte, eine zentrale Funktion als Drehscheibe zwischen Macher und Leser. Es gab Leserbriefe, die es wert sind, auch noch nach Jahrzehnten zitiert zu werden:
Um nicht unproduktiv zu kritisieren, möchte ich Ihnen im Anschluß eine Kreation vorstellen, die mir schon seit ein paar Wochen durch den Kopf schwirrt, und die in ihrer Vielgestaltigkeit noch sehr ausbaubar ist. Es handelt sich um ein Vielzweckgerät, zu kaufen für jedermann, in der Grundausführung preiswert, durch einschiebbare Micromodule zu einem Luxusgerät für Snobs oder zu einem hochwertigen Hilfsgerät für Wissenschaftler, Bankiers usw. aufrüstbar. Die Grundeinheit besteht aus einem glatten Kästchen (vergleichbar mit unseren Taschenrechnern). Es kann als breiter Armreif getragen, umgehängt oder in die Tasche gesteckt werden. Seine Funktion besteht zunächst nur darin, Videophonsendungen und polyphone Rundfunksendungen zu empfangen. Dazu dient einmal als 3D Bildschirm die schwarzglänzende Oberfläche des Gehäuses, zur Lauterzeugung lassen sich mehrere unsichtbare Feldlautsprechergruppen im Raum verteilen, die vom Gerät projeziert (sic!) werden.
Folgende Moduls lassen sich integrieren:
1. Aufrüstung zum kompletten Interkom mit Anwählbarkeit des normalen Netzes und Spezialfrequenz für diese Gerätegruppe
2. Einschubmodul-Enzyklopädie, es stellt einen direkten Zugriff zum Mondspeicher Nathan dar, soweit er der Öffentlichkeit zugänglich ist. Nur Information, keine Berechnungen. Gebührenpflichtig.
3. Spiel-Modul: Damit läßt sich auf dem Bildschirm z. B. ein Schach sehen. Als Partner wählt man einen anderen Teilnehmer an oder man spielt gegen Modul 4.
4. Modul-Computer. Er gehört zu den teueren Modula. Seine Leistungsfähigkeit reicht an die von kleinen Positroniken heran. Für Haushalte ist das schon viel zu viel, aber wie gesagt, es gibt ja auch Weltraumsnobs. Zum Schachspiel gibt es mehrere Möglichkeiten; der Computer ist entweder unschlagbar, paßt sich der Leistung seines Gegenspielers an, oder er wird auf Bereich III gestellt; der Spieler gewinnt. Zur Programmierung dient der Bildschirm, auf den eine Eingabetastatur projeziert werden kann. Modul 4 hat ohne Modul 5 wenig Möglichkeiten.
5. Privatspeicher mit Mahnsektor. Hier werden alle Daten gespeichert, die die Person betreffen: Kontoführung, Adressen, Geburtstage, medizinische Daten, Körpermaße für Kleiderbestellung, aber auch Notizen und Spezialwissen, welches man immer greifbar haben muß oder will. Die Kapazität dieses Speichers ist für einen Privatmann groß genug, um 80 Jahre lang täglich mit 10 Informationen beschickt zu werden (Reklame Hersteller). Auf Anweisung macht sich der Mahnsektor von selbst zu einem vorbestimmten Zeitpunkt bemerkbar (Hochzeitstag usw.)
6. Ortspeiler und Orientierungsmodul. Auf Knopfdruck projeziert das Gerät eine Geländekarte mit Standortmarkierung des Trägers. Erst Kontinentalkarte, dann Vergrößerungen, bis der Ausschnitt einem Terrain von 50 x 30 m entspricht. Eine Leistung von Nathan, erdgebunden und gebührenpflichtig. Zusätzlich läßt sich auch der Standort anderer Geräte (Telefonnummer) ermitteln, jedoch muß Nathan vom Angewählten die Erlaubnis dazu einholen (Geheimdienst auch ohne).
7. Dieses Modul ist das teuerste und zugleich das letzte im freien Verkauf befindliche. Es ist als Spür- und Sprachmodul ausgelegt. Mit seiner Hilfe kann sich der Träger direkt mit dem Gerät unterhalten und ihm mündliche Anweisungen und Programmierungen erteilen. Der Spuranteil identifiziert das Gehirnwellenmuster des Besitzers und verhindert so mißbräuchliche Betätigung. Das ermöglicht weitergehende Anwendung des Gesamtgerätes; der Besitzer kann mit seinem Gerät Kontakt zu den Bankkomputern aufnehmen und fernmündliche Geldgeschäfte und Transaktionen vornehmen. Er kann Einkäufe betätigen und sich die Ware am Bildschirm vorführen lassen.
gekürzt zitiert aus: Alexander Wild, Leserbrief in Perry Rhodan Leserkontaktseite, Perry Rhodan 810, März 1977
Viel treffender hätte man, wie der Zufall es will, genau vierzig Jahre vor Erscheinen dieses Artikels, die Funktionen eines Smartphones mit Zugriff auf Mobilfunk, World Wide Web, Google Suche und Google Earth, GPS-Navigation, Electronic Banking etc. wohl nicht beschreiben können! Die meisten der beschriebenen Features erschienen damals als erst in ferner Zukunft realisierbare Science Fiction, sind heute aber Standardfunktionen von Allerweltsgeräten, die bei weitem nicht nur für Weltraumsnobs erschwinglich sind. Einzig das Mondgehirn Nathan und Benutzerauthentifizierung mittels Gehirnwellenmuster sind noch nicht verfügbar.
Einen Aspekt, der bisher nur am Rande erwähnt worden ist, aber das besondere Interesse für die phantastischen Heftreihen der Vergangenheit noch verstärkt, dürfen wir keinesfalls vergessen: die Titelbilder! Hefte haben ein größeres Format als Taschenbücher (Trade-Paperpacks mal ausgenommen), deswegen kommen die Titelbilder besser zur Geltung. Gerade in der SF-Magazin- und Heftszene hatte sich vor Jahrzehnten eine Coverkunst etabliert, die noch heute ihresgleichen sucht und die auch in anderen Genres des Heftromans bei weitem nicht so interessant war. Hier gab in der Vergangenheit große Namen. Von einem Frank R. Paul, der die Anfangsjahre von „Amazing Stories“ begleitete, bis zu den Stars der Fünfziger wie den beiden Eds (Emshwiller und Valigursky), dem „Dune"-Illustrator John Schoenherr, den Weltraum-Künstlern Chesley Bonestell und David A. Hardy, den fantastischen Raumschiffskreationen von Chris Foss, den rätselhaften surrealistischen Bildern des Paul Lehr, Fantasy-Illustratoren wie Frank Frazetta mit seinen Conan-Adaptionen, den Gebrüdern Hildebrandt in Mittelerde, Boris Vallejo mit muskelbepackten barbarischen Schwertkämpfern und leicht bekleideten Mädchen bis zum Scheibenwelt-Illustrator Josh Kirby reichte die Palette. Bei den deutschsprachigen Heftreihen waren die Stars der unermüdliche Johnny Bruck, der geheimnisumwitterte Rudolf Sieber-Lonati, der Flieger Karl Stephan sowie der für Terra Astra, Orion und Enterprise tätige Engländer Eddie Jones mit dem dicken Strich. Dazu kam der Meister der phantastischen Realismus Karel Thole, der viele beeindruckende Auftritte in der Heyne SF und der italienischen Urania-Reihe hatte, aber auch einen Großteil der ersten 100 Titelbilder der Vampir Gruselroman-Heftreihe malte. Einige seiner Arbeiten hätten sich einen würdigen Platz im Dali-Museum in Figueres verdient, zum Beispiel neben der „Zerrinnenden Zeit“.
Diese Art von Coverkunst fristet heute ein trauriges Nischendasein. Schaut man sich heutige SF-Titelbilder an, entdeckt man meist sterile, nichtssagende, Computer-generierte Allerweltsraumschiffe, weit entfernt von den vielfältigen (und auch oft kitschigen) Titelbilder von früher, die laut riefen: „Kauf mich!“. Eine ganz ähnliche Entwicklung gab es in der Musik, ebenfalls durch das Format des Basisproduktes bedingt. Die Coverkunst der sechziger und siebziger Jahre bei Langspielplatten hatte jede Menge von Verbindungen zum SF-und Fantasygenre. Das war nicht nur der Fall, wenn phantastische Themen im Liedgut angesprochen wurden, wie z. B. bei der britischen Band „Hawkwind“, bei der auch Michael Moorcock mitsang. Viele Cover wurden für beide Bereiche verwendet. Bei Musikkassetten sah das dann schon mau aus, bei den CDs wurde es nicht besser und beim USB-Stick ist das Thema erledigt, ganz zu schweigen vom Download.
Eine Chance, noch das eine oder andere interessante Werk aus der Vergessenheit herauszuholen, liegt seit einigen Jahren in den Möglichkeiten, die sich durch elektronische Publikation ergeben. Dabei muss allerdings zwischen zwei unterschiedlichen Interessen unterschieden werden: Das eine ist die Lust nach Lesefutter, die mit einem E-Book schnell befriedigt werden. Das andere ist allerdings der Wunsch von Forschenden, eine elektronische 1:1-Kopie einer Ausgabe mit allem Drumherum anschauen zu können. Wie gern hätte ich nochmals den Leserbrief nachgelesen, in dem ein Leser in einem Terra-Heft die Kürzungen der Lensmen-Romane kritisiert, aber ich habe ihn nicht mehr gefunden. Für mich war das Schreiben der Artikel und die Beschäftigung mit den Helden (und auch einigen Heldinnen) meiner Jugend eine interessante und vergnügliche Erfahrung. Ich konnte viele Schätze respektive Bücher und Hefte in die Hand nehmen, die seit dem Erstlesen vor Jahrzehnten unbeachtet im Regal gestanden waren. Das erneute Hineinlesen in die Hefte und Bücher war immer interessant, oft aufschlussreich, manchmal aber auch enttäuschend, wenn man die Erzählungen mit dem kritischen Blick der Lebenserfahrung betrachtet. Die Artikelserie diente auch der historischen Aufbereitung eines Teiles der deutschen SF-Geschichte in den Jahrzehnten nach dem Krieg, allerdings aus der Sicht eines Lesers, nicht der eines Profis. Daneben habe ich versucht, auch den Blick auf das eine oder andere interessante oder auch amüsante Detail zu richten, das Beachtung verdient, und einem größeren Kreis von Interessierten zugänglich zu machen.
Nachdem dieses Projekt abgeschlossen ist, werden wir uns hoffentlich in nächster Zeit zum Thema „S.A.G.A.“ wiedersehen. Außerdem lässt mir der Chefredakteur keine Ruhe, deshalb werde ich auch eine kleine Rubrik mit Namen „Sternträumers Tops und Flops“ starten, in der ich in allerdings unregelmäßiger Erscheinungsweise Werke vorstellen, loben oder niedermachen will, die mir in 50 Jahren Leseerfahrung in phantastischer Literatur jedweder Ausprägung im Gedächtnis geblieben sind. Dies können auch bemerkenswerte Neuerscheinungen sein.
Kommentare
Vielen Dank Heinrich Stöllner!
Vielen Dank dafür!
Viele Anregungen für Romane, die man nicht wahrgenommen hat.
Tolle Artikelserie
Vielen Dank für die kurzweiligen Stunden