Wooding, Chris: Piratenmond
Piratenmond
(Retribution Falls Tales of the Ketty Jay 1)
von Chris Wooding
(Retribution Falls Tales of the Ketty Jay 1)
von Chris Wooding
Im Zentrum des Geschehens steht die Crew des Luftschiffs Ketty Jay, allen voran ihr egoistischer, den weltlichen Vergnügungen äußerst zugetaner Kapitän Darien Frey. Mit kleineren Raubzügen hält sich die Besatzung mehr schlecht als recht über Wasser.
Als Frey einen Tipp bekommt, wie er ein reich beladenes, aber aus Gründen der Geheimhaltung nur schwach bewachtes Transportschiff kapern kann, scheinen die mageren Jahre vorbei. Obwohl ihm sein Bauchgefühl rät, sich nicht auf das Unterfangen einzulassen, entschließt sich Darien dazu, den Raubzug zu wagen.
Wie sich herausstellt, hätte er seinem Instinkt folgen sollen: Der Transporter wurde so sabotiert, dass er explodiert, als die Ketty Jay einen ersten Schuss auf ihn abgibt. Jemand hat vorgehabt, das Luftschiff zu vernichten, wollte die feige Tat aber wie das Ergebnis eines Piratenüberfalls aussehen lassen und die Besatzung der Ketty Jay als Sündenbock hinstellen.
So kommt es, dass Frey und seine Crew plötzlich ins Visier verschiedener Parteien geraten, die sie aus unterschiedlichen Gründen verhaften oder gar beseitigen wollen. Darien sieht nur einen Weg, mit heiler Haut davonzukommen: Er und seine Leute müssen herausfinden, warum der Transporter sabotiert wurde und wer hinter dem Anschlag steckt. Unversehens geraten die Piraten so in eine Verschwörung von unglaublichem Ausmaß
Würde man mich bitten, »Piratenmond« kurz und knapp zu bewerten, so würde ich antworten: Herrlich! Schlicht und ergreifend großartig! Chris Wooding hat ein exzellentes Buch geschrieben, das den Leser schon nach wenigen Seiten fest in seinen Bann geschlagen hat und ihn bis zum viel zu früh eintretenden Ende nicht mehr loslässt.
Allen voran ist dies meiner Ansicht nach dem herausragenden Darstellerensemble und der Dynamik der Figurenkonstellationen zu verdanken. So sind die einzelnen Charaktere jeder für sich lebendig gezeichnet, verfügen über ein reichhaltiges Arsenal unterschiedlicher Wesenszüge und müssen alle auf ihre eigene Weise mit gegenwärtigen Problemen, aber auch mit Dämonen der Vergangenheit fertig werden. Wirklich bestechend wirkt die Darstellerriege aber erst im Zusammmenspiel: Wooding bietet seinen Lesern kein Team, in dem es durchaus mal zu handfesten Meinungsverschiedenheiten kommt, das alles in allem aber doch recht gut zusammenarbeitet. Stattdessen präsentiert er seinen Lesern einen Haufen eigenwilliger, vornehmlich mit sich selbst beschäftigter Figuren, die erst lernen müssen, gemeinsam zu agieren, wenn sie überleben wollen. Das Ganze läuft ohne übertriebene Gefühlsduselei, meist sehr widerwillig und oft genug vom Autor bewusst unbeholfen geschildert ab, ganz in Form einer zaghaften, mitunter aber auch ruckartigen Entwicklung. Die Figuren und ihre Beziehung zueinander wirken dadurch ungemein lebendig und glaubwürdig im wahren Leben verlaufen Entwicklungen, wie wir alle wissen, nun einmal in den seltensten Fällen ruhig und gleichmäßig , was schlussendlich dafür sorgt, dass auch der simpelste Trunkenbold dem Leser ans Herz wächst.
Die Entwicklungen von Protagonisten und Beziehungsgeflechten machen zwar einen wichtigen, letztendlich aber nur einen Teil der Gesamthandlung aus. Die lebt bei Weitem nicht nur von ihren Helden, sondern auch von dem rasanten Plot, den Wooding sich ausgedacht hat. Auf ihrer Suche nach den Hintermännern des Sabotageakts muss die Crew der Ketty Jay so manches Abenteuer bestehen, einige davon ziemlich haarig, andere in bester »Mission: Impossible«-Undercover-Manier. All diesen Abenteuern gemein ist ihre erstklassige Inszenierung. Schnell, kompromisslos und immer für eine Überraschung gut schleust Wooding seine Leser von einem Ereignis zum nächsten. Langeweile kommt da garantiert keine auf, ganz im Gegenteil. Abgerundet wird das Ganze durch einen humorvollen Unterton, der zwar schon mal vom Ernst der Lage übertönt wird, sich nichtsdestotrotz durch den gesamten Roman zieht und diesen immer wieder auflockert.
Eine Erwähnung wert ist zudem der Kosmos, in dem »Piratenmond« angesiedelt ist. Die Inhaltsbeschreibung dürfte es schon deutlich gemacht haben, dass Wooding sich einiges hat einfallen lassen, um seine Leser ins Staunen zu bringen. Luftschiff-Piraten sind nur einer von vielen Aspekten, auf die man sich freuen darf; daneben erwarten einen noch ein reichhaltiges Angebot vielseitiger Gegenspieler für die Crew der Ketty Jay, abwechslungsreiche, stimmungsvoll in Szene gesetzte Schauplätze, wie unauffindbare Piratenverstecke und streng abgeschirmte Klosteranlagen in unzugänglichen Bergregionen, und noch so einiges mehr, was das Herz des geneigten Abenteuer- und Phantastik-Fans höher schlagen lässt.
Ein echtes Plus ist, dass es keine Mühe bereitet, sich in Woodings Kosmos einzulesen. Wo man bei anderen Fantasyromanen, die in derart eigenständigen Welten wie jene von »Piratenmond« spielen, oftmals viele Seiten benötigt, bis man sich im Universum der Saga zurechtfindet, hat man sich in den Kosmos der Ketty Jay-Abenteuer in Windeseile eingelesen und kann das originelle Abenteuer in vollen Zügen genießen.
Der langen Rede kurzer Sinn: »Piratenmond« ist ein herausragendes Fantasy-Spektakel, das sich Fans von »Fluch der Karibik«, Scott Lynchs »Die Lügen des Locke Lamora« und Dan Abnetts (in Deutschland leider noch nicht erschienenem) Fantasyroman »Triumff Her Majestys Hero« keinesfalls entgehen lassen sollten. Wooding hat ein aufregendes Abenteuer vorgelegt, an das man sich noch lange mit Freude zurückerinnert und dessen Fortsetzung »The Black Lung Captain« (deren deutschsprachige Ausgabe noch ein wenig auf sich warten lässt) man auf keinen Fall verpassen möchte.
Kommentare
Auch ich würde es zwischen Piraten der Karibik und Locke Lamora einordnen.
Insgesamt ist in letzter Zeit Steam-Fantasy, altertümlich ausgedrückt Steampunk, sehr im kommen.
Sehr gute Rezi und schönes Buch. Danke für den Tipp... das Buch hätte ich wohl übersehen.