Mannel, Beatrix - Die Tochter des Henkers

CoverDIE TOCHTER DES HENKERS
von BEATRIX MANNEL
382 Seiten – Hardcover
Fischer Schatzinsel, ISBN 978-3-596-85221-5, 14,90 €

S. Fischer Verlag

„Franziska sprang auf und rannte los. Sie hatte ihren Bruder ermordet. Sie schüttelte immer wieder den Kopf, Tränen liefen über ihr Gesicht, Rotz tropfte aus ihrer Nase, sie schluchzte und rannte, rannte und weinte.“

So weit der Klappentext, der mich veranlasste, diesen Roman zu kaufen. Immerhin stand er in meiner Buchhandlung in der Kinder- und Jugendbuchabteilung. Das Thema Geschwistermord in einer solchen Ecke? Weit gefehlt, der Text führt in die falsche Richtung. Erstens ist es nur ihr Stiefbruder und zweitens ist er dann doch nicht tot. Hat die Autorin Angst vor der eigenen Courage?

Doch der Reihe nach:

Franziska ist die Tochter eines Henkers im 17. Jahrhundert. Sie lebt im Odenwald. Ihr Schicksal ist vorbestimmt, gehört sie doch zu einem Stand, der als ehrlos gilt. Ihre Hochzeit mit dem Henker einer anderen Stadt ist längst geplant. Da begegnet sie einem jungen Adeligen, der ihr voraussagt, dass ihr Schicksal ein anderes sein wird. Dieser junge Mann wird bald des Mordes beschuldigt und verhaftet. Da Franzi sich schuldig fühlt, befreit sie den Mann aus dem Gefängnisturm, gerät dabei aber selbst in Verdacht, eine Hexe zu sein. So bleibt ihr nur die Flucht. Im Wald wird sie von ihrem fiesen Halbbruder, der hofft, selbst ein guter Henker zu werden, gestellt. Sie wehrt sich und als er regungslos am Boden liegt, glaubt sie, ihn erschlagen zu haben. Die Flucht führt sie an den Hof einer Adeligen, wo sie sich als Wäscherin verdingt. Bald aber wird die Gräfin auf das Gesangstalent Franzis aufmerksam und beginnt mit ihr zu üben. Schließlich will sie das Mädchen nach München bringen, damit sie eine gute Zukunft als Sängerin bekommt. Doch auf dem Weg werden sie überfallen. Die Gräfin wird entführt und Franzi schlägt sich mit deren kleiner Tochter durch. Danach geht sie nach München und wird schließlich dort zu einem gefeierten Opernstar.

Die Geschichte ist sehr einfach gehalten, es gibt kaum Überraschungen, ja manchmal ist alles sogar leicht vorhersehbar. Das Ende ist geradezu ungestüm und lässt viele Fragen offen, was den Verdacht nahe legt, dass eine Fortsetzung geplant sein könnte. Das ist jedoch für diesen Roman unbefriedigend. Was ist mit ihrem Bruder Karl geschehen, der ihr bei der Befreiung des jungen Mannes geholfen hat? Was wurde aus Heinrich, ihrem doch nicht getöteten Stiefbruder? Ihr Vater? Die Gräfin? Deren Tochter? Warum taucht der junge Mann bei ihrer Premiere in München auf? Es gibt derlei Fragen viele mehr. Die Autorin lässt den Leser völlig im Regen stehen. Der ganze Stoff ist eher schwach durchdacht und konzipiert. Wenn man dann noch bedenkt, dass die Frau (laut Umschlagtext) Dozentin für kreatives Schreiben ist, dann kann man in vielerlei Hinsicht nur enttäuscht sein, auch weil der Roman sprachlich zuweilen eher etwas amateurhaft wirkt.

Dass ich den Roman in manchen Teilen dennoch mag, liegt eher in der Gestaltung der Personen. Franziska ist ein sehr romantisches, melancholisch veranlagtes Mädchen. Eine Art von Figur, die ich ganz persönlich bevorzuge und wodurch ich sehr schnell eine Bindung zu ihr aufbauen konnte. Manch einem Leser wird es zu seicht vorkommen, teilweise zu tränenrührig.

Die schönste Figur des Romans ist aber eine andere, nämlich ihr richtiger Bruder Karl, der leider nur im ersten Drittel der Geschichte Platz findet und dessen weiteres Schicksal ich wirklich gern erfahren hätte. Er ist Franzis jüngerer Bruder. Ein eher schwächlicher Junge, der unter schrecklichen Anfällen leidet, aber eine Frohnatur und ein sehr optimistischer Mensch ist.

Die eigentliche Stärke des Romans liegt nicht in der Dramaturgie oder in seinen handlungstreibenden Sequenzen, sondern in jenen Szenen, in denen es um Dinge wie Zwischenmenschlichkeit, Freundschaft und Treue geht. Die kleinen Abenteuer mit Karl und die Dialoge zwischen den Beiden, sowie die Beziehung zu dem Steinmetzgesellen Martin haben etwas Anrührendes, Fanasievolles, ja richtig Spannendes. Leider ist es der Autorin wohl nicht so bewusst geworden, sodass diese Momente immer sehr schnell wieder verschwinden.

Es wäre unfair, den Roman rein als schlecht zu bewerten, der sich auf einer Ebene bewegt, die Mädchen zwischen 10 und 15 Jahren interessant finden. Da ich selbst sehr gern Geschichten für diese Zielgruppe lese, konnte ich durchaus etwas damit anfangen. Wer zu diesen Gedankenwelten keinen Zugang hat, kann mit dem Buch allerdings niemals warm werden.

Aber gerade wenn ich diese Zielgruppe zugrunde lege, dann gibt es einige kurze Einschübe, die mich stören. Fraglos muss dem Zeitbild, das kein Zuckerschlecken war, entsprochen werden, ebenso der Tatsache, dass der Vater Henker ist. Aber man muss nicht die Enthauptung und Vierteilung einer Gruppe von Verschwörern derart detailliert schildern, oder beschreiben, wie Schmeißfliegen sich an der Wunde einer toten Frau laben. Hier wäre eine dezentere Beschreibung angenehmer gewesen.

Der eigentliche Kritikpunkt an diesem Werk aber liegt eher in dem äußerst schlechten Lektorat, das dem Roman widerfahren ist. Zuweilen bekommt man das Gefühl, dass gar keines stattgefunden hat. Die Fülle an Wortwiederholungen und Unlogiken ist in manchen Passagen beachtlich (Wie kann Franzi, die angeblich noch nie das Meer gesehen hat, eine umgestürzte Kutsche mit einem gestrandeten Schiff vergleichen?). Der Autorin mache ich da nur bedingt einen Vorwurf. Wenn man einen Text mit Begeisterung schreibt, dann sieht man viele Fehler einfach nicht, auch wenn man ihn zum fünften Mal durchliest. Aber ein Lektor muss so etwas erkennen. Er muss auch sehen, wenn in drei Sätzen fünf Mal das gleiche Wort vorkommt (Etwas, das der Autorin leider mehrfach passiert ist). Hier sollten dann Korrekturen vorgenommen werden.

Abschließend muss ich sagen, dass das Buch nur einen sehr begrenzten Leserkreis anspricht (wurde oben schon erwähnt), schwach bis sehr schwach in seiner Story aber stark in seinen Emotionen ist. Die Autorin schreibt angenehm warm und unspektakulär, hätte allerdings ein besseres Lektorat gebraucht.

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