Wie ein Leonard Hofstadter zu einer Penny kommt - 5. Dorothy Tennov und die Liebe
Wie ein Leonard Hofstadter zu einer Penny kommt
5.
Dorothy Tennov und die Liebe
Damit wären wir bei einem Thema angelangt, das sowohl bei Pöhm, als auch bei dem auf Oberflächlichkeiten versessenen Herrn Strauss arg kurz gekommen ist: die Liebe. Man merkt, daß der Ansatz der beiden Herren ein ganz anderer ist, als man es beim klassischen Bild von ihr erwartet. Hier haben wir keinen Romeo, der unter dem Balkon Mandoline spielt, und auch keine kleine Meerjungfrau, die sich für ihren Märchenprinzen die Schwanzflosse entzwei schnippeln läßt. Sehnsucht und Verzweiflung, Schmachten und Seufzen spielen bei ihnen keine Rolle. Pöhm beispielsweise hält nichts davon, einer Ex nachzutrauern, bezeichnet es aber als „clever“, auch in einer glücklichen Beziehung „immer ein Rückzugs- Mädchen im Ärmel zu haben“. Und Strauss schreibt sogar: „Wenn Sie ausschließlich auf die eine stehen, die Ihnen partout nicht aus dem Kopf gehen will – obwohl sie nicht wissen, ob Ihre Traumfrau Ihre Gefühle überhaupt erwidert – ist das nicht Liebe, sondern Obsession.“
„What is a boy in love supposed to do?“
(Erasure: „Oh L‘Amour“)
Also nichts mit der romantisch verklärten Liebe auf den ersten Blick, bei dem sich Zwei nur anzusehen brauchen, um nicht mehr ohne einander sein zu können! Und darum geht es den beiden ja auch gar nicht; sie bedienen sich der Psychologie, der Schauspielkunst und auch ein wenig der Esoterik, um einer Person des anderen Geschlechts näher zu kommen. Schon Strauss‘ Missionen, bei denen man das Erlernte an jeweils unterschiedlichen Personen ausprobieren soll, lassen erkennen, daß es nicht darum geht, die Dame des Herzens zu betören, sondern jede X- Beliebige. Alles wäre demnach eine Frage der Technik.
Die gesamte Prozedur der Kontaktanbahnung mag bei den „Pick Up Artists“ zwar im Mäntelchen der Romantik daherkommen, doch tatsächlich hat es mehr mit dem Verkauf von Staubsaugern an der Haustür gemein. Oder wie Pöhm es ausdrückt: „Es ist für unser Vorhaben hier wichtig, die Sache nüchtern zu sehen, und das ganze Verführen als eine Show, als ein Spiel zu betrachten“.
Aber ohne die Liebe kommt auch er nicht aus, wenn es auch nur darum geht, sie dem Opfer vorzumachen:
„Wir erschaffen, ihrer Vorstellung entsprechend, eine perfekt inszenierte Seifenoper… Frauen sind meist nicht in der Lage zu sehen, daß diese romantische Beziehungswelt… in Wahrheit gar nicht existiert“.
Mag es da vielleicht sein, daß die Liebe, jenes von einem Großteil der Menschheit für essentiell gehaltene Gefühl, womöglich ebenso eine Wunschphantasie ist? Denn so oft, wie dieses Thema auch schon in einschlägigen Filmen und Romanen ausgewalzt worden ist, so wenig realitätsnah wird sie dort doch zumeist behandelt. Da gibt es zum Beispiel das Klischee von ihm und ihr, wie sie sich zum ersten Mal sehen, urplötzlich und zur selben Zeit ineinander verschossen sind und nichts anderes mehr tun können, als miteinander zu turteln – Mal ehrlich: Ist Ihnen so etwas im wirklichen Leben schon einmal untergekommen? Ich meine in echt, und nicht einfach nur behauptet von „Seht alle her und bewundert uns, wie perfekt wir zusammenpassen!“- Angeber- Pärchen! Der Buchautor Matt Ridley hat (fide Strauss) Liebesschnulzen als „das pornographische Äquivalent für Frauen“ bezeichnet, und entsprechend ist es auch um ihre Realitätsnähe bestellt.
Und dann haben wir natürlich noch jene unsäglichen Filmszenen, in denen der männliche Held an einer Bar mit einer Frau quatscht, dann folgt ein Schnitt, und anschließend liegen die beiden im Bett. Vermutlich weiß der Drehbuchautor selbst nicht, was während dieses Schnitts alles passiert sein mag, und darum haben auch solche Sequenzen nicht mehr mit unserem alltäglichen Erleben zu tun, als etwa ein Fußballspiel oder ein Science- Fiction- Epos.
In der Tat gibt es erstaunlich wenig wirklich wissenschaftliche Literatur, die sich wirklich ernsthaft mit diesem Thema befaßt. Das beklagt auch die Psychologin Dorothy Tennov, Professorin für Verhaltenspsychologie an der University of Bridgeport (Conneticut, U.S.A.), in ihrem Buch „Limerenz – über Liebe und Verliebtsein“.
Man sagt, es sei erlaubt Sex zu haben, aber nicht, darüber zu singen. Analog dazu ließe sich behaupten, daß es gestattet, ja, gewünscht ist, über die Limerenz zu singen, aber nicht, selbst limerent zu sein.
Dabei hat Limerenz eigentlich nicht sehr viel mit dem Sex zu tun. „Limerenz“, das ist ein von Frau Tennov geprägter Begriff, der in unserem Alltagsvokabular eigentlich nicht vorkommt, und mit dem wir entsprechend wenig anzufangen wissen. Dabei bezeichnet er ein Phänomen, das mehr mit unserem Leben zu tun hat, als es den meisten lieb sein dürfte. „Lieb“ ist in diesem Kontext durchaus wörtlich zu nehmen! Es handelt sich um eine bestimmte Form der Liebe (oder vielleicht besser: „Verliebtheit“), die so präsent ist in Kunst und Unterhaltung, daß man quasi jedes Detail der Definition mit (mindestens) einem Liedzitat untermalen kann:
„I saw your face
in a crowded place,
and I don't know what to do,
cos I'll never be with you “
(James Blunt: „Beautiful“)
Wo andere Spielarten der Liebe auf gegenseitiger Zuneigung fußen, kann sich der von Limerenz befallene Mensch auch in jemand völlig Unbekannten „vergucken“.
„Schöner fremder Mann
du bist lieb zu mir
schöner fremder Mann
wenn ich träum' von dir
…
Du gehörst zu ihr
und ich bin allein
nur in meinem Traum
darf ich glücklich sein
glücklich sein mit dir
denn nur im Traum gehörst du mir
…
Schöner fremder Mann
einmal kommt die Zeit
und dann wird mein Traum
endlich Wirklichkeit
schöner fremder Mann
dann fängt für uns die Liebe an “
(Connie Francis: „Schöner fremder Mann“)
Nichtsdestotrotz sind die Emotionen, welche die Limerenz auslöst, in der Regel sehr intensiv und lange andauernd.
„Your face is a hammer in my head
…
I never even liked your hair
…
Your face is a foreign food
…
It might be your soul and your heart
Maybe it's the way that you speak
I don't why I love you
…
So, how can I get close to you
When you got no mercy no, you got mercy
No you got no“
(The House Of Love: „I Don't Know Why I Love You“)
Es können Kleinigkeiten sein, welche bei einem Menschen limerente Gefühle für jemanden auslösen.
„I was not in love, just in love with a feelin´.
Maybe these words are more or less
just a product of my loneliness.“
(Ian O'Brien- Docker: „Totally Alright“)
Ja, manchmal ist es sogar einfach nur die Bereitschaft zur Liebe bei dem Limerenten, welche die Emotion initiiert. Der oder die Angebetete ist dann manchmal nur gerade zur falschen Zeit am falschen Ort, um zur Ikone des anderen zu werden.
„My heart and my brain are at war.
I don't understand your love “
(After The Fire: „I Don't Understand Your Love“)
Der auf diese Weise Angeschmachtete hat oft nichts getan, was er als Flirt oder Ermutigung interpretieren würde.
„Oh, ja sie liebt dich
Schöner kann es gar nicht sein
Ja, sie liebt dich
Und da solltest du dich freuen
…
Denn mit dir allein
Kann sie nur glucklich sein “
(The Beatles: „Sie Liebt Dich“ [„She Loves You“])
Und doch hat es etwas in dem anderen ausgelöst.
„All I needed was the love you gave
All I needed for another day
And all I ever knew, only you “
(Yazoo: „Only You“)
Der von der Limerenz Befallene ist sich ziemlich schnell intuitiv sicher, daß allein der oder die „Eine“ sein Verlangen stillen kann.
„Christine
Still walking in me
Still talking in me
…
And the whole world dragged us down
And the whole world turned us down“
(The House Of Love: „Christine“)
Nicht selten geschieht dies, indem eine Verbundenheit durch ein ähnliches Wesen oder Schicksal empfunden wird.
„Du bist blind,
Weil Du mich nicht siehst!
Du bist taub,
Weil Du mich nicht hörst,
Du bist schwach,
Weil Du mich nicht hältst!
Du bist alt,
Ich hab' Dich überlebt!
Doch Du bist schön,
Schöner als jeder Stern!“
(Illuminate: „Letzter Blick Zurück“)
Fehler oder Schwächen des/ der Angebeteten werden zwar wahrgenommen, doch verlieren sie in der allgemeinen Verklärung des Idols an Bedeutung.
„Ich liebe sie, ich träum von ihr
In meinen Träumen, tanzt sie mit mir
Doch wenn ich aufwach', dann fällt mir wieder ein
Sie liebt einen andern, und ich bin allein
…
Oh, ich liebe sie, ich träum von ihr
Den ganzen Tag und die ganze Nacht
Ich wünschte ich könnte ständig bei ihr sein
Sie ist das Mädchen
Das man nur einmal im Leben finden kann
Ich bin verrückt nach ihr“
(Die Ärzte: „Teenager Liebe“)
Der Limerente kann nicht anders, als bei allen möglichen Gelegenheiten an den/ die Angeschmachtete(n) zu denken.
„She can take you
anywhere she wants to.
She can show you things,
that make you weak “
(The Cars: „Victim Of Love“)
Er verfällt geradezu in einen Zustand der psychischen Unfreiheit und Abhängigkeit.
„All the faces
All the voices blur
Change to one face
Change to one voice“
(The Cure: „Charlotte Sometimes“)
Nahezu alles kann im Denken des Verliebten mit dem Objekt seiner Sehnsüchte in Verbindung gebracht werden.
„Ooh let me have it, let me grab your soul away
Ooh let me have it, let me grab your soul away
You know it's me, Cathy.“
(Kate Bush: „Wuthering Heights“)
Die Limerenz ist eine fordernde Liebe, denn der/ die von ihr Befallene wünscht sich nichts sehnlicher, als daß der/ die Verehrte die Gefühle erwidert, die ihm/ ihr entgegengebracht werden.
„It ain't right, with love to share,
when you find, he doesn't care
for you.“
(Bonnie Tyler: „It's a Heartache“)
Ja, beizeiten reizt es ihn sogar, wenn das (nicht selten ahnungslose) Objekt der Sehnsüchte nicht so reagiert, wie man es von einem Partner erwartet.
„Every breath you take and every move you make
Every bond you break, every step you take
I'll be watchin' you
…
Oh, can't you see
You belong to me“
(The Police: „Every Breath You Take“)
Kleinigkeiten, ja, Belanglosigkeiten im Verhalten und Auftreten des/ der Geliebten werden registriert und dahingehend interpretiert, ob sie als Indiz für eine Gegenliebe gesehen werden könnten. Die Deutung ist dabei sehr hoffnungsvoll und blauäugig.
„I hear a lot of stories I suppose they could be true
all about love and what it can do to you
highest risk of striking out the risk of getting hurt
…
so please be gentle with this heart of mine “
(Feargal Sharkey: „A Good Heart“)
Das Verlangen kann bei großer Ungewißheit sogar zu physischen Schmerzen in der Herzgegend führen.
„Graceless lady you know who I am
You know I can't let you slide through my hands
Wild horses, couldn't drag me away
Wild wild horses couldn't drag me away “
(The Rolling Stones: „Wild Horses“)
Hindernisse können die Gefühle noch stärker werden lassen.
„I'm waiting for that final moment
You see the words that I can't say “
(New Order: „Bizarre Love Triangle“)
Ein solches Hindernis kann gesellschaftlicher Natur sein, aber auch die eigene Unsicherheit bzw. Selbstzweifel.
„Shyness is nice and
Shyness can stop you
From doing all the things in life
You'd like to
…
Spending warm Summer days indoors
Writing frightening verse
To a buck toothed girl in Luxembourg
…
If it's not Love
Then it's the bomb
Then it's the bomb
That will bring us together“
(The Smiths: „Ask“)
Nicht selten äußern die sich in Schüchternheit, wenn man mit dem Objekt der Begierde konfrontiert wird, selbst bei ansonsten stark extrovertierten Persönlichkeiten.
„Jetzt sitz ich hier wie ein Kaninchen vor der Schlange
Und ich fühl‘ mich wie gelähmt
…
Ich muß es sagen, ich weiß nur noch nicht, wie
…
Ich hab‘s dir schon so oft gesagt in meiner Phantasie
…
Was ich versuche, dir zu sagen, ist: Ich liebe dich“
(Die Ärzte: „Wie es geht“)
Für gewöhnlich torpediert diese Scheu all die Sätze, Pläne und Vorgehensweisen, die man sich in den einsamen Stunden des Schmachtens zurechtgelegt haben mag.
Ona je (Sie ist)
(Highhead setzt ein).
Ona želi (Sie weiß)
(Gitarre erhebt sich, erster Schlagzeugrhythmus).
Ona ima (Sie wünscht)
(Anzeichen einer WAVE, aber dann wieder langsames Abklingen).
Ona ne može (Sie kann nicht).
Ona (Sie).
Ona (Sie).
Ona (Sie)
(ferne entschwindende Gitarre, absterbendes Schlagzeug, kein Baß mehr)
(Reprise endless loop 66/ 99).“
(Elektriçni Orgazam: „Ona“)
(übersetzt von Bernd Brandt)
Die Hemmungen können in den Situationen, in denen man mit der/ dem Angebeteten zu tun hat, schnell übermächtig werden, daß auch lockere Menschen verkrampfen, und ansonsten abgeklärte Charaktere in Scham versinken.
„Don't think me unkind
Words are hard to find
They're only cheques I've left unsigned
From the banks of chaos in my mind
And when their eloquence escapes me
Their logic ties me up and rapes me
De do do do de da da da
Is all I want to say to you“
(The Police: „De Do Do Do“)
Stottern, Stammeln, Schlottern und der Verlust der Sprache sind möglich.
„And I ran, I ran so far away.
I just ran, I ran all night and day.
I couldn't get away.“
(A Flock Of Seagulls: „I Ran“)
Fluchtinstinkte machen andere Gedanken unmöglich. Man kann dem Gegenüber oft noch nicht einmal in die Augen sehen.
„Love hurts, love scars
Love wounds, and mars
Any heart, not tough
Or strong enough
To take a lot of pain
Take a lot of pain
…
Love is just a lie
Made to make you blue“
(Nazareth: „Love Hurts“)
Der unlösbare Konflikt zwischen dem Verlangen und der eigenen Unfähigkeit, es zu stillen, treibt den Limerenten beinahe unweigerlich zu Schmerz und Verzweiflung.
„It's no use crying out 'cause they can't help you now
You're forced to hear the words I have to say
I saw your face when I was taken down
You seemed so pleased, you're not so happy now
It's your turn to be afraid
…
You never really thought that
I'd leave you in peace“
(Fischer- Z: „Marliese“)
Aus dem Grunde sind bei limerenten Personen extreme Reaktionen möglich, vom Stalking über Selbstverletzung bis hin zu Verbrechen und Suizid.
„But she's touching his chest now
He takes off her dress now
Let me go
And I just can't look
It's killing me
And taking control
Jealousy
…
But it's just the price I pay
Destiny is calling me“
(The Killers: „Mister Brightside“)
Das eigene Selbst wird reduziert auf die Liebe, und wenn sie bedroht ist, so glaubt der Limerente, er wäre als Ganzes in Gefahr. Er wird sich an sie klammern, selbst wenn es für andere als ihn offensichtlich sein sollte, daß seine Regungen einseitiger Natur sind.
„All alone at night she waits
For someone to call but he's always late
Did you see her looking at the empty bed
Did you think of the things you should have said
…
Did you see the blood as it rushed from her vein
Did you feel her heart break, feel her pain
…
Did you see her as knelt to die
Tears in her eyes“
(Pink Military: „Did You See Her?“)
Der Selbstmord wird im Extremfall nicht mehr als Gewaltakt gesehen, sondern als romantischer Liebesbeweis: Wo der eigene Mut im unmittelbaren Kontakt versagt, sucht er sich Ventile.
„Ich würde dir gern sagen, wie sehr ich dich mag,
warum ich nur noch an dich denken kann.
Ich fühl' mich wie verhext und in Gefangenschaft,
und du allein trägst schuld daran.
…
Komm, ich zeig dir, wie groß meine Liebe ist
und bringe uns beide um!“
(Die Toten Hosen: „Alles aus Liebe“)
Selbst das Wohl des bzw. der Begehrten mag dann dem großen Ganzen untergeordnet werden.
„Let death bless me with you!
Oh! Oh!
Won't you die tonight for love?
Baby, join me in death!“
(Him: „Join Me“)
Ein gemeinsamer Tod wird im Extremfall weniger als Gewalttat gesehen, denn als verklärter Ersatz für ein unmögliches gemeinsames Leben.
Aber wie gesagt, das ist der Extremfall! Für gewöhnlich findet der Limerente andere Ventile.
„I know just what to say.
It's just a game I play.
Now I'm here on my own.
I'd like to be with you.
I guess you always knew.
Still I'm left all alone.“
(Assembly: „Never Never“)
Oftmals bricht sich de Liebe gerade dann Bahn, wenn es am wenigsten Sinn macht, nämlich in Zeitperioden, in dem der bzw. die Begehrte nicht anwesend ist, und die Hemmungen damit auch nicht aktiv.
„She'd pretend
That he cared
Invent some tale
Just to gain his heart “
(Orchestral Manœuvres In The Dark: „She's Leaving“)
So kann er ganze Stunden mit Tagträumen zubringen, in denen teils realistische, teils abstruse Pläne geschmiedet werden, das Herz des/ der Ersehnten zu gewinnen.
„Die Mauer
im Rücken war kalt.
Schüsse reißen die Luft,
doch wir küssen,
als ob nichts geschieht.“
(David Bowie: „Heroes/ Helden“)
Und teilweise handelt es sich gar um höchst merkwürdige, aber stets romantisch verbrämte Szenarien, in denen die Liebe den Sieg davonträgt.
„Ich lebte hinter Gitterstäben,
dann kam sie, ich begann zu leben.
Ich träumte in der Dunkelheit.
Auch von diesem Übel hat sie mich befreit.
…
Komm gib mir deine Hand!
Wir gehen zusammen ins Wunderland.
Da gibt es nur Honigbäume und Marmelade.“
(Grauzone: „Ich lieb' sie“)
In denen die Partnerschaft zum Garten Eden avanciert, und das Single- Dasein zur Hölle.
„Ängstliches, ängstliches, ängstliches Tier!
Hast so lange gewartet!
…
Dein Kopf ist dein Gefängnis!
Dein Kopf ist dein Gefängnis!
…
Allein!“
(Xmal Deutschland: „Stummes Kind“)
Tatsächlich dienen diese Phantasien auch dazu, die Unfähigkeit zu kompensieren, der Flamme die eigenen Emotionen einzugestehen.
„It's been a different man.
No, he's never been here “
(The Church: „A Different Man“)
Dabei kann sich der Limerente durchaus der Ausweglosigkeit und Unvernunft seiner Emotionen bewußt sein. Allein, ihm fehlt die Kraft, sich ihnen zu widersetzen.
„Why can't I stop, and tell myself I'm wrong, I'm wrong, so wrong
Why can't I stand up, and tell myself I'm strong
Because I saw her today, I saw her face
It was the face I loved, and I knew
I had to run away
And get down on my knees and pray, that they go away
And still it begins, needles and pins “
(Searchers/ Smokie/ Ramones: „Needles And Pins“)
Weder entscheidet man sich willentlich zur Limerenz, noch ist sie eine Folge kultureller Prägung. Sie scheint vielmehr biologischen Ursprungs zu sein, wie z. B. auch Lust und Furcht. Die Vernunft hat keine Macht über sie.
„You can keep me at a distance if you don’t trust my resistance.
But I swear I won’t touch you.
…
Though I think I still love you.
All I want to do is see you
Don’t you know that it’s true.“
(Depeche Mode: „See You“)
Limerenz ist auch kein Sex. Mag die allgemeine Bereitschaft zur Lust auch gesteigert sein, so wird es oft sogar als Beschmutzung oder Entwürdigung der reinen Empfindungen wahrgenommen, den/ die Geliebte(n) mit der rein körperlichen Begierde in Verbindung zu bringen.
„Will she save me?
From what or who?
I do not know“
(Wire: „A Touching Display“)
Somit stellt die Limerenz ein irrationales Verhalten dar. Es besteht keine vernünftige Notwendigkeit, von einer bestimmten Person geliebt werden zu wollen.
„You look like you could use a hand
Someone to make you smile she said
Someone who can understand
Share your trouble
Comfort you
Hold you close
And i can do all of these
I think you need me here with you
…
I've had enough i said
Please leave me alone
Please go
It doesn't touch me at all “
(The Cure: „Wendy Time“)
Dementsprechend ist nicht nur der/ die Ver-, sondern oft auch der/ die Geliebte (wenn er/ sie denn von den Gefühlen erfährt und daran Anteil nimmt) mit der Situation überfordert.
„So shut, shut your mouth
Cause I'm not listening anyhow
I've had enough, enough of you
Enough to last a life time through
So what do you want of me?
Got no words of sympathy
…
Got no cure for misery“
(The Primitives: „Crash“)
Weil nicht jeder Mensch von der Limerenz befallen wird, wäre man versucht, ihr Auftreten als Geisteskrankheit zu diagnostizieren. Doch bei einer solchen handelt es sich per definitionem um einen abnormen Gemütszustand, und allein die Fülle an Liedzitaten läßt erkennen, daß die Limerenz ganz und gar nicht wider die Norm ist, sondern weit verbreitet, und damit ein ganz normales Verhalten. Oder aber man geht noch einen Schritt weiter, und betrachtet die Liebe selbst als psychotischen Zustand…
Nur, daß die Psychose eine abnorme Geistesverfassung beschreibt, und wie kann etwas „abnorm“ sein, das für einen großen Prozentsatz der Weltbevölkerung charakteristisch ist?
Die Musik könnte einen allerdings auch irreführen. Gewiß, wenn es in einem Liebeslied um jemanden geht, der einen erhören soll, ist meistens ein Mann der Sänger; Frauen besingen eher Leute, mit denen sie bereits zusammen sind. Das aber ist mehr eine Folge des traditionellen Rollenverständnisses, nachdem eine Frau, die um einen Kerl buhlt, leicht als „Schlampe“ dasteht. Tatsächlich gibt es nach Tennov kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern, was die Neigung zur Limerenz anbelangt.
Die unerfüllte Liebe jedoch, die sich aus der Limerenz ergibt, hat sehr viel mit der Trauer gemein. Es sind extrem intensive Emotionen im Spiel. Und der Wunsch, das Unglück möge sich doch noch in Glück verkehren, regt zu den wehmütigsten Phantasien an. Wo die Trauer hofft, das Vermisste möge doch noch zurückkehren, ersehnt es sich die Limerenz von dem oder der Angehimmelten.
So ist sie im gewissen Sinne auch die Liebe der Zurückgesetzten. Der Menschen (und vielleicht auch Tiere), die den Schmerz der Erniedrigung nur zu gut kennen, etwa weil sie in den entsprechenden Hierarchien zu oft auf einen der untersten Ränge verwiesen worden sind. Unter evolutionären Gesichtspunkten macht die Limerenz damit durchaus Sinn, belegt sie doch Rudelmitglieder von geringerem Status mit einer Scheu, die sie davon abhält, sich mit solchen von höherem Rang zu paaren. Aber das bezieht sich auf das Leben in der freien Wildbahn, wo die Position in der Hackordnung gleichbedeutend ist mit Fitneß, physischer Stärke und optimalen Genen. Auf den Homo sapiens übertragen, würde dieses Prinzip jedoch bedeuten, daß dem sprichwörtlichen „sizilianischen Zementmischer“ stets der Vorrang zu gewähren sei gegenüber einem Albert Einstein, Leonardo da Vinci oder Abraham Lincoln. Auch schwächliche, kränkliche oder häßliche Leute können wertvolle Beiträge zum menschlichen Erbgut liefern, so daß der eventuelle selektierende Zweck der Limerenz inzwischen obsolet geworden ist, Oder glauben Sie, daß eine Rasse aus muskelbepackten Hünen und weiblichen Sexbomben je auf den Gedanken gekommen wäre, aus Steinen Faustkeile herauszuschlagen? Unser Wert für den Fortbestand der Art richtet sich nicht mehr nach der Größe des Geweihs oder der Farbenpracht des Gefieders. Das schüchternste Mauerblümchen mag den Schlüssel zur Heilung aller Krankheiten in Händen halten, wovon dann auch wiederum die Mannequins und Leistungssportler profitieren (wobei natürlich auch attraktive Menschen nicht notwendigermaßen dumm sein müssen).
Und schon stehen wir vollkommen im Gegensatz zu Strauss, Pöhm und der gesamten „Pick up“- Szene, denn bei ihnen ist Individualität gerade mal als Steinbruch für kurzweilige Unterhaltungen erwähnt; Ansonsten hat man sich einerseits dem Klischee des „starken Prinzen auf dem weißen Pferd“ anzupassen (inklusive „außergewöhnliche[r], gute[r] Schuhe“, denn „Frauen achten extrem auf so etwas“), andererseits soll man aber stets den dominanten, führenden Part übernehmen. Also wieder der kräftigste Hirsch mit dem hübschesten Geweih (und Schuhen)! Es geht nicht um Aufrichtigkeit, sondern um Klischee.
Jemand Limerentem wäre am ehesten damit geholfen, wenn man ihm die Angst vor seinem Herzblatt nehmen könnte. Nichts ist so heilsam und desillusionierend wie die Realität, und er hätte die Chance zu erkennen, daß auch scheinbare Engel auf Erden nur Menschen sind. Aber dazu eignen sich die Tricks der Pickup Artists, wie sie bei Pöhm und Strauss zu lesen sind, nur bedingt. Gewiß, dort wird einem empfohlen, sich erst einmal „aufzuwärmen“, und verschiedene Personen anzusprechen, bis man sich selbst in eine kontaktfreudige Stimmung versetzt hat. Desweiteren gibt es einige Methoden der Selbsthypnose, die dazu geeignet sind, das Selbstwertgefühl zu stärken. Auch die Herabwürdigung des anderen Geschlechts zu psychologisch manipulierbaren Objekten, die es zu übertölpeln und erobern gilt, mag von Fall zu Fall ein wenig den übertriebenen Respekt dämpfen, den man vor der oder dem Angebeteten haben mag. Aber eben nur ein wenig! Die Intention der Pick Up Artists ist nun mal nicht darauf ausgerichtet, schüchterne Liebende zu einander zu bringen, sondern im Gegenteil mit viel Strategie Partner aufzugabeln, die einem gerade über den Weg laufen. Ja, Pöhm führt sogar ein paar Möglichkeiten an, Frauen, die bereits in einer Beziehung sind, zu beschwatzen, daß es eigentlich nicht ihr Ding ist, sich keusch und bedürfnislos zu geben, und sie hinterher die Ausrede hat, es wäre „einfach so passiert“. Das aber ist das Benutzen von Mitmenschen, wie es Psychopathen tun, und der Limerente würde sich eher selbst benutzen lassen, als den oder die Verehrte derart zu demütigen. So ist der Pick Up Artist eher noch der Erzfeind der ehrlich Verliebten, zerstört er doch egoistisch die zarten Bande, die zwischen einem Romeo und einer Julia aufgekommen sein mögen.
Für den Limerenten wird der „Aufreißer“ stets der gewissenlose Zerstörer von Träumen und Hoffnungen sein, und der Limerente für den „Aufreißer“ ein psychotischer Stalker. Und jeder hält den jeweils anderen für einen Psychopathen.