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Vergessene Größe - Von Wanfried hinaus in die Welt

Vergessene Größe - Große Geschichten kleiner StädteVon Wanfried hinaus in die Welt

Wer von Leipzig aus Waren zum großen Handelsplatz Bremen oder Antwerpen schicken wollte, hatte im 16. Jahrhundert (und auch noch in den Jahrzehnten und Jahrhunderten danach) einiges vor sich.

Die Wege waren schier endlos lang, gepflasterte Straßen waren zu weiten Teilen unbekannt, und ebenso undurchsichtig wie die Wälder, durch die den Reisenden die Wege führten, war die Frage, ob man den nächsten Rastort, die nächste Poststation, auch lebend erreichen würde.


Da war Wanfried, heute "nur noch" eine eher stille Kleinstadt im östlichsten Zipfel Nordhessens / Werra-Meißner-Kreis, von einer Bedeutung, die man heute kaum noch ermessen kann.

Der Schiffmann - Abbildung aus dem Buch von Hans SachsIm 16. Jahrhundert war Leipzig eine Handelsmetropole im Osten des Reiches geworden, es war Hauptstapelplatz Sachens, über Leipzig führte die große Handelsstraße (genannt "Hohe Straße") von Prag aus bis hinein nach Deutschland und vor dort aus in alle Himmelsrichtungen. Gold, Silber, Kupfer, Getreide und Wolle, Holz, Mühlsteine. Es gab fast nichts, das nicht von Leipzig aus transportiert werden wollte. Unter August dem Starken ergab sich eine enge wirtschaftliche Bindung Kursachsens in Richtung Holland, und auch aus den Regionen um Thüringen, dem östlichen Nordhessen und dem Eichsfeld wollten Menschen und Waren hinauf in Richtung Nordsee beziehungsweise in die andere Richtung.

Dies machte Wanfried zu einem idealen Umschlagsort, schließlich war es dieses Wanfried, das wirtschaftlicher Vorposten der Reichsstadt Mühlhausen war, und - von wirklich entscheidender Bedeutung: Es war der Endhafen der Weser-Werra-Schifffahrt. So wurde Wanfried zu einem Drehkreuz des Handels der östlichen Lande mit der Nordsee. 

Stadtwappen von Wanfried - ein Ritter in voller Rüstung, Helmvisier geöffnet, Schwert in der Hand, nach rechts blickendIm Laufe der Zeit verschoben sich die Handelswege und man fand andere, schnellere und einfachere Wege, die Waren zu transportieren, bis zum Siegeszug der Eisenbahn im 19. Jahrhundert jedoch war Wanfried ein bedeutender Ort.

Dass aus Wanfried keine bedeutende Großstadt geworden ist sondern eine nordhessische Kleinstadt blieb, liegt zweifelsohne an diesem Bedeutungsschwund durch das zunehmende Erliegen der kommerziellen Werraschiffung und an den geschichtlichen Tatsachen der letzten hundert Jahre. Heute hat Wanfried knapp  4.500 Einwohner - nicht zuletzt jedoch aufgrund der Tatsache, dass sich während der kommunalen Neugliederung einige Gemeinden rund um Wanfried der Stadt angeschlossen haben.
 
Merian - Topographia Hassiae - Darstellung von Wanfried - Ausschnitt Bis zu seiner großen Zeit als Weser-Werra-Hafen war Wanfried nicht viel mehr als ein kleines Fischerdorf, allerdings offensichtlicht mit einer langen Geschichte. Bereits um 800 wird Wanfried - damals noch als „Uuanenreodum“ - erstmals in einer Urkunde genannt. Damals ging es um eine Neuregelung von Besitzverhältnissen der Gegend Werratal und Eichsfeld. Es gibt jedoch vorgeschichtliche Funde mit deutlichen Hinweisen darauf, dass die Region um Wanfried bereits in der Stein- und Bronzezeit besiedelt war. 
 
Während der großen Handelszeit war die sogenannte "Schlagd", der alte Werrahafen, der Hauptpunkt der Stadt. Um den Hafen herum standen die herrschaftlichen Kaufmannshäuser, die heute als Denkmäler der "Weser-Renaissance" gelten. Es wird zum Beispiel eine Familie in den Weiten des Netzes erwähnt, die als Handelsfamilie in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts von Bremen aus nach Wanfried übersiedelte und bis heute dort ansässig ist.
 
Bereits seit dem 12. Jahrhundert gibt es Hinweise auf Warenhandel auf der Werra. Mit Mühlhausen als wichtiger Handelsstadt begann Wanfrieds Bedeutung als Mühlhausener Verladehafen für die Verschiffung über Weser und Werra. Kein Wunder, dass die hessischen Landgrafen großes Interesse an Wanfried hatten. Bis 1306 war Wanfried  nämlich noch nicht hessisch. Landgraf Heinrich I. von Hessen zahlte - nicht zu knapp - für diesen Ort. Direkt an den Grenzen zwischen Hessen und Thüringen gelegen, war es ein steter Zankapfel zwischen den beiden Herrschaftsgebieten.
 
Logo 400 Jahre Stadtrechte WanfriedLandgraf Moritz von HessenIm Jahre 1608 erhielt Wanfried von Landgraf Moritz von Hessen die Stadtrechte und Stapelrechte - eine Tatsache, die Wanfried in diesem Jahr mit einer Vielzahl von Festlichkeiten erinnernd begeht.
 
Wanfried war eine wichtige Handelsstadt geworden, mit dem Stadtrecht, das die Marktfreiheit beinhaltete. Entscheidend wichtig war auch das Stapelrecht, das besagte, dass Händler auf ihrem Weg durch das Gebiet Wanfrieds dazu verpflichtet waren, ihre Waren für eine bestimmte Zeit vor Ort zu handeln. 
 
Bereits 1545 gab es zwischen Leipzig und Kassel eine regelmäßige Postverbindung, an deren Strecke Wanfried eine wichtige Relaisstation darstellte. Landgraf Philipp, der Großmütige,  hatte sie einrichten lassen und knüpfte so an die Fortführung der Strecke nach Holland an. Schon damals wurde die Post zwischen Wanfried und Eschwege zweimal die Woche transportiert. 1553 war Wanfried offizielle Poststation. Es gibt ein Wegeverzeichnis Leipzig von 1550, in dem Wanfried ausdrücklich erwähnt wird:  „Wanfried ist einer der fürnembsten Stätte Europas.“1
 
Fogelvrei - Mitorganisator des Renaissancefestes Ein bestimmt sehr bunter Teil der Feierlichkeiten anläßlich der Stadterhebung werden im Werra-Meißner-Kreis und darüber hinaus schon seit einer ganzen Weile beworben -  das große Renaissance-Fest, das am Wochenende vom 23.-24. August 2008 in der Stadt stattfinden wird.  Ausgerichtet wird es von der Stadt Wanfried und der Mittelalter-Eventgruppe Fogelvrei (beim Klick auf das Logo verlässt man die Zauberspiegel-Seite und gelangt zu den Seiten von Fogelvrei.de ).
 
Mittlerweile war Wanfried zur Hauptstadt einer eigenen Landgrafschaft geworden - die auch die Existenz des Schlosses zu Wanfried erklärt. 1676 nahm dort der Landgraf Karl von Hessen-Wanfried seine Wohnung. Wie so viele Klein- und Kleinstherrschaftstümer war auch Hessen-Wanfried nicht mit bedeutender territorialer Größe gesegnet. Zunächst klingt die Zahl nicht schlecht: Knapp 1.100 km2 umfasste die Landgrafschaft. Auf einer Karte betrachtet wird deutlich, dass es sich lediglich in etwa um das Gebiet des Werra-Meißner-Kreises sowie geringe Teile eines angrenzenden Gebietes handelte. Wirkliche politische und wirtschaftliche Eigenständigkeit war da undenkbar.Den Landgrafen von Hessen-Wanfried war in ihren Nachkommen kein besonderes Glück beschieden. Vielfach blieben Ehen kinderlos beziehungsweise starben potenzielle Erben im Kindesalter. Die Landesgraftschaft fiel von einer Familie an die andere und kehrte 1834 in das Stammhaus Hessen-Kassel zurück.
 

Marktfreyheit, die Freyheit eines Ortes, einen öffentlichen Markt haben zu dürfen, die Marktgerechtigkeit, das Marktrecht. Was dazu gehört s. im Art. Meßfreyheit.2  

 
 
Ausschnitt aus Gallettis Buch, Beschreibung von WanfriedGalletti3 beschreibt Wanfried in seinem großen Werk noch 1822 als Ort mit einer damals durchaus nicht unerheblichen Einwohnerzahl von 2683 Personen und 4 Jahrmärkte - eine stattliche Zahl an Märkten für diese Einwohnerzahl. Aus Gallettis Beschreibung wird auch deutlich, dass sich außer dem Handel auch Handwerk angesiedelt hatte. Leineweber, Tabakanbau und -verarbeitung, Weinhandel - in einem abgelegenen niederhessischen Ort. Hinzu kam - von Galletti nicht (oder nicht mehr) erwähnt das Töpferhandwerk. Mit diesen Handelswaren gelang es der Stadt in ganz Süd- und Ostdeutschland, sogar bis Polen und Russland Geschäfte zu machen. 

Wanfried hatte in seiner Geschichte immer wieder mit massiven Rückschlägen zu kämpfen. Der 30jährige Krieg, der diesen Ort wie ganz Deutschland nicht verschonte, die Pest (nur knapp vierzig Jahre nach dem offiziellen Kriegsende gab es an verschiedenen Orten um Wanfried herum und schließlich in der Stadt selbst die ersten Toten) und der allgemeine Niedergang des Handels durch die Entvölkerung großer Landstriche, immer wieder Kriege, die ganz direkte Auswirkungen hatten, wie zum Beispiel die Kontintentalsperre. Weniger spektakulär als Seuchen und Kriege war das Aufkommen des Handels per Eisenbahn, letzendlich war dies jedoch einer der Gründe für das Vergehen von Wanfrieds Ruhm und wirtschaftlicher Bedeutung. 

Der Verkehr auf der Oberweser mag in der nächsten Zeit durch das vervollständigte Netz der Eisenbahnen einen nicht unbedeutenden Abbruch erleben (wie schon jetzt bemerkbar)4.

 

Diese Beurteilung der Situation des Oberweserhandels ab Hannoversch-Münden galt in sehr ähnlicher Weise für die Werra. 

Nach dem 2. Weltkrieg nahm Wanfried ein weiteres Mal eine besondere Position ein. Es wurde eine Zonengrenzstadt, direkt an der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten gelegen.
 
Wie in so vielen anderen Orten von "vergessener Größe" gäbe es noch viele andere Geschichten zu erzählen und Geschichtliches zu erwähnen, dies beginnt nicht bei der Sage um die Entstehung des Begriffes "Brombeermänner" für die Wanfrieder und endet nicht mit der Geschichte um Bonifatius und die Entstehung der Namen der Stadt Wanfried und ihrer Stadtteile. Für einen einzigen Artikel ist das viel zu viel - im Netz lässt sich viel finden über Geschichte und Geschichte(n) Wanfrieds. Viel Vergnügen beim Suchen.
Ausschnitt aus der "Einladungskarte" zum Renaissancefest
Vielleicht trifft man sich ja ... am Samstag ... beim Renaissancefest.

 

 

 

Quellen:

1 Gefunden auf Wanfried.de - Stadtrundgang

2 J. G. Krünitz: Oeconomischen Encyclopädie (1773 - 1858)

3 Galletti, Johann Georg August: Allgemeines geographische Wörterbuch. Oder alphabetische Darstellung aller Länder, Städte, Flecken, Dörfer, Ortschaften, Meere, Flüsse u.s.w., 1822

4 Meidinger, Heinrich: Die deutschen Ströme in ihren Verkehrs- und Handels-Verhältnissen mit statistischen Übersichten, Teil 1-4, 1861

Abbildung "Der Schiffer": Sachs, Hans: Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden, hoher und nidriger, geistlicher und weltlicher, aller Künsten, Handwercken und Händeln ..., 1568

Heller, Friedrich Hermann: Die Handelswege Inner-Deutschlands im 16., 17. und 18. Jahrhundert und ihre Beziehung zu Leipzig, 1884, Dresden

Wikipedia

Abbildung Wanfried: Merian: Topographia Hassiae, 1655

 

 

Kommentare  

#1 Faget 2008-08-26 23:28
Moin moin,

meiner Treu - Ihr recherchiert ja äußerst genau und arbeitet umfassend ...

Mein Kompliment!

Ciao,
Johannes

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