Go West! - 29. Mai 2015
Noch eine Reise in den ›Wilden Westen‹
29. Mai 2015
Die nächste Station auf unserem Weg ist das alte Fort Smith am Ufer des Arkansas River, heute die zweitgrößte Stadt des Staates Arkansas. Als es 1817 errichtet wurde, war der Fluß die Grenze zum „Indianerterritorium“, dem heutigen Bundesstaat Oklahoma. Der Militärposten sollte, wie weitere Forts entlang des Flusses, die Grenzlinie zu dem Gebiet sichern, in dem man die Indianervölker isolieren wollte, die aus dem amerikanischen Osten und anderen Teilen des Landes vertrieben worden waren.
Ein großes Problem war, daß viele dieser Völker historisch miteinander verfeindet waren. Die Armee hatte alle Mühe zu verhindern, daß die Stämme aufeinander losgingen.
Bereits 1824 zog sich das Militär zurück und gründete in der Nähe der Cherokee-Reservation den neuen Posten Fort Gibson.
Fort Smith war zu dieser Zeit bereits eine geschäftige Siedlung geworden. Die Stadt war quasi das „Tor“ ins Indianerterritorium und ein bedeutender Flusshafen mit entsprechendem Vergnügungsviertel. Beide Faktoren zogen eine Menge zwielichtiges Gesindel an, das sich in den Bars, Spielhallen und Bordellen vergnügte und gegebenenfalls schnell über den Fluß ins Indianergebiet wechselte, um sich dem Gesetz zu entziehen.
Von Fort Smith aus wurde das Indianerterritorium verwaltet, und hier wurde ein Bundesgericht angesiedelt, das jahrelang einen denkbar schlechten Ruf hatte, bis 1875 ein neuer Richter ernannt wurde: Charles Isaac Parker.
Der ehemalige Kongressabgeordnete, der sich mit seinen strikten liberalen Ansichten und engagiertem Einsatz für eine faire Behandlung der westlichen Indianerstämme in seiner Republikanischen Partei unbeliebt gemacht hatte, wurde mehr oder weniger auf diesen Posten aus Washington „weggelobt“. Jene, die ihn in der Hauptstadt nicht mehr haben wollten, hofften, daß er an seiner neuen Aufgabe scheitern würde. Sie sollten sich täuschen.
Parker traf in Fort Smith ein und erkannte mit klarem Blick die katastrophalen Zustände: Korruption, ein überfülltes Gefängnis, schlampige Gerichtsarbeit, Kriminalität, die nicht verfolgt wurde.
Innerhalb weniger Monate verwandelte er mit eiserner Disziplin das Gericht in Fort Smith in einen funktionierenden Verwaltungsapparat. Das Gefängnis wurde gesäubert. Korrupte Beamte wurden hinausgeworfen.
Die Bilder (162-164). Gesamtansicht von Fort Smith, der Gerichtssaal Parkers und ein Blick in den Gefängnissaal. Hier waren manchmal um die 200 Gefangene untergebracht, die mit Decken auf dem nackten Boden schliefen, mit 2 Toiletteneimern und einer Waschgelegenheit. Der Gestank soll furchtbar gewesen sein. Dieser Kerkerhatte den Ruf eines Höllenlochs. In dem "Käfig" am Ende des Saals durften die Häftlinge sich mit ihren Anwälten beraten.
Im Indianerterritorium feierte der „Wilde Westen“ noch einmal seine unrühmliche Auferstehung. Hier gab es außer den US-Marshals des Bundesgerichts keine staatliche Autorität, denn der Indianerpolizei - den Lighthorses - war es nicht erlaubt, weiße Kriminelle zu verhaften.
Parker heuerte eine regelrechte Armee von Deputy US Marshals an; ständig arbeiteten um die 100 Beamte für ihn, mehr als für jedes andere Bundesgericht. Und er sorgte dafür, das alle Angeklagten tatsächlich ihren Prozeß bekamen und die Polizeibeamten nicht mehr das Gefühl hatten, ihr Leben auf der Jagd nach Verbrechern umsonst zu riskieren.
Ohne Ansehen der Person führte Parker seine Verhandlungen durch. Er hielt sich strikt an die Prozessordnung und die geltenden Gesetze. Seine Devise war, daß das Gesetz nur respektiert werden würde, wenn es konsequent angewandt wurde.
Parker handelte dabei sogar gegen seine eigenen Standpunkte. Er war ein Gegner der Todesstrafe; er glaubte nicht, daß sie irgendein Kapitalverbrechen verhindern konnte, und er war überzeugt, daß Menschen fehlbar sind und daß ein Todesurteil aufgrund falscher Einschätzungen nicht mehr rückgängig zu machen ist. Aber er sah sich verpflichtet, die bestehenden Gesetze buchstabengetreu einzuhalten, um dem Staat Autorität zu verleihen. Also sprach er bei Mord und Vergewaltigung entgegen seiner eigenen Überzeugung insgesamt 160mal die Todesstrafe aus. 86 der Delinquenten wurden in 39 Exekutionen im Hof von Fort Smith hingerichtet, in allen anderen Fällen hoben Berufungsgerichte die Verurteilung auf. Diese Praxis brachte ihm den Beinamen „Der Hängerichter“ ein.
(Die meisten Hinrichtungen wurden von George Maledon, einem Deputy US Marshal aus der Pfalz, ausgeführt.)
In einem Interview sagte Parker: „Ich glaube nicht an die Wirkung der Todesstrafe. Ich glaube nur an die Wirkung von Strafe als solcher. Der Kriminelle muß wissen, daß er in jedem Fall bestraft wird, egal wie. Er darf nicht davonkommen. Es muß klar sein, daß jeder, der Unrecht tut, zur Verantwortung gezogen wird, und zwar entsprechend dem Gesetz. Ohne Ansehen der Person. Nur das schreckt ab, nicht die Höhe der Strafe.“
Entgegen manchen Behauptungen einiger Chronisten wohnte Parker niemals einer Hinrichtung bei.
Die Fotos: 1. Der Galgen für bis zu 6 Hinrichtungen gleichzeitig (165). 2. Ein "Gefängniswagen", Mit dem die US Marshals ihre Gefangenen "einsammelten" (166).
Die Kriminalität, mit der Parker konfrontiert wurde, war überwältigend. Er ließ sich nie äußere Schwäche anmerken, aber er litt unter den menschlichen Abgründen, die sich in seinem Gericht auftaten, und er arbeitete bis zur totalen Erschöpfung. In den 21 Jahren, die er auf seinem Posten amtierte, bearbeitete er fast 13.500 Fälle, davon 344 Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung. 1896 starb er an Wassersucht, völlig überarbeitet und ausgelaugt. Er liegt in einem bescheidenen Grab auf dem Friedhof der Stadt begraben.
Er ist als „Hängerichter“ in die Geschichte der USA eingegangen, aber was er vorausgesehen hatte, war eingetreten: Die Kriminalität im Zuständigkeitsbereich von Fort Smith war trotz der drakonischen Strafen nicht weniger geworden. Er hatte zwar den Ruf des Gerichts als Stätte der Gerechtigkeit wieder hergestellt, aber an der Verbrechenswelle der „Last Frontier“, wie Oklahoma auch oft genannt wird, war er gescheitert. (Foto (167): Das schlichte Grab von Judge Parker auf dem Nationalfriedhof von Fort Smith.)
Die US Marshals von Charles I. Parker waren eine besondere Sorte Menschen. Sie riskierten Tag für Tag ihr Leben, und ihre Arbeit entsprach so gar nicht den Klischees von alten Hollywood-Western.
Nur einige wenige Informationen: Ein US-Marshal erhielt kein reguläres Gehalt. Er wurde pro Verhaftung bezahlt – in der Regel 2 Dollar. Dazu erhielt er „Meilengeld“; er mußte also exakt Buch führen, welche Entfernungen er zurücklegte, um einen Kriminellen zu stellen und zum Gericht zu bringen.
Wenn möglich, vermied er Schießereien; denn er mußte einen Verwundeten versorgen, und im Falle des Todes seines Häftlings mußte er für dessen Beerdigung aufkommen und sich selbst einer gerichtlichen Untersuchung unterziehen – Bürokratie gab es auch im „Wilden Westen“.
US Marshals unter Parker hatten ein gutes Verhältnis zu den Indianern Oklahomas, weil sie diese vor weißen Banditen schützten und häufig deren Hilfe brauchten. Die Marshals waren zu etwa 1/3 selbst indianischer Herkunft. Es gab auch Schwarze in Parkers Truppe, der Bekannteste war Bass Reeves.
Insgesamt dienten etwa 200 Männer für Parker. Etwa die Hälfte kam während ihres Dienstes gewaltsam ums Leben.
Eine Statistik aus der Mitte der 1880er Jahre besagte, daß von ca. 20.000 weißen Bewohnern Oklahomas etwa 15.000 in irgendeiner Form kriminell waren.
Ich zeige hier einige Fotos von Gräbern legendärer Parker-Marshals auf dem Oak Cemetery in Fort Smith, darunter die einzige Frau, die für Parker den Stern trug (Alice Stewart Eads). (Bilder 168-170)
Und die beiden Marshals Beck und Lewis Merritt, die zusammen bei dem Versuch, einen Pferdedieb zu verhaften, erschossen wurden.
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Kommentare
Immer, wenn ich so etwas lese, kommt man ein Stück dem Rätsel auf die Spur, warum Amerika in so vielen Dingen von unserer Seite aus nicht nachvollziehbar ist.