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Lucius Cornelius Sulla – Der Cäsar vor Cäsar - 9. Der erste Marsch auf Rom

Lucius Cornelius Sulla – Der Cäsar vor Cäsar9. Der erste Marsch auf Rom

Während man in Italien mit sich selbst beschäftigt gewesen war, hatte König Mithridates VI. von Pontos unbehelligt Fakten geschaffen.

Längst schon hatte Ariobarzanes ein weiteres Mal aus Kappadokien flüchten müssen, und kurz darauf hatte sich Nikomedes IV. von Bithynien dazu gesellt.

Jegliche Erfolge, die Sulla in Kilikien gehabt hatte, waren dahin.


Lucius Cornelius Sulla Zwar war es einer Senatsdelegation unter dem Ex- Konsul Manius Aquilius gelungen, die Pontier zum Rückzug aus den eroberten Reichen zu bewegen, aber für weitere Maßnahmen hätte er Legionäre gebraucht. Die allerdings waren aufgrund der Ereignisse im vorangegangenen Kapitel gerade in der Heimat unabkömmlich gewesen.

In der Zwischenzeit hatten Ariobarzanes und Nikomedes im Exil viele Kredite aufnehmen müssen, und als Schuldner hatte man in Rom Probleme: Just zu dieser Zeit ließen die Geldverleiher einen Praetor ermorden, der Prozesse gegen hemmungslosen Wucher zugelassen hatte. Schon wurden die Monarchen in ihrem Asyl von den Gläubigern bedrängt, ihre Rückstände mit einer Plünderungsaktion in Pontos zu begleichen. Sie taten es. Prompt beschwerte sich Mithridates, die Römer mögen Nikomedes dafür bestrafen, oder aber es ihm selbst gestatten, das zu tun. Als man ihn hinhielt, marschierte er prompt in Kappadokien ein und polterte, auch die römischen Provinzen seien nicht unantastbar…

Sulla indes, der mit seinem Konsulat endlich die Scharte seines Vorfahren Publius Cornelius Rufinus ausgewetzt hatte, war zu der Zeit gerade damit beschäftigt, Macht und Einfluß auszubauen. So verstieß er seine Gemahlin Cloelia wegen angeblicher Unfruchtbarkeit, und heiratete sich über die praktischerweise gerade verwitwete Caecilia Metella in das reiche und angesehene Geschlecht der Caecilii Metelli ein. Und wieder mal war das Glück des Corneliers so evident, daß man in den Gassen der Hauptstadt Spottlieder darüber sang.

In diese Zeit platzte die Nachricht, daß Mithridates gerade in Bithynien eingefallen war und vier römische Heere (in denen freilich nur wenige echte Römer waren) vor sich her trieb. Bis zum Ende des Jahres 88 v. Chr. gelang es ihm, die fremden Herren aus dem fernen Westen soweit aus Kleinasien zu verjagen, daß ihnen gerade mal ein paar Inseln und Küstenfestungen blieben. Ja, die Italiener waren so verhaßt, daß sie in Ephesos, der Hauptstadt der einstigen Provinz Asia, mit Mann und Maus abgeschlachtet wurden. Dem flüchtigen, für seine Gier berüchtigten Statthalter Aquilius soll man flüssiges Gold in die Kehle geschüttet haben.

Eile war geboten, bevor die Winterstürme jedwede Maßnahmen vereitelten. Ein Sieg gegen den König im Osten wäre der Karriere mit Sicherheit förderlich, und wieder einmal war das Losglück Konsul Sulla hold.

Doch während er damit beschäftigt war, vor der immer noch widerspenstigen Stadt Nola Truppen zusammenzuziehen, formte der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus eine 3000 Mann starke Schlägertruppe, und bildete einen mit 600 Rittern und Bürgern besetzten „Anti- Senat“. Sulpicius Rufus entstammte dem Umfeld seines gemeuchelten Vor- Vor- Vorgängers Marcus Livius Drusus, und platzierte eine Serie kluger Gesetzesanträge, um die bei Rittern verschuldeten Senatoren unter Druck zu setzen, und wegen moderater Positionen verbannte Politiker zurückzuholen. Und schließlich beantragte er, die italischen „Neubürger“ auf sämtliche 35 tribus zu verteilen – Damit aber war es möglich, die Altbürger zu überstimmen, die traditionell von den Patriziern geschmiert wurden, um jemanden aus ihren Reihen in den Senat zu wählen. Es kam ein weiteres Mal zu Straßenschlachten.

Sulla und sein Schwiegersohn und Mitkonsul Quintus Pompeius Rufus hatten als eingefleischte Optimaten den Reformer bisher mit formalen Tricks kurzgehalten, aber dann gelang es Letzterem, sich mit Marius und dessen Veteranen zu verbünden. Auf einer Aussprache vor dem Volk (contio) verlangte er mitsamt seinen versammelten Anhängern, daß die Konsuln von ihren Ämtern zurücktreten. Als diese ablehnten, fingen auch schon die Dolche an zu steppen. Der Mitkonsul konnte noch flüchten, verlor aber seinen großmäuligen Sohn – und Sulla selbst sah sich gar genötigt, sich ausgerechnet im Haus seines Erzrivalen Marius zu verkriechen!

Vermutlich blieb ihm dort nichts weiter übrig, als mit dem politischen Gegner zu verhandeln. Mit brutalen Gesetzesbrechern, wo seine Schikanen stets legal gewesen waren! Mit Emporkömmlingen, wo er doch von hoher Geburt war! Er mußte es als Demütigung empfunden haben.

Immerhin gelang es ihm, im Amt zu bleiben, während man seinen Kollegen kurzerhand absetzte. Dafür aber verkündete er – wohl nicht ohne Zwang – , daß er die Blockadehaltung mit Hilfe formaler Tricks aufgeben würde. Christ schreibt: „Die dramatischen Vorgänge jener Wochen versetzten Sulla einen tiefen Schock und erteilten ihm eine Lehre über Macht und Recht, die er nie mehr vergessen sollte. Seine Autorität als ordentlich gewählter Konsul hatte sich als wirkungslos erwiesen, durch die Rücknahme seiner Anordnungen hatte er sein Gesicht verloren, die nackte Gewalt triumphierte, in Rom schien der Pöbel zu herrschen. Schutz bot ihm nur noch sein Heer.“

Da ohnehin der Feldzug gegen Mithridates auf ihn wartete, verließ er direkt im Anschluß die Metropole, um sich zu den inzwischen sechs Legionen zu gesellen, die vor Nola warteten.

Aber offenbar traute Sulpicius ihm nicht, denn kaum war er aus der Stadt, stellte der Volkstribun auch schon den Antrag, Sulla den militärischen Oberbefehl zu entziehen, um ihn Marius zu übertragen. Den Senat hatte er soweit in der Hand, daß sein Wunsch Gesetz wurde.

Der Abgesetzte erfuhr davon, als er seine Truppen bereits erreicht hatte. Sein Konsulat würde mit dem Jahr 88 zu Ende sein, und seine Nachfolger würden durch die tribus- Reform von neuen, nicht mehr adelsbestimmten Mehrheiten gewählt werden. Er mußte damit rechnen, daß sein Leben nach Verlust seines Postens keinen Pfifferling mehr wert sein würde.

Er hatte sechs Legionen zur Verfügung.

Schon wollten seine Offiziere dem Befehl aus Rom Folge leisten, und nur Lucullus hielt noch zu ihm. Da aber baute er sich vor den Legionären selbst auf und schilderte ihnen ein Szenario, in dem Marius mit eigenen Soldaten nach Pontos ziehen würde, und sie damit der Gelegenheit beraubt wären, Beute zu machen. Das reichte, um die einfachen Krieger auf seine Seite zu ziehen. Also wagte er das Undenkbare! Als Konsul war es ihm zwar gestattet, im Senatsauftrag in der Hauptstadt für Ordnung zu sorgen – aber diesen Senatsauftrag gab es nicht! Er setzte seine Legionen trotzdem in Marsch. Nicht um sich nach Kleinasien einzuschiffen, wie es vorgesehen war, sondern direkt nach Rom. Sein Amt, sein übersteigertes Selbstbewußtsein und die Verachtung gegenüber einer Herrschaft von Emporkömmlingen dürften wohl eine wichtige Triebfeder gewesen sein.

Ein weiteres Mal blieb ihm das Glück treu: Marius war so schnell nicht abkömmlich, und so schickte man zwei Militärtribune vor, ihn einstweilen zu vertreten. Der alte Haudegen selbst hätte wohl noch genug Ansehen und Autorität gehabt, daß ihm die Krieger ohne Murren gefolgt wären, aber bei den beiden Platzhaltern war das nicht der Fall. Sie wurden mit einem Steinhagel empfangen, und blieben tot im Staub liegen. Die Würfel waren gefallen, wie später einmal ein anderer römischer Feldherr in einer ähnlichen Situation sagen sollte.

Die regierungstreu gebliebenen Offiziere flüchteten nach Rom, und mangels neu gewählter Konsuln schickte man dem Cornelier zwei Praetoren entgegen, um ihn mit scharfen Worten von seinem Vorhaben abzubringen. Ihnen wurde die Amtstracht vom Leib gerissen, und ihre Insignien, die Rutenbündel, zerfetzt. Vier weitere Gesandtschaften, die letzte als Bittsteller, konnten ebenfalls nichts ausrichten. Dafür gesellte sich Quintus Pompeius Rufus zu dem Cornelier, und als Letzterer auch noch von einem etruskischen Opferdeuter und einem prophetischen Traum motiviert wurde, gab es kein Halten mehr.

Die Stadt war auf einen solchen Fall nicht vorbereitet. Gerade mal Stein- und Ziegelwürfe konnte man dem Heer entgegensetzen, und Sulla selbst schritt seinen Kohorten voran, mit Feldzeichen und lodernder Fackel. Wieder einmal blieb ihm sein Glück treu, denn er trug offenbar keine ernsthaften Verletzungen davon, und stachelte damit seine Krieger an, ihm zu folgen. Die wenigen Widerstandsnester wurden ausgeräuchert und niedergebrannt. Am Forum des Esquilin hatten Sulpicius und Marius ihre Anhänger zusammengezogen, aber ihre Zahl reichte nicht aus, den Staatsstreich aufzuhalten. Die Metropole wurde eingenommen. Nur mit Mühe konnte der Putschist Sulla seine im Kampfrausch befindlichen Soldaten vom Plündern abhalten.

Am nächsten Tag sprach er zuerst zum Senat, dann zum Volk. Beide brachte er dazu, ein gutes Dutzend der führenden Reformer zu Staatsfeinden zu erklären, darunter Sulpicius und den einstigen Kriegshelden Marius. Letzterer konnte sich noch mit seinem Sohn zu seinen Veteranen nach Afrika absetzen, aber der Tribun wurde von seinem Sklaven denunziert und ermordet. Dem Sklaven schenkte man zum Lohn die Freiheit, nur um ihn im Anschluß wegen des Verrats an seinem Herrn vom Tarpejischen Felsen zu stürzen. Als Unfreier konnte man es einem Optimaten wie Sulla eben nicht recht machen!

Und der war jetzt quasi der Herrscher der Stadt… und der Republik.

Er und sein wieder eingesetzter Mitkonsul nutzten die Schockstarre, die Anordnungen des Sulpicius zu annullieren, und ein paar Gesetze zu beschließen, die ganz im optimatischen Sinne waren. So wurde eine seit der Gracchenzeit ausgesetzte Regel wieder eingesetzt, daß der Volksversammlung kein Antrag mehr vorgelegt werden durfte, der nicht zuvor vom Senat abgesegnet worden war. Auch durfte der damit entmachtete Volkstribun keine tribus- Versammlung (als Alternative zur regulären Volksversammlung) zur Verabschiedung von Gesetzen verwenden. Stattdessen wurde ein nach Vermögensklassen hierarchisch aufgebautes Gremium mit der Legislative beauftragt. Weitere, im Detail nicht überlieferte Maßnahmen kamen hinzu, darunter vermutlich auch eine Einschränkung des Veto- Rechts für den Volkstribun. Auch gegen die Erpreßbarkeit verschuldeter Senatoren ging der Cornelier vor, indem er einen Höchstzinssatz von 12% pro Jahr festsetzte.

Immerhin wurde die Zusammensetzung des Gerichtshofs nicht angetastet, und sogar der alte Plan des Marcus Livius Drusus, die Anzahl der Senatoren zu verdoppeln, wurde ausgeführt. Aber dahinter steckte eben die Absicht, die Zahl der Ritter selbst zu verringern.

Alles in allem sollten diese Verordnungen eine Stärkung des Senats und der Entmachtung des Volkstribunen dienen. Doch dem stand ausgerechnet einer entgegen, nämlich Sulla selbst: Dadurch, daß er diese Verordnungen der Republik ganz einfach aufoktroyierte, entmündigte er faktisch den Senat.

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