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Valeria Messala Barbata: Sie nannten sie »Messalina« - Die Ängste einer Mutter

Sie nannten sie »Messalina«Valeria Messala Barbata - Sie nannten sie »Messalina«
5. Die Ängste einer Mutter

Frauen stand im alten Rom kein eigentlicher Vorname zu, so daß der Name des Familiengeschlechts in seiner weiblichen Form als solcher fungierte.

Eine Julia gehörte zum Beispiel dem Geschlecht der Julier an, eine Claudia dem der Claudier, eine Valeria dem der Valerier, und eine Messala den Messalern (eine Teilsippe der Valerier).

Eine Möglichkeit, der Dame etwas Individualität zu verleihen, war ein Beiname wie „die Ältere“, oder aber eine verniedlichende Verkleinerungsform. So heißt „Messalina“ nicht einfach „die zum Geschlecht der Messaler gehörende“, sondern: „Die Kleine aus dem Geschlecht der Messaler“. Daß in ihrem Fall nicht der Name der eigentlichen Familie, sondern der einer bestimmten Untersippe gewählt worden war, dürfte ebenfalls darauf zurückzuführen sein, daß man sie von anderen Verwandten gleichen Namens zu unterscheiden suchte.

5. Die Ängste einer Mutter
An Messalinas Geburtstagsfeierlichkeiten im Jahre 41 nahm Claudius nicht teil. Dies geschah zum einen, weil er bei seiner Politik der Sparsamkeit nicht riskieren wollte, daß die zu diesem Anlaß ausgerichteten Spiele durch seine Anwesenheit einen offiziellen Charakter erhalten würden. Zum anderen allerdings meinte er, nach dem harten Urteil über Appius Silanus könnte es Verschwörer in seinem engsten Umfeld geben.

Hier war es der besagte Narcissus, der sich mehr und mehr darum kümmerte, daß Messalina auch ohne ihren Gemahl Zerstreuung fand. Ihr stand ein eigener Flügel im Palast zur Verfügung, in dem sie Bankette, Freundestreffen und kulturelle Zusammenkünfte abhielt. Noch sollen sie nicht zu Orgien ausgeartet sein und mehr von den teuren, aber züchtigen Zerstreuungen einer Marie- Antoinette an sich gehabt haben. Trotzdem ist auch schon bei diesen Anlässen eine Lockerung der Sitten bis hin zu unschicklichen Berührungen und dem diskreten Rückzug mancher Pärchen überliefert. Messalina selbst soll oft die physische Nähe des charismatischen Pantomimen Mnester gesucht haben, was ihn dann wiederum dazu bewegte, auf die nötige Distanz zu achten. Es soll sie verärgert haben, war er doch dafür bekannt gewesen, daß er sich von Caligula in aller Öffentlichkeit hatte abknutschen lassen.

Aber auch der in der Einleitung bereits erwähnte Seneca und Agrippinas Schwester Julia Livilla waren oft zu Gast bei diesen Veranstaltungen, und es erweckte sowohl Messalinas, als auch Narcissus‘ Argwohn, daß der Stoiker mit der Erziehung von Julia Livillas Neffen (und Agrippinas Sohn) Nero beauftragt wurde. Als Sohn des Germanicus stellte Nero in der Thronfolge einen Konkurrenten von Messalinas eigenem Sohn Britannicus dar.

Sie suchten sich den Anwalt Suillius Rufus, einem ehemaligen Quästor, um den Philosophen und die Kaisernichte anzuklagen, miteinander eine frivole und unschickliche Beziehung zu führen. Schließlich waren die beiden anderweitig verheiratet! Es gehört schon zu den Kuriosa der Geschichte, daß ausgerechnet der Moralist Seneca ausgerechnet wegen eines moralischen Vergehens ausgerechnet auf Betreiben Messalinas nach Korsika in die Verbannung geschickt worden ist. Ja, ohne das persönliche Eingreifen des Princeps wäre er gar zum Tode verurteilt worden! Auf jeden Fall sollte er bis zu Claudius‘ Tod nicht mehr nach Rom zurückkehren dürfen, trotz zahlreicher Bittgesuche und Bettelbriefe. Schlimmer noch, auch seine Freundin Julia Livilla sollte er nicht mehr lebend wiedersehen, denn sie fand noch im selben Jahr den Tod. Es ist da gewiß kein Wunder, daß er den Kaiser nach dessen Tod in seiner Apocolocyntosis recht derbe verunglimpft.

Zurück blieb Agrippina, als letzte Überlebende der sechs Sprößlinge von Claudius‘ Bruder Germanicus. Man mag es sich denken, daß sie die Entwicklung der Dinge nicht begeisterte. Doch die Zeit ihrer Rache sollte noch kommen, auch wenn die Früchte der Vergeltung letzten Endes ihr selbst zum Verhängnis werden sollten (in Form ihres Sohnes Nero).

Indes hatte Appius Silanus’ Hinrichtung noch Nachwirkungen, mit denen keiner der Beteiligten ursprünglich gerechnet haben dürfte. So führte General Furio Camillus Scribonianus im Jahre 42 eine Revolte zweier Legionen an, die sich von Dalmatien aus zum Marsch auf Rom aufmachen sollten. Interessanterweise tat er das auf Geheiß eines Vincianus, der selbst oft zu Gast bei Messalinas Empfängen gewesen war. Doch dieser Putschversuch scheiterte an den Legionären selbst, die wiederum gegen ihre Anführer rebellierten.

Claudius aber war schockiert genug, daß er sich von nun an mehr und mehr auf Maßnahmen verließ, die der Abschreckung und der Unterdrückung dienten. Narcissus nutzte die Chance, die Position der Freigelassenen und des Kaisers gegenüber dem Senat zu stärken, indem er die vermuteten Schuldigen an der Revolte verfolgen ließ. Fünfunddreißig Senatoren und dreihundert Ritter sollen schließlich auf Drängen des Imperators und seines Beraters verurteilt worden sein. Es wurden jedoch auch viele Freisprüche von Narcissus gegen Geld verkauft, und nicht nur seine Komplizen unter den Freigelassenen, auch Messalina soll davon gewußt haben. Welchen Grund sie gehabt haben mag, sich auf diesen Sumpf aus Korruption einzulassen, bleibt nebulös. Mazzei vermutet, daß sie ihre Beteiligung an dem Komplott gegen Appius Silanus erpreßbar gemacht hat für Narcissus.

Dabei tötete sich auch ihre enge, sittenstrenge Freundin Arria, als deren Mann zum Suizid verurteilt wurde. Messalina hatte keine Freundin mehr…

Wen wundert es, daß sie sich anno 42 immer stärker nach Mnester verzehrte? Der freilich stand gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere, so daß ihn seine Verpflichtungen am Theater sehr in Anspruch nahmen. Ihr Scheitern, den allseits bejubelten und bewunderten Mimen für sich zu gewinnen, schien sie in ihrer Ehre als hübsche und mächtige Frau zu kränken. So versuchte sie laut Mazzei, ihn eifersüchtig zu machen, indem sie sich dem jungen, fügsamen und ausnehmend schönen Tacitus Traulus zuwandte. Sie lockte ihn in ihr Bett, und mehrere Bedienstete dürften es mitbekommen haben. Doch während er in sie ejakulierte und Freude empfand, soll sie nur Zorn und Ekel gefühlt, und ihn vor die Tür gejagt haben.

Mnester jedoch reagierte anders als erhofft: Seine Besuche im Palast wurden seltener, und dafür sah man ihn öfter im Hause des Prätorianerpräfekten Rufrius Crispinus, dessen hübsche, aber wohl gerade zehn- bis zwölfjährige Frau Poppea Sabina den Ruf hatte, daß sie nicht groß unterschied zwischen ihrem Gemahl und Freunden des Hauses. Gleiches galt für deren gleichnamige Mutter (und ich bin mir nicht sicher, ob Mazzei [und Mnester] die beiden nicht ab und an miteinander verwechselt).

Messalina dürfte zwischen Wut und verzweifeltem Schmachten hin und her geschwankt haben. Unterdessen passierte etwas, das eigentlich gar nichts mit ihr zu tun hatte, und doch einen Wendepunkt in ihrem Leben herbeiführen sollte: Claudius, der bei Ausbleiben der Getreidelieferungen im stürmischen Winter 42/ 43 mit faulem Obst beschmissen worden war, suchte nach einem Weg, sich Respekt zu verschaffen, der nicht allein mit seinem Amt zu tun hatte. Er war mit Hilfe der Armee an die Macht gekommen, aber die Revolte des Generals Furius Camillus Scribonianus hatte ihm gelehrt, daß er sich auch dieser Unterstützung nicht sicher sein konnte. So beschloß er, sich Achtung zu verschaffen, indem er einen erfolgreichen Feldzug leitete. Die Vertreibung des letzten Rom- freundlichen Königssohns aus Britannien lieferte den willkommenen Anlaß dazu, das zu tun, was Julius Cäsar nur kurzfristig, und Caligula gar nicht gelungen war: Auf der Insel eine Kolonie zu errichten!

Die vier Legionen in Gallien, die er zu Beginn des Jahres 43 dafür mobilisieren wollte, gaben ihm freilich unverblümt zu verstehen, daß sie wenig Neigung verspürten, ihre bequemen Lager zu verlassen. Erst dem anfangs sehr schlecht empfangenen Narcissus gelang es, sie umzustimmen. Schlußendlich stießen diese Truppen noch unter eigener Führung bis an die Themse vor, wo ihr Vormarsch zum Stehen kam. Damit war der Zeitpunkt für Claudius gekommen, persönlich an den Kriegsschauplatz zu reisen, selbst den Oberbefehl zu übernehmen, und kraft seiner Anwesenheit die Legionäre mit neuem Mut zu erfüllen.

Kurz vor seinem Aufbruch jedoch wandte sich seine Gattin an ihn. Sie drängte ihn, Mnester zu befehlen, er möge sich nicht immer wieder dem Befehl widersetzen, sie zu unterhalten. Wörtlich soll sie gesagt haben: „Du mußt ihm sagen, daß er ein Komödiant ist und bleibt, und daß er, was auch immer ich ihm befehle, auch das Absurdeste, auszuführen hat, und zwar sofort.“

Claudius hatte wenige Tage vor seinem Abmarsch anderes im Sinn gehabt als Argwohn. So glaubte er nur, daß der Mime aus Hochnäsigkeit nicht vor seiner Angetrauten spielen wollte. Dementsprechend erfüllte er ihren Wunsch, und als er sie als Strohwitwe zurückließ, ahnte er nicht, daß er selbst nun dem Darsteller den Befehl gegeben hatte, ihm Hörner aufzusetzen.

Was die Eroberung Britanniens anbelangte, so handelte es sich nicht so sehr um große römische Siege, als um ein Ausweichen der Eingeborenen vor der Übermacht, um die Besatzer alsdann für Jahrzehnte in einen Kleinkrieg zu verwickeln. Der Feldzug selbst dauerte fide Mazzei kaum sechzehn Tage, doch weilte der Kaiser noch an die fünf Monate in Gallien. Mochte er auch in der Schlacht triumphiert haben, Messalina triumphierte über ihn, und über Mnester zugleich.

Letzterer tat, wie ihm befohlen, und weihte seine Herrin ein in die Geheimnisse der Lust. Als allseits beliebter Schauspieler konnte er sich unter seinen Verehrerinnen jede aussuchen, nach der es ihm gelüstete. Er dürfte also einigermaßen erfahren gewesen sein in den Techniken der Liebe. Der Verteidigungsrede an seinem letzten Tag zufolge mochte er sogar ein paar Sado- Maso- Praktiken kennen.

Man mag sich denken, daß er die Beziehung mit Messalina nicht mit ganzem Herzen führte. Er lebte in einer patriarchalischen Macho- Gesellschaft, und da hatte nicht er sich seine Gespielin ausgesucht, sondern sie ihn. Er war nur „auf Befehl“ ihr Geliebter! Außerdem dürften ihm Poppea Sabina und die freie Auswahl gefehlt haben.

Damit stand die Beziehung zwischen ihm und seiner Herrin von Anfang an unter keinem guten Stern. Vielleicht spürte Messalina seinen Mangel an Leidenschaft, vielleicht aber langweilte sich die chronisch vernachlässigte Dame auch schnell, auf jeden Fall forderte sie immer mehr von ihm. Mazzei vermutet, daß er es gewesen ist, der sie mit „sexuellen Extravaganzen“, „Promiskuität und die verschiedensten Mittel zur erotischen Anregung“ vertraut gemacht hat, um der von seiner Seite nicht gewollten Beziehung etwas Würze zu geben. Eventuell hoffte er, seine machtvolle Partnerin irgendwann soweit befriedigt zu haben, daß sie ihn frei gab. Doch aller Wahrscheinlichkeit suchte sie jetzt schon nach einer sexuellen Erfüllung, die auf Erden nicht zu finden war. So hielt sie schließlich die ersten Orgien ab, an denen laut Cassius Dio „die höchsten Damen Roms… zur Schamlosigkeit getrieben wurden“, bis daß man sie „dazu veranlaßte, sich zu prostituieren“. Genau genommen, sollen sie dazu genötigt worden sein, sich vor den Augen ihres Gatten von jemand anderem besteigen zu lassen. Angeblich geschah dies, um Mnester zu imponieren, dem es wohl gefiel, sich selbst anderweitig zu vergnügen, aber auch seiner Partnerin dabei zuzuschauen. Da sich all dies in ihrem Flügel des Palastes abspielte, blieb es nicht aus, daß Bedienstete und Sklaven eingeweiht waren – und über die dann auch Freigelassene. Also wußte Narcissus, wie er seine Kaiserin erpressen konnte, um sie auch in Zukunft als Komplizin für seine Gaunereien zu gewinnen.

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