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Valeria Messala Barbata: Sie nannten sie »Messalina« - Epilog: Frauenpower und Männerphantasien

Sie nannten sie »Messalina«Valeria Messala Barbata - Sie nannten sie »Messalina«
Epilog: Frauenpower und Männerphantasien

Frauen stand im alten Rom kein eigentlicher Vorname zu, so daß der Name des Familiengeschlechts in seiner weiblichen Form als solcher fungierte.

Eine Julia gehörte zum Beispiel dem Geschlecht der Julier an, eine Claudia dem der Claudier, eine Valeria dem der Valerier, und eine Messala den Messalern (eine Teilsippe der Valerier).

Eine Möglichkeit, der Dame etwas Individualität zu verleihen, war ein Beiname wie „die Ältere“, oder aber eine verniedlichende Verkleinerungsform. So heißt „Messalina“ nicht einfach „die zum Geschlecht der Messaler gehörende“, sondern: „Die Kleine aus dem Geschlecht der Messaler“. Daß in ihrem Fall nicht der Name der eigentlichen Familie, sondern der einer bestimmten Untersippe gewählt worden war, dürfte ebenfalls darauf zurückzuführen sein, daß man sie von anderen Verwandten gleichen Namens zu unterscheiden suchte.

Epilog: Frauenpower und Männerphantasien
Ich wiederhole es noch einmal: Die obige Darstellung Messalinas beruht auf der Darstellung, die bestimmte, nicht unbedingt objektive Schreiber uns hinterlassen haben. Mögen sie auch Zugriff auf Material gehabt haben, das den Zahn der Zeit nicht überstanden hat, so sind doch gerade mal Zwei von ihnen Zeitgenossen von Claudius‘ Gemahlin gewesen.

Mazzei meint, sie wäre nicht nymphoman, sondern promisk und hypersexuell gewesen. Ich für meinen Teil werde es mir nicht anmaßen, psychologische Ferngutachten auf der Basis knapp zweitausend Jahre alter, und dazu noch stark subjektiver Texte zu fällen. Freiwillig und ohne Not in einem Bordell zu arbeiten, oder mit Abstand eine Hure beim Gangbang zu schlagen, klingt für mich allerdings – immer noch angenommen, daß uns die antiken Quellen hier nicht belügen – nicht einfach nur nach außerehelicher Zerstreuung mit ausgewählten Mannsbildern, sondern nach der Fixierung auf den Sex selbst.

Natürlich wäre der Ruf ein anderer gewesen, wäre Messalina maskulinen Geschlechts gewesen. Seitensprünge sind kaum ein Thema, wenn von den männlichen Protagonisten der Geschichte die Rede ist. Kaiser Friedrich II. betrog seine Gattin schon in der Hochzeitsnacht mit ihrer eigenen Schwester – Doch ihn kennt man nur als stupor mundi, als letztes Aufblitzen der Staufer- Herrlichkeit, als aufgeklärter Geist und als letzter christlicher Sieger eines Kreuzzugs. Charles Lindbergh trieb es mit zwei Schwestern gleichzeitig, und doch trübt nichts seinen Ruf als Atlantik- Flieger. Ja, Giacomo Casanova konnte mit seinen Affären ebenso protzen, wie August, der Starke! Uns schlußendlich sollten wir auch nicht vergessen, daß Claudius selbst nicht der Treueste gewesen ist, gab es da doch Calpurnia, Cleopatra und gar seine Nichte Agrippina.

Frauen jedoch werden stets sortiert in die Schubladen Heilige und Hure (und ab und an ist auch mal eine Xanthippe vertreten). Nach dieser Schwarzweißmalerei entsprach Messalina nicht der getreuen Penelope, die allen Versuchungen widerstand, während ihr Herr Gemahl in der Weltgeschichte herumgondelte (und ein Jährchen an der Seite von Circe verbrachte). Sie war vielmehr eine antike Beate Zschäpe, die bereit war, für ihr kleines, romantisches Liebesnest auch die Tode Unschuldiger in Kauf zu nehmen. Dabei sind es in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Männer gewesen, die in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaftsordnung Werke für die Nachwelt verfassen. Schon Carl Jung hat erkannt, daß das jeweils andere Geschlecht als Änigma wahrgenommen wird, verlockend und verstörend zugleich. Immer wieder taucht da der Archetyp der schwarzen Anima oder Femme fatale auf, der mysteriös- dämonischen Verführerin, den man historischen Persönlichkeiten weiblichen Geschlechts überzustülpen versucht. Das gilt für eine Lucrezia Borgia gleichermaßen (die eigentlich nur eine folgsame Tochter gewesen ist), wie für Katharina, die Große (deren erfolgreiche Herrschaft den Neid mancher Lästerzungen hervorrief). Es geht um eine alte Männerphantasie: die Lillith, die Lilitu, den Sukkubus, den Vamp, der im Dunkel lauert, um den arglosen Mann und Gatten aus seiner Welt der Spießigkeit heraus zu reißen, hinein in eine exotische Welt verbotener Freuden. Sie steht für den kombinierten Wunsch nach Sex, Zweisamkeit, Abenteuer und Freiheit, aber auch für die Angst davor. Und für die Furcht, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Die Furcht, alles zu verspielen, was man sich an Achtung und Ansehen in seinem gesellschaftlichen Umfeld erarbeitet hat! Einer der extremsten Beispiele für ein solch verängstigtes Männlein ist Heinrich „Institoris“ Kramer, der Autor des Hexenhammers.

Messalina wird genau so beschrieben, wie man sich den Archetyp der schwarzen Anima, der Femme fatale vorstellt. Sie wird als zügellos geschildert, als jemand, dem die öffentliche Meinung egal ist, wenn es nur um die Befriedigung der eigenen hedonistischen Gelüste geht. Sie blamierte sich, sie blamierte den Kaiser und war sich nicht zu schade dafür, sich Liebhaber per Befehl zu verschaffen, oder aber grausame Rache an denen zu nehmen, die sie verschmähten. Auch dies entspricht wiederum einer Männerphantasie, steht sie doch für die leidenschaftliche Frau, die sich den Kerl einfach nimmt, so daß er sie nicht mühsam erobern muß. Zumal sie ja die Kaiserin ist, also im Rang über einem steht: Auch die Domina ist eine Variante der schwarzen Anima.

Messalina ist kein Archetyp gewesen, sondern ein lebender Mensch. Aber wäre sie als solcher beschrieben worden, so hätte man sich wohl kaum ihrer erinnert; das läßt sich bereits daran erkennen, daß die Berichte über ihre Frühzeit spärlich sind, und meist in Zusammenhang mit den Taten ihres Ehemannes stehen. Erst, als sie mit den korrupten Freigelassenen gemeinsame Sache macht und die ehrbaren Pfade der sittsamen Gemahlin verläßt, wird sie selbst zur Protagonistin der Geschichtsschreiber. Dabei darf man nicht vergessen, daß deren Ambitionen selten der Wiedergabe nüchterner Fakten galten. Manche zielten auf die Kritik am Kaisertum ab, andere auf Pointen, und Seneca hegte sogar einen persönlichen Groll. Hierzu gehörte es dann wohl auch, Fakten mit Übertreibungen, Gerüchten und übler Nachrede zu vermengen… und ehe man sich versieht, ist aus der vielleicht nur unreifen, vernachlässigten, experimentierfreudigen und arroganten Messalina eine finster lächelnde Männerphantasie mit wehendem, schwarzen Lockenhaar geworden. In der Tat fällt es schwer, sich eine tatsächlich existierende Frau vorzustellen, die sich freiwillig wahllos von mindestens 25 Männern penetrieren läßt, nur um mit einem Siegeskranz geehrt zu werden. Oder die ohne Not im Bordell arbeitet, um Häßliche und Greise, Unsympathen und Sklaven über sich steigen zu lassen. Wer diese Frau wirklich gewesen ist, die ja auch im kriminellen Bereich angeblich weder Maß, noch Skrupel kannte, und die einen Mann für eine Villa in den Tod schickte, läßt sich selbst den Textstellen nicht entnehmen, wo mehrere Quellen inhaltlich miteinander übereinstimmen. Denn zum einen haben sie sich teilweise auf dieselben Überlieferungen gestützt, zum anderen aber auch voneinander abgeschrieben. Andererseits jedoch: Wenn Messalina nur ein unschuldiges Opfer gewesen wäre, dessen einzige Schuld es war, mit dem mächtigsten Mann des Imperiums vermählt zu sein, es hätte wohl kaum einen Grund gegeben, sich so ausgiebig über sie das Maul zu zerreißen. Und sie wäre in der Tradierung kaum mehr gewesen, als ein Anhängsel ihres Mannes.

Als Gegenbeispiel mag hier Livia Drusilla dienen, die Gemahlin des Octavian/ Augustus. Der Anfang ihrer Ehe war nicht frei von Skandalen, weil beide erst einmal geschieden werden mußten, und sie im sechsten Monat schwanger war, während die Frau des Octavian gerade entband. Doch von da an verkörperte sie das Ideal der ehrbaren, an den althergebrachten Gepflogenheiten und Moralvorstellungen orientierten Ehefrau. Damit hielt sie ihrem Gatten den Rücken frei, der sie wiederum in Ehrungen mit einbezog, die eigentlich nur ihm persönlich galten. Cassius Dio zufolge soll sie selbst behauptet haben, daß ihr Einfluß auf den Princeps darauf beruhe, „daß sie selbst peinlich auf ein sittlich einwandfreies Benehmen gesehen, gerne alle seine Wünsche erfüllt, sich nicht in seine Angelegenheiten gemischt und vor allem den Anschein erweckt habe, als höre und merke sie nichts von seinen Liebesgeschichten“. Ja, sie soll dem Kaiser sogar selbst Bettgespielinnen zugeführt haben! Und dadurch, daß sie seine engste Beraterin war, hatte sie indirekt auch politischen Einfluß. Ja, ihre Autorität war schlußendlich so groß, daß sie nach dem Tod des Augustus dessen Deifizierung durchsetzen konnte. Letzen Endes galt sie als Ikone der römischen Wertvorstellungen, daß sich der nachfolgende Kaiser Tiberius immer wieder gewehrt hat, an ihrem Ideal gemessen zu werden. Faszinierenderweise ist es dann ihr Enkel Claudius gewesen, der ihre Vergöttlichung endgültig durchgesetzt hat, obwohl ausgerechnet sie sich in seiner Kindheit dem Umgang mit ihm verweigert hat. Eine Raben- Oma also… soviel zum Thema Idole! Schließlich wurde sie gar betrachtet als „größte Kaiserin Roms“, obwohl sie größtenteils nichts weiter gewesen war als die Frau an der Seite des Augustus.

Messalina wurde für die Geschichtsschreibung erst interessant, als sie unabhängig von ihrem Ehemann zu agieren begann. Doch macht sie das zu einer „starken Frau“? Einer Vorkämpferin für Emanzipation und Befreiung von moralischen Zwängen? Nun, leider nicht! Und das nicht nur, weil eine „starke Frau“ ein Klischee ist, aber niemand innerlich stark sein kann, der ein Klischee lebt!

Tatsächlich war Messalina den Schilderungen nach mehr eine Komplizin, die das Denken Leuten wie Narcissus überließ; aktiv wurde sie eigentlich nur, wenn es darum ging, sich einen Gespielen zu verschaffen. Politisch war sie nie sehr interessiert gewesen, und wenn sie zu öffentlichen Anlässen erschien, dann stets in ihrer Rolle als Gemahlin des Princeps. Mochte sie auch einen eigenen Wagen für den Umzug haben, mochte sie schließlich auch selbst den Titel einer Kaiserin geführt haben, so nutzte sie ihre Macht nicht etwa, um sich für die Rechte der Frau einzusetzen. Es ging ihr stets um persönliche Vorteile, und dafür war sie sogar bereit, Unschuldige über die Klinge springen zu lassen. Sie war eine Nutznießerin des damaligen Sittenverfalls, aber dadurch, daß sie die Dekadenz ins Extrem trieb, setzte sie alles aufs Spiel. Selbst wenn Cassius Dio und Juvenal, Sueton, Tacitus und Plinius maßlos übertrieben haben sollten, und nur der Vorwurf der Bigamie auf sie zutraf, so haben wir es immer noch mit einer Person zu tun, die sich nicht aus Charakterstärke den althergebrachten Sitten widersetzte, sondern weil sie im Gegenteil zu schwach war, um sich und ihre Leidenschaften im Griff zu haben. Aber es war auch nicht die Zeit für Gleichberechtigung, konnten einen doch bloße Träume bereits aufs Schafott bringen. Selbst eine Hildegard von Bingen mußte noch befürchten, daß ihr eigenständiges Denken als Einflüsterungen des Teufels gedeutet wurde. Erst die Aufklärung und ihre Nachwirkungen sollte es ermöglichen, daß sich die grundlegende Einstellung der Menschen zur Vollwertigkeit beider Geschlechter nach und nach wandelte. Trotzdem hatte eine Maria Theresia noch Probleme, von den anderen Reichsfürsten anerkannt zu werden. Aber immerhin war ihr Stand schon fester als der, den Theophanu gehabt hatte. Und auch fester als der von Elisabeth I. von England, die stets das Ideal der ewigen Jungfrau zur Schau trug, und trotzdem bis zum Angriff der Armada nicht von Spanien ernst genommen wurde. Allen Revolutionen und Entwicklungen zum Trotz sollten noch anderthalb Jahrhunderte ins Land gehen, bis Suffragetten und Feministinnen auf den Plan treten und für die Egalität streiten konnten. Aber ehrlich gesagt, kennen Sie die Namen der Wichtigsten von ihnen, ohne ins Lexikon zu schauen (vielleicht von Alice Schwarzer einmal abgesehen)? Messalina dagegen, der es mehr um ihre selbstbestimmte Sexualität ging, als um politische und gesellschaftliche Rechte, ist auch knapp zweitausend Jahre nach ihrem Tod noch ein Begriff. Das muß einen Grund haben, und ich fürchte, er läßt uns ach so aufgeschlossene, moderne und über alle moralischen Abgründe erhabene Menschen der Gegenwart in keinem allzu positiven Licht erscheinen…

Literaturverzeichnis
Francesco Mazzei: MESSALINA (Macht und Intrige). Wilhelm Heyne Verlag. München, 1983.

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Kommentare  

#1 Andreas Decker 2018-08-02 13:07
Eine schöne Artikelserie. Respekt! Hat Spaß gemacht.

Ich denke auch, man sollte nie die Rachsucht verbitterter alter Männer unterschätzen, wenn sie Biografien schreiben, die sich auf Hörensagen stützen. Insofern sind alle Berichte von Nicht-Zeitzeugen grundsätzlich suspekt. In Tateinheit mit dem verkorksten Frauenbild der nachfolgenden Zeiten kann man getrost unterstellen, dass die wohlig-gruselige - und letztlich gefrustet neidische - Männerphantasie immer vor der historischen "Wahrheit" kommt. (Auch wenn das nicht nur für Frauen gilt, Nero ist da ja auch ein schönes Beispiel.)

Interessant ist immer wieder die institutionalisierte Heuchelei der römischen Oberschicht, die ja fast schon schizophrene Züge hatte. Man ist ja grundsätzlich geneigt, dafür das absolut frauenfeindliche Christentum verantwortlich zu machen, aber letztlich hat da der Adel nur seine Traditionen der "heidnischen" Zeit zementiert und weiter in Richtung Unterdrückung perfektioniert.

Nicht umsonst ist der hämische Spruch mit Cäsars Frau, "die über jeden Verdacht erhaben sein muss", noch heute aktuell. Soviel zur Gleichberechtigung und sexuellen Selbstbestimmung. Und jemand wie Cäsar hätte sich eine Staatsreligion wie das Christentum mit seinen Moralvorstellungen vermutlich nicht mal in seinen kühnsten Albträumen vorgestellt. Trotzdem waren sie gar nicht so weit voneinander entfernt.


Bei deinem Vergleich Maria Theresia und Elisabeth muss ich dir aber widersprechen. ;-) Auch wenn die Vorstellung einer Frau als Staatsoberhaupt den meisten oder allen Adligen grundsätzlich gegen den Strich gegangen sein dürfte - eher in Richtung Betriebsunfall - , lassen sich die Epochen und ihr Umfeld nicht mal annähernd miteinander vergleichen. Elisabeths Staatsführer hätten alles getan, um den wackeligen Frieden im Land zu bewahren. Darum ist sie auch mit vielem durchgekommen, was im Fall von Maria Theresia undenkbar gewesen wäre. Die Lektionen des Bürgerkrieges vor Henrys Machtergreifung und die blutigen Wirren zur Zeit Marias haben Jahrzehnte die Politik bestimmt.

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