Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI. - 9. Eine letzte Revolte
Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.
Eine letzte Revolte
Fischer- Fabian mag sie gar nicht, die Gefolgsleute Heinrichs, die oftmals nicht dem hohen Adel entstammten, sondern einem unfreien Stand: „Die Namen der kaiserlichen Ministerialen vom Typ eines Heinrich von Kalden und Markward von Annweiler hatten einen schrecklichen Klang, und noch schrecklicher war der eines Diepold von Vohburg, Berthold von Künßberg, Konrad von Lützelinhard – alles Männer, die blinde Ergebenheit für Treue hielten und zu jeder Tat bereit waren. Es war nicht durchweg die Elite der Nation, die nach Apulien, Kalabrien, Sizilien ging, Abenteurer, Beutemacher waren dabei, zwielichtige Gestalten, die aus der Heimat hatten weichen müssen wegen irgendwelcher Vergehen, wie die beiden Mörder des Bischofs von Lüttich, eine Tat, hinter der man Heinrich als den Anstifter vermutete.“
Böse Schelte also, die aber offenbar vor allem auf Gerüchte und Vorurteile gegen Aufsteiger fußt. Mit Diepold von Vohburg wird er wohl Diepold von Schweinspeunt gemeint haben, der Graf Richard von Acerra gefangennehmen sollte, und mit Konrad von Lützelinhard in Wirklichkeit Konrad von Lützelhard. Ob es sich dabei um „zwielichtige Gestalten“ gehandelt haben mag, ist der Quellenlage nicht zu entnehmen. Manche von ihnen zeigten später ebensowenig Skrupel wie ihre Gegner, als es darum ging, staufische Rechte zu verteidigen, doch davon war zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht die Rede. Tatsächlich waren sie für den Kaiser zuverlässiger als die Vertreter des alten Adels. Georg Weber drückt es folgendermaßen aus: „(Heinrich übertrug) die Verwaltung seinen getreuen deutschen Ministerialen… Es war das ein sehr wichtiger Schritt, denn er schuf damit ein neues, wirkliches Beamtentum, das viel abhängiger von ihm war als die der ursprünglichen Beamtenstellung längst entwachsenen fürstlichen Lehnsträger.“
Damit nähern wir uns auch einem entscheidenden Problem: Kaiserin Konstanze war eine gebürtige Normannin, aber Heinrich war es nicht. Er kam als Fremder in ein Land, daß sich seinen Ansprüchen (oder genauer gesagt: denen seiner Frau) lange Jahre widersetzt hatte. Wem konnte er hier trauen? Am ehesten noch seinen bewährten Ministerialen, die ihre Treue mehr als einmal unter Beweis gestellt hatten. Also verlieh er ihnen in dem endlich erworbenen Königreich Schlüsselpositionen – Aber sie waren nun mal Deutsche, genau wie er, und niemand mag es, von Fremden beherrscht zu werden. Auch die Sizilianer nicht! Vielleicht ist das der Grund für Fischer- Fabian, die Dienstmannen des Staufers samt und sonders als „Abenteurer“ und „Beutemacher“ zu diffamieren.
So geschah die Verteilung des Kuchens an ortsfremde Vertraute wohl in erster Linie aus pragmatischen Gründen. Diese Bevorzugung leistete freilich auch einem frühen Nationalismus Vorschub, konnte man doch als einfacher Dienstmann aus der teutonischen Heimat große Karriere im „Ausland“ machen. Dafür steht zumindest der Nachruf Ottos von St. Blasien, der behaupten sollte, Heinrich habe „bewiesen, wie überlegen sie (die Deutschen) allen anderen sind“. Freilich sollte man dabei nie vergessen, daß sich der so Gepriesene in erster Linie als Erbe der (west-) römischen Cäsaren gesehen haben dürfte.
Die Einwohner Siziliens standen nun also unvermittelt unter der Fuchtel eines Königs und seiner Schergen, die allesamt von außen gekommen waren, und sich möglicherweise sogar wie chauvinistische Eroberer verhalten hatten. Als wäre dies nicht genug, erhob der neue Monarch auch noch eine Sondersteuer für den bevorstehenden Kreuzzug und ließ sich sämtliche Urkunden für gewährte Privilegien zur Überprüfung vorlegen. Dies war Teil der Maßnahmen, seine Herrschaft auch bei päpstlichem Gegenwind zu stabilisieren, sorgte jedoch für ein zusätzliches Murren von Seiten der sizilischen Barone.
Graf Richard von Acerra, der bei Tankreds Machtübernahme sämtliche Deutschen in Capua hatte ermorden lassen, wurde als Hochverräter öffentlich hingerichtet. Eine Maßnahme, die eigentlich hätte abschrecken sollen… und doch braute sich Unheil zusammen.
Der Staufer freilich war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, als daß er die drohende Gefahr angemessen hätte wahrnehmen können. Schließlich galt es, einen Kreuzzug zu organisieren, und darüber hinaus hatten ihn auch noch die Verhandlungen mit dem Patrimonium Petri und der widerspenstigen Reichsaristokratie gefesselt. Nun im Sommer 1196, wo die Reise nach Jerusalem unmittelbar bevorstand, waren Transport und Finanzierung noch nicht restlos geklärt. Er schreckte nicht davor zurück, Kaiser Alexios III. Angelos von Byzanz genauso zu erpressen, wie er es zuvor mit dessen Bruder und Vorgänger Isaak getan hatte. Und auch Alexios, der gerade gegen Serben und Bulgaren mit dem Rücken zur Wand stand, und dazu noch innenpolitische Probleme hatte, gab klein bei. Immerhin gelang es seinem Verhandlungsführer noch, die geforderte Summe von jährlich 5000 Pfund Gold auf 1600 zu drücken, aber selbst hier gab es massive Schwierigkeiten, das Geld aufzutreiben. Schlußendlich betätigte sich der Staat als Grabräuber an den kaiserlichen Mausoleen, doch das zusammengekramte Vermögen wurde im Herbst 1197 nicht mehr auf den Weg geschickt, weil sich die Verhältnisse im Heiligen Römischen Reich und Sizilien bis dahin komplett gewandelt hatten.
Doch wir wollen nicht vorgreifen und kehren zurück an den Anfang des Jahres 1197. Zu diesem Zeitpunkt setzten sich die ersten Gruppen Kreuzfahrer in Bewegung, angeführt von Erzbischof Konrad von Querfurt, dem damaligen Erzkanzler des Reiches (und Bruder des Magdeburger Burggrafen Gebhard). Seine Abteilung segelte schon im März von Italien aus ostwärts, wo sich andere erst auf dem Weg dorthin befanden (darunter auch die kaiserlichen Söldner). Im Juli dann trafen sie in Apulien und auf der Insel Sizilien selbst ein. Eine weitere Schar aus dem Norden und Westen des Imperiums stach gleich von der norddeutschen Küste aus in See, und eroberte für König Sancho I. von Portugal noch die den muslimischen Almohaden gehörende Stadt Silve, bevor auch sie im August 1197 in Messina anlandete.
Derweil gelangte der Kaiserliche Hof im März 1197 auf die Insel Sizilien selbst, wo Heinrich nach zweijähriger Trennung seine Gattin Konstanze wiedersah. Hatte der Hoftag von Capua im Dezember 1196 die Barone des Festlandteiles von Süditalien als Adressaten gehabt, so ging es beim geplanten Hoftag zu Palermo Ostern 1197 um diejenigen auf dem Eiland. Auch hier war es die Absicht des Monarchen, die Vergabe von Privilegien mit Loyalitätsbekundungen zum Herrscherpaar zu verknüpfen.
An welches Pulverfaß er da die Lunte legte, scheint er immer noch nicht geahnt zu haben. Wohl aber Papst Coelestin III., der in jenen Tagen schon deutsche Besucher an seinem Hof vor der Weiterreise nach Sizilien gewarnt haben soll.
Als der Aufstand im Mai 1197 losbrach, war der Anführer, der Burgherr von Castrogiovanni („Johannisburg“, heute Enna) wohl schon heimlich von den Verschwörern zum König gewählt worden (einem späteren Gerücht zufolge soll sogar der Plan bestanden haben, daß er Konstanze heiratete, um seine Herrschaft auch erbrechtlich zu legitimieren).
Ein Jagdausflug Heinrichs Ende April galt als Startschuß. Doch just bevor der Anschlag bei Messina gelingen konnte, wurde er verraten: Dem Kaiser und seinem kleinen Gefolge gelang es gerade noch, sich in die gut befestigte Stadt zu flüchten, bevor die Attentäter sie schnappen konnten. Hier aber weilten auch Markward von Annweiler und Reichsmarschall Heinrich von Kalden mit einem Teil des Kreuzfahrerheers, und mit Zulauf weiterer deutscher Ritter zogen sie den Truppen der Aufrührer entgegen. Es wurde bei Paterna südlich des Ätna vollständig aufgerieben. Die wenigen, die dem Gemetzel hatten entrinnen können, wurden gerade mal ein paar Tage später in der Anlage von Castrogiovanni gestellt. Der Staufer persönlich zeigte sich bei den Belagerern, um jedwede Falschmeldung über seinen Tod im Keim zu ersticken. Nach einigen weiteren Tagen war die Feste eingenommen.
Was über die Überlebenden hereinbrach, war mehr ein öffentlicher Schauprozeß, denn eine Gerichtsverhandlung. Hatte Heinrich VI. nach der Revolte Tankreds noch Milde walten lassen, so war es jetzt damit vorbei: Nun sollten Exempel statuiert werden, um Nachahmer abzuschrecken! Keiner war dabei, der im Angesicht von Heinrich und Konstanze nicht zum Tode verurteilt wurde. Man hängte, man schleifte, man zersägte, man verbrannte, man pfählte, man zersägte, man teerte, man ertränkte, man begrub lebendig. Dem Burgherren von Castrogiovanni selbst, der König hatte sein wollen, wurde mit glühenden Eisennägeln eine Krone an den Kopf genagelt.
Aber auch nördlich der Alpen soll es Mitverschwörer gegeben haben, wie während der Verhöre herausgekommen war. Einige Mitstreiter Tankreds, die nach der Eroberung Siziliens nach Deutschland verbannt worden waren, wurden geblendet (nur die Geistlichen und die königliche Familie selbst wurden geschont). Es sind diese Grausamkeiten gewesen, die Heinrichs Ruf als Vorläufer Vlad Draculas begründet haben. Freilich ist davon in zeitgenössischen Chroniken noch nichts zu lesen, die eher von gerechten Urteilen gegen Hochverräter berichten (Ansbert von Österreich, Arnold von Lübeck).
Die Gerüchteküche in höfischen Kreisen unterstellte auch der Kaiserin Kenntnis von, wenn nicht gar Beteiligung an dem Umsturzversuch, und ihre Teilnahme an der Verurteilung wurde als sadistische Maßnahme ihres Gatten gedeutet, sie mit dem Anblick der Qualen ihrer mußmaßlichen Spießgesellen zu peinigen. Freilich gibt es dafür nicht einen einzigen Beweis. Da sie zwei Jahre lang allein über Sizilien geherrscht hat, dürften die Bindungen an ihren Ehemann nicht allzu eng gewesen sein, aber sie wird ganz gewiß gewußt haben, daß er allein es gewesen war, der ihre Rechte gegenüber Tankred von Lecce gewahrt und verteidigt hatte. Also schreibt Jericke: „Eine Beteiligung Konstanzes an diesem Aufstand, ja selbst ihr Wissen darum, erscheint deshalb kaum wahrscheinlich.“