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Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI. - 10. Er kam nie nach Tyros: Heinrichs Tod

Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.
Er kam nie nach Tyros: Heinrichs Tod

Wir befinden uns im Hochmittelalter, oder präziser, in den letzten beiden Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts. Die Landkarte Europas hatte in dieser Epoche noch wenig Ähnlichkeit mit den heutigen Verhältnissen.

Das Königreich Deutschland war fester Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches, eines heterogenen Staatsgebildes.

Im August 1197 war der Aufmarsch des Kreuzfahrtheeres abgeschlossen, und teils Reichskanzler Konrad von Querfurt, teils wohl auch der Staufer persönlich kümmerten sich um die Einschiffung. Dabei handelte es sich um in Italien organisierte Galeeren und Lastentransporter, aber auch die 44 Koggen des norddeutschen Kontingents, das schon für König Sancho I. von Portugal gestritten hatte. Am 1. September 1197 schließlich stach alles in See.

Und just diesem Zeitpunkt fing Heinrich VI. an zu kränkeln. Die scheinbare Erkältung verschlimmerte sich rapide, daß er seinen Aufenthalt in den zur Jagd geeigneten Wäldern um Linaria abbrechen und nach Messina transportiert werden mußte. Fieber und Koliken suchten ihn heim, als seine Gemahlin an sein Lager gerufen wurde. Über Tage hinweg blieb sein Zustand kritisch, aber dann schien er allmählich wieder zu genesen. Ja, er nahm sogar seine Regierungsgeschäfte wieder auf, und ließ alles für die Abreise nach Palermo vorbereiten.

Am Sonntag, dem 28. September 1197, wenige Wochen vor seinem 32. Geburtstag, erwischte ihn ein Rückschlag. Er legte noch seine Beichte ab, dann verschied er im Beisein von Konstanze und wenigen Vertrauten. Die pestilencia mit Malaria oder Ruhr zu identifizieren, widerspricht den geschilderten Symptomen. Daß sie ihn nur wenige Monate nach dem Blutgericht von Palermo heimgesucht hatte, sorgte hier und da für Spekulationen. Gift könnte tatsächlich im Spiel gewesen sein, sei es von den Sympathisanten der Revolte verabreicht, sei es von der Kaiserin selbst, die von nun an drastische Maßnahmen ergriff, um den Einfluß Deutschlands auf Sizilien abzuschütteln. Aber für keines dieser zum Teil erst viel später aufgekommenen Gerüchte gibt es einen Beweis.

Schließlich wußte Konstanze, was ihr und ihrem Reich nach Heinrichs Tod blühte. Sie ließ ihren Sohn aus Foligno abholen, noch ehe Philipp von Schwaben zur Stelle sein konnte, so daß sie sicherstellte, daß der kleine Friedrich Roger nicht zum Faustpfand in den zu erwartenden Auseinandersetzungen um Heinrichs Nachfolge werden würde. Philipp und die seinen hatten Mühe, sich in dem nun ausbrechenden Aufruhr in die Heimat durchzukämpfen.

Schlußendlich verzichtete Heinrichs Witwe für ihren Sohn auf die deutsche Königskrone zugunsten der sizilischen. Dafür hätte sie sogar weitgehend auf Rechte zugunsten der Kurie verzichtet, doch ihr früher Tod im November 1198 verhinderte die Unterzeichnung des bereits aufgesetzten Vertrages.

Im Reich war unterdessen ein offener Bürgerkrieg um Heinrichs Nachfolge ausgebrochen, zwischen dem Welfen Otto IV. einerseits, Sohn Heinrichs des Löwen, und Heinrichs Bruder Philipp (von Schwaben) andererseits. Wo man in Deutschland beschäftigt war, hatte der neue Papst Innozenz III. keine Probleme, per Rekuperationen Reichsgebiet zu annektieren, um auch die territoriale Verbindung zwischen Reichsitalien und Sizilien zu unterbrechen. Ja, der Papst nahm sich nun auch das Recht heraus, persönlich in die Königswahl einzugreifen und offen Otto IV. zu unterstützen, just als hätte man alle Angebote Heinrichs VI. angenommen, ohne auch nur eine einzige seiner Forderungen zu erfüllen.

Das ominöse Testament von Rotbarts Sohn, auf das sich Coelestins Nachfolger Innozenz III. berufen hat, als er große Teile Ostitaliens für das Patrimonium Petri annektierte, ist vermutlich nie geschrieben worden. Jericke bemerkt: „Und obwohl schon der Umstand zu größtem Mißtrauen Anlaß geben sollte, das ein so bedeutendes und inhaltsschweres Dokument nur in Auszügen, nicht aber vollständig abgeschrieben wurde, wird in der Forschung mehrheitlich an der Echtheit festgehalten, wenngleich man heute geneigt ist, eher davon auszugehen, daß es sich bei den übermittelten Inhalten nicht um den Bestandteil eines Testaments, sondern eines Vertragsentwurfs gehandelt haben soll. Diese angeblichen Willensäußerungen Heinrichs VI. stehen jedoch in solch einem fundamentalen Widerspruch zu seiner jahrelang konsequent verfolgten Politik, daß die Argumente, die für die Authentizität dieser Verfügungen vorgetragen wurden, keinesfalls zu überzeugen mögen.“

Mit anderen Worten: Das, was der Vatikan als Teile des kaiserlichen Testaments ausgab, war vermutlich nichts weiter als Offerten, die der Kaiser der Kurie für die Einführung der Erbmonarchie gemacht hatte. Daß sie alles auch nur vage Angebotene unter den Nagel riß, ohne die kleinste Gegenleistung zu erbringen, mag symptomatisch sein für das wenig heilige, äußerst weltlich orientierte Papsttum des Mittelalters.

In der Tat ist das Original dieses Schriftstücks niemals aufgetaucht. Es wurde auch nicht nach dem Tod des Staufers verkündet oder beurkundet, sondern erst drei Jahre später nach der Schlacht von Monreale angeblich im zurückgelassenen Gepäck Markward von Annweilers gefunden. Man möge sich daran entsinnen, daß der Kirchenstaat schon seine Existenz einer Fälschung verdankt, der sogenannten Konstantinischen Schenkung.

Aber da die Kaiserkrone stets von Gegenleistungen abhängig gemacht wurde, blieb Friedrich Roger 1213 nichts anderes übrig, als diesen territorialen Diebstahl der Kurie als rechtmäßig anzuerkennen, um selbst den Thron besteigen zu dürfen. Päpste zeigten selten Skrupel, wenn es darum ging, das Wohl der Christenheit dem eigenen Machtstreben hintanzustellen.

Heinrichs oberstes Ziel waren die päpstliche Anerkennung seines sizilischen Erbes gewesen, und später die Durchführung des Kreuzzugs, so daß sein Erbreichsplan pragmatischen Erwägungen hätte weichen müssen. Hätte er mehr Zeit gehabt und dazu noch das Prestige eines erfolgreichen Kreuzfahrers in die Waagschale legen können, er hätte das Vorhaben gewiß wieder aus der Mottenkiste geholt, und diesmal vermutlich auch durchgesetzt (denn mit einem siegreichen Kreuzfahrer ist allem Anschein nach auch Gott). Dem Verfall der Königsmacht wäre ein Ende gesetzt worden (zumindest bis zum Aussterben der Staufer), und das Reich wäre nicht zu dem zerstückelten Selbstbedienungsladen verkommen, den es bis zur Auflösung 1806 darstellen sollte. Diese Jahrhunderte der Ohnmacht und der demütigenden Gebietsverluste aber waren die Ursache des Deutschen Minderwertigkeitskomplexes, ohne den der wichtigtuerische Chauvinismus des Zweiten Deutschen Kaiserreiches wohl weniger ausgeprägt gewesen wäre (Freilich haben sich in dieser Hinsicht alle wichtigen Nationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit Schuld beladen).

Die Kreuzfahrer sind tatsächlich noch ins Heilige Land aufgebrochen, doch obwohl die Armee Heer größer als die Barbarossas gewesen ist, standen die Vorzeichen für das Unternehmen ohne das weltliche Oberhaupt der Christenheit schlecht. Das Heer sammelte sich in Tyros, brach von dort im Oktober 1197 in Richtung Norden auf und nahm kampflos Sidon und Beirut ein. Die Verteidiger waren geflohen und hatten bei der letztgenannten Stadt sogar die Wehrmauern eingerissen. Den Recken des Staufers kam der Fürst von Antiochia entgegen, so daß sich schließlich wieder der gesamte Küstenstrich von Armenien bis Caesarea in christlicher Hand befand. Da aber erreichte die Ritter die Nachricht vom Tod ihres Kaisers, und um die Unsicherheit zu bekämpfen, beschloß der Kriegsrat, seinem legitimen Nachfolger Friedrich II. zu huldigen. Man versuchte nun, die Höhenburg Toron im Sturm zu nehmen, über welche die Handelsroute von Damaskus zur Küste zu kontrollieren war, doch sie erwies sich als zäher Brocken. Als es den Belagerern endlich gelang, den äußeren Wall durch Unterminierung einstürzen zu lassen, kam es zu Übergabeverhandlungen. Allerdings wurde man sich nicht einig, und als Nachrichten eintrafen, daß ein muslimisches Heer nahte, und Kanzler Konrad bereits abmarschiert sei, desertierten ganze Gruppen von Kreuzfahrern und zogen sich nach Akkon und Tyros zurück. Zwar erfolgte noch die offizielle Gründung des Deutschen (Ritter-) Ordens, doch schlußendlich sah man diesen Kreuzzug als dermaßen unbedeutend an, daß er noch nicht einmal in die offizielle Zählung aufgenommen wurde. Er war in erster Linie eine politische Kampagne gewesen, die ohne ihren Initiator ihren Sinn verloren hatte.

Heinrich VI. wurde einbalsamiert und im Dom von Palermo beigesetzt. Dort ruht er auch heute noch, und der Leichnam war nach 600 Jahren noch so gut erhalten, daß selbst Haare und Kleidungsstücke konserviert worden waren. Neben ihm hat man seinen Sohn Friedrich Roger bestattet, der als Friedrich II. noch einmal Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und König von Sizilien zugleich gewesen ist. Ein letztes Mal…

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