Mièville, China. Die Bas-Lag-Romane (1 und 2)

Die Bas-Lag-Romane von China MiévilleDie Bas-Lag-Romane 1 und 2 
1. Die Falter / Der Weber (Perdido Street Station)
2. Die Narbe / Leviathan (The Scar)
China Miéville
erschienen 2002 und 2004 (deutsch), 2000 und 2002 (Originale)
Bastei-Verlag; SF 23245 und 24298 sowie 24321 und 24322
558 / 448 / 426 / 477 Seiten
ISBN:  3-404-23245-3, 3-404-23298-X, 3-404-24320-X, 3-404-24322-6
Verlagsgruppe Lübbe

Perdido Street Station:New Crobuzon, die größte, die Megastadt auf der Welt Bas-Lag, mit (mindestens) 7 Millionen Menschen und zahlloser anderer der vielen Rassen, Mutationen, Kunstwesen auf dem Planeten. Die Miliz der Stadtregierung (des „Eisernen Rats“) versucht wenigstens, mit Mitteln, die genauso brutal sind wie die, die sie bekämpft, ein Minimum an Ordnung zu halten, ist jedoch hoffnungslos unterlegen – wie jeder Einzelne in dem verwirrenden, farbigen, brodelnden Moloch der Riesenstadt, die, niemand weiß, wie, und doch funktioniert. Ein „Falter“ ist entkommen aus einem Versuchslabor der Wissenschaftler, ein Mutationswesen von extremer Gefährlichkeit, kalt, unberechenbar, vampirisch, nichtmenschlich, schier unbesiegbar; es verbirgt sich nun im Hexenkessel der Stadt und befreit einige seiner (eben aus den „Eiern“ geschlüpften) Artgenossen. Isaac Dan dar Grimnebulin, Universitätsdozent, Freigeist, liberalverdächtiger Universalgelehrter und ohnehin unter skandalumwitterten Umständen (zusammenlebend mit Lin, die ihren Kosenamen „Beißzange“ gar nicht mal von ungefähr trägt, ist sie doch eine Insektoide...) existierend, macht sich auf die Suche, von der wenige nur ahnen.

Alles kann passieren, alles passiert und schließlich muss gar noch „der Weber“, ein zeitmanipulierendes Einzelwesen, eingreifen, um New Crobuzon und seine Bewohner vor der unermesslichen Gefahr zu retten..... 

The Scar:Bellis Schneewein (Coldwine), Linguistin, fürchtet, in die Fänge der berüchtigten Stadtmiliz in New Crobuzon zu geraten, die sich mit dem gerade abgeschlossenen Fall ihres Exgeliebten Isaac beschäftigt, und beschließt, in die Kolonien am anderen Ende der Welt auszuwandern, bis genügend Gras über diese Sache gewachsen ist. Sie heuert als Dolmetscherin an Bord eines Auswanderungsschiffes an, gerät aber bald vom Regen in die Traufe: der Dampfer wird, wie zuvor schon eine mobile Ölbohrinsel, von Piraten gekapert.

Die Armada ist ein riesiges Konglomerat aus zusammengeschweißten Schiffen aller Art, eine Stadt mit mehreren hunderttausend Einwohnern verschiedenster Rassen, Interessen, Träume und Sehnsüchten. Sie driftet seit Jahrhunderten über die Ozeane der Welt, regiert von einer Handvoll rivalisierender Stadtviertel-Herrscher und ein Gefängnis für alle, besonders die neu zugeführten Bewohner.

Doch Bellis hat Glück. Nunmehr Bibliothekarin, entdeckt sie ein wichtiges Buch, natürlich auch just in der Sprache verfasst, in der sie einzige Expertin ist, geht mit auf die Luftschiffexpedition zur abgelegenen Südinsel, wo der Verfasser mehr oder weniger entführt wird und erlebt auch den Sinn des ganzen: den großen Plan der "Liebenden" (den mächtigsten unter den Stadtherrschern), ein gigantisches Tiefseewesen, einen "Avanen", herbeizulocken und 4 Meilen unter Armada anzuschirren, auf dass es nicht nur die Stadt beliebig und schnell, sondern auch genau zum (sonst unschiffbaren) "Verborgenen Ozean" und "der Narbe" zieht, buchstäblich einem Einschnitt in die Welt, noch aus der mythischen Zeit, als die Geistermagier vom Universum herabstiegen. Das Ziel wird erreicht - und doch auch nicht....  

"THE SCAR" setzt unmittelbar an die Ereignisse aus "PERDIDO STREET STATION" an, ist jedoch auch als eigenständiger Roman zu lesen; wobei, vom Geschmack des Rezensenten her (der allerdings auch ein unrettbar-romantisch veranlagter Fan von Seefahrtsgeschichten ist...) der noch bessere beider Romane.

Aber mit beiden Originalbüchern (ausnahmsweise ist man mal nicht uneins mit der neuerdeutschen Verlagsattitüde, dickleibige Bände in zwei oder mehr Bänden zu bringen), das kann man bereits jetzt sagen, hat der britische Autor mit dem leicht irritierenden Namen so etwas wie Klassiker geschaffen, die in keiner Fantasy-Bibliothek fehlen sollten: von prickelnder Spannung, prall gefüllt mit wunderbaren Beschreibungen, neuen Ideen und unerwarteten Wendungen; und "groß" in jedem Sinn: von der größten Stadt an Land zur größten Schwimmenden Stadt, mit dem größten Lebewesen zur größten Herausforderung auf der (sehr großen...) Welt Bas-Lag (ein dritter Roman, „THE IRON COUNCIL“ / „Der Eiserne Rat“ ist inzwischen ebenfalls auf deutsch erschienen 

Die ganz und gar eigene, romantisch-düstere Atmosphäre, die über allem liegt, ist kaum zu beschreiben; entsprechend schwer tun sich Klappentext und Kritik, wenn man den Autor in "einer Reihe mit Größen wie Melville, Peake und Dickens" sieht (was bei ersterem, trotz eines Tiefseewesens, gegen das allerdings Moby Dick nur eine hungerleidende Kaulquappe darstellt, kaum und den beiden anderen gar nicht zutreffen mag; beinahe noch schlimmer, weil fast rufschädigend ist der Vergleich mit Peter Hamilton....).

Da hält man sich eher an die im Vorwort genannte Reverenz des Autors an M. John Harrison, ebenfalls Brite, aus dessen "Viricinium"-Serie er sich einige Vorbilder entnommen hat (etwa den "Maschinenstrand", wo eine Unzahl geheimnisvoller Maschinen vor sich hin rotten und selbst der Sand noch aus Eisenteilen und Schräubchen zusammengesetzt ist). Und, irgendwie symptomatisch, erscheinen alle Bücher in der Science Fiction-Reihe von Bastei; warum bloß?. Weil keine tolkienschen Gut-Magier, -Elben, -Zwerge und (zuwenig) Schwerter/Schlachten vorkommen?

Trotzdem und gerade handelt es sich hier um schiere, reinste Fantasy (wenn auch einer besonderen Art). Nun gut: in der Welt gibt es Dampfschiffe und -maschinen, Bohrinseln, Eisenbahnen, Artillerie, Luftschiffe, normale und Tiefseetauchboote, Genmanipulationen, Cyborgs, Elektrizität, Robots, (Lochkarten-)Rechner (und als Höhepunkt die "Vereinigte Feld-Theorie") - aber auch den Avanen, Gierfalter und den WEBER, Vampire, und jeder halbwegs intelligente Bewohner kann sich einige "Kadabras" (Zaubersprüche) aneignen, um Magie auszuüben.

Aber weder der Leser noch der Bewohner dieser Welt empfindet die Technik, wie heutzutage, als etwas Beherrschendes; sie ist einfach nur da, es zählt nicht, warum, sondern allein, wie sie sich auswirkt. Man wendet sie an, mit derselben Grundsätzlichkeit wie die Magie, beides miteinander verbunden und erstaunend ob der wundersamen Wirkung beider (eine der beispielhaften Szenen ist jene, als man mit einem Bathyscop 4 Meilen hinuntertaucht, um den erkrankten Avanen zu erkunden und dann, um Licht zu haben, im Tiefseetauchboot eine Laterne anzündet!).  Es ist so etwas wie eine "viktorianische Sichtweise" der Dinge, wozu dann ja auch die ganze Reihe von Vorbildern (Moby Dick, 20.000 Meilen unter dem Meer, Vampir- und Gothic-Romane usw.) aus dieser Zeit passen; nicht zu vergessen auch ein Hauptort der Handlung, das Riesenschiff GRAND EASTERLY, als Anspielung auf die GREAT EASTERN, so was wie die "Titanic des 19. Jahrhunderts".

All diese unterschiedlichen Vorlagen verknüpft der Autror so geschickt miteinander, dass der ganze Flickenteppich etwas Neues, Unerwartetes, Wundersames ergibt. Und so wie auf Armada die blühenden Blumen durch die romantisch-elegisch verrottenden Eisenplatten der Schiffe brechen (allein das als Beispiel für die ungewöhnliche Bildersprache der Beschreibungen), so blühen überall kleine und kleinste Handlungsteilchen auf, die zunächst nichts miteinander zu tun haben scheinen, aber im Endeffekt das große, ganze Faszinierende ergeben.  

Die einzige kleine Kritik, die man üben könnte (außer der etwas stärkeren am Verlag, dass auch hier mal wieder, wie so oft, eine Karte der Fantasywelt fehlt), wäre, dass die Handlungspersonen, bei allen Emotionen, die in ihnen drinstecken, diese nicht recht ausdrücken; sie wachsen dem Leser nicht so "ans Herz", wie das gemeinhin bei Büchern solch Lesevergnügens vorkommen mag, sind manchmal etwas "unterkühlt" (was bei der Überfülle an Handlung und Beschreibungen aber nicht schadet).

Vielleicht hat das den Titelbildzeichner der deutschen Ausgabe zu den (hässlichen) Bildern von Bellis Coldwine bewegt. Demgegenüber steht die kongeniale Übersetzung von Eva Bauche-Eppers, die wirklich alles aufbietet, was die deutsche Sprache an Ausdruckformen hergibt, manchmal leicht übertreibend ("Die Decks krängten arbiträr"), die vielen Anglizismen (und damit die Atmosphäre des "britischen" Buches) erhaltend (so bleiben eben "Remade", cyborgähnliche, operativ oder magisch verformte Wesen, mit dampfbetriebenen Rädern und anderem, als "die Remaden") oder daraus auch manche neue Wortschöpfung (wie "leporellierend") schaffend - und alles passt zusammen.  Da bleibt zum Schluss nur noch Neid - auf die Leute, die beide/alle vier deutschen Bücher noch nicht gelesen haben, dies aber vielleicht nach dieser Rezension tun werden.... so wie die Vorfreude des Rezenten auf den dritten Bas-Lag-Band und alles weitere dieses neuen, zu Recht als „Kultautor“ beschriebenen Schriftstellers.

Oft genug ärgert man sich über den Klappentext und lobhudelnde Zitate dort. Aber wenn der Daily Telegraph vermeldet: „Wir beobachten ehrfurchtsvoll die Entstehung eines neuen Mythos!“ – dann ist das die reine und nichts als die Wahrheit.  

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Ein Teil dieses Textes erschien auch in der Publikation des Fantasy Clubs (F.C.) e.V.    Magira -. Jahrbuch zur Fantasy 2004“.  Ich möchte hiermit auf diese regelmäßige sehr empfehlenswerte Publikation hinweisen. Siehe auch unter www.magira.com


Kommentare  

#1 Stefan Holzhauer 2008-04-03 01:04
Bitte bitte: Absätze! :-|
#2 Harantor 2008-04-03 01:09
Die gab es mal und jetzt gibt es wieder... Mysteriös - Ein Fall für Gallileo Mystery, wenn die Illuminaten sie lassen

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