Flewelling, Lynn: Die verborgene Kriegerin - Tamír Triad II
Die verborgene Kriegerin
»Die verborgene Kriegerin« beginnt damit, dass Tobin lernen muss, damit umzugehen, dass er in Wahrheit ein Mädchen und sein männliches Erscheinungsbild lediglich das Ergebnis eines aus der Not geborenen Zaubers ist, der seinen/ihren Zwillingsbruder das Leben kostete. Keine leichte Situation für ein zwölfjähriges Kind, besonders dann nicht, wenn es die Wahrheit um jeden Preis geheim halten muss, sogar vor seinen engsten Vertrauten.
Hin- und hergerissen zwischen seinen sich in Aufruhr befindenden Emotionen muss Tobin versuchen, sein Leben am Hofe des Königs möglichst unauffällig weiterzuführen. Das wird allerdings mit jedem Tag schwieriger. Nicht nur, dass Tobin immer stärker merkt, wie sehr er sich von seinen Gefährten unterscheidet; auch sein herrschsüchtiger Vormund und der Geist seines toten Bruders machen ihm schwer zu schaffen.
Doch Tobin ist nicht der einzige, der von Problemen geplagt wird. Das Königreich Skala wird von einer Katastrophe nach der anderen heimgesucht. Einer alten Prophezeiung zufolge soll erst dann wieder Friede einkehren, wenn eine Königin auf dem Thron sitzt. Der amtierende Regent lässt aber all jene verfolgen und hinrichten, die dieser Weissagung folgen, und jedes neugeborene Mädchen töten, das Anspruch auf die Krone erheben könnte.
Unaufhaltsam steuert Skala auf eine Zeit der Finsternis zu. Im Zentrum des ganzen steht Tobin, der die letzte Hoffnung des Reichs verkörpert. Doch ausgerechnet das könnte ihn das Leben kosten, sollte die Wahrheit über ihn zu früh ans Licht kommen...
Eine phantastische Story und/oder ein außergewöhnlicher Handlungsort, das sind die zentralen Elemente der meisten Fantasyromane. Selbst charakterbezogene Erzählungen leben in den meisten Fällen vor allem von ihrem ungewöhnliches Setting oder ihrer teils epische, teils fantasievolle Handlung. Nicht so die »Tamír Triad«-Saga. Natürlich sind beides auch wichtige Elemente von Lynn Flewellings Epos. Doch im der Fokus der Handlung liegt eindeutig auf einem anderen Aspekt: auf den Protagonisten.
Flewellings Geschichte ist ganz und gar um ihre Figuren herum aufgebaut. Die komplette Erzählung steht und fällt mit den Erlebnissen und Wandlungen der Figuren. Das unterscheidet die »Tamír Triad«-Saga so stark von anderen Fantasyepen, und das ist es schlussendlich auch, was die ungeheure Faszination der Reihe ausmacht.
Eine Geschichte, die voll und ganz auf ihren Charakteren basiert das hätte leicht ins Auge gehen können. Dass dies nicht der Fall ist, liegt an dem mit viel Sorgfalt und Umsicht erschaffenen Figurenensemble, das die Bücher der Reihe bevölkert. Ungewöhnliche, starke und überzeugende Charaktere prägen das Bild, ein jeder gekonnt ausgearbeitet und glaubhaft gezeichnet. Allen voran ist natürlich Tobin zu nennen. Gerade in die Erschaffung und Entwicklung dieser Figur hat Flewelling viel Zeit und Mühe investiert, das merkt man. Die innere Zerrissenheit des Kindes und die Suche nach seinem Platz in der Welt bewegen den Leser tief.
Bei so starker Konzentration auf die Protagonisten verwundert es nicht, dass die übrigen Elemente des Buchs ein wenig blass bleiben. Die Story von »Die verborgene Kriegerin« tröpfelt mitunter ein wenig vor sich hin, und was das Setting anbelangt, so trifft die Bezeichnung gewöhnlich den Kern der Sache wohl am besten.
Auf den ersten Blick mag das den versierten Fantasyleser abschrecken. Das sollte es aber nicht. Flewellings einmalige Figuren und ihr exzellenter Umgang mit den Charakteren machen die auftauchenden Mängel mühelos wieder wett. Ganz unwillkürlich wird der Leser in die Lebensgeschichte des jungen Tobin hineingezogen. Ob er es will oder nicht, schon nach wenigen Seiten hat ihn dieser ungewöhnliche Charakter voll in seinen Bann geschlagen.
Die »Tamír Triad«-Saga gilt als Meisterwerk der modernen Fantasy. Wer die Bücher liest, der wird schnell verstehen, wie so mancher Fantasyfan zu dieser Ansicht kommen kann. Es mangelt den Romanen zwar ein wenig an erzählerischer Tiefe oder phantastischen Elementen, und mit Werken wie Scott Lynchs »Gentlemen-Bastard-Sequence« oder Robert Redicks »Windkämpfer« kann sich die Trilogie nicht wirklich messen. Dennoch erweist sich »Tamír Triad« als ein ungeheuer fesselndes Epos.
Wer charakterbezogene Fantasy liebt, der wird auch Flewellings Reihe lieben. Eine großartige Trilogie um Neid, Macht und die Suche nach der eigenen Identität, die alle Fans von Romanen wie Karen Millers »Königsmacher/Königsmörder« oder Ralf Isaus »Neschan«-Saga zu begeistern weiß.