Mann, George - The Affinity Bridge
Sherlock Holmes' Zeitgenossen
elektrifiziert und dampfgetrieben
So die Einführung auf der Rückseite des Romans. Und es wird auch nicht zu viel versprochen, der Steampunk-Fan findet ein Sammelsurium von Bekanntem, angereichert mit den typischen Versatzstücken des Genres und abgerundet mit Anleihen bei Horror und Okkultem.
In Großbritannien regiert Queen Viktoria und allenthalben ist der Einfluss der Industrialisierung zu erkennen. Sir Maurice Newbury ist Anthropologe und Mitarbeiter des Britischen Museums; zusätzlich versieht er allerdings noch eine andere Aufgabe: Als Sonderermittler der Krone tritt er in Aktion, wenn das Britische Empire in aller Regel durch die Königin selbst ihn für besonders heikle Fälle anfordert. Genau dies geschieht, als ein Luftschiff im Finsbury-Park abstürzt, wobei es zu Verwüstungen und etlichen Toten kommt. Newbury zur Seite steht seine neue Assistentin Victoria Hobbes, eine ebenso patente wie ehrenwerte junge Dame.
Der gebotene Hintergrund ist auf den ersten Blick ein recht mundaner und läßt unschwer das viktorianische Zeitalter erkennen. Mann schafft es vorzüglich, die Steampunk-Aspekte behutsam einzufügen und es so erscheinen zu lassen, als wären diese in unserer Historie so nicht vorhandenen Additionen völlig normal und nicht etwas Außergewöhnliches. Aus diesem Grund erschien zumindest mir der Roman wie eine zeitgenössische Geschichte mit ein wenig hinzugefügtem Steampunk-Kolorit, obwohl objektiv gesehen, diese Elemente tatsächlich reichlich vorkommen. Das weist darauf hin, wie gut es Mann gelungen ist, ein homogenes Gesamtbild zu schaffen, eins in dem die hinzugefügten Elemente nicht stören, nicht herausragender Selbstzweck sind, sondern erfrischendes Beiwerk.
Zentrale Fokuspunkte bleiben die handelnden Charaktere und ihre Motivation, nicht jedoch das Setting und damit dessen Retro- und Pseudo-Technik. Das macht die Geschichte trotz ihres mehr als phantastischen Hintergrundes sehr glaubwürdig. Dennoch sind selbstverständlich auch Zeppeline, dem Menschen nachempfundene Automaten, Dampfkutschen und diverse weitere Absonderlichkeiten gewichtige Bestandteile des Romans. Und nicht vergessen wollen wir die Geistererscheinung des »Glowing Policeman«, der Whitechapel unsicher macht, und auch nicht die von einer rätselhaften, aus Indien eingeschleppten Krankheit erschaffenen
nunja, wie sollte man sie anders nennen als »Zombies«? Sie werden im Text als »revenants«, somit als Widergänger, bezeichnet.
Ich will nicht verhehlen, dass sich »The Affinity Bridge« gemächlich anlässt, um nicht zu sagen, langsam. Der Einstieg in den Roman könnte deswegen dem ein oder anderen möglicherweise etwas Schwierigkeiten bereiten. Man sollte sich davon aber nicht kirre machen lassen und durchhalten, dann wird man mit ein paar der sympathischsten Figuren in einem der originellsten Abenteuer belohnt, die man bislang über die nebligen Straßen Londons verfolgt hat. Klar sollte einem ebenfalls sein, dass das Buch von Klischees nur so trieft, Klischees, wie man sie allerdings zum einen im viktorianischen Zeitalter mit dessen Gepflogenheiten und zum anderen in einem Steampunk-Roman als Leser aber auch fast zwingend erwartet. »The Affinity Bridge« erinnert beispielsweise an diversen Stellen an Sherlock-Holmes-Romane, auch wenn die Sprache deutlich moderner (dabei aber doch altertümlich anmutend) daherkommt. Und selbstverständlich ist Sir Maurice der Held der Geschichte wenn auch definitiv nicht ohne Fehler, ohne dass jedoch sein Sidekick Miss Hobbes zu einer Nebenfigur verkommt, denn auch bei ihr handelt es sich um einen starken Charakter wie stark wirklich wird dem Leser allerdings erst im Epilog klar...
Im letzten Drittel nimmt die Erzählung im Vergleich zu den Teilen davor mächtig an Fahrt auf und tendiert in Richtung Action-Abenteuer oder Cliffhanger selbstverständlich aber immer im Steampunk-Kontext verbleibend.
Wer verzweifelt auf der Suche nach Steampunk-Lesestoff ist, und bereit, dafür auch die entsprechenden Klischees serviert zu bekommen, der kann völlig bedenkenlos zugreifen. Aber auch Freunde beispielsweise von Sherlock Holmes und anderer Lektüre aus der Zeit dürfen gern mal einen Blick riskieren und erhalten einen kurzweiligen viktorianischen Abenteuer-Lesespaß mit Dampfgarantie und einer nicht zu offensichtlichen aber wohl durchdachten Auflösung.
Cynx, der mir den Roman empfahl, meinte: »I mean: Zombies AND Airships?! What could possibly go wrong?!«
Ich freue mich bereits jetzt auf den im September bei Snowbooks unter dem Titel »The Osiris Ritual« erscheinenden nächsten Teil der Abenteuer von Sir Maurice und seiner Assistentin Miss Hobbes.