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Dinosaurus sapiens – Über die Möglichkeit einer irdischen Zivilisation lange vor dem Menschen - Was wäre wenn?

Dinosaurus sapiens – Über die Möglichkeit einer irdischen Zivilisation lange vor dem MenschenDinosaurus sapiens
Über die Möglichkeit einer irdischen Zivilisation lange vor dem Menschen

Was wäre wenn?
Auf einen anfangs erwähnten Aspekt bin ich noch gar nicht eingegangen: Was wäre, wenn jene Monsterechsen aus dem Erdmittelalter tatsächlich unsere Zeitgenossen wären? Als Teil der uns bekannten Fauna? Dale Russell hat seinen Dinosauroid schließlich nicht als Ursache des Kataklysmus am Ende des Erdmittelalters erdacht, sondern als Gedankenexperiment, was aus den Dinosauriern hätte werden können, hätten sie bis heute überlebt.


Diese Vorstellung greift die BBC- Dokumentation Ein Dino als Haustier auf, wobei man namhafte Paläontologen wie Brent Breithaupt und das Ehepaar Currie zur Mitarbeit gewinnen konnte. Zunächst betrachtete man die Evolutionsgeschichte der großen Reptilien und stellte fest, daß die meisten Veränderungen zusammenhingen mit Spezialisierungen auf bestimmte Nahrungsquellen. Ihre grundsätzlichen Formentypen jedoch blieben über extrem lange Zeiträume auffallend konstant. Bei den Säugetieren hatten 65,5 Millionen Jahre ausgereicht, um aus kleinen, Spitzmaus- ähnlichen Geschöpfen die heutige Artenfülle hervorzubringen, mitsamt einer ganzen Reihe skurriler, längst wieder ausgestorbener Parallelentwicklungen oder Exoten. Dinosaurier aber blieben ähnlich konservativ wie Haie und Krokodile, die damals schon so aussahen wie heute. Die Sauropoden des Unterjura beispielsweise unterschieden sich nicht grundlegend von denen der Oberkreide, und zu fast allen Zeiten brachten sie Großformen hervor (Seismosaurus, Supersaurus, Giraffatitan, Argentinosaurus, Paralititan, Alamosaurus etc. etc.). Der Phänotyp des großen Ornithopoden mit schnabelförmigem Maul begann bereits mit den ersten Iguanodontiden im Oberjura (Callovosaurus), und hielt sich mit den Hadrosauriern bis zum Ende des Mesozoikums. Die Theropoden waren zwar größeren Wandlungen unterworfen, aber auch bei ihnen gab es konstante Typen (z. B. bei den Deinonynchosauria). Auch kleine Ornithopoda und (seit dem Oberjura) bipede Ceratopsia blieben ihrer äußeren Gestalt recht lange treu. Dabei betrachten wir einen Zeitraum von 136 Millionen Jahren, und das auch nur, wenn wir die Trias ganz draußen vor lassen.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht unwahrscheinlich, daß die heutige Fauna der des späten Mesozoikums so sehr geähnelt hätte, wie die des Jura jener der Kreide, hätte es das große Aussterben nicht gegeben. Die Dinosaurier hätten sich so fest in ihren Nischen etabliert, daß für eine Evolution der Säugetiere einfach keine mehr frei waren. Lediglich der Gruppe um Troödon (= Troodon) wurde eine bevorstehende „entscheidende Entwicklung“ gegen Ende der Kreide attestiert.

Ergo hätte es heute eine Welt geben können, wie Mike Magee sie für das ausgehende Mesozoikum haben möchte. Die letzte (känozoische) Eiszeit hätte für eine großräumige Abwanderung in Richtung Tropen sorgen mögen, nicht aber für ein Massensterben. Ob es da bei der unterdrückten Entfaltung der Säugetiere zu einer Entwicklung des Menschen hätte kommen können, bleibt Spekulation. Wir kennen die Drepanosaurier, wir kennen Scleromochlus, Longisquama, Sharovipteryx und Epidendrosaurus, sowie einige gleitende Formen, die zu den Echsen (oder primitiveren Reptiliengruppen) gehören. Ansonsten jedoch ist unser Wissen über baumbewohnende Reptilien sehr lückenhaft. Ob hier Saurier existierten, welche die selben Nischen eingenommen haben, wie später Primaten oder Säuger vom Hörnchen- Typus, entzieht sich unserer Kenntnis. Fest steht nur, daß es noch Freiräume gegeben haben muß, denn noch vor dem großen Faunenschnitt waren unsere eigenen Vorfahren mit der Gattung Purgatorius in den Lebensraum Baumkrone vorgedrungen. Damit haben Affen, Halbaffen und Menschen eine weitaus bessere Chance, sich im Schatten der großen Kriechtiere zu entwickeln, als etwa Elefanten, Pferde oder Großkatzen, die in direkter Konkurrenz zu bereits existierenden Dinos gestanden hätten.

Entsprechend gibt es zwei Szenarios, die uns in der Dokumentation präsentiert werden. Zum einen unsere heutige Zivilisation, nur mit warmblütigen Großreptilien an Stelle von Säugern. Milchprodukte wären dort wohl eher eine kulinarische Rarität, aber einige Sauriertypen hätten durchaus passable Haustiere abgegeben. So wurde die Vielseitigkeit des 2 Meter langen Protoceratops gepriesen, der sich „praktisch selbst versorgen“, aber Gelege mit vielen Eiern produzieren würde. Auch das Fleisch von Triceratops wurde mit dem „wohlschmeckenden“ Steak eines Straußen verglichen. Und Troödon, „schlau wie ein Fuchs“, hätte sich im Zuge der Verstädterung zu einem „echten Plagegeist“ entwickelt, der nächtens Mülltonnen plündert und Alarmanlagen auslöst.

Das andere Szenario aber zeigt just Russells Dinosauroid Seite an Seite mit dem modernen Menschen. Dr. Simon Morris vertritt hier die Hypothese, daß das menschliche Erscheinungsbild die perfekte Anpassung an die ökologische Nische eines vernunftbegabten und kulturfähigen Wesens darstellt. Hätten die Troodontidae gleichfalls eine Zivilisationen begründende Form hervorgebracht (und Menschen und schlaue Dinos einander nicht ausgerottet), hätte die evolutionäre Konvergenz auch für eine äußere Ähnlichkeit sorgen können („erfolgreiches Design“). Ob dies freilich so weit geht wie beim Dinosauroid, wird eher skeptisch beäugt. Exemplarisch zitiere ich an dieser Stelle Frau Dr. Currie- Rogers: „Es ist ziemlich arrogant zu glauben, daß der einzige und letzte Schluß der Evolution die menschliche Form ist.“

Doch wie würde sich ein solches Zusammenleben zwischen Homo sapiens und Dinosaurus sapiens gestalten? Würden sie einander ergänzen, oder nach dem Leben trachten? Könnte der Planet Erde gleichzeitig zwei Zivilisationen beherbergen?

Unterschiede hätten sich gewiß aus unserer Ahnenreihe ergeben. Wir leiten uns von baumbewohnenden Vegetariern her, die in Sippen lebten und Schlafnester bauten. Erst die Versteppung im Vorfeld und während der Eiszeiten hat sie hinaus in die Savanne gezwungen, wo sie sich auf die Hinterbeine erheben mußten, um das hohe Gras zu überblicken. Ein Dinosaurus sapiens dagegen würde sich von bodenbewohnenden Fleischfressern herleiten, die eher sekundär omnivor (Zähne des Troodon) geworden wären. Seßhaftigkeit gab es bei ihnen wohl auch, doch stand es mehr in Verbindung mit der Notwendigkeit, Eier auszubrüten. Von dem Hadrosaurier Maiasaura wissen wir, daß er wahre Brutkolonien anlegte. Da der nicht allzu ferne Cousin Deinonynchus in Rudeln lebte, dürften auch die Troodontidae eher soziale Kreaturen gewesen sein. Sie waren auch keine sonderlich großen Geschöpfe, so daß sie nicht automatisch am Ende der Nahrungskette standen. Der Vormensch mußte sich seines Geistes bedienen, um gegen Freßfeinde zu bestehen – Troodon und seine Geschwister waren ebenfalls mit einem für ihre Zeit großen Bregen ausgestattet. Desweiteren war er zwar ein ausgesprochen flinker Läufer, aber das traf auch auf viele große Theropoden zu. Und Letztere stellten zudem noch ernst zu nehmende Nahrungskonkurrenten dar, die es auszustechen galt. Sein Speiseplan dürfte zwar eher Kleintiere, Aas und etwas pflanzliche Kost enthalten haben, aber als Meute konnte man auch schon mal den einen oder anderen kleinen Ornithopoden erbeuten.

Zunächst einmal hätte Dinosaurus sapiens einen zeitlichen Vorteil gehabt. Sein angenommener Urahn Troodon hatte schon den aufrechten Gang und eine greiffähige Hand entwickelt, als unserer eigener Vorfahr Purgatorius noch mehr einem Hörnchen ähnelte (man kennt nur Zähne und Kieferfragmente), und als früher Vertreter der Plesiadapiformes wird er mehr über die Äste gerannt sein, als wirklich geklettert.

Im weiteren Verlauf der Evolution wären sich beide Gruppen nicht groß in die Quere gekommen. Unsere direkten Vorläufer hätten mehr Probleme mit der Konkurrenz der Nagetiere (so wie in der realen Welt gegen Ende des Eozän), und später derjenigen der Tieraffen (Miozän) gehabt. Diejenigen, die sich in Afrika fortpflanzten, hätten zudem noch von der Isolation des Kontinents bis hinein ins Miozän profitiert. Da es sich um vorwiegend arboricole Typen gehandelt hat, wären sie den Übergangsformen zwischen Troodon und Dinosaurus sapiens auch danach nicht groß ins Gehege geraten. Russells Statistik zufolge hatte das Hirnvolumen dieser kleinen Theropoden noch nicht das einer vernunftbegabten Kreatur erreicht; das wäre erst in etwa dem Zeitraum der Fall gewesen wären, in dem auch die frühen Menschen schon auf Erden wandelten. Freilich hält sich die Evolution nicht unbedingt an Statistiken, und wir können nicht ausschließen, daß schon im Miozän eine dinosaurische Zivilisation errichtet worden wäre. In dem Fall hätten es unsere eigenen Ahnen schwer gehabt, oder gar von einer frühzeitigen Selbstvernichtung des Dinosaurus sapiens durch Krieg oder Umweltverschmutzung profitiert. Doch das Szenario unterscheidet sich kaum von dem Magees; interessanter wird es, wenn wir von einem gleichzeitigen Auftreten intelligenter Saurier und Affenmenschen ausgehen. Denn dann wäre es spätestens mit dem Beginn der känozoischen Eiszeit zu einem ersten Konflikt gekommen: Dinosaurus sapiens wäre gezwungen gewesen, vor den wachsenden Inlandeis- Gletschern südwärts zu wandern, wo just unsere eigenen Vorfahren die schwindenden Urwälder verließen. Wäre Dinosaurus immer noch ein Beutegreifer gewesen, hätten wir vermutlich auf seinem Speiseplan gestanden.

Trotzdem hätte für uns noch eine Chance bestanden, wenn die Dinos noch nicht zur See fuhren, und die restlichen Dschungel als unüberwindliches Hindernis ansahen. Der Süden Afrikas wäre damit zu einem Refugium des Australopithecus und frühen Homo (rudolfensis, habilis und ergaster) geworden, und die großen, auch für die Evolution wichtigen Wanderungen des Homo erectus und des frühen Homo sapiens wären unterbunden worden; Pekingmenschen, Neandertaler und „Hobbits“ auf der Insel Flores hätte es niemals gegeben. Doch auch zwischen Äquator und dem Kap der Guten Hoffnung hätte sich noch der Jetztmensch entwickeln können.

Wie aber steht es um die Errichtung einer Kultur oder gar Hochkultur bestellt? Beim Homo sapiens erfolgte dies im Rahmen einer Klimaverschlechterung um große Flüsse herum, namentlich um Nil, Euphrat, Tigris, Indus und Huang Ho. Doch wo sich rund um das Mittelmeer große Reiche erhoben, wo in Europa, China und dem arabisch- indischen Kulturraum große Erfindungen gemacht wurden, verblieben die Ureinwohner Südafrikas auf einer steinzeitlichen Kulturstufe. Monomotapa und die Expansion der Zulu haben daran nichts geändert. Unwirtliche Regionen wie die Namib und die Kalahari bieten auch nicht viel Spielraum zur Entwicklung einer Hochkultur. Zwar gibt es mit dem Sambesi auch einen großen Fluß, doch ist nur der Unterlauf schiffbar, und große Bereiche des Ufers sind für primitive Formen des Ackerbaus eher schlecht geeignet. Ohnehin stammt keine der Nutzpflanzen, auf denen unsere Landwirtschaft seit dem Neolithikum fußt, aus diesem Teil der Welt. Hätte sich also nördlich des Urwalds der Dinosaurus sapiens gehalten, und nach Ende der Eiszeit eine Zivilisation errichtet, wäre es nicht unwahrscheinlich, daß seine Forscher südlich der afrikanischen Regenwälder auf Steinzeitmenschen nach Art der heutigen Buschleute gestoßen wären. Vielleicht hätten sie sie mit einer ähnlichen Neugier betrachtet, wie wir heute Gorillas und Schimpansen, aber vermutlich kaum als Konkurrenz angesehen.

Doch es könnte auch ganz anders laufen: Die känozoischen Eiszeiten dezimieren die Ahnen der intelligenten Dinos soweit, daß sie den Wanderungsbewegungen der frühen Menschen nichts entgegensetzen können. Einmal vorausgesetzt, beide hätten sich auf der Stufe der Jäger und Sammler befunden, hätten sie sich vermutlich einen mörderischen Wettstreit um die selben Lebensräume geliefert. Die ersten Menschen hätten dabei einen Heimvorteil in Afrika gehabt, und die klugen Saurier wohl in Amerika und Ostasien, wo schon Troodon und Saurornithoides (und freilich auch Purgatorius) ihr Unwesen getrieben hatten. Auf dieser Basis wäre es zu einer regionalen Scheidung zwischen beiden Gruppen gekommen.

Doch auch die nächsten Schritte in der Entstehung einer Kultur sind nicht frei von Problemen. Gewiß, die Nutzpflanzen des nahen Ostens hätten auch in einem Szenario wie diesem zum Ackerbau genutzt werden können, doch welche Tiere hätten domestiziert werden sollen? Ziege und Schafe, Rinder und Schweine, Hunde und Katzen, Pferde und Rentiere, Kaninchen und Meerschweinchen hätten sich niemals entwickelt, hätte es das große Aussterben am Ende der Kreidezeit nicht gegeben. Bestenfalls die Vogelwelt, und hier vor allem die Hühner und ihre Verwandten hätten vielleicht noch als vertrautes Nutzvieh zur Verfügung gestanden. Ansonsten aber wird es schwierig. Die meisten Ornithopoden wie die Hypsilophodontidae waren vermutlich großräumig wandernde Formen, die wie heutige Antilopen ungeeignet für ein Leben in Koppeln sind. Riesige Sauropoden stellen zwar ausgezeichnete Fleischlieferanten dar, dürften aber ähnlich schwer zu halten sein, wie die gewiß recht widerborstigen Thyreophora. Zumal beide Gruppen über eher kleine Bregen verfügten, die eine Zähmung arg erschwert hätten! Immerhin kämen die Ceratopsier und Hadrosaurier eventuell in Frage, doch viele von ihnen waren amerikanische oder ostasiatische Formen. Was die Letztgenannten anbelangt, gibt es auch für Europa einige Nachweise (Stenopelix als möglichen Ceratopsier ignoriere ich einfach mal), aber in puncto Afrika kennt man gerade mal von Madagaskar her einen zudem noch unsicheren Fund. Einmal angenommen, die Verbreitung hypothetischer känozoischer Dinos würde der des späten Mesozoikums entsprechen, lägen die klugen Reptilien deutlich im Vorteil.

Aber da wir uns ohnehin auf dem Feld der Spekulation bewegen, können wir auch annehmen, Dinosaurus sapiens und Homo sapiens hätten in etwa gleichzeitig ihren Weg in Vor- und Frühgeschichte gefunden. Ja, die Verbreitungsgeschichte könnte sogar eine Trennung in Alte (Menschen) und Neue Welt (kluge Dinos) nahelegen. Die Nachfahren der Troodontidae hätten als schnelle Läufer sogar ein paar Vorteile in den Prärien des Doppelkontinents (und in den Pampas, sollte die Waldbarriere in Mittel- und Südamerika durchbrochen werden). Wie also hätten ihre Kulturen ausgesehen, ungestört von eventuellen Zuwanderern auf der Bering- Landbrücke?

Eventuell hätten Hirtenkulturen dominiert. Ob der Ackerbau bei ihnen je entwickelt worden wäre, hängt sehr davon ab, ob Troodon wirklich omnivor gewesen ist. Sein mongolischer Zwilling Saurornithoides hatte keine vergleichbare Riffelung am Hinterrand der Zähne; er scheint klar carnivor gewesen zu sein. Beim Menschen war der Ackerbau ursächlich beteiligt an der Seßhaftwerdung, und die führte über die Urbanisierung zu beruflichen Spezialisierungen und schließlich zu Erfindungen. Muß man also säen und ernten, um eine Zivilisation begründen zu können? Nicht unbedingt! Es wurde schon angesprochen, daß kleine Theropoden möglicherweise Brutkolonien angelegt haben. Wie hält man hungrige Tyrannosaurier fern? Wie stellt man die Versorgung der Eier wärmenden Damenwelt sicher, wenn immer mehr von ihnen auf einem Haufen hocken? Von den Nestlingen ganz zu schweigen? Es würde sich anbieten, Verteidigungsanlagen und Zwinger für Nutzvieh anzulegen. Arbeitsteilung zwischen Hirten, Bauleuten und Soldaten könnte sich entwickeln. Solche Nistplätze mögen sich auf diese Weise zur Keimzelle einer städtischen Kultur entwickeln.

Was allerdings passiert, wenn die Küken alt genug sind, um mit dem Rudel weiterzuziehen? Gibt es einen Grund, permanente Siedlungen aufrecht zu erhalten? Die frühen Bauern der Menschheit (beispielsweise die Bandkeramiker) sind oft fortgewandert, wenn der Boden nicht mehr ergiebig war. Erst Errungenschaften wie Düngung, Zwei- bzw. Dreifelderwirtschaft und Pflug haben zu mehr Bodenständigkeit geführt. Erfindungen, für die ein eher fleischfressender Dinosaurus wenig Verwendung gehabt hätte.

Immerhin ist es von Vorteil, Brutplätze an mehr geschützten Orten anzulegen. Diese könnten auch in den Zeiten der Nichtbesiedlung als Fluchtburgen gedient haben, eventuell gar mit einer ständigen Besatzung. Große Raubsaurier, Sauropoden- Stampedes, aber auch feindliche Nachbarstämme hätten immer wieder Anlaß geben können, um Schutz zu suchen. Damit wären solche Forts auch zu Machtzentren geworden, und zumindest im Festungsbau hätte die Technologie Fortschritte zu vermelden gehabt. Holz wäre von Stein ersetzt worden, und wenn man nicht schon für die Jagd Distanzwaffen entwickelt hatte, jetzt auf der Mauerkrone brauchte man sie. Längere Belagerungen erforderten auch eine gesicherte Wasserversorgung und Vorratshaltung, möglicherweise verknüpft mit Keramik, Salzbergbau und einer Schrift zu Verwaltungszwecken.

Das Bild, was sich damit böte, wäre eine Mischung aus Ritter- und Hirtenkultur. Die Echsenmenschen wären auf eine Wirtschaftsform angewiesen, die große Territorien erfordert, aber nur wenige Nahrungsüberschüsse einbringt. Selbst unter Einbeziehung des Fischfangs könnten kaum größere Massen ernährt werden; die Reiche des Dinosaurus würden stets nur dünn besiedelt sein. Sollten einmal Schiffe der Wikinger oder Spanier anlanden, könnte sich das als entscheidender Nachteil erweisen.

„Weniger Individuen“ meint aber auch: „weniger kreative Köpfe“. Die Menschheit in der „Alten Welt“ könnte die Echsenmenschen der „Neuen Welt“ rasch an Innovationen überflügeln. Aber natürlich darf man auch annehmen, daß der Dinosaurus sapiens durch seinen evolutionären Vorsprung ohnehin klüger und genialer als wir ist, und damit die Qualität wettmacht, was wir an Quantität aufbieten können.

Inwieweit Feinmotorik eine Sache der Echsenmenschen sein könnte, muß im Raum stehenbleiben. Die Primaten haben wohl schon im frühen Eozän Nägel an Stelle der Krallen entwickelt, wie die Gattung Plesiadapis mit seinen gekrümmten Klauen vermuten läßt. Bei ihnen ermöglichte dies eine Stabilisierung der Finger, was sie zum Festhalten, und schließlich zum Herstellen von Werkzeugen befähigte. Troodon kletterte vermutlich nicht auf Bäume, aber da zu seiner weitläufigen Verwandtschaft auch Epidendrosaurus gehörte, läßt es sich nicht vollends ausschließen, daß er sich ab und zu auch mal ins niedrigere Zweigwerk verirrte. Bei seinen kräftigen Krallen hätte er sich aber auch so gut an Ästen festhalten könnte; es bestand keine Notwendigkeit, diese altbewährte Errungenschaft theropodischer Evolution zugunsten von Nägeln zurück zu entwickeln. Aber dann wiederum entstehen Mutationen nicht aufgrund von Notwendigkeiten; sie ereignen sich eher zufällig, und das Milieu bedingt, ob sie sich durchsetzen oder nicht. 66 Millionen Jahre seit dem letzten Nachweis von Troodon sind eigentlich lange genug, um einigen seiner Nachfahren die Entwicklung einer Hand zuzugestehen, mit der man auch Faustkeile zimmern und Höhlenwände beschmieren kann. Und sei es mit Klauen an Stelle von Nägeln...

Könnte ein solches Geschöpf aber auch Erfindungen gemacht haben, die über die unmittelbare Anwendbarkeit hinaus gingen? Nun, Innovationen gehen auf Ideen zurück, und die wiederum erfordern Muße. Wer von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang damit beschäftigt ist, Wild zu jagen, Felder zu bestellen oder Erz zu fördern, wird dazu weniger Gelegenheit haben, als ein Spezialist, dessen Tätigkeit nur einen Teil seiner Zeit ausfüllt. Schmiede können experimentieren, wenn es die Auftragslage zuläßt, und ein Soldat, der gerade nicht kämpft, mag wie Descartes philosophische Überlegungen anstellen. Damit dürfte man die Zentren des Fortschritts eher in den Fluchtburgen annehmen, als bei den frei umherziehenden Stämmen. Doch Letztere würden die Neuerungen weitertragen, von Festung zu Festung. Eventuell gar würde eine Schrift zum Einsatz kommen, die den Bedürfnissen wandernder Völker entgegenkommt. Die Knotenschrift der Inka wäre ein geeignetes Beispiel. Wo aber Gedanken vermittelt werden, kann Bildung entstehen, und damit die Zahl neuer Ideen exponentiell anwachsen.

Ja, es wäre möglich, daß Homo und Dinosaurus sapiens gleichzeitig das Atomzeitalter beschritten hätten, und die Herkunft von den fleischfressenden Theropoden läßt es als fraglich erscheinen, ob die Echsenmenschen friedliebender wären als wir. Der Wettstreit um Vormacht und Ressourcen hätte damit unwillkürlich zum Gegensatz, und vermutlich auch zu mehreren Auseinandersetzungen geführt. Bei uns gibt es allen Vorbehalten zu „Rasse“, Religion und Ideologie zum Trotz immer noch das verbindende Element der gemeinsamen Art: Auch ein schwarzer, fundamentaler Christ aus den USA und eine blonde, atheistische Kommunistin aus der Ex- Sowjetunion können ohne Probleme miteinander Kinder zeugen. Selbst Menschen, Vulkanier, Klingonen und Romulaner können dies aus nicht näher definierten Gründen... aber Dinosaurier und uns werden stets die 300 Millionen Jahre getrennte Evolution voneinander scheiden. Mitgefühl ist letzten Endes verknüpft mit der Fähigkeit, sich in den anderen hineinversetzen zu können, und da gibt es bei Artgenossen weit weniger Probleme.

Immerhin besteht eine gewisse Chance, daß die Menschen auf ihren Kontinenten bleiben, und die intelligenten Dinos auf ihren, wenn man mal von der Errichtung von Botschaften und Handelsstützpunkten absieht. Ein Krieg ist oft auch die Folge einer Kosten- Nutzen- Abwägung, und sollten sich nicht Koalitionen quer durch die beiden Spezies bilden, wäre der Aufwand, über einen ganzen Ozean hinweg Krieg mit mindestens zwei Kontinenten zu führen, das wirtschaftliche Risiko nicht wert. Ein kalter Krieg wäre wahrscheinlicher als ein heißer, und das Wettrüsten könnte ähnliche Folgen haben wie auf der Erde des 20. Jahrhunderts, Mondflug inklusive. Aber dann wiederum sollten wir im Hinterkopf behalten, daß wir es mit eben jener Kreatur zu tun haben, die Magee für das große Aussterben am Ende der Kreidezeit verantwortlich macht, nur eben versetzt in die Gegenwart. Ein Wesen mit der Intelligenz eines Homo sapiens, aber der Psyche eines Raubsauriers! Wo unsere Art schon Weltkriege und Völkermorde hervorgebracht hat, wie wird es da erst bei Raptoren sein, die Flugzeuge fliegen und Bomben abwerfen? Wir können nicht ausschließen, daß sie versuchen, den Erdmantel anzuzapfen, oder ohne Gewissensbisse Massenvernichtungswaffen einsetzen. So, wie wir auch nicht ausschließen können, selbst einmal so unvernünftig zu sein...

Ich hoffe, mit diesem Gedankenspiel den Erwartungen gerecht worden zu sein, die der Titel dieses Aufsatzes geweckt haben mag. Denn streicht man den Menschen, und versetzt das ganze Szenario ans Ende des Erdmittelalters, hätte man just das Bühnenbild, das Magee für uns entworfen hat. So wie unsere Vorfahren gerade mal 3 Millionen Jahre gebraucht haben, um sich vom Australopithecus afarensis zum Homo sapiens weiterzuentwickeln, könnte auch Troodon formosus weit weniger als 66 Millionen Jahre benötigt haben, um einen Dinosaurus sapiens hervorzubringen.

Doch so faszinierend die Vorstellung auch sein mag, sie ist, was sie ist: Spekulation! Wir wissen nichts von kulturfähigen Reptilien am Ende des Mesozoikums. Und es haben keine Theropoden das große Sterben überlebt, auch keine mit dem Potential, einmal einen Dinosaurus sapiens hervorzubringen. Oder etwa doch?

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Kommentare  

#1 Gerhard Schäffer 2013-07-04 01:08
Sagen wir es mal so. Die aufrechtgehenden Arten, welche schon die systematische Jagdt kannten, wurden an ihrer weiteren Entwicklung gehindert. Sei es durch einen kometen, sei es durch einen Klimawandel.

Unser Glück ist halt, das wir keine Wechselwärmer sind und daß es keinen großen Klimawandel gab, zumindest nicht in allen. Regionen der Erde
#2 Gerhard Schäffer 2013-07-04 01:12
Sowas wie uns könnte man also als Notwendingen Zufall der Wahrscheinlichkeit nennen. Einerseits existiert die Erde schon ziemlich lange, dann haben wir ein Magnetfeld, und daraus resultiert eben eine hohe Wahrscheinlichkeit für intelligentes Leben.
#3 Lucius 2015-02-25 02:12
Möglich mag vieles (gewesen) sein. Seitdem es mir gelungen ist, bei einem Evolutions-SIMulationsspiel intelligente Lurche hervorzubringen, die Städte bauten und mit ihnen schließlich in den Weltraum abhoben (Endziel des Spiels, wohl in Analogie zu einem US-SF-Roman), halte ich ziemlich alle evolutionären Entwicklungen zumindest für denkbar.
Allerdings könnte man genauso darüber spekulieren, wie sich die synapsidischen Protosäugetiere weiterentwickelt hätten (würden wir dann aussehen wie heute bzw immer noch Eier legen?), wenn nicht kosmische und Umweltkatastrophen der diapsidischen Konkurrenz den Weg frei gemacht hätte. Insofern ist deren späterer Teiluntergang (Vögel existieren ja bis heute) auch eine Ironie der Evolutionsgeschichte (s. J.Gould, Zufall 'Mensch').
Übrigens, Gerhard, zumindest Theropoden waren ebenfalls Warmblüter, aber fürs Überleben der Katastrophe mehrheitlich einfach zu groß, die kleinen Flieger haben's dagegen geschafft, mit höherer Körpertemperatur als wir).

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