Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI. - Einleitung: Dracula oder Minnesänger?
Vogelschisse und Stauferherrlichkeit: Heinrich VI.
Einleitung: Dracula oder Minnesänger?
Die ich mit Schmerz vermisse hier,
Seis Weib, seis Mann, der grüße sie (damit) von mir.
Mein sind die Länder in der Runde,
Wenn ich der Holden nahe bin,
Doch wenn mir schlägt der Trennung Stunde,
Ist all mein Macht und Reichtum hin.
Nur Schmerz und Leid ist dann mein Hab,
In mir steigt Freude auf und ab,
Und diesen Wechsel duld ich bis ans Grab.
(Und dieser Wechsel, glaub ich, dauert bis ans Grab.)
Da ich sie nun herzinnig minne
Und sie getreu zu jeder Zeit
Im Herzen trage und im Sinne,
Wenn manchmal auch mit Sehnsuchtsleid;
Was giebt (gibt) die Liebe mir zum Lohn?
So holder Dank ward mir wohl schon;
Eh ich sie ließ, stieg eher ich vom Thron.
(Eh ich sie ließ, viel eher ließ ich selbst die Kron.)
Der sündigt schwer, der mirs (mir) nicht glaubte,
Ich sah (säh) mit ihr manch frohen Tag
Auch ohne Krone auf dem Haupte;
Nicht anders ja ich leben mag.
Verlör ich sie, was hätt ich dann?
Wär kein Gesell für Weib noch Mann,
Mir läg (läge ja) mein liebster Trost in Acht und Bann.
Kaiser Heinrich VI., um 1185
Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934)
Aus: Der Herrin ein Grüßen
Deutsche Minnelieder
aus dem zwölften bis vierzehnten Jahrhundert,
ausgewählt und nachgedichtet
von Richard Zoozmann
Leipzig 1915 (S. 36)
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An die ferne Geliebte
Ich sende diesen Minnesang der Süßen,
Die ich vermeiden nimmer kann und mag;
Wohl möcht' ich lieber mündlich sie begrüßen,
Und seufze drum so manchen lieben Tag!
Wer dieses Lied nun singt vor ihr,
Nach der ich so unsäglich schmachte,
Es sei Weib oder Mann, der grüße sie von mir!
Mir sind die Reich' und Lande unterthan,
So lang ich bei der Minniglichen bin,
Doch wenn ich sie nicht mehr besitzen kann,
So ist Gewalt und Reichthum auch dahin
Und bittrer Schmerz nur meine Habe:
So schwankt mein Herz in Lust und Leid
Und bringt durch ihre Gunst des Glückes Spiel zu Grabe.
Seitdem ich sie von ganzer Seele minne
Und ohne Wanken immerwährend trage
In meinem Herzen wie in meinem Sinne,
Zuweilen auch mit mancher schweren Klage.
Was gab sie mir dafür zu Lohne?
Da beut sie mir so süßen Sold
Und eh' ich ihr entsagt', entsagt' ich ehr der Krone.
Der sündigt wohl, wer meinem Wort nicht glaubt:
Ich könnte leben manchen lieben Tag,
Wo keine Krone käme auf mein Haupt,
Was ohne sie ich wahrlich nicht vermag.
Verlör' ich sie, was hätt' ich dann?
Ich wär' für jede Lust verdorben
Und all mein bester Trost der wär' in Acht und Bann.
Nachgedichtet von Wilhelm Müller (1794-1827)
Aus: Blumenlese aus den Minnesingern
Herausgegeben von Wilhelm Müller
Erste Sammlung Berlin 1816
In der Maurerschen Buchhandlung (S. 2-5)
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Gruß an die Geliebte
Ich grüße mit Gesange die Süße,
Der ich entsagen nicht will, noch vermag.
Seit ich sie nicht mit dem Munde grüße,
Leider verging da gar mancher Tag.
Wer dieses Lied darum singet von ihr,
Die ich so schmerzlich vermisse nun hier,
Es sei Weib oder Mann, der grüße sie hiermit von mir!
Länder und Reiche sind unterthan mir,
Wenn ich nahe der Lieblichen bin;
Doch wenn ich wieder dann scheide von ihr,
Ist all meine Macht und mein Reichtum dahin.
Nur Sehnen und Grämen ist dann meine Hab'.
Ich steige an Freuden bald auf und bald ab
Und dulde den Wechsel aus Liebe zu ihr bis ins Grab.
Da ich von ganzem Herzen sie minne
Und sie getreu zu jeglicher Zeit
Trage im Herzen sowie auch im Sinne,
Wenn auch zuweilen mit mancherlei Leid,
Was giebt mir darum nun die Liebe zu Lohne?
Sie macht, daß das Herz mir in Freuden stets wohne.
Eh' ihr ich entsage, entsage ich eher der Krone.
Der sündigste wahrlich, wer es nicht glaubte:
Ich verlebte mit ihr manch fröhlichen Tag,
Wär' nie eine Krone mir auch auf dem Haupte,
Was ich ohne sie gar nicht verlangen nur mag.
Verlöre ich sie, was hätt' ich noch dann?
Nicht taugt' ich zur Freude für Weib und für Mann,
Mein bester Trost läge mir damit in Acht und Bann.
Nachgedichtet von Bruno Obermann
Aus: Deutscher Minnesang Lieder aus dem
zwölften bis vierzehnten Jahrhundert
Übertragen von Bruno Obermann
Leipzig Druck und Verlag von Philipp Reclam jun. o. J. (1890) (S. 47-48)
Dies sind drei Übersetzungen eines Minnesänger- Liedes ins Hochdeutsche, das sich im Co-dex Manesse findet. Es wird einem Kaiser Heinrich zugeschrieben. In kursiver Schrift nach-getragen habe ich Abweichungen, die sich in der Überlieferung bei manchen Schreibweisen oder aber in der Silbenzahl der jeweils letzten Strophenzeile finden.
Es ist nur eines von mehreren Werken des angegebenen Autors. Verfaßt worden soll es laut Richard Zoozmann „um 1185 herum“. 1185 ist in geschichtlicher Hinsicht ein interessantes Jahr gewesen. Herrschende Kaiser waren zu dieser Zeit Friedrich I. Barbarossa, Andronikos I. Komnenos, Isaak II. Angelos, Shizong, Xiaozong, Antoku Tokuhito und Go- Toba Takahi-ra… aber ein Heinrich ist nicht darunter.
Trotzdem taucht er auch in der Weingartner Liederhandschrift mit acht Strophen wieder auf. Wer also ist dieser ominöse Potentat? Nun, der Codex Manesse ist erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts fertiggestellt worden, und die Weingartner Liederhandschrift entstand in etwa zur selben Zeit. Da aber kannte man einen Kaiser Heinrich, der in Frage kam, nämlich Hein-rich VI., einer der Söhne von Barbarossa. Der war zwar 1185 gerade mal römisch- deutscher König gewesen, aber ihm deswegen die erst 1191 verliehene Kaiserkrone abspenstig zu ma-chen, wäre einer posthumen Majestätsbeleidigung gleichgekommen.
In der Tat besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß die seiner Hoheit zugeschriebenen Poeme tatsächlich anno 1185 angefertigt worden sind. Schließlich ist der Minnesang Teil der ritterlichen Kultur gewesen, und diesem Stand gehörte der junge Monarch erst seit seiner Schwertleite am 21. Mai 1184 an. Am 27. Januar 1186 dagegen war er bereits verheiratet, was seiner Karriere als romantischer Dichter wohl ein Ende bereitet haben dürfte. Über die Bezie-hung zu seiner Ehefrau Konstanze (Constance d‘Hauteville), die immerhin elf Jahre älter war als er, ist so manch Negatives geschrieben worden, das es noch zu beleuchten gilt. Wir dürfen jedoch annehmen, daß dieses Minnelied nicht ihr gewidmet gewesen ist, hätte ihm die Liebe zu ihr schließlich nicht den Thron bzw. die Kron gekostet.
Ein römisch- deutscher Kaiser also als romantischer Schwärmer? Nun, so ungewöhnlich ist das nicht; schließlich kennt man auch von zwei anderen Staufern (Friedrich II. und Konrad IV.) Beiträge zum entsprechenden Liedgut. Allerdings sind es die beiden Friedriche, an die man denkt, wenn von den bedeutenden Kaisern des Mittelalters und der ihnen romantisierend/ nationalisierend angedichteten Stauferherrlichkeit die Rede ist. Und das, obwohl es auch ei-nen Otto gibt, dem man tatsächlich das Prädikat „der Große“ zugedacht hat , und obwohl ein Heinrich III. mächtig genug war, ohne Widerstand Päpste ein- und abzusetzen. Freilich gab es nur einen deutschen Herrscher, dessen Reich sich ohne territoriale Unterbrechung von Hol-stein bis Sizilien erstreckte, und das war eben Heinrich VI., Sohn des einen Friedrich, und Vater des anderen.
Und der hat ganz und gar nicht den Ruf, eine sensible und kultivierte Künstlerseele zu sein! „Friedrichs Sohn Heinrich VI. besaß wohl die rastlose Tätigkeit des Vaters, aber nicht den Adel der Gesinnung. Habgier, Härte und Grausamkeit schändeten seinen Charakter.“, schimpft Georg Weber mit ihm, und: „Die Lust zu herrschen erstickte in ihm früh alle wei-chen Empfindungen; sie zu befriedigen, war er zwar in der Wahl seiner Mittel skrupellos, aber er hat doch die hohenstaufische Weltherrschaft am großartigsten gefaßt.“
Da kombiniert aber jemand Tadel mit Bewunderung! Wenn man bedenkt, daß Herr Weber im 19. Jahrhundert gelebt hat, wo rücksichtsloser Egoismus tatsächlich als legitimes Mittel der Politik gegolten hat, mag es einem bei seinen Worten kalt den Rücken hinunterlaufen.
Dr. phil Siegfried Fischer- Fabian sieht ihn gar als „königlichen Dämon“ und vergleicht ihn mit Shakespeares Richard III., als er über ihn schreibt: „Vom Vater hatte er weder die Statur noch die Frohnatur, und dessen Tugenden waren bei ihm zu Untugenden entartet. Gerechtig-keitssinn wurde zu Pedanterie, Humor zum Zynismus, Leidenschaft zur Maßlosigkeit, politi-sches Kalkül zu absoluter Gewissenlosigkeit – das Selbstbewußtsein eines Kaisers zum Wahn der Cäsaren. Konnte Barbarossa grausam sein, so war er sadistisch, und für dessen roman-tisch- ritterliche Art hatte er nur ein geringschätziges Lächeln übrig. Er war unhöflich, verd-rossen, kalt, unzugänglich, er wurde von niemandem geliebt, doch von allen gefürchtet. War der Vater ein Mann gewesen, der Menschen bezaubern konnte, er, der Sohn, hatte nur Ver-achtung für sie übrig: ein von den Dämonen der Macht Getriebener, für den das Schlechte gut war, wenn es ihm nützte.“
Aber nicht nur an den inneren Werten läßt der Philosoph und Journalist kein gutes Haar: „Auch sein Äußeres widersprach in allem der Vorstellung, die man sich von einem Kaiser machte. Er war schmächtig, klein, von bleicher, ungesunder Gesichtsfarbe, oft krank, in den Waffen ungeübt, ein mäßiger Reiter.“
Wenn man diesen Schilderungen lauscht, mag man fast glauben, man hätte es mit einem Vlad III. „Tepeş“ Dracula zu tun, dem gleichfalls Erfolge und unmenschliche Grausamkeiten zugeschrieben werden. Der gleichermaßen als Massenmörder und Nationalheld gilt, quasi als Vorlage für einen Bösewicht mit Format, wie ihn Bram Stokers transsilvanischer Graf dar-stellt. Wie paßt das zu dem schmachtenden Troubadour, der eher „vom Thron“ steigt und „die Kron“ sausen läßt, als auf seine Liebste zu verzichten?
Wenn ich Csendes folge, so ist die Quellenlage sehr viel nüchterner… und vor allem auch spärlicher. Am ausführlichsten ist vielleicht noch Buchard von Ursberg, nachdem Rotbarts Filius ein „Mann mittlerer Größe, eher zart, ja schwächlich im Körperbau, mit hagerem, bart-losem Antlitz“ und eine „eher düstere Erscheinung… auch dunkelhaarig“ gewesen sein soll. Seiner Persönlichkeit soll „das gewinnende Wesen“ gefehlt haben, daß seinem Vater und sei-nem Bruder Philipp von Schwaben so manch diplomatisches Hindernis geebnet hat. Ansons-ten sind Hinweise auf sein Naturell eher vage. Bei deutschen Chronisten finden sich eher Cha-rakterzüge erwähnt, die man generell fähigen Herrschern zuschreibt, nämlich fide Csendes: „Kühnheit und Milde, Gerechtigkeitssinn und Freigebigkeit, Frömmigkeit und Weisheit“. Petrus von Eboli betone seine „Weisheit und Stärke“, während andere „seine Klugheit, seine Bildung und seine Beredsamkeit gerühmt“ hätten. Freilich soll es ihm an „kriegerische(r) Tüchtigkeit“ gemangelt haben, in einer Zeit, in der sich der Ruf eines Monarchen durchaus an seinen Qualitäten im Kampf orientierte. Csendes vermutet bei ihm auch eine „vielschichtige Persönlichkeit“, die sich in Impulsivität, aber auch in „Zynismus und Kälte rücksichtsloser Nutzorientierung“ geäußert hätte, doch ansonsten entstammen die ihm zugeschriebenen nega-tiven Züge (wie z. B. „Habgier, die bis zur Bestechlichkeit ging“) vor allem Quellen, die ge-nerell auf der dem Staufer feindlich gesinnten Seite standen. Ihn allein danach zu charakteri-sieren, hieße, sich allein nach den Aussagen von Donald Trump ein Bild von Barak Obama zu machen. In diesem Licht sollte man auch widersprüchliche Aussagen sehen, nach denen er einerseits „höfische Vergnügungen“ gefördert habe, er jedoch andererseits „dem Genuß eher fernstand“. Wir haben es also mit einem Mann zu tun, der polarisiert hat… und das nicht nur zu Lebzeiten, wie uns Weber und Fischer- Fabian demonstriert haben.
Als deutscher König hat dieser Heinrich von 1169 bis 1197 geherrscht, und als heilig- römi-scher Kaiser von 1191 bis 1197. Im Nachhinein fehlt ihm der Nachruhm, den sein Vater und sein Sohn geerbt haben, und das mag an den schlechten Eigenschaften liegen, die ihm zu ei-gen gewesen sein sollen. Trotzdem repräsentiert auch er die sogenannte Stauferherrlichkeit, und so mancher mag die Zeit seiner Herrschaft als Vogelschiß abtun, welche die Größe von Friedrich I. Barbarossa (Heinrichs Vater), Friedrich II. Stupor Mundi (Heinrichs Sohn) und ihrer Epoche nicht zu schmälern vermag.
Es war der AfD- Politiker Alexander Gauland, der die zwölf Jahre des Tausendjährigen Rei-ches als „Vogelschiß in unserer über tausendjährigen Geschichte“ bezeichnet hat, und viel lieber an „die großen Gestalten der Vergangenheit von Karl dem Großen über Karl V. bis zu Bismarck“ erinnert wissen wollte. Auch einen oder zwei Staufer hat er in dieser Rede er-wähnt: „Gerade weil wir die Verantwortung für die zwölf Jahre übernommen haben, haben wir jedes Recht den Stauferkaiser Friedrich II., der in Palermo ruht, zu bewundern. Der Bam-berger Reiter gehört zu uns wie die Stifterfiguren des Naumburger Doms.“
Nun, ob es da so viel zu bewundern gibt bei Monarchen einer Ära, in der auch Oberhäupter der Christenheit und allerchristlichste Majestäten ganze Städte niederbrannten und Heere auf-einander hetzten, nur um ihren eigenen Besitzstand zu vergrößern? Zumindest würde ich da-von abraten, ihr Handeln als Vorbild für heutige Politik zu nehmen (Es würde für eine ernste diplomatische Verstimmung sorgen, sollte Angela Merkel beschließen, Mailand in Schutt und Asche zu legen). Ich schlage vor, wir schauen uns diese Epoche einmal an, in dem wir uns einen ihrer Repräsentanten vorknöpfen, nämlich eben den Stauferkaiser Heinrich VI.!
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