Lynch, Scott The Lies Of Locke Lamora
The Lies Of Locke Lamora
,
(Seite 3) .
Locke Lamora und seine Gang nennen sich die »Gentlemen Bastards«. Im
Gegensatz zu den anderen Verbrechern Camorrs verstehen sie sich auf
Lebensart und haben den Trickbetrug in zahllosen Masken zur Perfektion
gebracht. Sie bringen die Adligen der Stadt auf eine Art um ihre
Besitztümer, die es den Beklauten verbietet darüber zu berichten, denn
damit gäben sie sich selbst der Lächerlichkeit preis.
Das Leben der kleinen und grossen Verbrecher in Camorr ist geregelt,
denn über alles wacht Capa Barsavi, eine Art Mafiaoberhaupt, dem alle
unterstehen und vor dem alle kuschen. Es gibt ein Abkommen: Man
läßt die Adligen in Ruhe und dafür ignorieren diese die Diebesgemeinschaft bei ihren Raubzügen und Gaunereien.
Was fällt uns auf? Genau, Locke Lamora und seine Bastarde halten sich
nicht daran und kommen damit seit Jahren durch, sie betrügen also alle
Seiten.
Doch eines Tages stürzt das mühsam über Jahre aufgebaute Kartenhaus
ein, als ein Gegner auftaucht, der sich mit allen maßgeblichen Parteien
auf brutale Art anlegt.
Brutal ist ein gutes Stichwort: The Lies Of Locke Lamora ist definitiv
kein Buch für Zartbesaitete, denn es geht gehörig zur Sache und es wird
bunt gestorben (ein Ausdruck, der sich prägte, als ich mir mit Freunden
vor Jahren Splatterfilme ansah). Auch werden Folterungen detailliert beschrieben,
was ebenfalls nicht jedermanns Sache sein dürfte. Die Sprache
sämtlicher handelnden Figuren ist sehr deutlich, »fuck« und Abkömmlinge
kommen regelmäßig vor, auch mit »piss«, »shit« oder einem gelegentlichen »cocksucker« wird nicht
gespart.
Normalerweise stehe ich nicht auf ein derart offensichtliches Angebot
von Gewalt, aber eigentümlicher Weise funktioniert das in diesem Roman
sehr gut. Die Protagonisten wachsen einem ans Herz und das trotz der
Tatsache, dass auch sie eigentlich ziemliche Sackgesichter sind (wie so ziemlich jeder in Camorr). Wobei sich das
schnell relativiert, denn im Gegensatz zu anderen Handlungsträgern sind
sie die reinsten Waisenknaben (na gut, das sind sie wirklich), was
Gewaltausübung angeht.
Die Mischung funktioniert wahrscheinlich hauptsächlich deswegen, weil
Lynch hier ein ungeheuer dichtes Gewebe gesponnen hat, einen
Fantasy-Teppich knüpft der seinesgleichen sucht; derart vertraut kommen einem
Stadt und Bewohner ob seiner detaillierten Beobachtung am Ende der Lektüre vor, dass man fast meint sie
schon immer zu kennen. Die Beschreibungen des Autoren sind punktgenau
und dennoch sehr mystisch fantastisch und obwohl Camorr in keinster
Weise den typischen Fantasy-Stadt-Klischees entspricht, sondern
deutlich moderner wirkt, kommt definitiv ein »sense of wonder« auf, der
durch die vielen kleinen und kleinsten Details erzeugt wird, mit denen
Lynch den Leser immer wieder konfrontiert.
(Seite 259)
Die eigentliche Handlung wird regelmäßig unterbrochen durch Einschübe,
die die Kindheit und Jugend der Gentlemen Bastards für den Leser
beleuchten, erläutern, wie es zur aktuellen Konstellation kam. Was
andere Autoren grundlegend verpatzen, funktioniert in The Lies Of Locke
Lamora erstklassig und wird von Lynch selbstverständlich auch als
Stilmittel eingesetzt, um die Spannung an verschiedenen Stellen zu
steigern (Cliffhanger).
Der Leser sollte sich in diesem Fantasy-Thriller nicht an handelnde
Personen gewöhnen, denn es wird nicht nur bunt, sondern auch reichlich
gestorben in Camorr und der Autor lässt dabei auch Protagonisten nicht
aus. Mehr schreibe ich aber an dieser Stelle nicht dazu...
Wer auf Fantasy und knallharte Tarantino-Thriller steht, der wird der
Roman lieben. Zarter besaiteten Gemütern würde ich von der Lektüre
abraten. Mich wundert, wie ein Buch mit derartig vielen eindeutigen
Flüchen, Fucks und Beschreibungen die unter die Gürtellinie zielen,
in Amerika verlegt werden konnte. Wahrscheinlich wird von den Kanzeln
gegen Locke Lamora oder eher Scott Lynch - gewettert.
Wer sich an der Gewalt und den Obszönitäten nicht stört, wird mit einem
grossartigen und innovativen Fantasyroman belohnt, der sich sehr
wohltuend vom Mainstream abhebt. Für Letztere die in Personalunion auch
noch Fans von Tarantino und Woo sind spreche ich eine unbedingte
Leserempfehlung aus. Der Rest sollte tolerant sein und bekommt dafür
ein einmaliges Leseerlebnis (das aber sicher nicht jedem gefallen
wird). Eingängig geschrieben ist der Roman allemal. Wer auf sterile
oder plüschige Fantasy steht, sollte die Finger weit weg lassen und
lieber einen Shannara oder Hohlbein lesen...
(Seite 107)
Und was mich freut: Band zwei muß ganz anders werden, denn Scott Lynch hat nachhaltig dafür gesorgt, dass das bisherige Setting im zweiten Teil keine Verwendung finden kann.
p.s.: Vielen Dank an Jochen Adam für den Tip! Brilliant! Wurde die "blumige Sprache" eins zu eins ins Deutsche übertragen?
Kommentare
Klasse Rezi übrigens, der ich voll und ganz zustimmen kann!!!