King, Stephen - Wahn
Edgar Freemantle ist ein hohes Tier im Bauunternehmen, mit Familie, Geld und gesicherter Zukunft, bis sein Schicksal sich mit einem schweren Unfall dreht. Knapp entspringt Edgar dem Tod, muss aber viel dafür zahlen. Er verliert nicht nur den rechten Arm, obendrein erleidet er eine Kopfverletzung mit nachhaltigen Folgen: Sprachprobleme, verlorenes Erinnerungsvermögen und Neigung zur Gewalt. Aus dem Leben geworfen und verwirrt über sein verändertes Ich, empfiehlt ihm sein Psychiater eine Auszeit zu nehmen. Auf Duma Key, einer Insel in Florida, findet Edgar langsam wieder zu sich selbst, gute Freunde und zurück zu einem Jugendhobby: Malen. Am Anfang überrascht über sein außergewöhnliches Talent, beginnt Edgar bald zu erkennen, dass mehr hinter seinen wie im Wahn entstandenen Bildern steckt, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Seltsamerweise hängt seine künstlerische Begabung mit der Insel zusammen, die eine grauenvolle Vergangenheit zu erzählen weiß. Als schließlich manche Inhalte seiner Bilder zu tödlichen Wirklichkeiten werden und Geister ihn heimsuchen, verliert Edgar endgültig den Pfad zwischen Wahnsinn und Realität.
Wenn auf dem Cover nicht KING und ein rot-verzerrtes WAHN prangen würde, könnte dem Leser beim Einsteigen in den Roman glatt entgehen, dass es sich bei Wahn (im besseren Original: Duma Key) um Horror handeln würde. Zumindest bis ungefähr 400 Seiten. Das ist keinesfalls schlecht zu nennen, knüpft King mit dem Buch doch nahtlos an Love an, das ebenfalls einen eher gediehenen Weg geht. Nur ist Wahn in dieser Hinsicht noch besser gelungen. Der Horror ist ein subtiler, der sich durch Atmosphäre und Spannung trägt und erst beim Lesen erschließt. Keine Blutorgien und keine Massaker, der Horrorfaktor wird nach althergebrachter Lovecraft-Manier hintergründig inszeniert und über den gesamten Roman hin gesponnen, bis es zum Ende hin die grausige Überraschung gibt.
Vordergründig bleibt Wahn jedoch die Geschichte eines Mannes, der zurück zum Leben finden will. Edgars Erlebnisse wirken erschreckend authentisch und regen zum nachdenken an. Doch stehen ihm die anderen Charaktere in ihrer vielschichtigen Darstellung in nichts nach. Edgars Freundschaft mit Wiremann wird wunderbar aufgebaut und vertieft und gehört mit zum Besten des ganzen Romans.
Was das Lesevergnügen trüben könnte ist die Länge zwischen Anfang und Ende. Über hunderte von Seiten geschieht im Grunde gar nichts, was die Handlung weiterbringen würde. Sicherlich lässt man sich gerne auf Beschreibungen von Strandspaziergängen auf der Insel, Alpträumen, den malerischen Aktivitäten und Edgars Kontakt mit Wiremann ein, zumal der Autor selbst bei diesen Dingen mit seinem Sprachwitz und Können überzeugen kann. Auf Dauer wirken die leeren Phasen jedoch zu langatmig. Auch das Ende hinterlässt einen etwas komischen Beigeschmack. Während über die Geschichte hinweg gekonnt mit dem leichteren Horror die Spannung in die Höhe getrieben wird, schaltet es auf den letzten zweihundert Seiten plötzlich auf Old School Horror um. Zwar gibt es keine Blutorgien und Massaker, aber sind die Endszenen nicht weit davon entfernt.
Mit Wahn geht Stephen King den Weg weiter, den er mit Love begonnen hat. Weg von Gewaltakten und Gräueltaten, hin zu gefühlsbetonten Horror. Fans seiner älteren Werke, die eher vom Ersteren geprägt waren, müssen sich damit abfinden, dass ihr Autor sich weiterentwickelt hat. Mit Wahn hat Stephen King nicht nur Horror, sondern ernsthafte Literatur geschrieben.
Edgar Freemantle ist ein hohes Tier im Bauunternehmen, mit
Familie, Geld und gesicherter Zukunft, bis sein Schicksal sich mit einem
schweren Unfall dreht. Knapp entspringt Edgar dem Tod, muss aber viel dafür
zahlen. Er verliert nicht nur den rechten Arm, obendrein erleidet er eine
Kopfverletzung mit nachhaltigen Folgen: Sprachprobleme, verlorenes
Erinnerungsvermögen und Neigung zur Gewalt. Aus dem Leben geworfen und verwirrt
über sein verändertes Ich, empfiehlt ihm sein Psychiater eine Auszeit zu
nehmen. Auf Duma Key, einer Insel in Florida, findet Edgar langsam wieder zu
sich selbst, gute Freunde und zurück zu einem Jugendhobby: Malen. Am Anfang überrascht
über sein außergewöhnliches Talent, beginnt Edgar bald zu erkennen, dass mehr
hinter seinen wie im Wahn entstandenen Bildern steckt, als auf den ersten Blick
zu erkennen ist. Seltsamerweise hängt seine künstlerische Begabung mit der
Insel zusammen, die eine grauenvolle Vergangenheit zu erzählen weiß. Als
schließlich manche Inhalte seiner Bilder zu tödlichen Wirklichkeiten werden und
Geister ihn heimsuchen, verliert Edgar endgültig den Pfad zwischen Wahnsinn und
Realität.
Wenn auf dem Cover nicht KING und ein rot-verzerrtes WAHN
prangen würde, könnte dem Leser beim Einsteigen in den Roman glatt entgehen,
dass es sich bei Wahn (im besseren
Original: Duma Key) um Horror handeln würde. Zumindest bis ungefähr 400 Seiten.
Das ist keinesfalls schlecht zu nennen, knüpft King mit dem Buch doch nahtlos
an Love an, das ebenfalls einen eher gediehenen Weg geht. Nur ist Wahn in dieser Hinsicht noch besser
gelungen. Der Horror ist ein subtiler, der sich durch Atmosphäre und Spannung trägt
und erst beim Lesen erschließt. Keine Blutorgien und keine Massaker, der
Horrorfaktor wird nach althergebrachter Lovecraft-Manier hintergründig
inszeniert und über den gesamten Roman hin gesponnen, bis es zum Ende hin die
grausige Überraschung gibt.
Vordergründig bleibt Wahn
jedoch die Geschichte eines Mannes, der zurück zum Leben finden will.
Edgars Erlebnisse wirken erschreckend authentisch und regen zum nachdenken an. Doch
stehen ihm die anderen Charaktere in ihrer vielschichtigen Darstellung in
nichts nach. Edgars Freundschaft mit Wiremann wird wunderbar aufgebaut und
vertieft und gehört mit zum Besten des ganzen Romans.
Was das
Lesevergnügen trüben könnte ist die Länge zwischen Anfang und Ende. Über
hunderte von Seiten geschieht im Grunde gar nichts, was die Handlung weiterbringen
würde. Sicherlich lässt man sich gerne auf Beschreibungen von
Strandspaziergängen auf der Insel, Alpträumen, den malerischen Aktivitäten und
Edgars Kontakt mit Wiremann ein, zumal der Autor selbst bei diesen Dingen mit
seinem Sprachwitz und Können überzeugen kann. Auf Dauer wirken die leeren
Phasen jedoch zu langatmig. Auch das Ende hinterlässt einen etwas komischen
Beigeschmack. Während über die Geschichte hinweg gekonnt mit dem leichteren
Horror die Spannung in die Höhe getrieben wird, schaltet es auf den letzten
zweihundert Seiten plötzlich auf Old School Horror um. Zwar gibt es keine
Blutorgien und Massaker, aber sind die Endszenen nicht weit davon entfernt.
Mit Wahn geht Stephen King den Weg weiter,
den er mit Love begonnen hat. Weg von Gewaltakten und Gräueltaten, hin zu
gefühlsbetonten Horror. Fans seiner älteren Werke, die eher vom Ersteren
geprägt waren, müssen sich damit abfinden, dass ihr Autor sich weiterentwickelt
hat. Mit Wahn hat Stephen King nicht
nur Horror, sondern ernsthafte Literatur geschrieben.
Kommentare
WOW...
Meinen ersten King las ich 1979 und habe geglaubt das 'Duma Key' mein Letzter sein würde. Oder lag es gar in der Übersetzung? Hat dieser Wulf Bergner vielleicht wesentlich mehr daraus gemacht, als es der Meister vermochte?
Als ich in Richard Bachmanns 'Blaze' (deutschen Titel weiß ich nicht ) einen Ausschnitt aus 'Duma Key' zu schmecken bekam, da sprang ich vor Aufregung im Dreieck. 'Duma Key' entpuppte sich als eines der ganz wenigen Bücher, die ich nicht fertig gelesen auf Seite legen wollte.
Du, Tom Cohel, schreibst von "Lovecraftscher Manier". Genau der Gedanke hat sich bei mir auch eingeschlichen, wie King es schon in 'Liseys Story' und 'Rose Madder' versucht hat. Allerdings kenne ich Lovcraft zuwenig, um meine Annahme konkretisieren zu können.
Ja, mein Idol hat sich weiterentwickelt, aber meinst Du ernsthaft zum Besseren? Blutorgien und Massaker, schreibst Du, sind in 'Duma Key' kaum mehr vorhanden, der Charakter wäre authentisch und rege zum nachdenken an. Das zeichnet Deiner Meinung nach also 'Duma Key' aus? Was war denn mit dem knapp vor 'Duma' erschienen 'Blaze' der Anfang der siebziger geschrieben wurde? 'Dolores', 'Shawschank Redemption', oder 'Buick'?
Und dann die Geschichte selbst: Immer wenn sich mal irgendwie ein Rätsel auftut, das keiner der Protagonisten lösen kann, dann kommt der Hauptfigur der Instinkt zur Hilfe. Wie praktisch, und wie praktisch, das King trotz der epischen Länge nicht die Spur einer Erklärung für diese Instinkte ausführt. Und wenn Du schon mehr King gelesen hast, dann wird dir doch aufgefallen sein, das wirklich jede Figur einer altbewährten King-Routine nachempfunden ist. Dialoge und Charaktereigenschaften sind doch selbstkopiert bis in den letzten Buchstaben.
Der alte King, dem Du scheinbar nicht nachtrauerst, der hätte in den Zwischenkapiteln 'Wie man ein Bild malt' die wirkliche Kunst des Malens mit seiner Geschichte in Kontext gebracht. Hier nutzt er die Pausen nur für belanglose, kryptiche Sätze die nicht weiter bringen.
Der wahre Horror bei den 575 Seiten 'Duma Key' war die Ankündigung des nächsten Romanes mit mehr als 1000 Seiten. Und ich Fan-Idiot muss das dann auch noch lesen. Zum Glück schiebt er wenigstens wieder mal eine Kurzgeschichten-Anthologie dazwischen.
woran liegts? Hofft man, dass doch irgendendwann wieder das alte King - Feeling aufkommt?
Vielleicht ist das ja gerade der Fehler. Lese gerade wieder "The Stand" bzw. die von Jochim Körber vermurkste Übersetzung der Urfassung.
und irgendwie finde ich alle Kritikpunkte, die du hier anführst, in dem alten Wälzer wieder. Ist doch komisch, oder?
Ich glaube, dass King nur ein paar wenige wirklich geniale Romane geschrieben hat.
Dazu zähle ich "Misery", "Atlantis", "Dolores" und evtl . noch "Shining" (und natürlich einige der Novellen) aber davon abgesehen...
und doch werde auch ich immer wieder zum neuen King greifen. Ebenso wie ich immer wieder eine neue "King of Queens" Folge inhalieren musste, obwohl die Serie nach der 5. Staffel ausgebrannt war.
Was mich an dem Kerl so fasziniert hat, waren seine Ideen. Mit fünfzehn habe ich das erste mal von 'Cujo' gehört und gedacht ich werde nicht mehr, über so einen grandiosen Einfall.
'Carrie' war ja auch sehr äussergewöhnlich aufgebaut, sowie die fantastische Erzählstruktur von 'It', oder die Atmosphäre in 'Stand'. Ich behaupte einfach, dass King dies aus den Augen verloren hat und sehr zwanghaft, aber vergeblich versucht, sich neu zu erfinden in dem Abstand von seinen früheren Werken sucht.
In 'Liseys Story' gibt es Sekunden Momente, welche er über drei Seiten lang beschreibt. Da hab' ich schon mal die Geduld verloren, weil diese Momente tatsächlich nichts zur Handlung, oder zum Ablauf beitrugen.
Ich bleib dran, rechne mit dem Schlimmsten und hoffe auf das Beste.
Ich denke schon, dass man hofft, irgendwann nochmal das alte King-Feeling zurück zu bekommen, dass man irgendwann hatte! Aber es war nicht nur das Buch, dass faszinierte, das ganze Drumherum passte und fehlt nun, da die Zeit nicht stehen bleibt! So geht es mir bei vielem: sei es ein neuerer Sinclair, in dem man die Spannung der alten Hefte erhofft, oder ein Album einer Band, die mich früher doch so mit ihrer Musik fesselten. Warum nicht mehr heute? Weil es eine andere Zeit ist! Dies hat King übrigens am schönsten beschrieben, und zwar in 'ES'. Diese Erinnerungen an die Kindheit; die lassen uns heute doch auch einen gewissen Glanz in die Augen zurückbringen...
Mann, Mann, Mann,
hört sich einer 'benfi' an.
Mit jeder Faser des Kommentars ein Volltreffer.
Zweifellos ist es eine andere Zeit und wir tun uns alle manchmal schwer dies zu akzeptieren.
Stephen King hat sich weiter entwickelt und damit
hat er neue, vielleicht auch ganz andere Leser gewonnen. Wenn ich auch groß ertönen lasse, das
mich dieser neue, andere King nicht überzeugt, so
gönne ich dem neuen, oder überzeugten Leser doch
eine schraurig, schöne Zeit.
Möge diese Zeit so empfunden werden, wie seinerzeit ich unter dem geschriebenen Schrecken gelitten habe.