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Die Brüder Grimm und ihre Zettel - Die Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettel

Die Grimmwelt: Von Ärschlein bis ZettelDie Brüder Grimm und ihre Zettel
Die Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettel

Die Einladung aus dem preußischen Königshof an die beiden Grimms nach Berlin war nach den Problemen in Kassel und Göttingen die Rettung. Zwar waren sie zu dieser Zeit bereits bekannte Gelehrte, dies half ihnen jedoch zunächst wenig, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Die Berliner Jahre würden dazu beitragen, ihren Ruhm noch weiter zu vergrößern. Sie gelten als zwei der „Gründungsväter“ der Germanistik.

Jacob Ludwig KarlWilhelm Carl

Die Grimms begannen ihre Arbeit mit einem historischen Wörterbuch, das alle ab etwa 1450 bis zum jeweiligen Zeitpunkt der Bearbeitung Wörter auflistet, die im Neuhochdeutschen benutzt wurden. Es sollte nicht nur die Verwendung angegeben werden, sondern man wollte auch den Versuch unternehmen, die Herkunft und Geschichte der Begriffe zu beschreiben. Die Worte stammten aus Büchern, Traktaten, Bibelausgaben, Erzählungen.

Sie hatten schon vor ihrer Berufung nach Berlin mit den Arbeiten an "dem Grimm", wie man die riesige Sammlung heute auch nennt, begonnen. Moritz Haupt, der mit dem Verleger Reimer zusammen die Grimms von dem Wert dieses Projektes überzeugte, hatte es vermutlich nicht leicht, auch wenn die Idee an sich unter Garantie leicht das Interesse der beiden Brüder weckte - das Sammeln lag ihnen ja, und sie hatten bewiesen, dass sie dies konnten. Außerdem waren die beiden als Mitglieder der Göttinger Sieben und ihrer nicht geplanten politischen Bekanntheit zu den bekanntesten Germanisten ihrer Zeit geworden. Das machte sie politisch umstritten und nicht unbedingt überall hoffähig, aber es würde bei einem Buch allein schon der Name Grimm "ziehen", was sie natürlich als Autoren/Herausgeber interessant machte.

Mit Zetteln fing sie an, die Arbeit an dem "DWB". Per Definition ist das Deutsche Wörterbuch (DWB) eine Sammlung von Lemmata (Stichwort), das die Wörter der deutschen Sprache erklärt und anhand von Textstellen die Nutzung belegt.

Blatt aus dem Deutschen Wörterbuch mit Abbildung der Brüder GrimmVorab entstand eine Planung durch die Grimms, in der sie von etwa zehn Jahren Arbeit bei einem Umfang von sechs bis sieben Bänden. Wie es zu dieser fatalen Fehleinschätzung kam ... vielleicht hatten die beiden den Reichtum der deutschen Sprache einfach unterschätzt.

Nachdem sie im August 1838 das Projekt in einer der großen Zeitungen vorgestellt und angekündigt hatten, kam es zu einer Vereinbarung mit dem Verleger Hirzel über das geplante Werk. Dann begannen die jahrelange Arbeit der Grimms mit vielen Stücken Papier und vielen Büchern.

Die Grimms hatten sich dazu entschlossen, die Ergebnisse ihrer Forschung zu den einzelnen Begriffen auf Zettel zu notieren, in Größe von zumeist sieben mal zwölf Zentimeter. Auf diesen Zetteln ließen sie alle stillen Mitarbeiter am Buch, und derer gab es umfänglich, alle interessanten Worte notieren, auf die sie stießen, dazu den Zusammenhang, in dem er verwendet wurde. Diese gelangten dann per Brief an die beiden, die diese Zettel dann weiter sortierten und ordneten. So kamen zu den eigenen Ergebnissen noch jene der vielen Mitforscher, darunter natürlich auch die Freunde aus den literarischen, romantischen Kreisen.

Artikel "Dame" für das Deutsche Wörterbuch von Wilhelm Grimm, Manuskript, Eine virtuelle Ausstellung der Deutschen Digitalen BibliothekGanz offensichtlich schätzten die beiden Brüder diese Art zu arbeiten, in ihrem Nachlass finden sich unzählige Sammlungen von Notizzetteln zu allen möglichen Themen, mit denen sich die beiden beschäftigt hatten. Daneben machten sie häufig Notizen am Rand der Buchseiten ihrer Bibliothek, beschrieben die Vorsatz- oder Endseiten und legten Zettel als Markierung in die Bücher hinein. Viele Erkenntnisse über die Arbeit, Leben und Denken der beiden Brüder stammte aus dem umfangreichen Nachlass, der sich weit verteilt unter anderem im Berlin und Kassel befindet. In der Berliner Morgenpost findet sich ein sehr guter Artikel über die "Schatzkammer" der Brüder Grimm: einem Teil ihrer Büchersammlung mit den bereits erwähnten Notizen und Zettelchen.

Aus dem Jahr 1556 gibt es den Rat eines Naturforschers und Arztes, bei der Lektüre von Büchern etc Notizen über Inhalt und damit verbundene Gedanken zu machen: Man sollte die wichtigen Dinge mit Tinte und Feder am besten unsortiert auf ein großes Blatt Papier schreiben und dieses im Anschluss entsprechend der einzelnen Punkte mit einer Schere zerschneiden. Der Vorteil dieser Art der Sammlung ist klar: man kann erst einmal arbeiten ohne sich direkt Gedanken über die Ordnung der Themen machen zu müssen, kann diese im Nachgang so lang herumschieben, bis eine gewünschte Ordnung erreicht ist, oft entstehen gerade bei dieser Arbeit des "Schiebens" neue Gedanken und Erkenntnisse, oft prägt man sich Inhalte dabei "spielerisch" ein. Nicht umsonst gibt es beispielsweise trotz aller Computerprogramme, die sogar diese Arbeitsweise imitieren, noch heute viele Autoren, die mit der Karteikartenmethode ihre Bücher planen und verfassen.

In die Zeit ihrer Bearbeitung fielen auch zwei Germanistenversammlungen, die 1846 in Frankfurt am Main und 1847 in Lübeck stattfanden. Wilhelm hielt 1846 einen Vortrag über ihr Deutsches Wörterbuch, es hätte kaum eine bessere "Werbeplattform" für die Arbeit an dem Wörterbuch oder den Verkauf der Bände geben können.

Jacob Grimm, Fotografie von F.S. Hanfstaengl Jacob, so heißt das, sei dort tonangebend gewesen, 1848 wählte man ihn sogar als Nachfolger von Ernst Moritz Arndts zum Abgeordneten in der Frankfurter Nationalversammlung. In Zusammenhang mit der Wahl bezeichnete man ihn als "einen hochberühmten Gelehrten, einen aufrechten Patrioten und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens seit 1837". Dies macht die Bedeutung deutlich, die man den Brüdern Grimm zuteil werden ließ.

"Auf diesem wogenden meer der sprachen tauchen die wörter empor und versinken, die etymologien schwellen und zerrinnen." Diese Wörter stammen aus dem Vorwort des ersten Bandes des Deutschen Wörterbuches. Jacob Grimm formuliert hier sehr lyrisch, aber auch sehr zutreffend über die Tatsache, dass Sprache fließend ist, Veränderungen unterworfen und Spiegel ihrer Zeit. Für die Grimms waren die Arbeiten auch eine Herzensangelegenheit, nicht unbedingt unpolitisch und gefärbt von ihren Erfahrungen. Später, mit einem wachsenden Formulismus der Forschung, einer stärker wissenschaftlich ausgeprägten Arbeit, waren Bearbeitungen wesentlich weniger von den Verfassern geprägt als dies noch bei den Grimms der Fall war.

Wilhelm Grimm, Abbildung aus der Gartenlaube Ab 1852 hatten die ersten Auslieferungen der Ergebnisse ihrer Forschung begonnen. Da es für einen einzelnen Band noch nicht ausreichte, wurden die Lemmata als Hefte (vom Verlag "Lieferung" genannt) herausgegeben. 1854 schließlich erschien der erste Band.

Mit diesen Arbeiten sicherten sich die Grimms weltweit einen herausragenden Platz unter den Sprachforschern. Auch wenn in anderen Ländern ebenfalls bereits eine Besinnung auf die Geschichte und Bedeutung der eigenen Sprache begonnen hatte, waren diese beiden Deutschen die ersten, die zu konkreten Ergebnissen kamen und veröffentlichten. Eine sehr spannende Übersicht zu den Bearbeitungsphasen des Wörterbuches in Synopse zu historischen Entwicklungen bietet dieser Link.

Das Leben in Berlin war ereignisreich angesichts des fortgeschrittenen Alters der beiden Grimm. Fast täglich empfingen die Grimms Gäste in ihrer Wohnung, sie waren beliebt und man wollte sie kennen. Sie konnten sich lange Reisen im Sommer erlauben, Jacob konnte sogar neben der Arbeit am Wörterbuch und als Professor und seiner diversen Funktionen noch eine Geschichte der deutschen Sprache (1848) veröffentlichen.

Ganz großartig ist auch die Digitale Ausstellung zu den Grimms unter dem Titel "Grimm von A bis Z – Was uns die Brüder Grimm nicht erzählten".

Grabstelle Grimm, Berlin © Ludger WekenborgWilhelm wird der erste der beiden Brüder sein, der die Gemeinschaft verlässt. Er stirbt im Dezember 1859 an einer Blutvergiftung und lässt seinen Bruder Jacob in der Obhut seiner Frau Dortchen zurück. Sie wird für Jacob weiter den Haushalt führen und erst 1867 sterben. Jacob, der seinen Bruder Wilhelm sehr vermisst hat, stirbt schließlich 1863 an den Folgen eines Schlaganfalls.

Eine Welt ohne die Leistung der Grimms ist nicht vorstellbar. Das umfasst nicht nur die Märchen oder nur das Wörterbuch, nur die anderen Werke des einen oder anderen. Sie haben enger zusammen gelebt als viele Ehepaare, hatten nebeneinander liegende Arbeitszimmer, benutzten zu weit überwiegendem Teil eine gemeinsame Bibliothek, verbrachten mehr Zeit miteinander als Ehepaare. Sie hatten sich ja schon früh versprochen, gemeinsam zu leben, was sie trotz Wilhelms Ehe, Jacobs diverse Reisen und die Turbulenzen ihrer Lebensläufe auch mit wenigen Monaten Ausnahme bis zu ihrem Tod "durchhielten". Sie arbeiteten in einer Zeit, in der sich die Welt nachhaltig veränderte, und vieles verloren gegangen wäre, mit dem wir heute eine "deutsche Kultur" benennen.

DDie Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettelie Grimmwelt: Von Ärschlein bis Zettel
Stadt Kassel (Herausgeber),
Annemarie Hürlimann (Redakteur),
Nicola Lepp (Redakteur) 

Taschenbuch: 264 Seiten

Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3944874234
ISBN-13: 978-3944874234
Preis: 29,90€
Sieveking Verlag (1. August 2015)

 

 

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